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Belarus, Russland und UkraineNur eine Drohgebärde?

Kommentar von Barbara Oertel

Belarus stationiert Truppen an der Grenze zur Ukraine. Machthaber Lukaschenko sagt, das Land habe mit dem Krieg nichts zu tun. Aber es ist mittendrin.

Sollte Putin einen Marschbefehl geben, müsste Lukaschenko dem Folge leisten Foto: Alexander Kazakov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa

M ehrere zusätzliche Einheiten belarussischer Soldaten (Genaues weiß man nicht) sollen im Gebiet Gomel an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen worden sein – angeblich zu Übungszwecken. Klingelt da etwas? Eben. Mehrere gemeinsame russisch-belarussische Manöver hatte es auch vor dem 24. Februar 2022 gegeben. Was folgte, wissen wir: Der Aufmarsch, den viele damals als Bluff und militärisches Muskelspiel abgetan hatten, entpuppte sich als Vorbote des russischen Angriffskrieges gegen den Nachbarn. Dieser Wahnsinn hat bislang zigtausende Tote gefordert.

Genau aus diesem Grund sollten die jüngsten Entwicklungen ernst genommen werden. Doch ob sie mehr als eine Drohgebärde sind, muss bezweifelt werden. Wahrscheinlicher ist, dass es sich um eine weitere Facette des Informationskrieges zwischen den Kriegsparteien handelt.

Das gilt vor allem für die belarussische Seite – will heißen den autokratischen Dauerherrscher Alexander Lukaschenko. Der ergeht sich in vollkommen abwegigen Verschwörungsfantasien. Eine lautet, dass Belarus zum Opfer eines Angriffs der Nato-Staaten (zum Beispiel Polens) oder der Ukraine werden könnte. Letztere, so das gängige Narrativ, ist ein willfähriger Erfüllungsgehilfe des aggressiven Westens.

Mit der vermeintlichen personellen Aufrüstung an der Grenze kann sich Lukaschenko gegenüber der eigenen Bevölkerung (eine große Mehrheit lehnt den Krieg ab) wieder als „Leader“ präsentieren, der sein Land schützt und alles tut, um eine Beteiligung von Belarus an diesem Krieg zu verhindern. Dabei ist Minsk längst mittendrin. Immer wieder erfolgen russische Angriffe auch von Belarus aus, bei der Logistik ist Putins Verbündeter Lukaschenko ebenfalls zu Diensten.

Dabei muss es nicht bleiben: Sollte Putin einen Marschbefehl geben, müsste Lukaschenko dem Folge leisten. Der Rest wäre sein Problem. Das sind keine schönen Aussichten. Auch wenn man bedenkt, dass der Kremlchef (siehe den ukrainischen Vormarsch auf Kursk) nicht einmal in der Lage ist, Russland zu schützen.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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9 Kommentare

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  • Ich denke / hoffe / bete, dass es sich nur um eine Finte handelt und der Ukraine eine weitere Front erspart bleibt.

    Ich erinnere mich an den Vorschlag von Herrn Macron französische Truppen an der Grenze zu Belarus zu stationieren und die Diskussionen hierzulande bzgl. einer Eskalationsstufe daraufhin losgebrochen sind.

    Jetzt ist (mal wieder) ersichtlich, wer hier der Aggressor ist und und eine rote Linie nach der anderen überschreitet.

  • Ich kann mich erinnern, dass Anfang bis Mitte Februar 2022 der Aufmarsch der russischen Armee an der Grenze auch weitgehend als Drohgebärde diagnostiziert wurde.



    Es scheint mir plausibel, dass Putin dem ukrainischen Ziel, russische Kräfte von der Donbass durch den Angriff auf russisches Territorium "abzuziehen" nicht nachgeben will. Und dafür seinen Adlatus in Belarus heranzitiert, ihm "den Rücken frei zu halten." So wie man Putin kennt, wohl nicht nur mit Drohung.

  • Sie meinen "mutmaßlich", nicht "vermeintlich". Wieso wird das selbst im Journalismus durch den Tüdel gebracht?

  • Zwei Anmerkungen:



    - Kursk ist verglichen mit der gesamten Russischen Föderation eine kleine Oblast. Und davon hält die Ukraine einen kleinen Teil. Es ist nur PR, kein strategischer Erfolg



    - Irgendwann könnte Belarus angreifen. Aber derzeit haben sie einen viel einfacheren Zweck: Sie binden durch den bloßen Aufmarsch Kräfte der Ukraine. Ohne, dass es politisches Kapital und Menschenleben der Belarussen kostet.



    Diese Kräfte fehlen dann im Donbas. Und dort will Putin gerade die dritte Verteidigungslinie sprengen.

  • Weißrußland hat 9 Millionen Einwohner verteilt auf eine riesige Fläche. Die Armee soll 40.000 Soldaten beinhalten, vermutlich weniger, etliche junge Männer sind nach den letzten Wahlfälschungen und Massenverhaftungen emigriert bzw. sitzen im Gefängnis, manche kämpfen auch in der ukrainischen Armee. Die Bewaffnung der Armee ist noch mieser, sie wurde zudem durch Lieferungen an Russland ausgeblutet. Im Ranking Global Firepower steht Russland auf Platz 2, Ukraine auf 18, Deutschland auf 19 und Belarus auf Platz 64, und das ist sehr großzügig bewertet aufgrund der rel. großen Bevölkerung und vieler Milizen bzw. Gestapo-Einheiten zur Sicherung der Diktatur und Unterdrückung der Opposition. Die "exzellente" Bewertung bei Artillerie und Kampfhubschraubern kann man anzweifeln, da wurde das Meiste schon nach Russland verkauft.

    Das Land hätte wohl ernste Probleme, wenn es gegen Liechtenstein, Luxemburg oder San Marino kämpfen müssten, geschweige denn gegen die Ukraine.

    • @Dorian Müller:

      Wenig ist im Krieg gefährlicher als Hybris und Selbstüberschätzung. Einen Gegner für unfähig oder zu schwach zu halten, hat schon in mancher Auseinandersetzung für katastrophale Ergebnisse gesorgt. In der Unterzeichnerliste stehen ein Perserkönig, ein spanischer Monarch und ein paar US-Präsidenten aus den 60er, 70er und 90ern..., Russenpräsidenten aus den 80ern...

      • @Monomi:

        Hybris ist überall schlecht. Die Unterzeichnerliste finde ich originell. Einen deutschen Kaiser und andere, über die man nicht spricht oder schreibt, könnte man ergänzen.

  • Belarus hat - so genau weiß man es nicht - circa 60.000 aktive Soldaten. Plusminus 20.000 sollen aktuell nah an das ukrainische Grenzgebiet verlegt worden sein.



    Das ist ein Witz verglichen mit den 1,3 Millionen aktiver russischer Soldaten. Und was Ausrüstung, Schlagkraft und Moral betrifft gibt es nicht wenige Einschätzungen, die den belarussischen Verbänden noch schlechtere Werte als den Russen attestieren...



    Wenn nicht Russland also massiv mit eigenen Truppen einen Angriff von Belarus gen Ukraine unterstützen würde, ist die Gefahr die von so einem Angriff ausgehen würde für die Ukraine zu vernachlässigen - zumal die Ukraine die Grenze zu Belarus seit Kriegsbeginn massiv vermint, Straßen und Brücken abgerissen hat.



    So lange also nicht geheimdienstliche Erkenntnisse über größere russische Truppenbewegungen Richtung Belarus bekannt werden darf man Lukaschenkos Verhalten getrost als das abtun, als was es auch im Artikel beschrieben wird: "Mit der (...) Aufrüstung an der Grenze kann sich Lukaschenko gegenüber der eigenen Bevölkerung (...) als „Leader“ präsentieren, der sein Land schützt"

  • Meine heimliche Hoffnung wäre in diesem Fall, dass das System Lukaschenko implodiert, und anschliessend auch das System Putin.



    Trotzdem hoffe ich, dass der Ukraine diese Front erspart bleibt.