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Erneute Provokation UngarnsEU-Einreise für Russen erleichtert

Nach Besuchen bei Putin und Trump überrascht Ungarns Premier Orbán mit einem neuen Coup: Er erleichtert die EU-Einreise für Russen und Belarussen.

Für Überraschungen gut: Orban verkündet Visaerleichterungen für Russen und Belarussen Foto: Hollie Adams/reuters

Wien taz | Viele in Brüssel hatten gehofft, dass nach Viktor Orbáns umstrittenen Besuchen bei Wladimir Putin, Xi Jinping und Donald Trump nun etwas Ruhe einkehren möge. Der ungarische Premier ist aber weiter für Überraschungen gut. Wie nun bekannt wurde, hat die ungarische Regierung die Einreisebedingungen für acht Länder gelockert, darunter für Belarus und Russland. Menschen aus jenen Ländern können nun wieder die ungarische „Nationalkarte“ beantragen, ein deutlich vereinfachter Prozess zur Einreise. Die neue Regelung gilt bereits seit 8. Juli.

Die nun bekanntgewordene Lockerung steht im scharfen Gegensatz zu den infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine verschärften Einreisebestimmungen. Visabestimmungen für Russinnen und Russen wurden dabei EU-weit vereinheitlicht, Sicherheitskontrollen ausgebaut, alle Fast-Track-Verfahren ausgesetzt. Zumindest bis jetzt.

Die Kritik aus Brüssel folgte, nicht zum ersten Mal während des aktuellen ungarischen Ratsvorsitzes, postwendend. Während die Europäische Kommission am Dienstag noch rechtliche Schritte prüfte, kritisierte die Europäische Volkspartei die Lockerung scharf. „Ein solcher Mechanismus ist hochgradig fragwürdig und wirft schwere Sicherheitsbedenken auf“, heißt es in einem Brief der größten EU-Parlamentsfraktion an Noch-Ratspräsident Charles Michel.

Ungarn weist Vorwürfe zurück

Als „Schmierenkampagne“ und „kindische Lüge“ tut Zoltan Kovacs, ein Sprecher des ungarischen Premiers, die Kritik ab. Auf der Plattform X schreibt er: „Diese Aktion ist nichts anderes als ein weiterer heuchlerischer Angriff der kriegsbefürwortenden liberalen europäischen Elite auf Ungarn.“

Die neue Regelung, die bereits gilt, ermöglicht es russischen und belarussischen Arbeitern, zunächst für zwei Jahre im Land zu bleiben und diese Aufenthaltsdauer unbegrenzt um jeweils drei Jahre zu verlängern, vorausgesetzt, sie haben Arbeit, Unterkunft und Krankenversicherung. Mit der Visa-Erleichterung, so die Befürchtung, eröffnen sich Schlupflöcher für russische Spione, die sich nach nur minimaler Sicherheitsüberprüfung frei im gesamten EU- und Schengenraum bewegen dürften.

Warum sich die ungarische Regierung zu diesem Schritt entschlossen hat, bleibt für Dorka Takácsy, Politikexpertin beim ungarischen Zentrum für euro-atlantische Integration und beim Thinktank Visegrad Insight, ein Rätsel. „Es gibt keinen erkennbaren Grund dafür“, sagt Takácsy.

Sie verweist auf die bestehende Regelung für Gastarbeiter, die schon bisher russischen und belarussischen Arbeitsmigranten den Aufenthalt ermöglichte. Die Zahl der derart erstellten Aufenthaltserlaubnisse war jedoch gedeckelt, für die Träger der Nationalkarte gibt es hingegen keine Obergrenze.

Politexpertin sieht Gefahr der russischen Spionage

Es gebe zwar einige belarussische und russische Unternehmungen im Land – etwa den Ausbau des einzigen ungarischen Atomkraftwerks Pacs durch RosAtom –, einen akuten Bedarf an Arbeitnehmern aus diesen Ländern sieht die Expertin aber nicht. Der Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften sei vor allem mit Menschen aus der Ukraine und aus Serbien gedeckt.

Vielmehr ortet sie eine Parallele zum Jahr 2019, als die ungarische Regierung die russische „Spionagebank“ IIB ins Land holte und dabei etwa bei den Steuern entgegenkam. Im Gegenzug bekamen ihre Mitarbeiter und Gäste unkompliziert Visa und Aufenthaltstitel in Ungarn.

„Jetzt, wo IIB nicht mehr in Ungarn ist, könnte sich Russland ein neues und wertvolles Einreise-Fenster gesichert haben“, sagt Takácsy. Die Politologin sieht das Risiko für eine Infiltration durch russische Spione und Geheimdienste als groß an. „Russland kann und wird diese Chance bei Bedarf nutzen.“

Ob und wie lange der überraschende Schritt geplant war, ist unklar. Möglicherweise sei es kein Zufall, so Takácsy, dass die Lockerung am 8. Juli kam, nur drei Tage nach dem Besuch Orbáns bei Putin. Was aber in Moskau vereinbart wurde und ob es ein Gegengeschäft gab, kann derzeit niemand sagen. Klar ist nur: Ungarn ist auf russische AKW-Brennstäbe und auf russisches Gas angewiesen. Die Lockerung wäre nicht das erste Zugeständnis an Putin.

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27 Kommentare

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    Die Moderation

  • In die EU einzudringen war bisher für russische und andere Spione ja nicht wirklich schwierig weil Zypern und Malta sogar Staatsbürgerschaften schlicht verkauft haben.

  • Das muß sehr schnell dichte Grenzkontrollen an allen ungarischen EU Grenzen zur Folge haben. Hoffentlich erweisen sich die EU Institutionen hier nicht als lame duck.

  • Ist Ungarn eigentlich im Schengen-Raum? Dann müsste man es nämlich sofort daraus entfernen.

  • Muss der EU Zaun erweitert werden. Einmal rund um Ungarn

  • Die EU hat einen Mechanismus sie freiwillig zu verlassen; siehe Großbritannien. Was ihr fehlt ist ein Mechanismus Länder auch wieder rauszuschmeissen. Das sollte schnell nachgeholt werden, denn dieses Ungarn hat nichts in der EU verloren. Die EU muss vor solchen Subjekten geschützt werden; es darf nicht sein, dass ein Land in der Lage ist diese wunderbare Idee ad adsurdum zu führen.

  • Das Argument mit russischen Spionen ist ziemlich unerkomplex, denn es wird wohl genug Möglichkeiten geben, Spione unterzubringen.

  • Die Reaktion der EU ist in der Tag heuchlerisch. Bei allen beschlossenen Sanktionen wird immer Rücksicht auf die Wünsche der einzelnen Mitgliedsstaaten genommen. So gibt es bei den Sanktionen noch immer viele gewünschte Ausnahmen. Ist also alles nichts Neues.

    • @Micha.Khn:

      "Die Reaktion der EU ist in der Tag heuchlerisch. ... So gibt es bei den Sanktionen noch immer viele gewünschte Ausnahmen. Ist also alles nichts Neues."



      Bei allen diesbezüglichen EU-Beschlüssen wurde immer mit allen Staaten verhandelt, es gab hierzu bislang keine Alleingänge. Diesen als 'nichts neues' abzutun ist Unsinn.

    • @Micha.Khn:

      Heuchelei ist so ein Modevorwurf.



      Wie Doppelmoral.

      Ja, die Interessen seinzelner Mitglieder werden berücksichtigt, wenn eine Entscheidung getroffen wird.

      So ist das in einem doch recht Heterogenität Staatenbund.

      Kompromisse sind aus demokratischer Sicht nicht verwerflich.

      Gefasste Entscheidungen so zu unterlaufen, hat aber eine andere Qualität.

      Da sollte Orbán das Rückgrat haben, aus der EU austreten und der Russischen Föderation beitreten. Wäre doch völlig in Ordnung.

      Meinungen darf man ändern.

  • > „Es gibt keinen erkennbaren Grund dafür“, sagt Takácsy.

    Außer ein Maulwurf Putins in der EU zu sein?

    Dass ein Mitgliedsland der EU durch einen feindlich gesinnten Nachbarn korrumpiert werden könnte scheint irgendwie sowohl in der EU als auch im Schengen-Abkommen nicht bedacht worden zu sein.

  • Grenzen zu Ungarn und Slowakei schließen. Fertig. Wird sowieso mal langsam Zeit, dass diese beiden Länder die EU und NATO verlassen.

    • @Okti:

      ... um dafür Serbien (Stichwort Lithium) in die EU zu beten ... ?



      Aber Sie haben trotzdem Recht.

  • Das FSB & Co ohne die neue Regelung keine Saboteure bis Agenten einschleusen oder führen kann ist kann man doch nicht ernst nehmen. Halte ich für einen vorgeschobenen Grund.

    Ich hab auch noch nie verstanden warum man Russen die Flucht nicht ermöglicht. Jeder einzelne russische Söldner _weniger_ in der Ukraine sollte helfen.

    Im Gegenzug sollte man jeden Einzelnen der noch mit Russland Geschäfte macht finanziell sanktionieren und privat strafrechtlich verantwortlich machen.

    • @Thorsten Gorch:

      Sie hätten die Tore Trojas auch ohne Pferd geöffnet.

    • @Thorsten Gorch:

      Ohne die bereits in Deutschland lebenden Russen bzw. Russischstämmigen wäre die AfD nur halb so stark...

  • Welcher Pfosten war eigentlich auf die Idee gekommen, Ungarn in die EU zu lassen? Achja, der Gerd ...

  • 1956 revisited?



    Wann wechselt er ins Hotel Lux?

  • Ich glaube nicht, daß die bestehende Regelung ein wirklicher Schutz vor russischen Spionen ist.

    Es ist aber sehr wohl eine ungerechte Behandlung gegenüber unbescholtenen russischen und belarussischen Menschen. Diese will Orban vermutlich entschärfen.

    Auch wenn ich ihn mit seinen politischen Ansichten überhaupt nicht mag, sehe ich kein sinnvolles Argument gegen diese Erleichterungen.

    • @Nobodys Hero:

      "Auch wenn ich ihn mit seinen politischen Ansichten überhaupt nicht mag, sehe ich kein sinnvolles Argument gegen diese Erleichterungen."



      Ich wüsste eins. Ungarn ist Mitglied im Schengen-Raum. Da verbieten sich individuelle Änderungen bei der Einreise ohne Rücksprache und Einverständnis aller Schengen-Staaten von selbst.

    • @Nobodys Hero:

      Ich glaube auch nicht, dass es einen wirklichen Schutz gegen russische Spione gibt. Zur Not könnten die auch einfach in die EU einreisen und Asyl beantragen.

    • @Nobodys Hero:

      Es geht nicht nur um Gerechtigkeit gegenüber allen und jedem, sondern um Selbstschutz.



      Wenn Ungarn das Schengen-System untergräbt, muss man eben an den ungarischen Grenzen wieder Kontrollen einführen.

    • @Nobodys Hero:

      Die vermeintlich unschuldigen russischen Bürger mögen tatsächlich unschuldig sein oder nicht; durch ihr Tun oder eben Nicht-Tun tragen sie aber Anteil am bestehen des Regimes und sollten dann auch die Konsequenzen tragen müssen.

    • @Nobodys Hero:

      Orban ist ja dafür bekannt, dass ihm (bela)russische Oppositionelle besonders am Herzen liegen .

    • @Nobodys Hero:

      Ein sehr gewichtiges Argument dagegen ist die Einigkeit, faire Zusammenarbeit in der EU. Wenn dieser Mann klammheimlich Fakten schafft, die ALLE im Schengenraum angehen, dann ist es eine extreme Frechheit, das unabgestimmt zu machen. Was denkt dieser Gernegroß denn wer er ist? Es bleibt zu hoffen. dass die EU mit schärfsten Mitteln reagiert, vielleicht einer strengen Kontrolle an der ungarischen Grenze.

      • @Perkele:

        "Es bleibt zu hoffen. dass die EU mit schärfsten Mitteln reagiert, vielleicht einer strengen Kontrolle an der ungarischen Grenze."



        Eigentlich die einzig mögliche Reaktion. Sonst ist Schengen Geschichte.

    • @Nobodys Hero:

      Verstehe ich nicht. Sie glauben etwas das wohl Fachleute einschätzen sollten. Ich würde erwarten, dass sich die unbescholtenen Bürger in ihrem Land gegen diesen Angriffslrieg einsetzen. Und klar, Organ betreibt hier Symbolpolitik. Es ist eine Provokation der EU Haltung zu diesem Angriffslrieg mit vielen Toten.