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Foto: Michael Hänsel

Ein Dorf wählt rechtsIdylle in Himmelblau

Im Thüringer Dorf Manebach haben bei den Europawahlen 40 Prozent für die AfD gestimmt. Einfache Antworten auf den Rechtsruck sucht man hier vergebens.

I nmitten einer idyllischen Mittelgebirgslandschaft zieht sich das Dorf Manebach an den Hängen des Ilmtals entlang. Direkt im Biosphärenreservat Thüringer Wald gelegen, in dem Rotwild, Wildschweine, Wölfe und Luchse leben. Die mit Schiefer beschlagenen Häuser sind in gutem Zustand, die Gärten mit Liebe begrünt. Es riecht nach frisch gemähtem Gras und Lavendel. Vor den Türen stehen Mittelklassewagen.

Die Idylle endet an den Laternenmasten entlang der Dorfstraße. Ein blauer Schilderwald zieht sich hier den Berg hoch. „Sicherheit statt Multikulti“ – „Unser Land zuerst“ – „Wälder statt Windkraft“. Die Auszählung der Stimmen nach den Europawahlen am 9. Juni hatte ergeben: 40,9 Prozent der Manebacher haben AfD gewählt, eine Partei also, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextremistisch eingestuft ist. Manebach hat rund 1.300 Einwohner, die Wahlbeteiligung lag bei 45,3 Prozent.

Die AfD ist in Manebach längst das neue Normal, und die Frage ist, ob die rechten Realitäten im Alltag für Konflikte in der Dorfgemeinschaft sorgen.

Um das rauszufinden, geht man am besten als erstes zum alten Bahnhof von Manebach, denn hier verändert sich gerade etwas, das auf den ersten Blick nicht recht passen mag zu den letzten Wahlergebnissen. Girlanden und Luftballons schmücken die Fassade eines klassischen Fachwerkbaus. Für Kinder ist eine Hüpfburg aufgebaut. Vor dem Eingang brutzeln Rostbratwürste auf einem Grill. Auf einer Tafel wird Havanna-Cola, Radler, Limo und Kaffee zum Kauf angeboten. Und Pfeffi und Kirsch, roter und grüner Schnaps, von alten Manebachern auch „Schlüpferstürmer“ genannt. Zwei junge Frauen mit dunklen Haaren laufen geschäftig herum. Es sind Lisa Jimenez und ihre jüngere Schwester Emely.

Ostwahlen 2024

Dieser Text ist Teil unserer Berichterstattung zu den Wahlen 2024 in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die taz zeigt, was hier in diesem Jahr auf dem Spiel steht.

Die Zeiger der alten Bahnhofsuhr sind auf vier Uhr stehengeblieben. Nur an Wochenenden und feiertags gibt es in Manebach noch Zugverkehr, für die Wandertouristen, die von hier hoch zum Rennsteig wollen, Deutschlands ältestem Höhenwanderweg. Das Bahnhofsrestaurant ist seit einem Jahr geschlossen. Die 34-jährige Lisa, gelernte Gastronomin, will hier einen Kulturbahnhof mit lateinamerikanischer Küche aufmachen, mit Livemusik, Reisevorträgen und Tanzkursen. Am 1. August soll es losgehen. Und um sich im Dorf schon mal ein bisschen bekannt zu machen, macht die neue Wirtin jetzt manchmal bereits provisorisch auf. So auch an diesem Tag.

„Wir sind alle froh, dass da jetzt wieder etwas in Gang kommt“, sagt ein Mann mit weißen Haaren, der rauchend auf einer Bank im Ortskern sitzt. Andreas, ein 68-jähriger Rentner, in Manebach ist man schnell beim Du. Von der Bank aus hat er alles im Blick. Mit seinen Freunden Olaf und Ralf trifft sich Andreas dort mehrmals in der Woche zum Feierabendbier. Olaf, ein 62-jähriger Mann, der meistens ein Käppi aufhat, und Ralf, mit 53 Jahren der Jüngste des Trios, stellen sich beide als „Lokführer“ vor – „heute heißt das ja Triebfahrzeugführer“. Mit dem „Regio“, dem Regionalexpress also, sind sie auf den von Erfurt abgehenden Strecken unterwegs. Die drei verbreiten gute Laune. Aus Manebach weggezogen hat es sie nie. „Ist doch schön hier, uns geht’s doch gut“, sagt Olaf.

„Cali“ soll der Kulturbahnhof heißen, die Abkürzung für Casa Lisa. Lisa Jimenez hat einen kubanischen Hintergrund. In Erfurt hat sie zuvor ein mexikanisches Restaurant betrieben. Geboren ist sie in Suhl, einer Kleinstadt, die von Manebach aus gesehen auf der anderen Seite des Thüringer Waldes liegt. Lisa spricht weichen Thüringer Dialekt. Wenn sie sage, sie stamme aus Suhl, komme meistens die Frage: Und woher kommst du wirklich? „Mein Papa ist Kubaner“, sagt sie dann. Der Vater sei 1985 als Vertragsarbeiter aus Kuba in die DDR gekommen, erzählt Jimenez, und er lebe nach wie vor in Suhl.

„Ist doch schön hier, uns geht's doch gut“

Olaf, Einwohner von Manebach

Ende 2022 waren Lisa und ihr Freund Michael zu einer Motorradtour durch Südamerika aufgebrochen. Ihre BMWs hatten sie von Hamburg nach Santiago de Chile verschifft. Zwei Jahre waren geplant. Unterwegs erfuhr sie, dass das Bahnhofs­restaurant in Manebach zu vermieten sei. Im März 2024 kam sie vorzeitig zurück und unterschrieb den Vertrag. Die große Gastfreundschaft und Offenheit, die sie auf der Südamerikareise erlebt habe, wolle sie nun in den Manebacher Kulturbahnhof tragen, sagt Lisa. Die weite Welt zu Gast in Manebach also, deren Bür­ge­r*in­nen allerdings mehrheitlich einer Partei die Stimme gegeben haben, die nicht gerade für Weltläufigkeit steht.

Der Bahnhof Manebach wurde 1904 eingeweiht. Holz aus den Wäldern und Produkte der Masken- und Porzellanindustrie, für die die Gegend berühmt war, wurden dort verladen. Seit 1913 befand sich in dem Gebäude eine Gastwirtschaft. Auch zu DDR-Zeiten war das so, als in Manebach noch der Tourismus boomte. Bis zu 10.000 Gäste kamen pro Jahr. Sieben Bäcker, vier Fleischer, Kneipen und eine Milchbar habe es in diesen Zeiten im Ort gegeben, heißt es.

Heute sind im Gästeverzeichnis noch 17 Herbergsstätten mit 160 Betten gelistet, die Auslastung ist aber insgesamt eher überschaubar. Einen Fleischer gibt es noch im Ort und einen kleinen Lebensmittelladen. Daneben steht die Bank, auf der Olaf, Ralf und Andreas ihr Feierabendbier trinken.

Lisa Jimenez und ihr Freund Michael Hänsel. Sie will aus dem alten Bahnhofsgebäude einen Kulturbahnhof machen Foto: Plutonia Plarre

Ganz wichtig sei die Bahnhofsgaststätte immer gewesen, sagt Andreas: „Wenn du was brauchst, bist du zum Bahnhof.“ Und was sagen sie zu den Plänen der neuen Wirtin Lisa? „Lateinamerikanische Küche steht dran, wenn das hinhaut – super.“ Hauptsache, es gebe wieder etwas im Ort.

Er selbst würde aber nicht ausschließlich auf „fremde Küche“ setzen, sagt Ralf. Die anderen nicken. Ein Mittagstisch wäre auch nicht schlecht. Und dann kommen die drei Männer ins Schwärmen: über die thüringische Küche, über Rotkohl, Braten und selbst gemachte Klöße und „dem Udo seine Mutter, die Brigitte“, die früher in der Bahnhofsküche gestanden habe. „Die Brigitte, da gibt’s keine Diskussion, hat sehr gut gekocht.“ Sehr wichtig in einer Gaststätte, sagt Olaf, sei auch „die Anschlussfinanzierung“. Was ist denn das? Na, dass der Wirt eine Runde Schnaps schmeißt und sich die Gäste mit weiteren Runden anschließen. Da komme jeder mit jedem in Kontakt.

Vier Kilometer Landstraße durch den Wald trennen Manebach von der Universitätsstadt Ilmenau. Viele Manebacher arbeiten in Ilmenau und Umgebung. Der Ilmkreis gehört zu den wirtschaftlich stärksten Regionen Thüringens. Auch Stefan Schmidt gehört zu den Pendlern. Der 54-Jährige, im Hauptberuf Ingenieur, ist seit 2015 Bürgermeister von Manebach. Bei den Kommunalwahlen im Mai ist der Parteilose mit 96,1 Prozent wiedergewählt worden.

Manebach habe einen gesunden Altersdurchschnitt, sagt Schmidt, ein kräftiger, braungebrannter Mann mit kahlem Kopf. Das Gespräch findet im Haus des Gastes statt, wo Schmidt sein Amtszimmer hat. Es gebe viele Alteingesessene, aber eigentlich keinen Leerstand. Wenn ein Haus frei werde, zögen oft junge Leute und Familien mit Kindern nach.

Was Manebach auszeichne: „Man wohnt dörflich, ist aber auch schnell in der Stadt“, meint Schmidt. Auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist der Ort gut erreichbar; tagsüber fährt alle zwei Stunden ein Bus. Im Herbst komme ein ehrenamtlich betriebener Bürgerbus hinzu, der Manebach mit den höher gelegenen Dörfern verbinden soll, sagt der Bürgermeister: „Abgehängt ist etwas anderes.“

Oft wird der Wahlerfolg der Rechten im Osten eben mit diesem Wort erklärt, dass sich die Menschen dort „abgehängt“ fühlten: das Einkommensniveau schlechter als im Westen, sterbende Dörfer, weil die Jungen wegziehen und es keine funktionierende Infrastruktur gibt, von der Kita bis zum Rufbus. In Manebach ist da alles nicht so. Also, Frage an den Bürgermeister: Hat Schmidt eine Erklärung dafür, warum die Manebacher die AfD wählen? Das liege vor allem an der Politik der Bundesregierung, sagt er. Die Ukraine- und Energiepolitik „ist schlimm“. Auf kommunaler Ebene AfD zu wählen, mache aber eigentlich keinen Sinn: „Die AfD müsste schon in der Bundesregierung sein, um was zu ändern.“

Über die neue Bewirtschaftung des Bahnhofs ist Schmidt froh. Ein staatlich anerkannter Erholungsort wie Manebach brauche eine Gaststätte, findet er. Allein von den Dorfbewohnern könne kein Wirt leben. Wirkt der große Zuspruch für die AfD im Ort auf Touristen nicht abschreckend? Er finde diesen Nazi-Vergleich bezogen auf die AfD „ziemlich grenzwertig“, sagt Schmidt. Ihm werde da immer zu viel pauschalisiert. In Manebach gebe es weder Rechts- noch Linksradikale. Und mit Ausländern habe man auch keine Probleme, „schon deshalb, weil es hier keine gibt“. Einige ukrainische Familien ja, aber da gebe es keine Konflikte.

Er selbst, sagt Schmidt, könnte jedenfalls nicht in Städten leben, wie es sie in Westdeutschland zum Teil gebe, wo es in der Innenstadt „nur noch Dönerbuden“ gebe.

Lisa Jimenez, die den Manebacher Bahnhof zu einem weltoffenen Ort machen will, sagt, Rassismus habe sie in ihrem Leben noch nie erlebt. Eine Freundin, auch Kind eines Kubaners, aber deutlich dunkler als sie, erlebe da aber ganz anderes. Kubaner und Asiaten seien grundsätzlich mehr akzeptiert als andere Migrantengruppen, sagt Jimenez: Asiaten würden als fleißig und geschäftstüchtig gesehen, und Latinos als die mit der guten Laune. Diese Unterscheidung zwischen guten und schlechten Ausländern ärgere sie.

Ein junges Paar schiebt mit einem Kinderwagen die Dorfstraße hoch. Nein, sie seien keine AfD-Wähler, sagt der Mann. 21,8 Prozent der Manebacher haben bei den Europawahlen für die CDU gestimmt, 5,1 für die SPD, die Grünen bekamen 4,9, die Linken 3,6 Prozent, die Koalitionspartei FDP spielte mit 0,7 Prozent Stimmenanteil überhaupt keine Rolle. Wie lebt es sich einem Dorf, in dem die Blauen in der Übermacht sind? In der Nachbarschaft sei Politik kaum ein Thema, sagt der Mann, man komme gut miteinander aus. Sie seien aber auch sehr mit ihrem Nachwuchs beschäftigt. Im örtlichen Kindergarten seien zwei von rund 40 Kids dunkelhäutig, vollkommen selbstverständlich sei das.

Kein Pappkamerad: Altbürgermeister Karl-Heinz Kühn definiert sich als Demokrat. Hier mit einer Pappmache-Maske im Heimatmuseum Foto: Plutonia Plarre

Karl-Keinz Kühn, ein rüstiger 80-Jähriger mit grauem Bürstenhaarschnitt wohnt oben am Berg. Mit einem E-Bike kommt der gebürtige Manebacher zur Verabredung mit der taz ins Haus des Gastes. Parteilos, aber auf der Liste der CDU, war Kühn der erste Ortsbürgermeister nach der Wende. 24 Jahre lang, bis 2014, hat er den Job gemacht.

„Der Höcke ist doch ein Nazi durch und durch“, sagt Kühn über den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden, der als Rechtsextremist vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Er führe am privaten Stammtisch manchmal Diskussionen mit Anhängern des Höcke-Lagers, aber das habe keinen Zweck. „Einige sind schon sehr verbohrt – besonders die mittlere Altersgruppe.“Jammern auf hohen Niveau findet Kühn das Klagen der Leute. „Sie haben ein Häuschen und ein Auto, dass das Leben teurer wird, ist doch ganz normal.“ Zu DDR-Zeiten habe es mehr Zusammenhalt gegeben, sagt Kühn. „Der eine hatte das Rad, der andere die Felge.“ Nach der Wende seien die Leute immer schwieriger geworden. Bei Problemen gleich mit Rechtsanwälten zu drohen, sei in Mode gekommen. „Wer kannte denn früher einen Rechtsanwalt? Keiner!“

Und dann erzählt er die Geschichte von dem roten Mercedes, der einmal, nach der Wende, zufällig vor dem Kindergarten geparkt war. Sofort verbreitete sich im Dorf das Gerücht, der Kühn wolle den Kindergarten verkaufen, der Investor sei schon da. In Wirklichkeit, so Kühn, gehörte der Mercedes einem Tiefbauunternehmer. Er sei mit dem Mann in den Wald gegangen, um zu prüfen, wie die Starkstromleitung unter der Erde verlegen werden könne. „Aber die Leute haben es geglaubt – wie bei der AfD“.

In den Wendejahren sind Hundertausende zumeist junge Menschen aus dem Osten in den Westen abgewandert. Grund war eine drastisch zunehmende Arbeitslosigkeit in Folge von Betriebsschließungen. Eine ganze Generation ging so verloren, auch in Manebach. Viele seien in den Westen gegangen, erzählen Olaf, Andreas und Ralf. Nie wieder habe man die gesehen, „da war die Freundschaft hin“, sagt Olaf. „Das waren schon böse Zeiten damals.“ In der DDR habe man alle Güter mit dem Zug gefahren. Kohle, Sand, Lebensmittel, alles. „Und auf einmal waren die Güterzüge weg. Über Nacht war Schluss, die Treuhand hat das erledigt.“

Das Neue Porzellanwerk Ilmenau, auch bekannt unter dem Namen „Graf von Henneberg Porzellan“, galt in den 1970er Jahren als das größte und modernste in Europa. Über 3.000 Menschen arbeiteten dort. Nach der Wiedervereinigung wechselte das Werk mehrmals den Besitzer, 2002 wurde der Manufakturbetrieb eingestellt. Ähnlich erging es dem VEB Kombinat Technisches Glas. Das Stammwerk Ilmenau war der größte Arbeitgeber im Ilmkreis, bis 1994 verloren alle 5.000 Beschäftigten ihre Arbeitsstelle. Alle umliegenden Dörfer hätten in der Porzellan- und Glasindustrie gearbeitet, erzählt eine alte Dame aus Manebach. Bis heute seien Löhne und Renten nicht zu 100 Prozent angeglichen. „Das Ungerechtigkeitsgefühl bei den Alten lebt fort“, sagt die Frau, die sagt, sie hege keine Sympathien für die AfD.

Er mache das Licht aus und er trenne seinen Abfall, sagt Altbürgermeister Kühn. „Dazu brauche ich keinen Habeck“

Am 1. September sind in Thüringen Landtagswahlen. Mit rund 30 Prozent führt die AfD die Umfragen an. Ihn erinnere das an 1933, als die Menschen den Nationalsozialisten hinterhergerannt sind, sagt Kühn. „Man weiß, wohin die Euphorie geführt hat.“ Er kommt auf die Bundespolitik zu sprechen. Er beneide keinen von denen in Berlin, sagt er. Aber „der Habeck mit seinem ganzen Geschiss um die Heizung“ habe sich die Dinge selbst eingebrockt. Kühn meint das Heizungsgesetz des grünen Wirtschaftsministers. Er sei einer, der immer das Licht ausmache und er trenne seinen Abfall, sagt Kühn. „Dazu brauche ich keinen Habeck.“

Kühn hat sich warm geredet. In der DDR habe es manche Missstände gegeben, „aber wir hatten Frieden“. Wenn er das sehe, „die Ukraine und die da unten …“ – Kühn führt den Satz nicht zu Ende, er meint den Krieg in Gaza. Zwei Brüder habe er gehabt, erzählt Kühn. Anfang des Zweiten Weltkriegs sei der Erste gefallen, der zweite sei in diesem Krieg verschollen. Seine Mutter habe das nie verwunden. Er, das einzige Kind, sei 1944 geboren. Eine späte Schwangerschaft, für die sich seine 47-jährige Mutter auf dem Dorf sehr geschämt habe.

Dann kommt Kühn auf das Thema Migration zu sprechen. 1990 sei er der erste Bürgermeister gewesen, der in seinem Ort Flüchtlinge aufgenommen habe. 70 russische Juden aus der ehemaligen Sowjetunion: „Wir mussten die unterbringen.“ Im Unterschied zu den heutigen „Wirtschaftsflüchtlingen“ seien das aber noch vernünftige Leute gewesen. Was heute so alles passiere, nein, nicht in Manebach, denn „die wollen natürlich nicht in die Dörfer, weil da ein bisschen mehr aufgepasst wird“ – aber trotzdem, sagt Kühn.

Man müsse doch nur nach Suhl gucken. In Suhl gibt es eine große Erstaufnahmestelle, die wegen Überbelegung immer wieder in die Schlagzeilen geraten ist. Das widerspreche doch jeglichem Gerechtigkeitsgefühl, dass „die kleine Frau an der Kasse“, sagt Kühn, „unwesentlich mehr verdient als Leute, die den ganzen Tag rumlungern, außerdem noch die Wohnung eingerichtet bekommen und die dann wieder runterwirtschaften“. Was unterscheidet ihn bei solchen Reden eigentlich noch von der AfD? „Dazu brauche ich keine AfD“, sagt Kühn. „Das sagt mir mein gesunder Menschenverstand.“ Er sei, betont der Ex-Bürgermeister, Demokrat.

Die taz hatte am 23. Juni in Erfurt zu einer Veranstaltung geladen. Aktivistinnen und Aktivsten, Initiativen für Zivilcourage, Wissenschaftler und die demokratischen Spitzenkandidaten diskutierten darüber, was bei der Landtagswahl im Herbst auf dem Spiel steht. Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Rechtsruck ja nicht nur um ein ostdeutsches sondern um ein globales Problem handele. Dass die AfD bei den Europawahlen mit 28 Prozent im Osten Deutschlands zwar stärkste Partei geworden sei, es aber auch im Westen Hochburgen gebe. Und dass es, im Westen wie im Osten, ein starkes Stadt-Land-Gefälle gebe: Es brauche viel mehr Menschen, die mit einer klaren, weltoffenen Haltung und menschenorientierter Sicht die ländlichen Regionen mitprägen, war man sich einig.

Der Bahnhof in Manebach, anno 1904 Foto: privat

Mit dem Projekt des Kulturbahnhofs erfülle sie sich einen Lebenstraum, sagt Lisa Jimenez. „Ich möchte die Gaststätte nicht in die Politik reinziehen, aber es ist erkenntlich, wo ich stehe: gegen Extremismus.“ Sie werde versuchen, eine gute Mitte zu finden. Bunt solle die Kneipe werden: „Bahnhof bedeutet Ankommen“. Menschen und Lebenswelten kämen an solchen Orten in Kontakt, die sonst keine Berührung hätten. Gerade auf den Dörfern sei das wichtig, wo nach dem Motto gelebt werde, „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht“. Jimenez verfolgt keine politische Mission, Spaß solle das Ganze machen. Die Manebacher, so viel sei klar, bekämen im Kulturbahnhof einen Stammtisch.

Es ist früher Abend. Es war ein Kommen und Gehen an diesem Probetag. Bis zur richtigen Eröffnung am 1. August ist noch viel zu tun: Die Bahnhofsuhr muss noch repariert und das Bahnhofsschild Manebach wieder beleuchtet werden. Von allen Seiten werde ihr Hilfe angeboten, erzählt Lisa Jimenez. Es gebe auch schon Anfragen für Feiern, nicht nur aus dem Dorf. Der Porzellanverein aus Ilmenau will eine Kuba-Veranstaltung machen. Eigentlich will die Gastwirtin jetzt schließen, aber es sind noch Leute da. Olaf, und auch Ursula und Burkhard, ein Ehepaar aus Manebach, das auf Berghütten thüringische Volkslieder und Schlager singt. Der Moosbacher und die Waldkatz, wie sie sich nennen, wollen auch im Kulturbahnhof auftreten.

Kubanische Musik schallt aus der Box. Micha, Lisas Lebensgefährte, verteilt Pfeffi und Kirsch. Dann holt er seine Trompete. Buena Vista Social Club wird von Helene Fischer abgelöst, spontan entwickelt sich eine Party. Olaf strahlt. „Man ist das schön“, sagt er und kippt sich den nächsten Schlüpferstürmer ins Bier.

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25 Kommentare

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  • Es ist natürlich müßig sich über Dönerbuden in den Städten aufzuregen, wo es im Ländlichen kaum noch Gastronomie gibt. Die verbliebenen reduzieren die Karte meist auf Schweineschnitzel mit Pommes und Salat.

    Denken wir sogleich an asiatische, italienische, indische Restaurants, Sushi und der Vielfalt mehr, dann lässt sich erahnen, das der Abstand von ländlicher Einfalt zu städtischer Vielfalt sehr groß geworden ist und entweder Neid oder Ängste hervorruft. Tauschen möchte sogleich niemand, weil die ländliche Wohnqualität unlängst höher oder noch erschwinglich ist. Also, bloß keine Veränderung.

    Der Artikel lässt sich wie eine Schablone auch auf meinen kleinen Wohnort legen.

  • Das Foto zeigt doch schon offenbar einen stillgelegten Bahnhof.



    Wer Menschen zu teuer-individuellem Führerschein und Auto schiebt, erntet vielleicht entsprechend?

    Selbst aber in solchen Gemeinden hat die Mehrheit eine andere Partei als sinnvoll erachtet.



    Etwas pointiert: Wer was gegen Menschen hätte, kann immer noch Tierschutz o.ä. wählen, er muss nicht den komplett Falschen Munition liefern.

    • @Janix:

      "„Abgehängt ist etwas anderes.“"

      sagt der Bürgermeister.

  • Interessant, wie hier mit Zahlen gearbeitet wird. 40% von 45,9% Wahlbeteiligung ergeben 19% der Wahlberechtigten das ist genauso viel wie 30% bei 65% Wahlbeteiligung.



    Da gab es andere Orte und dann wird es auch schwer, Menschen zu finden, die dem vorangestellten narrativ entsprechen.



    Leider ist vieles getragen von einer städtischen Sicht auf die Bevölkerung, gerade auf dem Dorf.

    • @Reinero66:

      Was ändert die Wahlbeteiligung daran, dass 40% der Stimmen an eine gesichert rechtsextreme Partei gingen? Und umgekehrt: Was ändern die Stimmenanteile daran, dass 54,1% der Stimmberechtigten schlicht keinen Bock hatten, gar kein akzeptables Angebot unter den angetretenen fanden, Wählen für unwichtig halten etc.?



      (Ein kleiner Anteil wird auch valide Gründe gehabt haben, nicht zu wählen, akute Krankheit o.ä.)

    • @Reinero66:

      Sicher.



      Frau Plarre hat vor allem für den Lokalteil Berlin in der taz geschrieben.

  • Die Entfesselung des Brutalst-Kapitalismus, initiiert von Reagan, Thatcher, Kohl, gipfelte in Deutschland in der Treuhand.



    Das hinterlässt Spuren, klar.



    Aber: liebe Leute. Ihr lebt in einem freien, wohlhabenden Land. Ihr müsst nicht geschlagene Schlachten neu schlagen.



    Man möchte sagen: Gott sei Dank, seid ihr nur ein kleines Dorf mit einem irrlichternden Bürgermeister.



    Sag ich aber nicht.



    Ich sage das, was Eure AfD-Flüsterer schon immer denken: die sind so bl...

    • @LeKikerikrit:

      Wenn dieser Bürgermeister für Sie schon irrlichtert, dann warten Sie mal ab, wer nach ihm kommt.

      • @rero:

        Jemand, der die Einwohner für noch bl... hält?

  • Es ist immer auch interessant verstehen zu wollen, warum Menschen extremistisch orientiert sind. Es ist aber auch interessant verstehen zu wollen, wie die "Normalen" ticken.

    In GB hat Labour haushoch gewonnen, aber weniger, weil sie soviel mehr Stimmen gewonnen haben, sondern mehr weil die Rechten sich in Rechts und ganz Rechts aufgespalten haben. Labour hat auch mit Mühe eine neue Einigkeit zwischen seinen verschiedenen eigenen verfeindeten Lagern gefunden. In Frankreich haben wir einen erstaunlichen Wahlsieg von Ensemble und NFP über das RN, aber sonst ist man sich wenig einig und erklärt mehr, mit wem von den anderen man auf keinen Fall regieren wird. Trump ist schlimm, aber auf einen anderen Kandidaten als Biden kann man sich nicht einigen, weil hinter der Einigkeit gegen Trump als nächstes steht, mit wem aus dem eigenen Lager man nie, nie zusammengehen wird.

    Ein Teil ist die AfD. Ein anderer Teil ist, dass es keine übergreifenden Grundsichtweisen gibt, die einen Großteil der Menschen einigen würden. Es gibt viele Bruchzonen sehr großer Unverträglichkeiten.

    • @Markus Michaelis:

      Doch, natürlich gibt es "übergreifende Grundsichtweisen". Zum Beispiel die, keine Faschisten an der Macht haben zu wollen. Solange diese jedoch ungehindert wählen und gewählt werden dürfen, wird es schwer gegen sie vorzugehen. Sowohl AgD wie RN hätten schon längst verboten werden müssen. Zumindest in Deutschland war man da mit den extremen Linken in der Vergangenheit nicht zimperlich.

  • Und warum bitte wollen 40 % der Manebacher jetzt die jetzt Afd wählen????

  • Einfache Antworten auf den Rechtsruck gibt es schon sehr sehr lange. Und das die frage andauernd wieder gestellt wird, zeigt genau welche!

    Armut! Armut an Wissen, Liebe, Partizipation, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, ganzheitlichen Konzepten - IDEOLOGIE!

    Und ja, mit Geld kommt man leichter an so was, aber geld ist nicht die lösung für alles - und ganz besonders nicht dafür sozial und anpassungsfähig zu sein.

    nein, man muss sich eben um so ganz einfache dinge wie Wahrheit und Fürsorge kümmern und zwar in einem GANZHEITLICHEN UMFANGREICHEN KONTEXT, der alle und alles beteiligt und zwar ständig. Anstatt diese pseudo-demokratie und pseudo-aufklärung die wir hier haben!

    man muss die tugenden kultivieren und sie nicht verkommen lassen oder gar brach liegen lassen. Schon gar nicht darf man eine stete verwahrlosung und unwissenheit der hälfte der menschheit als normal erachten!!!

    Wenn man das alles kapiert hat, dann kapiert man auch die notwendikgeit von anti-faschismus, massiver bildungsreform und armutsbekämpfung.



    Genua das was weder neoliberalismus noch totalitarismus auszeichnet!!!



    Lieber fussball gucken, mallorca fliegen und billig bzw teuer einkaufen. Man gönnt sich ja sonst nix.

  • Es gibt sehr wohl eine einfache Erklärung für das Wahlverhalten, nur keine einfache Lösung.

    Bei der Klimaforschung hat man festgestellt warum Naturkatastrophen und Wetterphänomene nicht zu einem politischen Umdenken führen.

    Wenn es einen Konflikt zwischen der politischen Einstellung und erfahrenen oder anderweitig vermittelltenFakten gibt, dann gewinnt die politische Einstellung.

    Das gilt nicht nur für den Klimawandel sondern für alle politischen Themen.

    So funktioniert einfach das menschliche Gehirn.

    Unsere politische Identität ist wer wir sind, wir lassen so etwas nicht durch Fakten beeinflussen, sondern Emotionen.

    Dadurch kann dann auch so ein Stuss wie :" ich trenn mein müll und mach das Licht aus" abgesondert werden.

    Dazu gehört auch das "ich hab nix gegen Ausländer" ABER...

    Natürlich gibt es Ausnahmen und Menschen ändern ihre Ansichten, das sind aber statistisch Ausnahmen , vor allem in kleinen Dorfgemeinschaften.

    • @sociajizzm:

      Nun haben die heutigen AfD-Wähler ja fast alle mal andere Parteien gewählt.

      Insofern passt " So ist halt ihre Identität." nicht so richtig.

      Da muss schon mehr dahinter stecken.

  • Sehr guter Artikel. Ich denke, die Theorie bestätigt sich auch hier wieder, dass der Ausverkauf der DDR nach der Wende zu einem großen Teil Schuld am Erfolg der AfD heute hat. Die DDR ist einfach von Kohl und Konsorten über den Ramschtisch an den Westen verschachert worden. Schon damals hatte ich (als Westler) so sehr gehofft, dass die BürgerInnen sich nicht für einen einfachen Beitritt entscheiden würden. Ich hatte schon damals die Befürchtung, dass Überheblichkeit und Profitgier die DDR plattmachen würden.



    Leider war D-Mark, Malle und Golf fahren den Leuten wichtiger. Hätten sie mal auf die Warnungen vor dem bösen Kapitalismus gehört. Aber wer dauernd lügt (SED), dem glaubt man halt auch nicht wenn er mal die Wahrheit sagt.

    • @Jalella:

      Ihre Theorie lässt sich aber nun nicht aus dem Artikel ableiten.

  • Leider ist schon die Fragestellung falsch.

    Ständig wird gerätselt und spekuliert, warum Menschen, die je nach Alter jahre- oder jahrzehntelang die etablierten Parteien gewählt haben, jetzt die AfD wählen.

    Die richtige Frage wäre gewesen:



    Warum wählen diese Menschen nicht mehr CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne ?

    Dann hätte man schon die Erklärung, warum die gleichen Menschen jetzt AfD wählen.

    • @Don Geraldo:

      So ist es, beim Ausflug in die Normalität wieder keinen von den Bösen getroffen. .. Nur Menschen, deren Lebensentwurf sich in den Programmen der etablierten immer weniger wiederfindet. Meine Prognose zum Bahnhofsprojekt: das wird ein Erfolg, auch oder gerade dort.

      • @Leuchtentrager:

        "Nur Menschen, deren Lebensentwurf sich in den Programmen der etablierten immer weniger wiederfindet."

        Aber im Programm der Faschisten finden sich deren Lebensentwürfe?

    • @Don Geraldo:

      "Die richtige Frage wäre gewesen:



      Warum wählen diese Menschen nicht mehr CDU, SPD, FDP, Linke und Grüne ?



      Dann hätte man schon die Erklärung, warum die gleichen Menschen jetzt AfD wählen."



      Nein, das ist so nicht richtig. Nicht jeder von den etablierten Parteien wählt automatisch extrem, wie Sie da andeuten.



      Sehe ich an mir selber. Wenn ich den Wahlzettel betrachte, denke ich mir 'Keiner oder genannten' - ein Kreuz bei den Splittergruppen, ob links oder rechts, kommt dennoch nicht in Frage. Das geht sehr vielen so.



      Es bleibt dann also die Frage, warum es für einen guten Teil Menschen eben doch in Betracht kommt, das Kreuz extrem zu setzen.



      Eine Enttäuschung über die Etablierten reicht nicht aus. Das ist lediglich eine Ausrede.

      • @Encantado:

        Erinnert sich noch jemand an die Piratenpartei ?



        Keine bekannten Inhalte, kein Programm, kein bekanntes Personal.

        Aber plötzlich in Berlin eine Umfrage, die einen Einzug in das Abgeordnetenhaus für möglich hielt. Plötzlich war die Partei eine Alternative auch für Leute, die sie gar nicht kannten, dadurch gelang der Einzug.

        Dann gab es in schneller Folge weitere Landtagswahlen, und auch dort wurde sie auf einer Woge des Erfolgs gewählt, ohne dass sich jemand Gedanken gemacht hat, was er da eigentlich wählt.



        Als sich herausstellte, daß die Piraten eine Art EDV Version vom linken Rand der Grünen und der Linken sind, war es mit den Wahlerfolgen vorbei.

        Der Aufstieg der AfD verlief ähnlich, aber sie bietet auch inhaltlich eine Alternative zu den etablierten Parteien. Wobei diese Inhalte sich nicht so stark unterscheiden von dem, was Union, SPD und FDP vor zwanzig oder dreißig Jahren auch mal vertreten haben.

      • @Encantado:

        Das wäre halt die Frage.

        Die AfD-Wähler haben mal in großen Teilen andere Parteien gewählt.

        (Klar, manche waren vorher Nichtwähler.)

        Ob die Enttäuschung ausreicht, würde uns die Antwort sagen.

        • @rero:

          "Klar, manche waren vorher Nichtwähler.



          Ob die Enttäuschung ausreicht, würde uns die Antwort sagen."



          Das weicht der eigentlichen Frage aus, insbesondere bei den Nichtwählern.



          Zum Wählen von Extremisten gehört eine Motivation, eine Einstellung. Ich kann nachvollziehen, aus Enttäuschung nicht wählen zu gehen. Das Wählen von Extremisten indes ist eine motivierte extremistische Handlung.

          • @Encantado:

            Studien besagen, dass die allermeisten AfD-Wähler kein dezidiert rechtsextremes Weltbild haben.

            Folglich dürfte denen die "intrinsisch"-rechtsextreme Motivation fehlen.

            Ich komme mal mit einem persönlichen Beispiel.

            Ich wohne ihn Berlin und finde die Zustände auf den Bürgerämtern nicht hinnehmbar. Aus meiner Sicht drückt sich darin eine Missachtung des Bürgers aus. (Wenn Sie das anders sehen, ist das gerade unerheblich für mein Beispiel. :-))

            Das ist durchaus ein Punkt, der für mich wahlentscheidend ist. Berlin hatte Rot-Grün-Rot als Regierung, unter denen wurde es erst richtig schlimm.

            Schwarz-Rot hat es etwas erträglicher gemacht, gut ist es nicht.

            In der Konsequenz müsste ich beim nächsten Mal die AfD oder BSW wählen.

            Tue ich nicht, weil ich denen auch keine Lösung zutraue und mir andere Themen wichtiger sind. Jetzt ist es erträglich.

            Wenn für mich nun ein Thema der AfD oberste Priorität hätte, wäre es naheliegend, die auch mal zu instrumentalisieren und sie zu wählen.

            Weil ich einen bestimmten Zustand, der mir wichtig ist, geändert haben will.

            Dazu muss man kein Höcke-Diktator-Fan sein.