Bundeskanzler Friedrich Merz: Fürchtet euch nicht!

Neuwahlen würden das Vertrauen ins System noch weiter erschüttern? Das stimmt. Noch mehr stimmt aber das Gegenteil: Die aktuelle Sparpolitik zerstört.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender, spricht bei einer Kundgebung der CDU in Sachsen im Mai 2024.

Gedankenmodell: Friedrich Merz als Kanzler Foto: Jan Woitas/dpa

Friedrich Merz als Kanzler: Die Vorstellung ist grausig. Im Ausland ist der CDU-Chef mit seinem eitlen Jähzorn nicht vorzeigbar, für die Neujahrsansprache braucht es ihn auch nicht unbedingt. Den Rechtsruck in der Migrationspolitik wird er als Regierungschef fortsetzen, und seine Koalitionspartner werden sich schon strecken müssen, um ihn am Abriss der Sozialsysteme zu hindern. Und trotzdem sollten SPD und Grüne in Kauf nehmen, dass Merz schon vor 2025 regiert.

Denn bei allem Übel, das da droht: Das erbarmungslose Festhalten an der Schuldenbremse ist übler – und sie lässt sich nicht umgehen, solange die Ampel regiert. Es ist zwar möglich, dass sich die Koalitionsspitzen im Juli doch noch auf einen Etat einigen; dass sie ihre Finanzlücke erst durch Tricks des Haushaltsrechts verkleinern und dann die restlichen Milliarden durch Einsparungen hier und da zusammenkratzen. Aber niemand sollte glauben, dass sich die FDP noch darauf einlässt, Kredite für all die nötigen Investitionen in Klima, Wirtschaft und Sicherheit aufzunehmen.

Vertrauensfrage würde Vertrauen schaffen

Auf den Punkt brachte es in dieser Woche Robert Habeck, als er über seine Idee eines kreditfinanzierten Sondervermögens für die Wirtschaft sprach: In dieser Legislatur werde das nichts mehr, die Debatte werde aber den Bundestagswahlkampf dominieren und in der nächsten Regierung zu einem Ergebnis führen. „Schade, weil wir damit dann anderthalb Jahre Zeit verloren haben“, sagte der grüne Vizekanzler auf einer Veranstaltung der Süddeutschen Zeitung.

Wirklich schade. Zumal sich der Weg dorthin bekanntlich abkürzen ließe. Olaf Scholz müsste im Bundestag die Vertrauensfrage stellen. Er könnte sie inhaltlich an eine Kursänderung in der Haushaltspolitik knüpfen und so noch mal versuchen, die FDP zur Vernunft zur bringen. Klappt das erwartungsgemäß nicht, wäre über den Bundespräsidenten der Weg frei für Neuwahlen. Deren Ergebnis nach derzeitigem Stand der Dinge: Schwarz-Rot, Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot-Grün mit einem Koalitionsvertrag, der nicht mehr daran krankte, in einer anderen Welt (im Sinne von: vor dem Ukrainekrieg) geschlossen worden zu sein.

Die Stabilität des Systems ist in Gefahr, wenn in der Krise noch länger das Geld für elementare staatliche Aufgaben fehlt

In Sachen Schuldenbremse klingt Merz bislang zwar wie Christian Lindner. Anders als der FDP-Chef hat er dabei aber seine Partei nicht hinter sich. Spätestens als Regierungschef muss er sich der Wirklichkeit stellen, dann braucht er das Geld selbst, und seine Koali­tionspartner werden das Übrige tun. Das Paradies bricht dadurch zwar nicht aus: Die Schuldenbremse wird höchstens gelockert, nicht abgeschafft, und über die Ausgaben­seite entscheidet auch künftig nicht die Deutsche Umwelthilfe. So schädlich wie jetzt wird die Haushaltspolitik nach dem Ende der FDP aber nicht bleiben.

Sparpolitik zerstört etablierte Parteien

Warum also noch eineinhalb Jahre warten? Das häufigste Argument aus der Ampel selbst heißt Stabilität. Wladimir Putin werde sich freuen, wenn nach Frankreich und Großbritannien auch die dritte westliche Mittelmacht neu wählen muss, und im Inland sinke das Vertrauen ins System noch weiter, wenn die Regierungsparteien ihre Differenzen nicht beilegen können. Das stimmt. Noch mehr stimmt aber das Gegenteil: Die Stabilität des Systems ist in Gefahr, wenn in der Krise noch länger das Geld für elementare staatliche Aufgaben fehlt. Zig Studien belegen, wie Sparpolitik in verschiedenen Jahrzehnten und in verschiedenen Ländern das Vertrauen in etablierte Parteien zerstört hat. Die Gelegenheit für die nächste Verifizierung bietet sich im Herbst nach den drei Landtagswahlen im Osten.

Dass es die Ampelparteien trotz allem darauf anlegen, sich bis zum regulären Wahltermin durchzuhangeln, liegt nicht zuletzt am Prinzip Hoffnung: Vielleicht entzaubert sich bis 2025 das BSW, vielleicht lässt sich der AfD beikommen, vielleicht finden die Ampelparteien mehr Zuspruch. Gut begründet sind diese Hoffnungen nicht: Warum sollten die Menschen in einem Jahr Olaf Scholz zujubeln, wenn sich doch am Grundübel bis dahin nichts ändert? Erklärlich sind sie trotzdem: Mit Neuwahlen jetzt würden die Parteien gegen ihren Machterhaltungstrieb handeln. Sie würden die große Wahrscheinlichkeit in Kauf nehmen, vorzeitig das Kanzleramt zu verlieren (SPD) oder aus der Regierung zu fliegen (Grüne). Anders als bei Gerhard Schröder 2005 oder Helmut Kohl 1982 wäre die Vertrauensfrage nicht machtpolitisch motiviert, sondern rein in der Sache begründet.

Gerade das böte aber auch die Chance auf einen Kollateralnutzen: Das Land demonstrativ wichtiger zu nehmen als die Posten kann Vertrauen zurückbringen. Und einen Wahlkampf unfallfrei überstehen – das muss auch Friedrich Merz erst mal schaffen.

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Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.

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