piwik no script img

12-Punkte-Plan der FDPDie Fassade der Ampel ist gefallen

Anna Lehmann
Kommentar von Anna Lehmann

Die Liberalen schießen wieder gegen die eigene Regierung. Damit schafft die FDP Klarheit – über ihr Profil und die Verhärtung der politischen Fronten.

Die FDP geht innerhalb der Ampelkoalition ihren eigenen Weg, besonders in Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Umverteilung Illustration: Mario Lars

O h Gott, die FDP ist neoliberal! Sie will bei den Besitzlosen kürzen und zugunsten der Reichen umverteilen. Sie will diejenigen triezen, die selbst arbeiten, und diejenigen entlasten, die ihr Geld für sich arbeiten lassen.

Aber war das nicht immer klar? Man hatte es lediglich zu Beginn dieser Legislatur, als die FDP ins rot-grüne Lager wechselte, verdrängt und sich vielleicht ein bisschen zu sehr von der Selbstbeschwörungsrhetorik der Ampel als Fortschrittskoalition einlullen lassen.

Diese Fassade einer Koalition, in der laut Selbstbeschreibung „Zusammenhalt und Fortschritt auch bei unterschiedlichen Sichtweisen gelingen können“, ist mit dem nun veröffentlichten „Wirtschaftswende-Plan“ der FDP endgültig gefallen.

Es ist erst mal gut, dass Klarheit herrscht. Wenige Wochen vor der Europawahl, die als eine Art nationale Zwischenwahl für die im nächsten Jahr anstehende Bundestagswahl gilt, treten die Konturen der demokratischen Parteien schärfer zutage. Bür­ge­r*in­nen haben wieder eine echte Auswahl im demokratischen Spektrum, was Populisten und Rechtsextremisten, die auf die „Systemparteien“ schimpfen und sich als Alternative anbieten, das Geschäft erschweren dürfte.

Die FDP bietet sich jedenfalls als Alternative zu Grünen und SPD an. Sie will schärfere Sanktionen für Bür­ger­geld­emp­fän­ge­r*in­nen durchsetzen und die Rente nach 45 Beitragsjahren wieder abschaffen, sie will Spit­zen­ver­die­ne­r*in­nen und Unternehmen beim Soli entlasten, möchte, dass Unternehmen auf Kinder- und Zwangsarbeit entlang ihrer Lieferketten pfeifen können und die erneuerbaren Energien dem freien Spiel des Marktes überlassen. Kurz: Sie will zurück in jenes Lager, aus dem sie kommt: das bürgerlich-marktradikale Lager.

Keine Mehrheit für niemand

Dort macht sich allerdings auch die von Friedrich Merz geführte CDU breit und sie wartet nicht gerade auf die FDP. Die CDU tickt zwar wirtschaftlich ähnlich wie die Liberalen und hat vor zwei Monaten fast gleichlautende Forderungen verabschiedet. Sie hat aber auch alles getan, um der FDP in den vergangenen Monaten die Wäh­le­r*in­nen abspenstig zu machen. Und zwar so erfolgreich, dass die FDP bei Landtagswahlen unterging und in bundesweiten Umfragen seit längerem in der Fünf-Prozent-Todeszone schwebt.

Es gibt derzeit keine gesellschaftliche Mehrheit für das marktradikale Lager. Jedoch kommen SPD und Grüne mit sozialen und ökologischen Themen derzeit auch nicht auf die nötige kritische Masse für eine gemeinsame Regierungskoalition. Das macht einen baldigen Koalitionsbruch eher unwahrscheinlich, zumal keine der drei Ampelparteien davon profitieren dürfte.

Die lagerübergreifende Suche nach Kompromissen wird also weitergehen. Und die wird mit den FDP-Vorschlägen nicht einfacher. Die anstehenden Haushaltsverhandlungen werden zäh, unappetitlich und für alle Seiten schmerzhaft. Einen Schönheitspreis wird die Ampel wohl nicht mehr erhalten. Allein die Wäh­le­r*in­nen haben es in der Hand, dieses quälende Schauspiel zu beenden, indem sie bei der nächsten Bundestagswahl für klare Mehrheitsverhältnisse sorgen. Oder auch nicht. So geht eben Demokratie.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Anna Lehmann
Leiterin Parlamentsbüro
Schwerpunkte SPD und Kanzleramt sowie Innenpolitik und Bildung. Leitete bis Februar 2022 gemeinschaftlich das Inlandsressort der taz und kümmerte sich um die Linkspartei. "Zur Elite bitte hier entlang: Kaderschmieden und Eliteschulen von heute" erschien 2016.
Mehr zum Thema

19 Kommentare

 / 
  • Gerechtigkeit gilt doch für alle und nicht nur für die Sozialhilfe-Bedürftigten. Die große Mittelschicht malocht vor sich hin und wird nur an den Pranger gestellt und darf zahlen. Das geht so nicht weiter.

  • Die obersten 10% in der Einkommenshierarchie bezahlen 54% der Einkommenssteuer. Bei vielen kommt noch Körperschaftssteuer und Gewerbebesteuer dazu. Ohne diese Steuern wäre der Sozialstaat nicht finanzierbar und es gäbe überhaupt kein Bürgergeld. Das erzielte Einkommen wird vor allem von Unternehmern üblicherweise zumindet teilweise für Reinvetitionen verwendet (was Arbeitsplätze schafft. Bei mir waren das teilweise über 80% des Einkommens welches re-investiert wurde.



    Das ist der Hebel, an dem die FDP ansetzt.

    PS: Beachte: anders als Einkommensteuer zahlen wir alle Umsatzsteuer,auch Unternehmen. Das ist etwa die Hälfte des Steuereinkommens für den Staat.

  • Die Mövenpick-Partei ist wieder da.

  • "Aber war das nicht immer klar?"

    Mir schon. Mir war klar, dass die von vornherein mit der Absicht der Sabotage in diese Regierung gestiegen sind.

    Was denen auch sehr gut gelingt.

  • Wäre die FDP marktradikal, wäre sie entschieden gegen massenhaft Subventionen fossiler Technik und Ressourcen. Ist sie aber nicht, weshalb sie weder freiheitlich noch marktliberal agiert, sondern ideologisch-fossil.

  • Wenn wir in Berlin noch andere Politiker hätten, denen ich die Mitgliedschaft in einer Bundesregierung zutrauen würde, dann hätte ich mich längst für ein konstruktives Misstrauensvotum ausgesprochen.

    Haben wir aber leider nicht. Da bleiben nur Scholz, Habeck und Lindner als ewige Kontrahenten, denen wir notgedrungen bis 2025 bei ihren Hahnenkämpfen zuschauen dürfen, während Baerbock vermutlich übermorgen zum achten Mal zu Netanyahu reist, um ihm ihren erhobenen Zeigefinger zu zeigen.

    Erst 2025 wird dann die schwarz-rot-grüne Koalition antreten und den Generationenwechsel einleiten: Philipp Amthor, Kevin Kühnert und Ricarda Lang sind dann das neue Führungstrio, und alles wird noch ein bisschen schlimmer.

  • Die FDP beteiligt sich nicht an der Regierung und ist böse (Stichwort "Lindnern") und die FDP beteiligt sich an der Regierung und sie ist immer noch böse.

    Es ist nicht die FDP sondern es sind alle Ampelparteien. Sie benehmen sich wie drei Schmuddelkinder, die im Sandkasten mit Dreck um sich werfen und Angst davor haben, dass sie von der Kindergärtnerin aus dem Sandkasten geworfen werden.

  • Ehrlich gesagt sehe ich als Wähler überhaupt nicht, wie mir diese angeblich stärker zutage getretenen Profile der Parteien helfen sollen.

    Ich weiß eigentlich aktuell eher, was ich nicht wählen werden und womit ich nicht übereinstimme, als dass ich wüsste, welche Partei ich wählen soll.

    Mit der AfD braucht man sich nicht ernsthaft zu befassen, allein die Haltung zu Russland diskreditiert diesen Verein ausreichend.

    Die FDP wird es in jedem Fall nicht, die absurde Einstellung des Finanzministers zur Schuldenbremse und der Unwille selbst jene Spielräume, die verbleiben, zu nutzen, sowie die desaströse Gesamtleistung des Verkehrsministers ist ein mahnendes Beispiel, was diese Partei anzurichten vermag. Das fehlende Wirtschaftswachstum 2023 und absehbar 2024 gehen auch ganz klar mit auf das Konto der FDP. In der Rezession sparen ist wie ins fallende Messer zu greifen.

    Die SPD und CxU zeigen vor allem, welche Spuren es in den Parteien hinterlässt, wenn diese zu viele Jahre in Regierungsverantwortung sind und wie wenige Jahre in der Opposition keine Erneuerung ermöglichen. Klingbeil, Esken, Merz allesamt Totalausfälle. Dazu dieser Blödsinn mit den Doppelspitzen. Geteilte Verantwortung führt da vor allem zu keiner Verantwortung.

    Die CSU liebäugelt mit dem Aufweichen des Verbrennerverbots, man hat den technologischen Wandel offenkundig noch nicht lang genug verschlafen, da geht noch was.

    Und die Grünen, eine Partei für welche Welt auch immer.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    „Die Fassade der Ampel ist gefallen"



    Alle Verkehrsteilnehmer*innen konnten ab Ende September 2021 wissen, dass sie fallen wird: taz.de/Selfie-von-...bb_message_4193699



    „Sich gemeinsam geil finden..." Das kann Christina Lindner auch allein.



    www.youtube.com/watch?v=jT7dSwhbDyw

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @95820 (Profil gelöscht):

      Sry. Christian. Tippfehler. - Video s. @4:23 min

  • Die Pseudo-Partei FDP ist unredlich. Die haben den Koalitionsvertrag in dem Bewusstsein unterschrieben, ihn in allen Punkten zu brechen, die nicht auf der rücksichtslosen Linie ihrer wenig solidarischen, kaltherzigen Einstellung liegen. Was das Schlimmste an der Situation jedoch ist, das ist das Verhalten der GRÜNEN, die sich fast alles haben gefallen lassen und das Nicht-Verhalten des Kanzlers, dem Ganze scheinbar völlig wurscht ist....

  • Liberal und Eigenverantwortung - ist ja nix gegen zu sagen - aber anderen Leuten in die Tasche greifen - geht gar nicht !

  • Es ist keine Fassade gefallen.

    Während der GroKo habe sich viele beschwert, dass man die Unterschiede zwischen Partein nicht mehr erkennen könne. Jetzt kann man die Unterschiede erkennen und das ist auch wieder falsch.

    FDP+CDU sind eben komplett anders eingestellt als SPD+Grüne. Die Bürger können sich dann aussuchen wem sie mehr Sitze geben wollen.

    • @SPD-Versteher:

      " Jetzt kann man die Unterschiede erkennen und das ist auch wieder falsch."

      Im Artikel:

      "Es ist erst mal gut, dass Klarheit herrscht. Wenige Wochen vor der Europawahl, die als eine Art nationale Zwischenwahl für die im nächsten Jahr anstehende Bundestagswahl gilt, treten die Konturen der demokratischen Parteien schärfer zutage. "

    • @SPD-Versteher:

      FDP und CDU können machen was sie wollen, sie bekommen zusammen bei Weitem keine Regierungsmehrheit.



      Die FDP glaubt ihr Profil schärfen zu müssen, um aus dem Umfragetief zu kommen, merkt aber gar nicht, dass ihr Konzept längst überholt ist und das Wählerpotential zwischen Union und AfD dafür viel zu gering ist. Am Ende wird mindestens eine Partei aus Rot/Grün dabei sein müssen und ob sich diese Provokation dann noch rechen wird, darf bezweifelt werden. Eine progressive liberale Partei hätte mit Sicherheit größe Chancen in einer neuen Koalition.

  • Wenn aus einem Zeck- ein Zwangsbündniss wird und sich dieses in der Tagespolitik niederschlägt, besteht natürlich die Gefahr, das sich noch mehr Wähler vom politischen Establishment abwenden hin zu AfD und BWS. Würde dann klare Mehrheitsverhältnisse erschweren.

    Die FDP tut das was sie seit Jahrzehnten tut, unsoziale Klientelpolitik betreiben. Nur aufgrund der miesen Umfragenwerte jetzt wieder mit "offenem Visier". Bleibt nur zu hoffen, dass Scholz und Habeck gegenhalten und sich nicht von der FDP vor sich hertreiben lassen. Den Eindruck konnte man in letzter Zeit gewinnen.

    Und die im Artikel erwähnten klaren Mehrheitsverhältnisse werden meiner Meinung nach nicht wieder erreicht werden. Zu viele "Splitterparteien" in den Parlamenten sind halt für stabile demokratische Mehrheitsverhältnisse nicht förderlich.

    • @Sam Spade:

      Schon seit der strikten Weigerung der FDP, ein Tempolimit einzuführen, mit der schönen Begründgung, das sei ja nur Symbolpolitik, war klar, dass eine echte Klimapolitik, die den Menschen aber auch spürbare Veränderungen abverlangen würde, nicht möglich sein wird. Unverständllich, warum die Grünen sich darauf eingelassen haben. 14% sind kein Regierungsauftrag! Ergebnis: Die Grünen haben an Glaubwürdigkeit verloren und damit auch an Zustimmung. Fast noch schlimmer: Die AfD konnte sich als einzige "Alternative für Deutschland" profilieren und alle Parteien vertreten mehr oder weniger deren populären aber falschen Ansichten.



      Es kann nicht die Aufgabe eines Politikers sein, die öffentliche Meinung abzuklopfen und dann das Populäre zu tun. Aufgabe des Politikers ist es, das Richtige zu tun und es populär zu machen.“



      Walter Scheel. Lang, lang ist her..

  • Passend zum FDP-Plan wirft die Chef-Ermittlerin im (vorerst) größten Steuerskandal frustriert ob der mangelnden politischen Unterstützung im Kampf gegen Steuerhinterziehung das Handtuch.

    • @HRMe:

      Passend zum FDP Plan?



      Es ist doch wohl eine andere Partei als die FDP, die über ihren Bundesvorsitzenden mit dem Cum-Ex/Warburg Skandal verwurstet ist, oder?