Freistaat auf Verbotsdroge: Söder vs. Cannabis
Bei seinem Kreuzzug gegen das Kiffen kennt Markus Söder keine Grenzen. Lässt sich Bayern diese Wiederkehr des preußischen Obrigkeitsstaats gefallen?
Die Grünen sind eine Verbotspartei. Ihnen fehlt das Bayern-Gen.“ (Markus Söder)
Wir befinden uns im Jahre 2024 n. Chr. In ganz Deutschland wird gekifft. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Biertrinkern bevölkertes Bundesland hört nicht auf, der Cannabisfreigabe Widerstand zu leisten.
Vor allem der Häuptling des besagten Bundeslandes, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat es sich anscheinend zur Chefsache erkoren, den kifffreudigen unter seinen Landeskindern die Frohbotschaft aus Berlin bestmöglich zu versalzen: „Extremst restriktiv“ werde man das Cannabisgesetz anwenden, „wer kiffen möchte, soll das woanders machen“.
„Woanders“ heißt: Unter Bußgeldandrohung zwischen 500 und 1.000 Euro nicht in Sichtweite von Schulen oder Spielplätzen, nicht in der Fußgängerzone, nicht auf Volksfesten, nicht in der Außengastronomie, nicht in Freibädern, nicht in Freizeitparks, nicht an touristischen Sehenswürdigkeiten, nicht in Parks wie dem Englischen Garten.
Nicht, nicht, nicht bei meiner Nichte. Die Ausnahmeregelungen dürften bald derart ausgeweitet werden, dass die Ausnahme die Regel wird, und die lautet: verboten. Alles. Überall. Was interessiert das Bundesrecht, wenn der Föderalismus es zulässt, das Gendern, das Kiffen, das Protestieren und alles andere, was sinnvoll ist oder Spaß macht (und damit auch wieder sinnvoll ist), durch die legislative Hintertür so weit nur möglich zu verhindern.
Wie ein aufgewärmter Leberkas
Selbst der Kiffernähe höchst unverdächtige Schergen wie Innenminister Joachim Herrmann (CSU) oder der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Jürgen Köhnlein, jaulen angesichts der kaum gegebenen Durchführbarkeit dieser Aufgabe medienwirksam auf. Es mangelt an Personal, Sisyphos war kein guter Polizist.
Aber scheiß auf die öffentliche Sicherheit, sobald süßliche Schwaden den Duft der Bierkotze zu überdecken drohen. Söders Ehrgeiz ist es offensichtlich, Bundesgesetze unbedingt so weit zu biegen, dass er sie gerade mal nicht bricht, und wenn doch, hoppala, sorry, aber dann war das Gesetz wohl auch nicht so stabil, wie es zum Beispiel die bayerischen Gesetze sind, gute Gesetze, Polizeigesetze, hart wie Maßkrüge und langlebig wie ein aufgewärmter Leberkas.
Die Einhaltung der Gesetze muss natürlich buchstabengetreu überwacht werden. So stellt die bayerische Grenzpolizei zurzeit verstärkt aus Österreich (wo der Konsum von THC weiterhin illegal bleibt, während das Ziehen der Pflanze bis zur Blüte erlaubt ist) eingeführte Cannabispflanzen sicher. Denn in Deutschland sind mit der Teillegalisierung zwar Aufzucht, Besitz und Nutzung von bis zu drei Hanfpflanzen gestattet, die Einfuhr fertiger Jungpflanzen bleibt jedoch verboten.
Das muss man nicht verstehen, weil man es nicht verstehen kann. So wirkt die auf einen Flickenteppich aus unausgegorener praktischer Handhabe und vage angedachten Sonderregelungen zum Jugendschutz gebettete Freigabe bereits auf Bundesebene wirr und konzeptlos. Fast könnte man meinen, bei all diesen Nicht-, Halb-, Fehl- und Vollentscheidungen wären notorische Missbrauchskiffer federführend am Werk gewesen.
Kifferfeindlicher Sonderweg
In diese vielen Lücken in der Gesetzeslage – so fehlt beispielsweise bislang ein bundesweiter Bußgeldkatalog für etwaige Verstöße – preschen jetzt eben die Bayern mit ihrem eigenen Regelwerk (siehe oben). Womöglich hätte man in normalen Bundesländern auf eine Strafverfolgung der sich keiner Schuld bewussten, armen Wichte mit ihren Krepelpflanzen made in Austria verzichtet, denn allzu widersinnig erscheint hier die Gesetzeslage. Doch in Bayern wird das Vergehen konsequent angezeigt. Hier sieht man darin nur ein weiteres Tool, um den eigenen kifferfeindlichen Sonderweg mit abschreckenden Maßnahmen zu pflastern.
Denn Bayern hat eine großartige Tradition an scharfen Kontroll-, Unterdrückungs- und Abwehrmechanismen. Hausdurchsuchungen wegen zwei Gramm Gras waren nicht unüblich. Auch haben verschiedene Freunde wiederholt davon berichtet, wie verlässlich sie über all die Jahre und Jahrzehnte hinweg gefilzt und schikaniert wurden. Damals auf der A9 an der innerdeutschen Grenze in Rudolphstein, immer auch schon an der österreichisch-bayerischen Grenze bei der Einreise nach Deutschland, und nicht selten von Zivilfahrzeugen mitten auf bayerischen Autobahnen. Hairstyle Profiling, Carstyle Profiling, was auch immer. Grüße aus Drangsal.
Bloß schade, dachte man sich damals wie heute, dass man die verzeckten Strolche nicht auch einfach abschieben kann. Während der Bulli des langhaarigen Terroristen mit einem kernigen „So Bürscherl, etzad hamma di!“ von mehreren Beamten auf der Standspur nach Katzenkraut durchsucht und dabei „aus Versehen“ gründlich demoliert wurde, rauschte (sic!) ein nichtendenwollender Strom besoffener CSU-Lokalpolitiker in ihren BMWs vorüber, lachend, winkend, man kennt sich. Schöne Zeiten waren das, die nach den Vorstellungen des Landesfürsten doch bitte niemals enden mögen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen