AfD, Trump und Co.: Die Lust an Untergangsprognosen
Alle tun so, als seien Thüringen, Sachsen und Brandenburg schon an die AfD gefallen. Vielleicht wäre besser, Umfragen weniger Bedeutung beizumessen.
H eute vor acht Jahren hieß es: „Donald Trump siegt wieder. In Michigan, Mississippi und Hawaii fuhr der in seiner Partei unbeliebte Republikaner wichtige Siege ein.“
Ein paar Wochen später saß ich mit einem Freund in einer Kneipe und wie so oft in Kneipengesprächen war mal wieder „alles klar“: „Die Wahl ist längst entschieden. Die wirds eh.“ Der Freund war, wie die meisten, der Meinung, dass Hillary Clinton Präsidentin der USA werden würde.
Unvorstellbar war für ihn, dass nach den sympathischen Obamas eine rüpelhafte Knallcharge ins Weiße Haus einziehen würde. Ich hab auch gerne recht und allein deswegen hielt ich dem Freund damals nach meiner klassischen Ouvertüre „Ich hab ja keine Ahnung, aber …“, entgegen: „Ich verfluche den Abend ungern vor dem nächsten Morgen“.
Ich gab zu bedenken, dass die Welt über den brüllenden Rüpel Adolf Hitler – kein deutsches Kneipengespräch ohne ihn – vor seinem Einzug in den Reichstag auch lange lachte. Bis er Ernst machte. Aber auch erinnerte ich an Ronald Reagan. Der war auch gewählt worden, obwohl er sein Amt im West Wing so ausführte wie ein besoffener Cowboy in einer Wild-West-Spelunke. Die Welt ist davon aber auch nicht untergegangen.
Acht Jahre später wissen alle, dass ein Präsident Trump möglich ist und viele reagieren, noch bevor irgendwas klar ist, schon jetzt wieder auf die Wahlprognosen: der wirds eh.
Die Lust am Prognostizieren, vor allem die Wette auf den Untergang, ist freilich eine der größten Leidenschaften der Menschheit und ich hab auch schon eine Wette über die Halbwertszeit der Ampel verloren.
Stammtischprognosen und Wahlumfragen
Glücklicherweise aber sind Stammtischprognosen weniger einflussreich als professionelle Wahlumfragen. Der Sinn von diesen wird mir immer suspekter. Seit Brexit und Trump gelten sie als unsichere Kantonisten. Trotzdem tun Politik, Medien und Stammtischgespräche seit Monaten so, als seien Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowieso schon an die AfD gefallen und man könne allerhöchstens noch das Allerschlimmste verhindern.
Kürzlich interviewte mich ein Kollege aus Kroatien, der wissen wollte, was passiert, wenn die AfD den Kanzler stellt. Ich musste ihm mehrmals klarmachen, dass wir in diesem Jahr erstmal eine Europawahl und Regionalwahlen in drei Bundesländern haben und es wirklich überhaupt keinen Grund gibt, jetzt schon so zu tun, als stelle die AfD den nächsten Kanzler.
Und auch sagte ich ihm – wie auch deutschen Kollegen –, dass ich es für aberwitzig halte, nach jeder Demo gegen rechts auf die Umfragen zu starren und wenn die nicht wenigstens ein halbes Prozent weniger unter dem AfD-Balken anzeigen, zu glauben: Das war es. Er (Hitler) ist wieder da.
Auch für den Journalisten und Aktivisten Arne Semsrott scheint wie für den Kollegen aus dem Ausland die Sache klar zu sein. Im Juni erscheint Semsrotts Buch mit dem Titel „Machtübernahme“. Der Verlag kündigt an, der Autor werde erläutern, was passiert, wenn Rechtsextreme regieren, und „konkrete Strategien“ liefern, um die demokratische Gesellschaft zu verteidigen, darunter ein „AfD-Verbot“. Selbstverständlich spielt dieses Buch in keiner Weise mit der Lust am Prognostizieren des Untergangs und will nur ein konstruktiver Beitrag sein.
In den kommenden Monaten werden Thüringen, Sachsen und Brandenburg kaum aus den Nachrichten verschwinden, Medien, Vereine, Zivilgesellschaft und Politik werden zig Veranstaltungen veranstalten, um der Veranstaltung der AfD ein paar Striche durch die Rechnung zu machen. Ob da überhaupt auch nur ein Strich zustande kommt, wissen wir nicht. Auch nicht, ob es effektiver wäre, das mit den Umfragen einfach mal sein zu lassen und zu gucken, wie die Arbeit von Politik und Medien ohne Umfragewerte aussehen würde.
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