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AfD-Geheimtreffen mit Martin SellnerZu Gast bei rechten Freunden

taz-Recherchen in Berlin-Pankow belegen erstmals einen Vortrag des Rechtsextremisten Martin Sellner bei der AfD. Die Partei fürchtet nun Konsequenzen.

Nicht Pankow, sondern Chemnitz: Auf einem Demonstra­tionsschild wird Martin Sellner willkommen geheißen, der in der sächsischen Stadt am vergangenen Freitag einen Vortrag hielt Foto: Sebastian Willnow/dpa

BERLIN taz | Die Kontakte der AfD mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner sind enger als bislang bekannt. Nach Recherchen der taz war Sellner am 7. November des vergangenen Jahres im AfD-Parteibüro Berlin-Pankow zu Gast. Über das nur intern beworbene Treffen ist ein parteiinterner Streit entbrannt, wie der taz vorliegende E-Mails und Dokumente belegen.

Dazu gehört ein vierseitiges Schreiben des ehemaligen AfD-Chefs von Pankow, Michael Adam, an den Landesvorstand vom 13. Februar. Demnach habe „der (Co-)Vorsitzende des Bezirksverbands Pankow, Christian Buchholz“ dem ehemaligen Sprecher der Identitären Bewegung (IB) Österreichs, Martin Sellner, „in den Räumen des Bezirksverbandes Pankow eine Bühne gegeben, wohl wissend, dass die IB auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD steht und dass Herr Sellner selbst vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft ist und daher beobachtet wird“.

Laut Adam wurde die Veranstaltung „von den Protagonisten bewusst als ‚geheime Veranstaltung‘ geplant und auch so durchgeführt“. Auf Wunsch des Vermieters des Parteibüros, des ehemaligen AfD-Förderers Andreas Geithe, sei sie „nur durch Mundpropaganda beworben“ worden. Adam schreibt: „Die Einladung sollte auf Wunsch von Andreas Geithe vor allem durch zuverlässige ‚stramme Jungs‘ der JA Berlin (Junge Alternative; d. Red.) verbreitet werden“.

Der Flachbau im Ortsteil Blankenburg ist seit 2017 Sitz der Pankower AfD und diente Buchholz in seiner Zeit als Abgeordnetenhausmitglied bis 2021 als Bürgerbüro. In Parteikreisen ist es auch als „Stützpunkt“ oder „Blankenburg“ bekannt. 2020 stimmte Buchholz für die Fortführung des Mietverhältnisses, nachdem bekannt geworden war, dass Geithe 1992 einen Aufnahmeantrag für die rechtsextreme Partei Nationalistische Front (NF) gestellt hatte und daraufhin seinen Status als AfD-Förderer verlor. Buchholz bestreitet gegenüber der taz seine Verantwortung: „Veranstalter waren weder die AfD, noch die Junge Alternative, noch ich persönlich.“

Sellner spricht von einem „genialen Abend“

Sellner ist Mitgründer der Identitären Bewegung, die als aktionistischer Teil der Neuen Rechten gilt. Die Ideen der IB stoßen auch innerhalb der AfD auf breite Zustimmung. Dazu gehört der sogenannte Ethnopluralismus, eine Art modernisierter Rassismus, der eine staatliche Homogenität nach „Ethnien“ anstrebt und letztlich in Konzepten wie der „Remigration“ mündet, einem ideologischen Kampfbegriff der IB. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die IB seit 2019 als gesichert rechtsextrem.

Sellner selbst hatte in Videos auf seinem Telegram-Kanal über seinen Berlinbesuch gesprochen. „Im Rahmen meiner Lesereise werde ich natürlich nicht nur aus meinem Buch lesen, 'Regime Change von rechts“, so Sellner, sondern auch einen „strategischen Überblick geben“, etwa zu den Fragen: „Welche Chancen haben wir auf eine Migrationswende? Wie lang Zeit bleibt uns noch für eine Politik der Remigration, bevor die ethnische Wahl die Demokratie zerstört?“ Im Nachgang sprach er von einem „genialen Abend“. Nach taz-Informationen kamen etwa 80 Teil­neh­me­r:in­nen zu dem Treffen.

In den Folgetagen hatte Sellner weitere Tourauftritte, etwa im bayerischen Dasing, wo auch zwei Landtagsabgeordnete der AfD zu den Gästen zählten. Einblick in seinen Vortrag bietet ein von Sellner veröffentlichter Mitschnitt. Darin spricht er von „spät aufgewachten Remigrationsfans“ und seiner Sorge, dass es nicht zu versprochenen Abschiebungen kommen werde. Das „patriotische Lager“ müsse den „zu erwartenden Wortbruch ausnutzen“. Zudem sollten etwaige Flüchtlinge aus Gaza kein Asyl in Deutschland erhalten.

Zuletzt waren mehrere Treffen bekannt geworden, auf denen sich Po­li­ti­ke­r:in­nen von AfD und CDU mit Neonazis vernetzt hatten. Ende November hatte Sellner in einer geheimen Runde in einer Villa am Lehnitzsee in Potsdam seine Vertreibungspläne als „Masterplan Remigration“ präsentiert.

Auseinandersetzungen bei Berliner AfD

Im Juli war es zu einem ähnlichen Treffen bei Berlins Ex-CDU-Finanzsenator Peter Kurth gekommen, an der auch Berlins AfD-Chefin Kristin Brinker teilgenommen hatte. Die Veranstaltung in Pankow ist derweil das erste bekannt gewordene Treffen mit Sellner, an dem AfD-Mitglieder nicht nur zu Gast waren, sondern das bei der AfD stattfand.

Die Mitte Januar veröffentlichte Correctiv-Recherche über das Treffen in Potsdam hatte eine Protestwelle ausgelöst. Nach taz-Zählungen kam es seither zu 1.250 Demos, mit bis zu 4,9 Millionen Teilnehmer:innen. Die AfD hat seither in Umfragen an Zustimmung verloren und liegt im Schnitt noch bei 18 Prozent.

In einer E-Mail des ehemaligen Abgeordnetenhauskandidaten Olaf Busch vom 10. Februar fordert dieser die Landesvorsitzende Brinker auf, ihm mitzuteilen, „wie in der Sache du gedenkst zu verfahren“. Aus dem Schreiben geht hervor, dass Busch beim Neujahrsempfang der Brandenburger AfD-Fraktion am 13. Januar das Gespräch mit Brinker gesucht hatte. Enttäuscht über die Funkstille seitdem, schreibt er: „Selbstkritik innerhalb der Partei. Fehlanzeige.“

Wir können die Veranstaltung nicht rückgängig machen

Kristin Brinker, Landesvorsitzende der AfD Berlin

Brinker antwortete am Folgetag an Busch und Adam: „Wir können die Veranstaltung nicht rückgängig machen.“ Sie habe ein „Gespräch mit dem Hauseigentümer“ geführt“ und ihm dabei „explizit erklärt, warum solche Veranstaltungen in den Räumen der Blankenburg nicht stattfinden können“. Vergleichbare Veranstaltungen werde es „in Zukunft nicht geben“. Ob die Partei Konsequenzen für das Mietverhältnis mit Geithe zieht, ist unklar. Man habe „über die zukünftige Vermietungssituation gesprochen“, so Brinker.

AfD-Politiker fürchtet großes Schadenspotential

Michael Adam reagierte zwei Tage nach Brinkers Mail mit seinem Schreiben. Das Anliegen habe sich „mit Deiner Antwort leider nicht erledigt“ – im Gegenteil“. Adam fordert, dass sich der Landesvorstand auf seiner nächsten Sitzung mit der Causa befasst. Diese ist für den 1. März geplant, wie er auf Anfrage der taz sagte. Zu weiteren Details äußerte er sich nicht.

In seinem Brief fordert er, der Vorstand müsse „nach Abschluss seiner Ermittlungen gegenüber den Mitgliedern des Landesverbandes Stellung“ beziehen und eine „angemessene Ordnungsmaßnahme gegen den verantwortlichen Funktionär, Christian Buchholz“, verhängen. Sichergestellt werden müsse, „dass sich in Räumen der AfD solche Dinge nicht wiederholen“.

Adam, der sich laut Antifa-Recherchen ebenso wie der Organisator der Veranstaltung, Christian Buchholz, auf der Berliner E-Mail-Liste des aufgelösten Parteizusammenschlusses „Der Flügel“ befand, argumentiert mit Gefahren, die sich für die AfD aus solchen Treffen ergeben. Die Angelegenheit sei eine „tickende Zeitbombe mit großem Schadenspotential für die gesamte Partei“ und könne zu einem „möglichen Verlust der Parteienfinanzierung“ beitragen. Ob die Partei Konsequenzen zieht, ist derweil offen. Auf eine Anfrage der taz antwortete Kristin Brinker nicht.

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28 Kommentare

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  • Da wendet sich der eine oder andere geneigte blaue Protestwähler dann doch angeekelt ab.

    Einfach mal dem Höcke zuhören was er so will, dann wird das Eis dünn und die bürgerliche Fasade bröckelt.



    Da braucht es keinen Sellner,



    da bleibt dann nur noch die braune Suppe über und die will am Ende keiner auslöffeln.

    Den Flügel auflösen war leider zu kurz gegriffen. Parteiausschluß für alle Mitglieder, das wäre es gewesen.



    Die Chance aufs durchfegen bei der AFD... leider vertan.

    Wer noch dabei ist braucht sich nach den Aktivitäten mit Sellner nicht ungläubig die Augen reiben...

    Die bürgerliche Mitte wendet sich mit grausen ab.

    Gruß vom Mondlicht

  • @JOCHEN LAUN

    Es geht nicht ums "Laufen lassen".

    Es geht ums ganze Tamtam. Die tun gerade so, als retten sie die Welt vor der Roten Gefahr.

    Wenn die Baseballschläger mal wieder Flüchtlingsunterkünfte anzünden... dann Pfeifen im Walde.

    Darum geht es.

  • Martin Sellner, zu Gast bei der AfD - Berührungsängste zur harten Neonazi-Identitären-Szene hat die AfD dort in Berlin nicht gehabt.

    Die nächste Runde identitären Pallatschinken werden die Leute dann irgendwo privat abhalten. Sellner geht dahin, weil es ihm etwas bringt, es bringt seine Sache durchaus voran, oder mal so: Wenn die AfD Thüringen oder Sachsen regieren kann und da geht jemand wie Sellner zum Vortrag hin, dann sind wir iin einer gefährlichen Lage. Rechtsextremisten wissen schon ziemlich genau, warum sie was und wo tun. Alleine dieser Sachverhalt passt zu einer rechten bürgerlichen Protestbewegung nicht mehr. Hier geht es nach ultra-rechts.

    Dass das jetzt auch noch ans Licht kommt, wird dazu führen, dass was passiert, was - Danke taz - intern aber passierte mal wieder nicht, denn dieses Mal war das in der AfD jemanden aufgefallen. Ob solche Menschen das noch lange mitmachen, eigentlich wäre es gut, wenn sie da noch eine Weile ausharren und diese Vorgänge an die Öffentlichkeit bringen.

    • @Andreas_2020:

      "Die nächste Runde identitären Pallatschinken...."

      Dies ist eine herabwürdigende Bezeichnung für all unsere österreichischen Freunde und Nachbarn. Sowas sollte man unterlassen, finde ich.

      • @Nobodys Hero:

        War absolut nicht so gemeint, das tut mir echt leid.

        • @Andreas_2020:

          Hallo Andreas, ich finde es höchst anständig, wenn man auch mal einen Fehler zugibt. Danke dafür! :)



          Wir haben ja bestimmt auch viele Leser und Leserinnen in Felix Austria :)

  • Anerkennung.

    Und jetzt: Dranbleiben und weiter berichten, was in der AfD passiert zu diesem Fall.

  • Martin Sellner is welcome bei der deutschen Verschwörungstheoretiker Partei AfD, gut das es niemals eine Mehrheit für solchen Schwachsinn geben wird.

  • Hat Sellner nicht ein Einreiseverbot bzw. ein östereichisches Ausreiseverbot erhalten ?

  • Warum wird ein Sellner nicht zur unerwünschten Person erklärt?



    Müssen wir österreichische Faschisten hier dulden? Das ist schon mal daneben gegangen.

    • @Axel Schäfer:

      Nicht das ich ihn mag den Sellner...

      soweit ich mich erinnere haben wir innerhalb der EU Reisefreiheit, auch wenn das die CSU in Bayern gern anders hätte...

      Bei den Pseudokontrollen an den Autobahnen fällt Sellner nicht weiter auf, dazu sieht er einfach zu deutsch aus... und selbst wenn, er darf einfach rein.

      Die Freizügigkeit könnte er verlieren, wenn er zum Beispiel rechtskräftig verurteilter Straftäter wäre, aber genau das ist er nicht.

      Alles was da so an Prozessen gelaufen ist in der Vergangenheit hat nicht zu einer Verurteilung geführt.

      Gruß vom Mondlicht

    • @Axel Schäfer:

      Die deutsche Innenpolitik trägt in den meisten Belangen, für die sie zuständig ist, 3 Paar extra weichgespülte Samthandschuhe übereinander.



      Nur EINE weiter Baustelle: Gestern bei Lanz haben Fachleute über die Drogenkriminalität berichtet. Wie Frau Faeser auch nur ansatzweise dagegen vorgehen will - absolut keine Ahnung.

  • Saubere, großartige Recherche! Die Schlinge zieht sich immer weiter zu. Das Paralleluniversum der AfD-Wähler wird aber bestehen bleiben

  • "Adam, der sich laut Antifa-Recherchen ebenso wie der Organisator der Veranstaltung, Christian Buchholz, auf der Berliner E-Mail-Liste des aufgelösten Parteizusammenschlusses „Der Flügel“ befand, argumentiert mit Gefahren, die sich für die AfD aus solchen Treffen ergeben. Die Angelegenheit sei eine „tickende Zeitbombe mit großem Schadenspotential für die gesamte Partei“ und könne zu einem „möglichen Verlust der Parteienfinanzierung“ beitragen."

    Es sind also nicht die "gemäßigten" Teile der Partei, die an den Treffen Kritik üben, und inhaltlich scheint man dazu nichts Negatives zu sagen bzw. zu schreiben zu haben.

  • „AfD Politiker befürchten großes Schadenspotential“ ?



    Die AfD ist ein großes Schadenspotential für Deutschland.

  • Danke für die wichtige Recherche.

  • Stramme Jungs. Da erkennt man das Selbstbild der AFD.

  • Danke!

  • Super, da kann man sich wirklich nur für diese wichtige Recherche bedanken. Gute Arbeit! 👍🏻

  • Stark. Wegen genau solchen Recherchen les ich die taz. Das hat in der aktuellen Stimmungslage tatsächlich Einges an Potential.

  • taz-Zitat: "(...) Zuletzt waren mehrere Treffen bekannt geworden, auf denen sich Po­li­ti­ke­r:in­nen von AfD und CDU mit Neonazis vernetzt hatten. (...)"

    Vielleicht müssen die geheimdienstlichen Schlapphüte auch ein Auge auf die CDU-Politiker:innen haben die mit Neonazis paktieren.

    • @Thomas Brunst:

      Das wäre ja dann das überprüfen von Freunden, Bekannte, Kollegen....

    • @Thomas Brunst:

      Da würde ja wohl eher die Hölle einfrieren ...

  • Und der Staatsapparat vertreibt sich die Zeit in Berlin mit "nach wie vor eine Hochburg für eine gut vernetzt bundesweit und global agierende linksextreme Szene" RAF-Folklore [1].

    Wann kommen die nur im Heute an.

    [1] taz.de/Festnahme-in-Berlin/!5995216/

    • @tomás zerolo:

      Ich fürchte, die sind eher in einem Morgen angekommen, das sie herbeiführen wollen.

    • @tomás zerolo:

      Oje. Also lassen wir Bankräuber neuerdings laufen, wenn sie dem linken Lager zugeordnet werden? Das ist eine interessante Sichtweise.

  • Die vermeintliche Alternative zerlegt sich selbst zuverlässig immer wieder. Das ist der Hoffnungsschimmer trotz Höcke.

    • @vieldenker:

      Naja das Problem ist ja nicht, dass Protestwähler die TROTZ diesen Aktivitäten wählen, sondern DESWEGEN. Somit zerlegen ist da nicht viel, sondern eher schon man sucht darüber nach weiteren Mitgliedern und Wählern.