Rechercheplattform vor Gericht: Correctiv gewinnt
Das Oberlandesgericht Hamburg weist Beschwerden zweier Teilnehmer des „Remigrations“-Treffens endgültig ab. Correctiv darf weiterhin berichten.
Die Rechercheplattform Correctiv hat einen wichtigen juristischen Sieg errungen. Das Oberlandesgericht Hamburg hat Beschwerden zweier Teilnehmer des Potsdamer Treffens, an dem rechte Akteure die „Remigration“ von Menschen mit Migrationshintergrund diskutiert hatten, abgewiesen. Die Berichterstattung im Artikel „Geheimplan gegen Deutschland“ über das Treffen hatte zu großen Demonstrationen gegen die AfD im ganzen Land geführt.
Der Jurist Ulrich Vosgerau, der bei dem Treffen in Potsdam dabei war, und ein weiterer Teilnehmer, hatten gegen einen Entscheid der unteren Instanz des Landgerichts Hamburg Beschwerde eingelegt. Im Februar hatte dieses die Berichterstattung von Correctiv in einem Punkt beanstandet, jedoch zwei weitere unberührt gelassen. Die Beschwerdeführer wollten vor dem Oberlandesgericht erwirken, dass auch diese beiden Passagen untersagt werden. Damit sind sie unterlegen. Die Verfahrenskosten von je 20.000 Euro müssen die Beschwerdeführer übernehmen.
In den Beschlüssen, die der taz vorliegen, betont das Oberlandesgericht Hamburg das „überragende öffentliche Interesse“ an der Berichterstattung.
Ulrich Vosgerau hatte konkret zwei Darstellungen angefochten: Erstens sei seine Antwort auf eine Anfrage von Correctiv falsch wiedergegeben worden. Correctiv hatte Vosgerau gefragt, wie er „im Nachhinein zu den (in Potsdam) getroffenen zentralen Aussagen“ stehe. Vosgerau hatte geantwortet, es sei nach seiner „Erinnerung von niemandem gesagt worden, es sollten Personen, die die deutsche Staatsbürgerschaft haben, irgendwie repatriiert werden oder ausgebürgert werden“.
Seiner Antwort fügte er noch den Zusatz hinzu, dass die rechtliche Umsetzung dessen „normalerweise“ auch nicht möglich sei.
Correctiv hatte die Antwort des Anwalts folgendermaßen zusammengefasst veröffentlicht: „An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“ Das Gericht sieht diese Zusammenfassung als zulässig an.
Auch das Weglassen des zweiten Satzes zur rechtlichen Umsetzung der Remigration sei zulässig, da es in der Natur der Sache liege „dass Informationen und Nachrichten bewertet, gekürzt, zusammengefasst oder auch weggelassen werden müssen“.
Solange kein verzerrtes Bild der Wirklichkeit oder ein „nach der negativen Seite entstelltes Bild“ der Person entstehe, entspreche die gängige journalistische Praxis der journalistischen Sorgfaltspflicht. Juristische Zweifel der Potsdamer Zusammenkunft an der Umsetzung der „Remigration“ seien im Text an anderer Stelle angesprochen.
Des Weiteren moniert Vosgerau, seine von Correctiv veröffentlichten Aussagen zur angeblichen Beeinflussbarkeit junger Wählerinnen mit türkischer Migrationsgeschichte sei in unzulässiger Weise zusammengefasst worden. Das sieht das Oberlandesgericht anders und folgt damit der unteren Instanz.
Es geht um die kleinsten Details wie Artikel
Der neben Vosgerau zweite Kläger gegen die Veröffentlichungen von Correctiv wehrte sich unter anderem gegen die Aussage, er sei „AfD-Großspender“. Das Oberlandesgericht wies seine Klage aber mit einem Hinweis auf wiederholte Spenden des Klägers in Höhe von fast 50.000 Euro an die AfD zurück.
Auch die öffentliche Nennung seines Namens sah das Gericht als unproblematisch an, da das öffentliche Interesse an der Berichterstattung in diesem Fall schwerer wiege als das Recht auf Privatsphäre.
Wie in medienrechtlichen Streitfällen üblich geht es im Weiteren um etliche Details – an einer Stelle sogar darum, ob ein bestimmter oder unbestimmter Artikel korrekt verwendet wurde.
Ob die zwei Kläger weiter rechtliche Schritte erwägen, ist noch nicht entschieden. Der Anwalt Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker, der Vosgerau vor Gericht vertritt, betont in einer Pressemitteilung, dass es Correctiv weiterhin untersagt sei, eine Passage des Texts zu verbreiten. Um diese Stelle ging es jedoch im Verfahren vor dem Oberlandesgericht gar nicht.
Nach dem ersten Verfahren im Februar hatten viele Medien ihr hauptsächliches Augenmerk darauf gerichtet, dass Correctiv eine Stelle korrigieren müsse, obwohl zwei weitere Stellen – und damit der Kern der Berichterstattung – nicht beanstandet wurde.
Die Stelle, die nicht weiter verbreitet werden darf: Vosgerau habe in Potsdam „ein Musterschreiben“ in Erwägung gezogen, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen.
Der zentrale Punkt der Recherche aber darf nun auch laut Oberlandesgericht Hamburg weiterhin öffentlich gemacht werden: dass auf dem Treffen in Potsdam Rechte Geld gesammelt und über die Ausweisung von Linken und Menschen mit Migrationshintergrund gesprochen haben. Das darf Correctiv weiterhin verbreiten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen