Antisemitismus im Kulturbetrieb: Zoff um eine Klausel

Berlins Kultursenator wehrt sich gegen Kritik an seiner verpflichtenden Erklärung gegen Antisemitismus. Er sieht sie als Beginn eines Dialogs.

Joe Chialo (CDU), Berlins Kultursenator

Joe Chialo (CDU), Berlins Kultursenator, verteidigt seinen Vorstoß gegen Antisemitismus Foto: Britta Pedersen/dpa

BERLIN taz | Die von Kultursenator Joe Chialo eingebrachte Antidiskriminierungsklausel könnte zukünftig Grundlage für sämtliche Zuwendungen des Senats werden. Im Kulturausschuss am Montagnachmittag sagte Chialo, dass es durchaus denkbar und zu begrüßen sei, die Klausel auf alle Bereiche auszuweiten. Seiner Information nach würden sich seine „Senatskolleginnen und -kollegen damit befassen“.

Wie Ende vergangener Woche bekannt geworden war, müssen aktuell alle Künst­le­r*in­nen und Kulturschaffenden die Klausel unterzeichnen, wenn sie sich um Fördergelder der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt bewerben. Chialo bestätigte im Ausschuss auch, dass die Klausel ebenso für Förderung von gesellschaftlichem Engagement und Ehrenamt aus seinem Haus gelten soll. Sie gelte seit dem 21. Dezember.

Kultursenator Chialo will damit die „Prävention von Diskriminierung und Antisemitismus“ verstärken. Mit der Klausel verpflichten sich mögliche Emp­fän­ge­r*in­nen von Zuwendungen dazu, „sicherzustellen, dass die gewährten Fördergelder keinen Vereinigungen zugutekommen, die als terroristisch und/oder extremistisch eingestuft werden“. Sie bekennen sich außerdem „zu einer vielfältigen Gesellschaft und gegen jede Form von Antisemitismus“, und zwar „gemäß der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) und ihrer Erweiterung durch die Bundesregierung“.

Mit einem offenen Brief hatten sich Kunst- und Kulturschaffende am Freitag gegen die Klausel und insbesondere gegen die IHRA-Definition von Antisemitismus gewandt. Sie kritisierten, diese Definition würde Kritik an Israel unmöglich machen. Die Klausel schränke daher die Kunst- und Meinungsfreiheit ein, die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen nannten sie eine „politische Instrumentalisierung“. Sie sprachen sich stattdessen für die Antisemitismus-Definition aus der Jerusalem-Deklaration aus.

Anfang eines Diskussionsprozesses

Im Kulturausschuss verteidigte Senator Chialo die Klausel. Sie sei „präventiv, deklaratorisch und nicht verbindlich“. Und er lud zum Dialog darüber ein: „Wir stehen am Anfang von einem Diskussionsprozess“, sagte Chialo. „Wir können jetzt ins Gespräch kommen, sie modifizieren und verbessern.“ Als „Angebot im demokratischen Raum“ bezeichnete Chialo seinen Wunsch nach Dialog, und „dass die Tonalität wichtig sei, damit die Gespräche gelingen können“. Da sehe er angesichts der Reaktionen auf die Klausel „erheblichen Nachholbedarf“.

Elke Breitenbach (Linke) kritisierte Chialo im Ausschuss für sein Vorgehen. Da die Klausel schon gelte, sei es kein Gesprächsangebot. „Damit haben Sie viel Porzellan zerschlagen“, warf sie Chialo vor. „Die Beschlüsse aus der Landeskonzeption gegen Diskriminierung kann man unterschiedlich umsetzen – wir hätten es anders gemacht“, sagte sie. Ebenfalls aus der Linken kam die Frage auf, ob Chialo dem Anliegen nicht eher geschadet habe, da sein Vorstoß nun so eine breite Gegenwelle erzeugt hätte.

„Der Senatsverwaltung geht es nach meiner Wahrnehmung um politische Kontrolle der freien Kunst und Kultur“, sagte Elif Eralp, Sprecherin für Antidiskriminierung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. „Dabei hat die Berliner Kulturlandschaft, die sich schon lange gegen Antisemitismus, Rassismus und jede Form der Diskriminierung engagiert, keinen Anlass geboten für so eine Maßnahme und so einen Generalverdacht“, sagte sie der taz.

Daniel Wesener von den Grünen sagte, seine Partei habe einen fünfseitigen Fragenkatalog zu der Klausel eingereicht: zu den Rechtsgrundlagen und Definitionen, Abweichungen vom Landeskonzept, zur Umsetzung, den Verfahren. Er bedankte sich für das Dialogangebot – und rief die anderen Fraktionen auf, ihre Fragen zu ergänzen.

Mehrheitlich genutzte Definition

Aus Sicht von im Rat der Künste zusammengeschlossenen Kulturverbänden kontraproduktiv im Kampf gegen Diskriminierung auswirken. „Wir begrüßen Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus sowie Maßnahmen gegen jede Form von Diskriminierung und Rassismus“, schrieben Koalition der Freien Szene, Berufsverband Bildender Künst­le­r*in­nen Berlin, der Landesverband freie darstellende Künste, die Initiative Neue Musik und das Festiwelt-Netzwerk Berliner Filmfestivals in einem am Montag veröffentlichten Appell.

Nach ersten juristischen Einschätzungen verfehle die aktuelle Form der Antidiskriminierungsklausel aber die angestrebten Ziele. „Sie kollidiert mit dem Grundgesetz und bringt eine mannigfaltige Rechtsunsicherheit, zweifelhafte Praktikabilität und die Gefahr der Diskriminierung mit sich.“ Mit der Klausel werde „ein gefährlicher Präzedenzfall der Gesinnungsprüfung von Einzelpersonen geschaffen, die womöglich eine auf Dauer angelegte Überprüfungspflicht nach sich zieht“, hieß es von den Verbänden.

„Der 7. Oktober 2023 war eine Zäsur“, sagte Chialo und sprach auch von der Angst, die Jüdinnen und Juden seitdem in Berlin hätten. Er habe außerdem mit Kulturschaffenden und -häusern am Donnerstag Rücksprache gehalten, und viel Zuspruch für die Klausel gehört. Die IHRA-Definition sei die Definition, die mehrheitlich genutzt werde. Und er wies darauf hin, dass auch Schleswig-Holstein bereits so eine Klausel verabschiedet habe. „Andere Länder und der Bund bereiten Ähnliches vor, mein Anliegen ist, dass wir da auch zu gemeinsamen Regelungen kommen“, sagte er.

Fast verärgert stellte Chialo im Laufe der Debatte klar: „Es gibt kein Grundrecht auf staatliche Fördermittel“. Und er machte seine Motivation deutlich: „Als Kultursenator habe ich auch die Verpflichtung zu handeln, damit öffentliche Gelder nicht in terroristische und extremistische Organisationen fließen. Und mit der Klausel handeln wir jetzt. Aber mit ausgestreckter Hand“, betonte er.

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