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Oberbürgermeisterwahl in PirnaAfD-Kandidat gewinnt in Sachsen

Tim Lochner gewinnt laut vorläufigem Ergebnis die Wahl zum Oberbürgermeister. Der sächsische Verfassungsschutz stufte die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein.

Die AfD-Sachsen stellt erstmals einen Oberbürgemeister in Deutschland Foto: dpa

Pirna afp | Die AfD stellt erstmals in Deutschland einen Oberbürgermeister. Bei der Wahl des neuen Stadtoberhaupts im sächsischen Pirna setzte sich am Sonntag laut dem vorläufigen Ergebnis der AfD-Kandidat Tim Lochner im zweiten Wahlgang gegen zwei Mitbewerber durch. Lochner erhielt demnach 38,54 Prozent der Stimmen und damit die nötige einfache Mehrheit.

Lochner ist Mitglied der AfD-Fraktion im Stadtrat, aber nicht selbst Parteimitglied. Er betreibt eine Tischlerei. Lochner trat bereits 2017 bei der Oberbürgermeisterwahl an, scheiterte damals aber klar gegen den bisherigen Amtsinhaber Klaus-Peter Hanke (parteilos), der bei der aktuellen Wahl aus Altersgründen nicht wieder antrat.

Im ersten Wahlgang am 26. November erreichte keiner der insgesamt fünf Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit, weshalb ein zweiter Wahlgang nötig wurde. Lochner erhielt in der ersten Runde mit knapp 33 Prozent die meisten Stimmen. Zweitplatzierter wurde mit rund 23 Prozent Ralf Thiele von den Freien Wählern, auf dem dritten Platz lag die CDU-Kandidatin Kathrin Dollinger-Knuth mit etwa 20 Prozent.

Zwei unterlegene Kandidaten, der Einzelbewerber André Liebscher und der von SPD und Grünen unterstützte Sozialdemokrat Ralf Wätzig, verzichteten zugunsten der CDU-Kandidatin auf eine neue Kandidatur. Auch die Linke unterstützte Dollinger-Knuth im zweiten Wahlgang. Sie kam nun mit 31,39 Prozent auf Platz zwei vor Thiele mit 30,08 Prozent.

Erneut niedrige Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung lag am Sonntag bei 53,8 Prozent nach 50,38 Prozent im ersten Wahlgang. Die Amtszeit des Oberbürgermeisters beträgt sieben Jahre. Insgesamt waren rund 31.700 Wahlberechtigte zur Abstimmung über das neue Stadtoberhaupt aufgerufen.

Damit besetzt die AfD deutschlandweit jetzt zwei kommunale Spitzenposten. Im Juni gewann der AfD-Politiker Robert Sesselmann im thüringischen Kreis Sonneberg erstmals einen Landratsposten für die Partei.

Die AfD hatte zuvor bereits in anderen Städten versucht, ihre Kandidaten bei Oberbürgermeisterwahlen durchzusetzen. Bislang scheiterte sie aber spätestens im zweiten Wahlgang beziehungsweise in der Stichwahl.

Das südöstlich von Dresden am Rande des Elbsandsteingebirges gelegene Pirna hat rund 40.000 Einwohner. Die Stadt ist vor allem bekannt für die nahezu völlig erhaltene Altstadt und ihre Nähe zum beliebten Touristengebiet Sächsische Schweiz.

Der sächsische Verfassungsschutz stufte die AfD im Freistaat in der vergangenen Woche als gesichert rechtsextremistisch ein. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist die sächsische AfD bereits der dritte Landesverband mit einer solchen Einstufung.

Die Einstufung hat zur Folge, dass der Verfassungsschutz geheimdienstliche Mittel ohne Einschränkungen einsetzen kann, um Informationen über extremistische Aktivitäten des Landesverbands zu gewinnen.

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28 Kommentare

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  • Wir tun immer so als wenn das ein neues Phänomen wäre. Wir echauffieren uns darüber, beschimpfen andere als Nazis und wollen es nicht wahrhaben das rechte Politik mehrheitsfähig wird.

    Wer die Geschichte verfolgt wird feststellen, daß Antisemitismus und rechtes Gedankengut nie weg, sondern über die Jahre weitergetragen wurde. Je weiter uns der Zeitstrahl vom Holocaust entfernt, desto leichter fällt es eine Politik wie die der AfD zu tolerieren. Die so sehr in Anspruch genommene „Erinnerungskultur“ vom „Nie wieder“ hat nur Sand in unsere Augen gestreut.

    Die fremdenfeindlichen Aussagen über "Zahnersatz", „Sozialhilfetourismus“ und "Paschas", die unwidersprochen in "Talksshows" abgegeben wurden sind nicht neu.

    Schon Adenauer hat sich mit offenem Antisemitismus nicht zurückgehalten und so den Grundstein gelegt derartige Politik "Sagbar" zu machen.

    "Die Macht der Juden, auch heute noch, insbesondere in Amerika, sollte man nicht unterschätzen"

    (Konrad Adenauer, 4.1.66 im ZDF)

    Damals ging es um den "Ausgleich", um das "Wiedergutmachungsabkommen". Interessant ist die damalige Haltung zum "Staat Israel" und zu den "Arabern".

    monde-diplomatique.de/artikel/!5675078

    Übrigens auch Helmut Schmidt hat sich diesbezüglich nicht mit Ruhm bekleckert.

    Wir sollten also nicht so tun als ob das ein neues, ausuferndes Phänomen aufgrund einer von vorneherein gescheiterten Ampelpolitik oder Politikverdrossenheit wäre. Das ist verlogen.

    Das Vorhandensein der Deutsche Reichspartei, DVU, NPD, Reps und AfD untermauern dies über die Jahre eindrücklich. Gerade die "Christlichen" Parteien mit ihren Flügeln wie der "Werteunion" haben viel dazu beigetragen diese Politik am Leben zu halten. Als potentieller „Klimakleber“ präventiv in Haft zu kommen weil man Teil einer „Terroristischen Gruppierung“ ist, erinnert an längst vergangene Zeiten, in denen das „Gesunde Volksempfinden“ eine „Umerziehung“ erforderlich machte.

    Der Schritt von der „Leitkultur“ zum Faschismus ist ein Kleiner.

    • @Tom Lehner:

      Danke für diese Zusammenfassung!

  • Eine absolute Mehrheit im 2. Wahlgang ist fast nirgends anzutreffen, deswegen heißt es ja 2. Wahlgang. Das Ergebnis ist erstmal die logische Folge dessen, was man auch in der Stadt an Stimmung spürt. Es spiegelt also sehr genau die "Stadtbewohner" wieder. Das mag man kritisieren (tue ich auch) oder auch nicht, aber akzeptieren muss man es trotzdem. Demokratie ist ja kein Wunschkonzert. Auch das scheint für viele Menschen ein völlig neuer Fakt zu sein.

  • 61% für Nicht-AfD Kandidaten. Soweit die weniger schlechte Nachricht.

    Was ist das für ein Wahlsystem? Warum ist im zweiten Wahlgang einer Personenwahl nicht die absolute Mehrheit erforderlich?

    • @Winnetaz:

      Ein wesentliches Kennzeichen des Rechtsstaats sind bekannte Spielregeln, die für alle gelten. Die Spielregeln für den zweiten Wahlgang siind und waren bekannt. Wenn CDU und Freie Wähler sich dumm anstellen, ist das schade, aber hinzunehmen.



      Natürlich kann man Spielregeln veränern, soweit man sich im Rahmen der Verfassung bewegt.

    • @Winnetaz:

      Hat Ramelow eine absolute Mehrheit ?

  • Nachdem es in der anderen Stadt noch vermieden werden konnte, ist es nun soweit: es gibt den ersten AfD-Oberbürgermeister. Mal schauen, was der nun so treiben wird.

    Allerdings kann auch der nur mit Wasser kochen und wird auf Mehrheiten über Parteigrenzen hinweg angewiesen sein. Dazu kommt dann sicher wie meistens: es gibt viele Herausforderungen aber nur wenig Geld, das man ausgeben kann.

    Und geht es um selten strittige Themen, wie z.B. Renovierung von Kitas/Schulen, werden sich die anderen Parteien dem kaum dauerhaft verweigern können.

    Die Frage ist also, welche persönliche Note er da reinbringen wird. Und das wird erst der Anfang sein.

  • Ist es schon wieder soweit mit dem sprichwörtlichen "Pirnischen Elend" ???

  • Das ganze ist ein lange tolerierter Skandal.



    Die afd jetzt zu verbieten wäre halt ein massiver beweis für die massive Inkompetenz von CDU, CSU, SPD und FDP sowie des gesamten Neoliberalismus der letzten 100 Jahre. Also geht das nicht so einfach.



    Die habens möglich gemacht, mit vielen anderen asozialen Organisationen, das die Massen weiter unaufgeklärt und sozial ambivalent agieren, durch die weiterhin tolerierte soziale Ungleichheit und die Ignoranz der Wissenschaften. So kann Demokratie nicht funktionieren und wird unterlaufen, durch halbwahre Meinungsmache und asozialen uralten macht-



    und eigentumsstrukturen. Und was kommt bei raus, sozial höchst ineffiziente Dinge ... Ums kurz zu sagen.



    Alles nicht neu, längst hundert mal da gewesen die letzten paar tausend Jahre Imperialismus.

    Nach wissenschaftlichen Standards sollte man nicht nur die afd verbieten ...

  • taz.de/Bilanz-zum-...Netzwerk/!5977591/

    Muss ich dazu noch was sagen?

  • Der AFD-Bürgermeister ist die unmittelbare Folge der alles was geht versägenden und nichts auf die Reihe bekommenden Politik der Ampel. Weiter so, dann bleibt es nicht nur bei dem einen Bürgermeister. Wie kann man nur so ignorant sein.

    • @Leningrad:

      Das ist eine etwas zu kurzsichtige Begründung. Grundlage ist eine seit 5 Jahrzehnten verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik. Der Grundstein wurde schon lange vor der jetzigen Ampel gelegt. Da kann sich auch ein Friedrich Merz mal an die eigene Nase fassen, auch wenn Selbstreflexion nicht so sein Ding ist.

      • @Minion68:

        "Das ist eine etwas zu kurzsichtige Begründung."

        Na ja, beim Naheliegenden muss man nur kurz sehen können. 🤓 Da ist der Blick auf die Opposition als vermeintlich Schuldigen verfehlt.

        • @Rudolf Fissner:

          Was ich so nicht explizit geschrieben habe ist, dass auch SPD, FDP und durchaus auch die Grünen (mit ihrer Herumeierei) genauso an der Politik in den letzten Jahrzehnten mitgewirkt haben. Ijnsofern ist die Ampel eben nicht der Grund alleine, maximal hat diese das Fass zum Überlaufen gebracht. Da haben, wie gesagt, viele andere Akteure fleißig mitgeschöpft.Und da ist es Wohlfeil, aus der Opposition heraus auf die Regierungsmitglieder zu zeigen. Die Medaille hat eben immer zwei Seiten.

  • Je länger die Amtszeit des Bürgermeisters, desto undemokratischer ist es.



    Für ein gewähltes Amt sind 6-10 Jahre einfach zu lange.



    Immerhin ist in Sachen eine Abwahl des Bürgermeisters möglich, in Baden-Würtemberg und Bayern ist das nicht möglich.

    • @Alexander Schmidt:

      Ich sehe auch fünfjährige Legislaturperioden für Parlamente als zu lange an.

      • @Carsten S.:

        Je kürzer, desto eher die Gefahr, dass nachhaltige Politik leidet, der Blick in die Zukunft anstelle auf die nächste Wahl.

        • @Ciro:

          Dann muss man die Bürger eben abholen und ihnen die Politik erklären. In der Schweiz dürfen die Bürger sogar über Sachfragen mitbestimmen.

          Die Idee der Demokratie besteht nicht darin, dass man sich eine Obrigkeit wählt und die dann ein paar Jahre (5? 10? ...) machen lässt.

          Ich fand die 4 Jahre einen guten Kompromiss. Wenn eine Partei oder Koalition in 4 Jahren nichts gebacken kriegt, ist es höchste Zeit für einen Wechsel.

  • Er wird es extrem schwer haben, denn Ralf Thiele (Freie Wähler) hat es schon jetzt unmißverständlich ausgesagt: "Wir werden alles daran setzen müssen, dass wir die AfD Lügen strafen, dass ein AfD-Oberbürgermeister nicht schalten und walten kann, wie er gerne will."

    Damit ist bereits klar gestellt, daß es höchstwahrscheinlich keine Politik zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger wird, sondern lediglich eine, die sich durch maximale Sabotage des neuen Bürgermeisters auszeichnen wird.

    • @wxyz:

      Es ist im Gegenteil klargestellt, dass es keine Politik GEGEN die Interessen der Bürger geben wird.

  • Wirklich erschreckend ist für mich eigentlich die geringe Wahlbeteiligung von kaum mehr als 53%. Das gut 46% der Menschen in Pirna die Lokalpolitik weitgehend egal ist, kann ich mir nicht vorstellen. Vermutlich haben viele von ihnen eher das Gefühl, ohnehin nichts bewirken zu können, was ihr Leben verbessert.

    Faktisch wurden alle drei Personen, die zur Wahl angetreten sind, direkt zuvor in der CDU politisch sozialisiert. Wäre eine dieser Personen im zweiten Wahlgang nicht mehr angetreten, sähe das Ergebnis vermutlich anders aus. Jetzt kommt es (bis zur nächsten Wahl) hauptsächlich auf den Stadtrat an. Der OB kann zwar medienwirksam auftreten, hat aber allein wenig Entscheidungsbefugnisse.

  • Demokratie kann sich auch selbst abschaffen. Es ist fünf nach zwölf!

  • Hätte eine*r der beiden anderen Kandidat*innen -ggf. untereinander abgestimmt - auf die Kandidatur verzichtet, vielleicht wäre die Wahl anders ausgegangen!

    • @Sabine Hofmann-Stadtländer:

      Das kann es in einer Demokratie dann doch aber nicht als Antwort sein. Genau das Spiel hatten wir in unserer Kommune auch. Der CDU-Kandidat hat dann alle Anderen aufgefordert ihn doch zu unterstützen um die AfD zu verhindern. Da haben wir hier in den extrem sauren Apfel gebissen und sächsische CDU gewählt, um dann am Wahlabend ein Gefasel über eine breite konservative Mehrheit und einen direkten Auftrag für mehr CDU zu bekommen. Nein Danke.

      • @Šarru-kīnu:

        Mir ist die Absurdität absolut bewusst und ich zweifele selbst an meinem Verstand, wenn zum Beispiel Vertreter*innen der Linkspartei zur Wahl von CDU-Kandidat*innen aufrufen. Aber trotzdem stellt sich doch die Frage, ob das nicht aktuell besser ist also die zunehmenden Wahlerfolge der AfD. Beim Wahlsieg einer*eines CDU-Kandidat*in habe ich zumindest noch eine Chance, Kritik zu üben und ggf. nach Ablauf der Antszeit eine andere Wahl zu treffen. Unter einem Reichskanzler Höcke wird es keine Wahlen und keine Opposition mehr geben. Das klingt hart und ist auch erst einmal nur eine Mutmaßung von mir, aber ich schließe ein Viertes Reich zwischenzeitlich nicht mehr aus. Deshalb finde ich es auch unglaublich wichtig, unsere Grundwerte zu verteidigen - aus der Politik und aus der Zivilgesellschaft heraus!

  • Was soll man sagen.



    Wir waren 2000 oder 2001 auf Klassenfahrt in Pirna und hatten damals die Gelegenheit ein Gespräch mit dem (CDU)-Bürgermeister zu führen.



    Seine Aussage: "Mit Nazis haben wir hier kein Problem." ist 20 Jahre später voll aufgegangen...

  • Kein überraschendes Ergebnis für mich. Vor 2 Jahren war ich an einem schönen Herbstsonntag auf dem Marktplatz von Pirna. Die Stimmung war für mich doch sehr bedrückend, durch die hohe Präsenz eindeutig hart rechts eingestellter Personen die dort flanierten.

  • Und wieder steht die unbeantwortete Frage im Raum: Warum wählen die Wähler so und was müssten die anderen Parteien tun, damit es nicht so weiter geht. Die Gründe sind wohl bekannt, dürfen aber offensichtlich nicht ausgesprochen werden, zu "unwoke".



    Und so erobert die AfDummheit Mandat um Mandat und wir schauen nur zu.