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Parteitag der „neuen“ LinksparteiMarktlücke sucht Füllung

Daniel Bax
Kommentar von Daniel Bax

Die Linke zeigt sich als neue Partei: jünger, migrantischer, weiblicher. Ohne Wagenknecht hat die Partei eine echte Chance für einen Neuanfang.

Noch happy: Die Linken-Spitzenkandidaten für die Europawahl, Rackete und Schirdewan Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Wer nicht kämpft, hat schon verloren“, zitierte Linkenchef Martin Schirdewan den großen Literaten Bertolt Brecht beim Parteitag in dessen Geburtsstadt Augsburg. Mit der parteilosen Spitzenkandidatin Carola Rackete zieht er in den Europa-Wahlkampf: Die Klima-Aktivistin und Sea-Watch-Kapitänin soll frischen Wind bringen und neue Wählerkreise ansprechen. Mit neuem Logo, neuen Mitgliedern, ungewohnter Einigkeit und neuem Elan lässt die Partei den zermürbenden Streit der vergangenen Jahre um den richtigen Kurs hinter sich. Wagenknecht ist für die Linken Geschichte.

Die Partei müsse jünger, weiblicher und migrantischer werden – das hatten schon die früheren Chefs Katja Kipping und Bernd Riexinger gefordert. Knapp drei Jahre nach deren Ära und dem Abgang der Linksnationalisten um Wagenknecht startet die Partei ihre Erneuerungskampagne: Eine „Linke für alle“ wollen sie sein.

Parteichefin Janine Wissler erinnerte in ihrer Rede daran, dass sie beim Gründungstreffen der Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit (WASG) in Hessen 2004 die einzige Frau war neben 38 Männern, die meisten von ihnen doppelt so alt wie sie.

Damals trieben die unsozialen Hartz-IV-Gesetze der rot-grünen Koalition viele enttäuschte SPD-Mitglieder und Gewerkschafter zum westdeutschen Vorläufer der Linkspartei. Der Enttäuschung über den neoliberalen Rechtsruck unter Gerhard Schröder verdankte die Linkspartei in jener Zeit ihre größten Wahlerfolge.

Die aktuelle Situation ist vergleichbar: Der Rechtsruck der Ampel in Migrations-, Klima- und sozialen Fragen treibt den Linken neue Menschen zu. In Augsburg präsentierten sich drei Neuzugänge, alle um die 30, die der Linken neuen Schwung verleihen wollen und sollen.

Der Rechtsruck der Ampel in Migrations-, Klima- und sozialen Fragen treibt den Linken neue Menschen zu

Neustart oder linke Folklore?

Die Nachfrage ist da, aber reicht das schon für einen Neustart? Mit ihrem Beharren darauf, die Migrationspolitik menschenfreundlich und den ökologischen Umbau sozial zu gestalten, hat die Linke zwar ein Alleinstellungsmerkmal. Und mit rechten Populisten wie Trump, Meloni und dem Millionär Elon Musk gibt es genügend Feindbilder, die Gemeinsamkeit stiften.

Aber dass potenzielle Neumitglieder mit linker Folklore fremdeln können, zeigte eine Nebenbemerkung von Carola Rackete über die SED-Vergangenheit der Partei, mit der sie in ein Fettnäpfchen trat und sich später dafür entschuldigte.

Entscheidend für die Zukunft der Linken ist die Frage: Was bedeuten Vielfalt und Erneuerung jenseits der Strömungen und ideologischen Lager, die sie bisher prägen? Sich auf Säulenheilige der Vergangenheit wie Bertolt Brecht zu beziehen, wird da allein nicht reichen.

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Daniel Bax
Redakteur
Daniel Bax ist Redakteur im Regieressort der taz. Er schreibt über Politik und Popkultur – inbesondere über die deutsche Innen- und Außenpolitik, die Migrations- und Kulturpolitik sowie über Nahost-Debatten und andere Kulturkämpfe, Muslime und andere Minderheiten sowie über die Linkspartei und das neue "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW). 2015 erschien sein Buch “Angst ums Abendland” über antimuslimischen Rassismus. 2018 folgte das Buch “Die Volksverführer. Warum Rechtspopulisten so erfolgreich sind.”
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17 Kommentare

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  • "Aber dass potenzielle Neumitglieder mit linker Folklore fremdeln können, zeigte eine Nebenbemerkung von Carola Rackete über die SED-Vergangenheit der Partei, mit der sie in ein Fettnäpfchen trat und sich später dafür entschuldigte."

    Wenn der kritische Umgang mit der eigenen Parteigeschichte (der ja konsequenterweise auch die stalinistische KPD und ihren Kampf gegen die Weimarer Demokratie einbeziehen muss) und der entschiedene Bruch mit der SED-Diktatur für viele Parteimitglieder nach wie vor ein Problem darstellt, dann ist es bis zu einem glaubwürdigen "Neuanfang" noch sehr weit. Denn die unbewältigten Altlasten dieser Partei - Stichwort Russlandverklärung, Antiamerikanismus und Antizionismus bis hin zum Antisemitismus www.fr.de/politik/...ende-11411066.html - kommen bei jeder sich bietenden Gelegenheit wieder zum Vorschein.

    • @Schalamow:

      Na warten wir doch erst mal ab. Alles andere ist Vorurteil. Das kann's doch wohl nicht sein....

  • @GYAKUSOU

    Bei Ihnen bin ich mir nie ganz sicher, ob Sie ihre persönliche Präferenz in einem vermeintlichen "Volkswillen" verpacken oder ob das Ergebnis einer statistischen Analyse (deren Entstehung Sie uns vorenthalten) ist.

    Klar wird sich die Wählerschaft der Linken verschieben, wenn sie ihre Richtung ändern.

    Meine Stimme, -- persönlich -- haben sie eher jetzt als früher.

  • Hoffentlich schaffen die das. Es ist bitter nötig. Die Rechtsdrift in allen (!) Parteien ist unübersehbar. Die Profite davon streicht allein die rechtsradikale AfD ein. Statt diesem Trend mit gegensätzlichen Programmen, Standfestigkeit und klarer, konträrer Wortwahl zu begegnen, laufen die anderen Parteien stramm populistisch den Rechten hinterher und machen sie hoffähig. Da kann die Linke nur punkten, wenn sie LINKS bleibt.

    • @Perkele:

      Sofern es dafür eine Klientel gibt, dann schon. Gegenwärtig habe ich aber das Gefühl, die Menschen haben andere Probleme als die LINKE an Lösungsmöglichkeiten anbietet.

      • @Tom Tailor:

        Weil die anderen etwa Lösungen auf Probleme bieten? Da wähle ich lieber die Linke.

  • Schau'n mer mal.

    Aber vieles klingt nach linker Wohlfühlrhetorik insbesondere angesichts der Realitäten um Schuldenbremse, und die Prozente von CDU/CSU sowie AfD.

  • Die 9 Leute, die mit Wagenknecht ausgetreten sind, waren ja nun überwiegend migrantisch.

    Drei Neueintritte bewirken da ja nun keine Veränderung in Richtung migrantisch.

    Die Linke hätte sich eher fragen müssen, warum sie Migrant_innen nicht halten kann.

  • Unter "Linke für alle" findet sich tatsächlich eine beeindruckende Anzahl von Unterstützern für einen neustart der Linken ... und (fast) alle Politikfelder werden abgedeckt.

    Auffällig: Nirgends findet man ein Statement zum Kampf gegen Antisemitismus.

    Mehr als bedauerlich.

    • @Plewka Jürgen:

      Na, dann schließen wir uns den Unterstützern für einen Neustart der Linken doch an, MIT einem deutlichen Statement gegen Antisemitismus.

  • Also für mich klingt das so als wäre das neue Rezept von Die Linke sich weiter an die Prioritäten der Grünen anzunähern. Natürlich sind viele Anhänger der Grünen von ihrer Partei enttäuscht, doch vielen dürfte eben klar sein, dass dies schlicht die Realität des Regierens in einer Koalition ist und das Die Linke, sollte sie einmal Teil einer Regierungskoalition sein, nicht im Stande wäre eher zu liefern als die Grünen gegenwärtig.

    Als echte Marktlücke würde ich viel eher den Fokus auf ökonomischen Themen sehen, den Frau Wagenknecht grade zu besetzen versucht. Hiermit könnte man nämlich tatsächlich Wähler ansprechen, die wechselwillig sind oder garnicht wählen.

    • @Julius Anderson:

      Die Marktlücke bleibt bestehen, bis es die BSW-Partei gibt. Erst dann werden die täglichen Wasserstandsmeldungen mit Aus- und Eintritten relevant.



      Der Parteitag in Augsburg war kein Aufbruch, sondern die konsequente Fortführung des Erfurter Parteitages (ohne die Krawalltypen, die da ihren Spaß hatten und längst wieder ausgetreten sind).

  • Wenn ich mir die Reaktion auf Rachetes Äußerungen im erwähnten Interview betrachte, beschleicht mich das Gefühl, dass sich viele Mitglieder noch lange nicht aus ihren altgewohnten Blasen gelöst haben. Da habe ich so meine Bedenken, was die Zukunftsfähigkeit der Linken betrifft.

  • Über die Zukunft zu spekulieren ist immer schwierig.

    Ich kann für mich eigentlich nur sagen:

    SPD und Grüne konnte ich zuletzt nur mit ganz viel Bauchschmerzen wählen.

    Nach den "schneller abschieben" Exzessen des Kanzlers, Habecks "Rückführungs"-Mäandern und Nancy Faesers opportunistischem Schlingerkurs in der Migrationsfrage, ist rot-grün vollkommen diskreditiert.

    (Man könnte auch fragen: Wo sind die Wohnungen? Was soll der Sozialabbau?

    Aber bleiben wir mal beim Ethischen und dabei, dass man keine spalterischen Äußerungen und grundrechtseinschränkenden Maßnahmen auf Kosten von Schutzsuchenden machen sollte.)

    Bleiben die Linken.

    Die konnte ich bisher, aufgrund von Russlandgeschwurbel und Wagenknechts sich bei rechts andienendem Populismus auch nicht wählen.

    (Kleine Erinnerung: Imperialismus = Imperialismus, Solidarität ist unteilbar.)

    Nach allem, was ich bisher höre, gibt es mit der post-Wagenknecht-Linken endlich wieder eine Partei, die ich guten Gewissens und mit Überzeugung wählen kann.

    Und das wäre, wenn sich das bewahrheiten und die Partei sich bewähren würde, eine echte Erleichterung.

    • @Stavros:

      Was sagt die erneuerte Linke denn zu Putin und der Ukraine. Ich hatte dazu nirgends was gehört.

      • @CarlaPhilippa:

        Ja stimmt, da haben Sie Recht.

        Muss ich mich genauer informieren.

        Zur Zeit bin ich guter Hoffnung, aber ich warte auf jeden Fall ab und beobachte die Partei genau.

        Ich denke, es muss

        A eine klare Verurteilung aller Angriffskriege geben und keine verklausulierten Entschuldigungen EINIGER Angriffskriege.

        B eine Absage an ALLE Menschenfeindlichkeit erfolgen, inklusive Antisemitismus.

        C der Staat Israel verteidigt werden bei gleichzeitigem Bekenntnis zu einer Friedenslösung und einer menschenwürdigen Behandlung der Palästinenser:innen.

        Daneben müssen natürlich die lokale und globale Ungerechtigkeit und das zynische Profitstreben bekämpft werden, denn sie sind die eigentliche Ursache für A, B und C :-).

  • Ich bezweifle, dass die Linke mit ihrer neuen Ausrichtung Erfolg hat.

    Wenn Carola Rackete Ausdrücke wie „Klimagerechtigkeit oder Klimaapartheid“ sowie „Menschenrechte oder weiße Vorherrschaft“ als Optionen für die Zukunft verwendet, wird der Großteil der potentiellen Wähler abgeschreckt.