piwik no script img

Pro-Palästina-DemonstrationenHamburger Härte

Seit einem Monat sind „pro-palästinensische“ Versammlungen in Hamburg per Allgemeinverfügung verboten. Kritik daran gibt es kaum.

Von der Hamburger Polizei nicht erwünscht: Demonstrierende mit Palästina-Flagge Foto: Moritz Schlenk/imago

Hamburg taz | Auf keinem der 755 Quadratkilometer Landesfläche dürfen derzeit in Hamburg sogenannte Pro-Palästina-Demonstrationen stattfinden, die nicht zuvor angemeldet und behördlich bestätigt wurden. Nicht im Stadtteil St. Georg mit seinen vielen Moscheen, natürlich nicht vor der Synagoge an der Hohen Weide, aber auch nicht am ländlichen Borghorster Elbdeich kurz vor der Grenze zu Schleswig-Holstein. Die bei der Polizei angesiedelte Versammlungsbehörde verbietet das seit mehr als einem Monat schon per Allgemeinverfügung und schränkt damit flächendeckend die Versammlungsfreiheit ein. Ein Skandal? So richtig laut ist die Kritik an dieser harten hanseatischen Linie vor Ort nicht.

Am 16. Oktober gab die Hamburger Polizei spätabends bekannt, dass ab Mitternacht im gesamten Stadtgebiet alle Versammlungen verboten sind, die „inhaltlich einen Bezug zur Unterstützung der Hamas oder deren Angriffe auf das Staatsgebiet Israels aufweisen“. In Klammern setzte sie dahinter, was darunter zu verstehen sei: „sog. pro-palästinensische Versammlungen“. Drei Tage sollte das Verbot gelten – bereits neun Mal gab die Polizei seither eine Verlängerung der Allgemeinverfügung für jeweils drei bis vier Tage bekannt.

Wie in der ganzen Bundesrepublik war auch in Hamburg die Furcht nach der Terrorattacke der Hamas auf Israel groß, dass es im Zuge der militärischen israelischen Reaktion zu antisemitischen Ausschreitungen und volksverhetzenden Demonstrationen kommen würde. In Berlin waren, kurz bevor die Hamburger Polizei ihr Generalverbot aussprach, die Hamas-Attacken gefeiert und dutzende Straftaten im Zuge von Kundgebungen erfasst worden. Am Rande einer Solidaritätskundgebung für Israel in der Hamburger Innenstadt gab es vereinzelte antisemitisch motivierte Übergriffe auf Demo-Teilnehmer:innen – Szenen, von denen es in ähnlicher Form bundesweit Berichte gab.

Doch nirgendwo sonst wurde das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit so sehr eingeschränkt. Eine solche Allgemeinverfügung gibt es sonst in keinem anderen Bundesland, auch in Berlin waren bislang immer nur einzelne Demonstrationen untersagt worden. Seit dem 7. Oktober habe es dort 116 pro-palästinensische Demonstrationen gegeben, 22 seien verboten worden, berichtete Anfang der Woche die SPD-Innensenatorin Iris Spranger (SPD). In Frankfurt am Main waren mehrere Demos in einem Zeitraum von wenigen Tage untersagt worden.

Selbstbild Hamburgs als liberale Großstadt

Für Deniz Celik entspricht das anhaltende Verbot „nicht dem Selbstbild Hamburgs als liberale Großstadt“. Celik sitzt für die Linkspartei im Hamburger Parlament, der Bürgerschaft, und ist innenpolitischer Sprecher der Fraktion.

„Ein Demonstrationsverbot muss immer die Ultima Ratio sein“, sagt Celik. „Viele, die sich auf einer Demonstration solidarisch mit der palästinensischen Bevölkerung zeigen und zur Einhaltung von Menschenrechten mahnen wollen, fühlen sich nun ausgegrenzt“, sagt er. „Das Verbot untergräbt ihr Vertrauen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.“

Bei Fatih Yildiz klang das etwas anders. „Wir begrüßen es sehr, dass es endlich möglich war, eine Kundgebung durchzuführen“, sagte der Vorsitzende der Schura, des Rats der islamischen Gemeinschaften in Hamburg, dem Hamburger Abendblatt. Zuvor hatte die Polizei, als Ausnahme und mit vielen Vorgaben, eine Demo der Schura genehmigt – weil die Schura ausdrücklich ihr Mitgefühl für die israelischen Opfer geäußert und ihre Mitglieder davor gewarnt hatte, an Kundgebungen von extremistischen Gruppen teilzunehmen. Yildiz selbst beendete die Kundgebung mit rund 800 Teil­neh­me­r:in­nen vorzeitig: Eine kleine Gruppe habe unbeirrt nicht zugelassene Parolen skandiert.

Wenig Unterstützung aus dem linken Lager

Anders als in Berlin gab es aus dem linken Lager wenig Unterstützung für Kundgebungen, die den Eindruck erweckten, Palästina näher als Israel zu stehen. Am meisten Aufmerksamkeit erregte noch der innerlinke Plakat-Streit an der Fassade des autonomen Zentrums Rote Flora im Schanzenviertel: „Killing Jews is not fighting for freedom“ stand da zunächst, ehe Unbekannte den Schriftzug in „Killing humans is not fighting for freedom“ änderten.

Dass am vergangenen Samstag auf einer Demonstration gegen die Allgemeinverfügung rund 750 Menschen friedlich – und ausnahmsweise genehmigt – durch die Stadt zogen, änderte an der polizeilichen Gefahrenprognose bislang nichts. Schließlich kam es in den vergangenen Wochen auch immer mal wieder zu unangemeldeten Versammlungen, bei deren Auflösung es zu Auseinandersetzungen kam.

Zweimal befasste sich das Hamburger Verwaltungsgericht in den vergangenen Wochen mit den Demo-Verboten, beide Male stellte es sich hinter die Versammlungsbehörde. Erst versuchte es der Anmelder einer Demonstration unter dem Titel „Stoppt den Krieg auf Gaza und Menschenrechte unterstützen!“. Doch der Titel deute aus Sicht des Gerichts auf eine „einseitig pro-palästinensische Ausrichtung“ hin, weshalb das Verbot zu billigen sei. Und weil der Anmelder im Aufruf zur Demo auch noch den Slogan „Freiheit für Palästina“ benutzte, sei die Gefahrenlage belegt: „Diese Parole wird typischerweise in Kreisen verwandt, die das Existenzrecht Israels im Ganzen in Frage stellen“, stellte das Gericht recht forsch fest – somit sei mit Gewalt zu rechnen.

Auch eine zweite Klage, diesmal direkt gegen die behördliche Allgemeinverfügung, wies das Gericht ab – „angesichts der auch weiterhin in Hamburg in besonderer Weise aufgeladenen Stimmung“.

Michael Wrase, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Hildesheim, hält das Verbot für verfassungsrechtlich bedenklich. „Da bräuchte es schon eine besondere Gefährdungslage, dass also die öffentliche Sicherheit nicht anders gewährleistet werden kann“, sagte Wrase zur taz. Bei „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ denke man an tagelange Straßenkämpfe – Bilder, wie man sie aus der Weimarer Republik kennt. Er sieht „gute Chancen“, das Verbot zu kippen, sollten Betroffene gegen die Allgemeinverfügung den Rechtsweg durch die Instanzen zu Ende gehen.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Schließlich seien derzeit jegliche Versammlungen verboten, die als „pro-palästinensisch“ betrachtet würden: Den juristischen Bestimmtheitsgrundsatz sieht er damit nicht erfüllt. Darunter können schließlich auch Demonstrationen fallen, die eine einfache Solidarität mit den Menschen in Gaza fordern oder sich für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen, genauso wie Demonstrationen, die die Terrorakte der Hamas feiern. „Nur Letztere rechtfertigen ein Verbot.“

Allein: Bei der nächsthöheren Instanz, dem Hamburger Oberverwaltungsgericht, hätte bis Mittwoch Beschwerde gegen die Entscheidung zur Allgemeinverfügung eingelegt werden müssen. Eingegangen ist nichts, sagt ein Gerichtssprecher. Und gegen die Verfügung kann nur klagen, wer auch dem Gericht plausibel darlegt, von dem Versammlungsverbot betroffen zu sein. Die Motivation dazu ist in Hamburg augenscheinlich gering.

Außer der Linken zeigen weder SPD und Grüne als Regierungsfraktionen noch die CDU in der Opposition sichtbares Unbehagen an der wochenlangen Einschränkung eines Grundrechts. Und so bleibt wohl nur darauf zu warten, bis die Hamburger Polizei ihre Einschätzung zur Gefährdungslage eigenständig ändert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • verfassungsblog.de...mittelbare-gefahr/



    ...diesen Beitrag kann ich sehr empfehlen.



    Die meisten deutschen Medien leisten Ihren unermüdlichen (islamophoben) Beitrag. Kritik an Israel und ihrer faschistischen Regierung wird zu oft mit Antisemitismus gleichgesetzt. Beispiele von 'antisemitischenn Parolen' werden nur selten geliefert.



    Berichte von 'Ausschreitungen' werden aus PM der Polizei übernommen und nicht verifiziert. Das kennen wir von anderen Protestbewegungen.

    Es bleibt dabei: Antisemitismus war und ist eine Europäische Krankheit! Schon gar nicht wird er von Semiten importiert. Diese Aussagen lenken ab und sollen die so genannte Staatsräson füttern. & es wird einseitig kriminalisiert.

  • Warum laut das Wording "Pro-Palästina" und nicht "Pro Hamas"? Man kann sehr wohl Pro-Palästina, Pro-Israel und dezidiert Anti-Hamas gleichzeitig sein.

  • Ich verstehe nicht, warum diejenigen, die protestieren wollen, nicht spazierengehen. Das war für die Coronaleugner möglich. Am 29.11. ist übrigens der “Internationale Tag der Solidarität mit dem palästinensischen Volk”.

    • @eiland:

      Das palästinensische Volk muss sich einfach von den islamofaschistischen Hetzern in ihren Reihen trennen.

      Es wird nur Frieden in Freundschaft mit Israel geben.

      Und genau das ist es was wir tatsächlich fordern sollten und wofür es sich lohnt zu demonstrieren. Für ein friedliches Miteinander von Palästinensern und Israelis.

      • @Gnutellabrot Merz:

        "Das palästinensische Volk muss sich einfach von den islamofaschistischen Hetzern in ihren Reihen trennen."

        In Hamburg wäre das wohl verboten weil ja immer noch auch pro-palästinensisch. Sie sollten also vom Hamburger Senat fordern, dass das möglich wird.

  • Das Verbot zeigt die einseitige Haltung vieler deutscher Politiker und Behörden. Die Gleichsetzung von "pro-palästinensisch" mit "antisemitisch" oder "gewaltverherrlichend" scheint ein in vielen Köpfen herumspukender Rasissmus zu sein.

    • @Kölner Norden:

      Aber die Veranstalter können doch rechtlich gegen das Verbot vorgehen. Und wenn sie dann Recht bekommen, passt es doch. Aber anscheinend lassen sie es lieber so, dann kann man sich so schön über den Rechtsstaat beschweren und auf die Richter schimpfen.

      Wenn es kein Urteil notfalls durch alle Instanzen gibt, ist das alles nur künstliche Aufregung um in die Presse zu kommen.

  • Wo genau ist jetzt das Problem? Da niemand Beschwerde eingelegt hat scheint es ja so zu sein wie vom Gericht dargestellt.

    Man kann alle rechtsstaatlichen Mittel einsetzen und hat die Gelegenheit dazu. Wenn man es dann nicht macht, hat das Gründe.

    Die Veranstalter könnten ja das Motto der Veranstaltung so ändern, dass es zu keinem Verbot kommt. Das wollen sie anscheinend nicht. Also liegt das Gericht wohl richtig.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Demonstrationen lassen sich nie so kontrollieren, dass etwas nicht vor kommt. Siehe G20 Gipfel mit seinen Ausschreitungen.

      Bedingungen für die Genehmigung einer Demonstration an dem nicht Agieren von Chaoten fest zu machen ist der Tod jeder Demokratie.

      Es ist daher Aufgabe der Polizei, das zu unterbinden, nicht die der Veranstaltern.

    • @Gnutellabrot Merz:

      Finde ich auch. Ich verstehe nicht, warum in Berlin ähnliche Veranstaltungen nicht verboten werden. Insbesondere auch, den Al-Quds-Tag, der sich oft besonders antisemitisch gestaltet. Irgendwie kenne ich unter meinen Bekannten keinen, der das gut findet.