piwik no script img

MigrationsdebatteEndlich Markus Lanz abschieben …

Mohamed Amjahid
Kommentar von Mohamed Amjahid

… denkt Friedrich Merz wohl nicht. Und trotzdem herrscht aktuell die typisch deutsche fünfte Jahreszeit: Karneval alias Migrationsdebatte.

Spitzen von CDU und SPD beim Spitzengespräch im Kanzleramt. Thema: „Deutschlandpakt“ Foto: Britta Pedersen/dpa

I n Deutschland existieren sechs Jahreszeiten: Winter, Frühling, Sommer, Herbst, Karneval und Migrationsdebatte. Es ist wieder so weit, die Po­li­ti­ke­r*in­nen überbieten sich mit Recht und Ordnung, fordern immer härtere Maßnahmen gegen Geflüchtete. Sie wollen die Migration begrenzen und „endlich im großen Stil“ abschieben. So verkündete es zumindest Bundeskanzler Olaf Scholz im Gespräch mit dem Spiegel.

Oppositionsführer Friedrich Merz muss da noch einen drauflegen und verknüpft die abscheulichen antisemitischen Vorfälle, die sich derzeit auf Deutschlands Straßen abspielen, mit seiner eigenen rassistischen Agenda: Deutsche Staatsbürgerschaft nur für jene, die sich zu Israel und gegen Antisemitismus bekennen, fordert Merz schlagzeilenträchtig.

Der allseits beliebte ZDF-Moderator Markus Lanz wäre mit dieser Forderung wohl nie Deutscher geworden. Er ist, so geht es aus einigen Quellen im Netz hervor, eingebürgerter Südtiroler und hatte vor einigen Tagen in seinem Pod­cast dem Unterhaltungsphilosophen Richard David Precht bei einer antisemitischen Tirade zugenickt, Zuspruch geschenkt und auf Druck nur halbherzig entschuldigt.

Abgesehen davon müsste laut dem neuesten Plan aus der Union die halbe bayerische Landesregierung abgeschoben werden, die denken eh, sie seien Ausland. Aber jetzt mal Satire beiseite: Wie oft wollen deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen noch solche Migrationsdebatten anzetteln? Warum kehrt dieses Phänomen resistent immer wieder in den deutschen Diskurs ein? Und was kann man gegen diese spezielle Gesprächsklimakatastrophe tun?

Merz, Scholz und Co ist wohl nicht mehr zu helfen

Womöglich weil es längst nicht mehr um die sachliche Auseinandersetzung mit Zahlen und Fakten geht, ist der menschengemachte Verfall der Worte nicht mehr wirklich aufzuhalten. Wenn die Aussage „Massenmigration“ auf eine Handvoll wöchentlicher Grenzübertritte von Menschen zurückgeht, die im Gros sogar ein verbrieftes Recht auf Asyl haben, weil sie aus Kriegsgebieten in Afghanistan oder Syrien stammen, dann ist Merz, Scholz und Co nicht mehr zu helfen.

Jeder von ihnen möchte der härteste Sheriff im Berliner Regierungsviertel sein, da spielt es keine Rolle, dass es nebenbei noch eine Realität gibt. Da spricht man mit einer Wand, wenn man auf geltendes internationales Recht, Migrationsstatistiken und humanitäre Verpflichtungen verweist.

Abgesehen davon scheint es so, dass die politischen Agenden der Parteien nicht so stringent formuliert werden. Wenn gerade nicht Migrationsdebatte ist, wird in Deutschland über den Fachkräftemangel lamentiert. Um mal ein neoliberales Argument auszuleihen: Deutsche werden sich noch wundern, wenn sie ihre Großeltern und Eltern in Altersheime abschieben und dort niemand ist, der die Windeln wechselt. Shit happens.

Olaf Scholz und Friedrich Merz werden als reiche Luxuspensionäre nicht davon betroffen sein, dass diese Art von wichtiger gesellschaftlicher Aufgabe von immer weniger Arbeitskräften erfüllt werden kann. Allerdings werden sich ihre Wäh­le­r*in­nen in einigen Jahren noch wundern, wenn Opi und Omi niemand pflegen wird.

Abgesehen davon, dass die Würde des Menschen nicht an seinem Wert für den deutschen Arbeitsmarkt hängen kann, bleiben solche pauschalisierenden Migrationsdebatten ein wiederkehrendes deutsches Phänomen. Sie kommen und gehen, werden in der Endlosschleife abgespult, arbeiten dabei mit Ängsten, Ressentiments, Rassismus und auch Antisemitismus (es gibt genug Menschen in diesem Land, die von der antisemitischen Trope überzeugt sind, das Judentum stecke hinter der imaginierten Massenmigration).

Nach widerlegten Behauptungen, Menschen würden nur wegen Zahnbehandlungen ihr Leben riskieren und nach Deutschland kommen (Copyright Merz) und der Forderung, Angehörige sogenannter arabischer Clans sollten abgeschoben werden, auch wenn sie keine Straftaten begangen haben (Copyright Innenministerin Nancy Faeser), nach den performativ-bürokratischen Plänen, Geflüchtete nur noch mit Bezahlkarten auszustatten anstatt mit Bargeld, und weiteren unzähligen diskursiven Tiefpunkten, die die Landes- und Bundespolitik in Deutschland ausmachen, bedarf es hier einer kleinen Korrektur: Eigentlich gibt es in Deutschland nur fünf Jahreszeiten, weil Migrationsdebatten doch in die Kategorie Karneval fallen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
Mehr zum Thema

25 Kommentare

 / 
  • Ja, so isser, der Oberzahnarzt der Republik. Immer mal wieder einen raushauen.

  • Ich wünsche mir Sebastian Fiedler, der Polizist, als Innensenator. Der Mann kennt sich aus und weiß, was zu tun ist, auch in Europa.

  • "Wenn die Aussage „Massenmigration“ auf eine Handvoll wöchentlicher Grenzübertritte von Menschen zurückgeht, "



    Genau diese Realitätsverweigerung sorgt beschleunigt dafür, dass sich immer mehr Menschen von extremistischen Parteien angezogen fühlen.

  • Der Autor tut sich und der Migrationsdebatte keinen Gefallen, wenn er munter verschiedene Arten der Migration vermengt, Probleme schlicht verneint und in populistischster Manier auf alles eindrischt, was nicht seiner Meinung entspricht.

    Das ein Problem mit Antisemitismus in bestimmten Einwanderungsmilieus, sprich dem arabisch-muslimischen gibt ist es Fakt der auch nicht dadurch relativiert wird, dass es auch einen autochthonen Antisemitismus gibt (der sich aber wohlgemerkt nicht so virulent äußert). Dass wir Einwanderung in den Arbeitsmarkt brauchen steht außer Frage und wird auch von der CDU nicht in Abrede gestellt. Dass aber eine ungesteuerte Migration dafür nicht die Lösung ist, steht ebenfalls außer Frage (obwohl, sieht der Autor wahrscheinlich anders). Und das es eine faktische Obergrenze geben wird, sollte ebenfalls jedem Realisten klar sein. Diese wird bestimmt werden von den Kapazitäten in jeder Dimension und von der Aufnahmebereitschaft. Letztere wird mit einem einfachen „Weiter so“ und der Unfähigkeit abgelehnte Asylbewerber auch außer Landes zu schaffen immer schneller erodieren. Die Erfolge der AfD sollten jedem denken Menschen ein unmissverständliches Warnsignal sein. Insofern ist es gut, wenn auch die etablierten Parteien die Zeichen der Zeit erkennen und sich endlich dem Thema Migration annehmen statt es zu beschweigen, zu beschönigen oder eben zu dämonisieren.

    • @Fran Zose:

      Ach ja, das „Vermengen“… das macht die Politik ständig. Und unterschlägt/verdreht, dass es kracht: Beliebt ist ja auch z.B. der Spruch von der „Einwanderung in unsere Sozialsysteme“ … ja, ich denke da gerade an die Saisonarbeiter (z.B. aus Rumänien), die den wichtigen deutschen Spargel ernten. Eine ungemein leichte Arbeit, nur wenige Stunden am Tag, viel Freizeit und vor allem üppigste Sozialleistungen - eigentlich Hängematte pur.

    • @Fran Zose:

      Danke für ihre sachliche Analyse, dem ist nichts mehr hinzuzufügen.

  • Es geht immer auf die Schwachen bzw. die Minderheiten.

  • Die doitsche Mitte war immer auch braun und wird es bleiben. Ohne diese Grundeigenschaft des sogenannten bürgerlichen Lagers hätte der NS keine Steigbügelhalter und hätten die Rechtsextremisten der AfD nie solchen Erfolg gehabt. Wer mehr Angst vor Antifaschismus als vor rechtem Populismus hat, zündelt gern. Und ein Menschenfreund war Merz (bitte gern unzählige christliche Gefährder ergänzen) nie. Nur ein Karrierist. Scholz war übrigens der, der zusammen mit Ronald Schill den schon mal tödlichen Brechmitteleinsatz geil fand. Gebt ihnen Macht, und ihr erfahrt Dinge, die ihr dann "nie gewusst" habt.

  • Nur leider ist diese sechste Jahreszeit entscheidend für die nächsten Wahlen.



    Egal wie sehr man sich jetzt über den Ton von Merz, Scholz oder Faeser aufregt, ändert es doch nichts daran, dass ein großer Teil der Bevölkerung bei den nächsten Wahlen genau auf dieses Thema schaut und Parteien wählen werden, die noch extremere Töne anschlagen.

  • @WILLI MÜLLER ALIAS JUPP SCHMITZ

    Deprimierend, oder? Ich muss mich ja sehr zurückhalten, diesen unsympathischen Menschen nicht eine Fluchterfahrung zu wünschen. Einfach nur, dass sich ihr Horizont erweitern möge.

    Wenn man allerdings sieht, was die Covid-Erfahrung bei Boris Johnson bewirkt hat wäre zu befürchten, dass auch das an diesen Menschen abperlt -- möglicherweise zeigen sie ihren eigenen Fluchthelfer als Schleuser an.

  • Also, wenn ich sehe, wie der Düsseldorfer Oberbürgermeister und auch Bürger, die friedlich an der Seite auf der Palästinenser Demo in Düsseldorf bedroht wurden, können die Forderungen gar nicht weit genug gehen. Praktisch haben solche Forderungen leider keine Relevanz, aber ich kann es irgendwo verstehen.

    (...)

    Kommentar bearbeitet. Bitte halten Sie sich an die Netiquette. Die Moderation.

    • @Golzi:

      Was willst du hier bitte mit dem "Gesetz der großen Zahlen andeuten"?

  • Natürlich müssen wir eine Migrationsdebatte führen. Sonst tun es andere. Wie die AFD. Und ich würde mich freuen wenn jemand wie der Autor, der sagt das wir Migration unbegrenzt zulassen müssen, auch vernünftig erklären kann wie man das umsetzen kann. Da rede ich von Schulen, fehlenden Lehrern, fehlenden Wohnungen, Sozialarbeiter, Unterkünfte, die Probleme der Tafeln usw.

    Da würde ich mir mal wirklich kluge Konzepte wünschen.

    • @Müller Christian:

      Da kann ich Ihnen nur zustimmen. Große Worte im Artikel, kein Lösungsansatz. Einseitige Sichtweise, statt Aufklärung.

  • Genau das ist ein Problem Ihre einseitige Sicht auf die Debatte.



    Die Belastungsgrenze in den Kommunen? Die fehlenden Wohnungen und ja auch das Verhalten einiger Zugewanderter aus anderen Ländern .



    Es sind zuviele Nazis hier!



    Wünschenswert wäre ein Verschwinder aller Nazis hier.



    Zu unserer braunen Nazisippe ist eine grosse Zahl aus den arabischen Ländern dazugekommen.



    Diejenigen, die Anspruch auf Asyl haben sollen das auch erhalten. Die anderen müssen gehen sonst kippt die Akzeptanz.



    Ist nicht schön. Ist aber überall so.



    Ein Blick über den Tellerrand hilft weiter.

  • Olaf Merz und Friedrich Scholz warten doch nur darauf, dass sich Nancy Faeser als Kalamity-Jane zu ihnen gesellt...



    🤮🤢🤮🤢

  • Es lässt sich eben prima mit diesen unsäglichen Debatten vom eigenen Versagen ablenken! Feindbilder - Grüne, Linke, Migranten, Juden - aufzubauen, ist Kernkompetenz sogenannter Konservative. Die CDU war schon immer zutiefst rassistisch und reaktionär. Ich erinnere da gerne mal an die Gastarbeiter-Debatten samt ganz offen zur Schau getragenen Rassimus aus den 70ern.



    Dass die SPD unter Scholz ebenfalls in diesen Chor einstimmt, wundert nicht. Diese Partei hat das Soziale seit Gerhard Schröder an der politischen Garderobe abgegeben.



    Die FDP ist ohnehin ein neolibertärer Bremsklotz gegen jede soziale Politik. Deutschland braucht nicht einmal die AfD, um in den Abgrund gesteuert zu werden. Das erledigen CDU, FDP und SPD schon für sie.

    • @Minelle:

      Man soll weniger auf den splitter im Auge des Bruders, sondern auf den Balken vor dem eigenen Blick achten...

    • @Minelle:

      Bemerken Sie eigentlich dass sie sich selbst einige Feindbilder aufgebaut haben?

      • @Müller Christian:

        Vergleichsweise harmlose Antworten auf das, was da von der Politik rausgehauen wird (Partei mit C, hahaha)…

  • Viele Bürger wollen eine Begrenzung der Migration. Wenn Politker das ignorieren, laufen ihnen die Wähler*innnen davon.

  • Mal ganz ehrlich, auf Lanz könnte ich gerne verzichten.



    Es wundert mich ohnehin, dass seine fragwürdigen Selbstdarstellungen, andere nennen es Talkshow, so viele Zuschauer hat. In seinen Sendungen geht es doch in erster Linie immer um ihn selbst und seine Meinung, alles andere drückt er weg.



    Meinetwegen könnt ihr ihn abschieben (Achtung Ironie!)

  • Solche Beiträge wie diesen hier oben verkennen die Probleme der unkontrollierten Zuwanderung nach Europa.



    Es ist auch noch nicht Karneval.

  • "Wenn die Aussage „Massenmigration“ auf eine Handvoll wöchentlicher Grenzübertritte von Menschen zurückgeht,"

    --> Der Kampfbegriff "Massenmigration" lässt sich nicht mit Fake-News bekämpfen. Eine Handvoll Grenzübertritte wären wörtlich maximal 5. Weiten wir das mal großzügig aus auf das Zehnfache, das wären 50 Grenzübertritte am Tag.

    Das ist bezogen auf 2022 und 2023 noch nicht einmal ansatzweise an der Realität und liegt um den Faktor 10 unter den echten Zahlen. 2022 gab es ca. 218.000 Asylerstanträge, also echte Neuanträge von Personen, die erstmals ins Land kamen, also die "Grenzübertritte" von Herrn Amjahid. 2023 waren es bis September knapp 234.000 Erstanträge.

    Macht eine Zahl von knapp 600 Grenzübertritten im Jahr 2022 und (Stand September) 857 pro Tag im Jahr 2023. Die Behauptung es handele sich nur "um eine Handvoll (also maximal 5) Grenzübertritte" wird also um den Faktor 171 verfehlt. Wann fängt ein Kommentar eigentlich an von einer pointierten und zugespitzten Formulierung abzudriften in Verbreitung von Fake News?

    Und welche Gedanken muss man eigentlich heben, um das Bekenntnis zu Antisemitismus und dem unverbrüchlichen Existenzrechts des Staates Israel als "rassistisch" zu brandmarken? Seit wann gewährt die taz dem Antisemitismus Platz?

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Herr Amjahid hat recht, auch wenn er es nicht so explizit ausspricht bzw. schreibt:



    An der gegenwärtigen Abschiebe-Überbietungsdebatte erkennt man die ganze Erbärmlichkeit des aktuellen politischen Spitzenpersonals der sich daran in hyperventilierender Schnappatmung beteiligenden Parteien.



    Bei den braunen muss das niemanden wundern.



    Bei der "Mitte" fragt man sich verwundert:



    Hat unser Land mit seiner fürchterlichen jüngeren Geschichte, aus der letztlich das Asylrecht entstand (das übrigens schon durch den 16a an allen Gliedmaßen amputiert wurde) wirklich nur solche Leute für politische Spitzenämter?