Bitterer Wahlabend für die Linkspartei: Wenn nur noch Pathos übrig bleibt
In Hessen aus dem Landtag geflogen, in Bayern unter der Wahrnehmungsschwelle: Für die Linkspartei enden die Landtagswahlen mit einem Desaster.
Kein Wunder, denn auch wenn die Landtagswahlergebnisse in Hessen und Bayern keine Überraschung sind, sind sie doch eine Katastrophe für die Linke. Besonders das Abschneiden in Hessen, wo die Partei nach den ersten Hochrechnungen mit knapp über drei Prozent krachend den Wiedereinzug in den Landtag verpasst hat, schmerzt schwer. Die Linke sei „offensichtlich nicht ausreichend durchgedrungen“ und könne „derzeit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht werden“, räumte Schirdewan ein. „Wir werden intensive strategische Debatten führen müssen.“
Auch wenn sich die Spitzenkandidat:innen Elisabeth Kula und Jan Schalauske bis zum Wahltag in Zweckoptimismus geübt hatten, ist es ihnen nicht gelungen, den hessischen Landesverband vom Abwärtstrend der Bundespartei abzukoppeln. Selbst das am Freitag abgelegte öffentliche Bekenntnis der früheren SPD-Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti, diesmal die Linke zu wählen, da es „eine eindeutig linke Partei im Landtag für den ökologischen Umbau, die soziale Frage und Antifaschismus“ brauche, hat daran nichts mehr ändern können. Nach mehr als 15 Jahren ist die Zeit der Linken im Wiesbadener Stadtschloss beendet.
Besonders bitter ist die Niederlage für die Parteivorsitzende Janine Wissler, die ausgerechnet im Wahlkampfschlussspurt eine Coronainfektion außer Gefecht gesetzt hat. Bis zu ihrem Wechsel in die Bundespolitik vor zwei Jahren war sie Gesicht und Stimme der hessischen Linken. Mit ihr schaffte die Partei viermal hintereinander den Sprung in den Landtag.
Nun steht die 42-jährige Frankfurterin vor einem Scherbenhaufen. „Wir müssen uns fragen, was wir falsch gemacht haben“, kommentierte Wissler in der ARD das Wahlergebnis. Klar sei, dass die Linke sich jetzt neu aufstellen müsse. Sie wolle dafür kämpfen, „dass die Linke wieder stark wird“. Es brauche eine Kraft für soziale Gerechtigkeit.
Letztes Flächenland im Westen verloren
Das hessische Desaster ist mehr als ein Menetekel. Es schließt sich ein Kreis. Denn Hessen und Niedersachsen waren im Januar 2008 die ersten Flächenländer im Westen, in denen die Linkspartei die Fünf-Prozent-Hürde knacken konnte. Es folgten 2009 das Saarland und Schleswig-Holstein sowie 2010 Nordrhein-Westfalen. Das schien der Durchbruch im Westen zu sein.
Das aber war ein Irrtum. In Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein flog die Partei jeweils direkt beim nächsten Wahlgang wieder raus, das Saarland ging im März 2022 nach dem Austritt Oskar Lafontaines verloren. Nun ist auch Hessen futsch. Damit gibt es auf dem Gebiet der alten BRD jenseits der Stadtstaaten die Linkspartei parlamentarisch nicht mehr. Sie ist de facto wieder das, was einst die PDS war: eine Ostpartei.
Anders als in Hessen war in Bayern für die Linkspartei noch nie etwas bei einer Landtagswahl zu holen. Vor fünf Jahren lag sie mit 3,2 Prozent allerdings immerhin noch über der Wahrnehmungsschwelle, diesmal tummelt sie sich mit weniger als 2 Prozent nur noch im weiten Feld der Splitterparteien. Daran konnte auch der engagierte Wahlkampf von Spitzenkandidatin Adelheid Rupp nichts ändern. Die 65-jährige Rechtsanwältin, die von 2003 bis 2013 für die SPD im bayerischen Landtag saß, war erst 2020 in die Linkspartei eingetreten.
Dass es selbst in dem konservativ geprägten Freistaat zumindest in der Vergangenheit ein Potential für ein besseres Abschneiden gegeben hat, zeigen demgegenüber die Ergebnisse der Bundestagswahlen von 2009 und 2017, bei denen die Linkspartei jeweils mehr als sechs Prozent in Bayern holen konnte. Doch das war damals dem Bundestrend geschuldet.
Abgang aus der Linksfraktion
Der lange von dem WASG- und Linke-Mitgründer Klaus Ernst sowie innerparteilichen Streitereien dominierte Landesverband hat hingegen nie ein Bein auf den Boden bekommen. Ernst ist mittlerweile auf dem Absprung: Es gilt als sicher, dass der 68-jährige Bundestagsabgeordnete an vorderster Front mit dabei sein wird, wenn Sahra Wagenknecht den offiziellen Startschuss zur Abspaltung gibt.
In Anspielung auf Wagenknecht und ihre Anhängerschaft sagte Schirdewan, zur Wahrheit gehöre, „dass es in der Partei eine Gruppe von Leuten gibt, deren Ziel offensichtlich darin besteht, ständig Integrität und Glaubwürdigkeit der Linken zu beschädigen“. Das zerstöre die Partei von Innen. In dieses Bild passten auch die jüngsten Meldungen über eine Vereinsgründung aus dem engeren Umfeld Wagenknechts, zu deren Ziel laut Satzung die Gründung einer anderen Partei gehöre.
Wobei Wagenknecht und Co. nicht die Ersten sein werden, die die Linksfraktion verlassen. Der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze ist ihnen zuvorgekommen. Laut Saarbrücker Zeitung will der schillernde Lutze, dessen nicht uneigennützige Scharmützel mit Lafontaine entscheidend für den Niedergang der Linken im Saarland waren, in die SPD-Bundestagsfraktion wechseln. Entsprechende Gespräche mit SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hätten bereits stattgefunden.
Die Sozialdemokrat:innen im Saarland zeigten sich allerdings nicht begeistert über den möglichen Neuzugang. Es sei „die einhellige Haltung des Präsidiums der Saar-SPD“, Lutze nicht in die Partei aufzunehmen, teilte ein Sprecher am Sonntag mit. „Wir importieren uns nicht die innerparteilichen Konflikte der Saar-Linkspartei.“
Wie auch immer: Der Erosionsprozess in der Linken schreitet voran. Gleichwohl weint Schirdewan Lutze keine Träne nach. Dessen Austritt sei „eher als Chance“ zu sehen, sagte der Linken-Vorsitzende. Schirdewan will lieber nach vorne schauen. Die Linkspartei befinde sich in einem Erneuerungsprozess. „Unser Comeback beginnt heute.“ Eine mutige Aussage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video