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Antisemitismus im KulturbetriebPermanente Grenzüberschreitung

In Kunst und Kultur wird Terror gegen Israel gefeiert. Der Kongress „Reclaim Kunstfreiheit“ stellt sich in Berlin die Frage: Wie kann man dem begegnen?

Das verhüllte Großbanner „People's Justice“ auf der documenta in Kassel Foto: Uwe Zucchi/picturealliance/dpa

Nichts ist mehr, wie es war. Seit Samstag in Israel, wo mittlerweile über 1.200 Zi­vi­lis­t:in­nen brutal von den Terroristen der Hamas getötet, gefoltert und vergewaltigt wurden, bis zu hundert Menschen noch immer verschleppt in Gaza sind.

Alles ist auch anders für Jüdinnen und Juden in der Diaspora, die nicht nur um Freun­d:in­nen und Familie in Israel bangen, sondern den Hass auf Juden gleichzeitig auch auf den Straßen und in sozialen Medien zu spüren bekommen.

Wie spricht man in diesen Tagen, in denen das wohl größte Pogrom gegen Juden seit der Shoa passiert, über Antisemitismus in Deutschland? Konkret im Kunst- und Kulturbetrieb? Ist das überhaupt möglich? Angebracht? Das ist die Herausforderung, vor der das Institut für Neue Soziale Plastik seit Dienstag in Berlin steht.

Das 2015 von antisemitismuskritischen und jüdischen Künst­le­r:in­nen gegründete Institut, das sich der Antisemitismusprävention verschrieben hat, startete seinen Kongress „Reclaim Kunstfreiheit. Antisemitismuskritik, Kunst und Kultur“, der einst als Reaktion auf die Documenta fifteen konzipiert wurde. Zahlreiche antisemitische Werke waren damals auf der Documenta ausgestellt worden.

Typische Muster

Die Reaktionen der Verantwortlichen folgten einer bekannten Routine, die nach antisemitischen Vorfällen zu beobachten sind. Es wurde sich entschuldigt, Unwissenheit vorgeschoben und von verletzten Gefühlen gesprochen. So hatte zum Beispiel das indonesische Kollektiv Taring Padi reagiert, auf dessen Agitprop-Bild auch antisemitische Bildstereotype in Stürmer-Tradition zu sehen waren.

Stella Leder, Mitbegründerin des Instituts für Neue Soziale Plastik, sagt nun der taz. „Wir erleben diesen Kongress als Team anders, weil das Gefühl von Freude nicht herstellbar ist. Menschen sagen uns für den Kongress ab, weil sie betroffen sind oder ihre Familien in Israel.“

So wird der Kongress zu einem, der stattfindet „trotz“ der Ereignisse in Israel. Und dieses „trotz“, das der Mitbegründer Benno Plassmann in seiner Eröffnungsrede im Roten Salon der Volksbühne Berlin betont, hat im Kontext des Kongress­themas einen widerständigen Charakter. Denn es sind nicht zuletzt Menschen aus dem Kunst- und Kulturbetrieb, die aktuell die Morde an jüdischen Zi­vi­lis­t:in­nen als „Freiheitskampf“ oder legitimen „Widerstand“ feiern.

Dass in Berlin-Neukölln Demonstranten die Terrorakte der Hamas bejubelten, „Viva, viva, Palästina!“ gerufen wurde, gefiel Reza Afisina und Iswanto Hartono, Ruangrupa-Mitglieder und ehemalige Documenta-Kuratoren. Jedenfalls hinterließen sie bei einem Video dieser Kundgebung, das auf dem Instagram-Account „Real documenta“ hochgeladen wurde, ihre Likes. Der Account ist keine offizielle Vertretung der Documenta. Wer dahintersteht, ist unklar.

Eigenartig, denn im Oktober 2022, als es Proteste gegen ihre Gastprofessuren an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg (HFBK) gab, betonten Afisina und Hartono noch, keine Antisemiten zu sein. Die Jüdische Allgemeine hat die Künstler um Stellungnahme gebeten. Dieses steht noch aus.

Gegenüber der Hessisch/Niedersächsisch Allgemeinen (HNA) erklärten sie jedoch, die Likes seien ein Fehler gewesen. Sie hätten gedacht, auf ein Video einer Demo Ende September reagiert zu haben. Inwiefern dies weniger problematisch sein soll, bleibt offen. Ihre Likes haben sie mittlerweile entfernt. Documenta-Geschäftsführer Andreas Hoffmann hatte sich am Montag mit deutlichen Worten von Afisina und Hartono distanziert. In einer Pressemitteilung erklärte er, dass die Likes der Mitglieder des Kuratorenkollektivs Ruangrupa „unerträglich und inakzeptabel“ seien.

Antisemitische Posts

Propalästinensische Demonstranten, die den Terror bejubeln – dieser Post, der mit „Berlin up for Palestine tonight“ betitelt ist, gefällt (Stand Donnerstag) weiterhin 87 Menschen auf Instagram. Darunter sind noch immer namenhafte Künst­le­r:in­nen wie der Fotokünstler Adam Broomberg, für den Israel ein „Apartheidsstaat“ ist und der von 2015 an ebenfalls an der HFBK lehrte. 2021 beendete die Hochschule wegen seiner Apartheid-Aussage die Zusammenarbeit mit ihm. Aktuell ist er Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe (HfG).

Broomberg likt auch weitere Videos des Instagramaccounts „Real documenta“, unter anderem eines, das eine propalästinensische und antisemitische Demonstration vor der israelischen Botschaft in London feiert. Auf dieser Demonstration wurden Parolen wie „Juden ins Gas“ skandiert sowie Zionismus mit Rassismus gleichgesetzt.

Zudem teilt Broomberg auf seinem privaten Instagram-Account Beiträge, die unter anderem die Verschwörungserzählung beinhalten, Israel hätte die Ermordung und Enthauptung von Babys inszeniert. In einem anderen Post wird ein Vergleich zwischen Israel und Nazipropaganda hergestellt. Auf Anfrage der taz sagt die Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, Broomberg vertrete als Gastdozent nicht die Positionen der HfG. Die Posts seien der Hochschule bislang nicht bekannt gewesen. Man gehe den Vorwürfen nach, brauche dafür erst einmal Zeit. „Die HfG verurteilt den terroristischen Überfall der Hamas auf jüdische Zivilisten in Israel aufs Schärfste. Auch Antisemitismus in Deutschland wird von der HfG nicht akzeptiert“, heißt es außerdem.

Auch Künstler Jota Mombaça, der derzeit eine Ausstellung im Center for Contemporary Arts (CCA) in Berlin hat, likt das Video der feiernden propalästinensischen Demonstranten in Berlin. Erst Ende September fand im CCA, einem Ort, der von sich selbst behauptet, „kritisches Wissen über Kunst und Kultur“ zu fördern und zu kultivieren, ein Gespräch zwischen Mombaça und Edwin Nasr statt, Ku­ra­to­r:in der Ausstellung.

Nasr hat ebenfalls mit Instagram-Posts Freude über den Terror in Israel ausgedrückt. Wie die Welt zuerst berichtete, teilte Nasr unter anderem am 8. Oktober eine Bildcollage, auf der fliehende Partybesucher des Wüsten­raves zu sehen sind, die von der Hamas gejagt werden. Darüber prangt in roter Schrift „Poetic Justice“, poetische Gerechtigkeit. Der Screenshot liegt der taz vor. Mittlerweile ist bekannt, dass mindestens 260 der Fes­ti­val­teil­neh­me­r:in­nen von den Terroristen der Hamas kaltblütig ermordet wurden.

Nasr selbst gibt gegenüber der taz zu, die Collage verbreitet zu haben – Ur­he­be­r:in sei Nasr jedoch nicht. Zum Zeitpunkt der Verbreitung habe es laut Nasr keinerlei Informationen über ein Massaker an den Festivalbesuchern gegeben. „Wir dachten nur, dass ihre Party von Gleitschirmfliegern gestört wurde. Ich kann immer noch nicht begreifen, warum die Leute vor einem Freiluftgefängnis tanzen und feiern, in dem die Bewohner des Gazastreifens kaum Zugang zu medizinischer Versorgung und Lebensmitteln haben“, sagt Nasr. Nasr habe das Foto entfernt, nachdem Nasr erfahren habe, was tatsächlich passiert war.

Auf seiner Website weist das CCA in einer Antidiskriminierungsklausel daraufhin hin, keine „diskriminierende Handlungen und Äußerungen aufgrund rassistischer und antisemitischer Zuschreibungen, ethnischer Herkunft, Staatsangehörigkeit“ zu akzeptieren. Für die Positionen ihres Kurators und eines ausstellenden Künstlers scheint es Ausnahmen zu geben. Zu den Vorwürfen äußerte sich das CCA auf Anfrage der taz bis Redaktionsschluss nicht.

Kritik an Israel gehört zum guten Ton

Menschen wie die eben aufgezählten werden in Deutschland gefeiert; sie werden mit Preisen und Förderungen ausgezeichnet, erhalten Lehraufträge. Das überrascht nicht. Antisemitische Kritik an Israel gehört in der Szene zum guten Ton. „Wir bekommen aktuell mit, wie sich Kurator:innen, Künst­le­r:in­nen und andere Menschen aus dem Kunst- und Kulturbereich kritisch zu Israel äußern, wie sie Gewalt verharmlosen. Wenn ein Pogrom gegen Juden stattfindet, scheint das für viele akzeptabel zu sein“, sagt Stella Leder.

Dass es sich längst nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein strukturelles Problem, darauf weist auch das Institut für Neue Soziale Plastik immer wieder hin. Leder beklagt, dass es seit der Documenta fifteen weder auf Bundesebene noch auf Ebene der Länder kulturpolitische Konsequenzen ge­geben hat. „Für mich stellt sich bis heute die Frage, wie das Kuratierungsteam der Documenta zustande kommen konnte, warum die Findungskommission nicht anders gehandelt hat, warum die zuständigen Verwaltungen diese so besetzt haben.“

Es gibt auch positive Entwicklungen. So konnte das Institut für Neue Soziale Plastik ein Netzwerk mit antisemitismuskritischen und jüdischen Künst­le­r:in­nen initiieren, sagt Leder. Das Institut bekomme zudem mehr Anfragen von Kultur­institutionen, die sich Rat holten. „Darunter sind auch Institutionen, die sagen, sie hätten BDS unterschätzt.“

Mittlerweile solidarisierte sich der Deutsche Bühnenverein in einem Statement am Dienstag mit Israel. „Der Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel erschüttert uns zutiefst. Wir sind in Gedanken bei den Opfern der feigen Gewalttaten, bei ihren Angehörigen und bei allen, die derzeit um ihre Zukunft bangen. Die Sicherheit Israels ist zu Recht Teil der deutschen Staatsräson“, heißt es darin. Das Schauspielhaus in Hamburg hat sich diesem Statement angeschlossen. Auch die Kammerspiele München verurteilen die Angriffe auf israelische Zi­vi­lis­t:in­nen in einer kurzen Meldung.

Leder findet diese Solidarisierung gut, „vor allem, weil Kulturinstitutionen und Künst­le­r*in­nen sich in den letzten Jahren eher israelfeindlich geäußert haben – oder gar nicht“. Sie weist aber auch darauf hin, dass es schön wäre, „wenn es nun eine breite Solidarisierung geben würde, um den israelfeindlichen Aussagen, die wir in den letzten Tagen gehört haben, etwas entgegenzusetzen“.

Klar ist auch: Wer diese Statements ernst meint, muss sich zukünftig daran messen lassen. Das heißt konkret: Antisemitismus darf im deutschen Kunst- und Kulturbetrieb keinen Platz finden.

Das Institut für Neue Soziale Plastik führt seinen Kongress bis kommenden Montag fort. Ein für Freitag geplantes Thea­terstück wurde jedoch abgesagt, da es auf den ersten Schabbat nach den Angriffen auf Israel fällt.

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9 Kommentare

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  • Zum Thema BDS an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe ist am Freitag ein Artikel in der NZZ erschienen:

    www.nzz.ch/feuille...44#google_vignette

  • "Antisemitische Kritik an Israel", schreibt die Autorin. Jetzt sollte sie oder die Taz erklären, wie nicht antisemitische Kritik an Israel aussieht. Am besten wäre es, konkrete Beispiele zitieren.

    • @Bescheidener Kunsthandwerker:

      Sehr einfach:



      Indem man die Komplexität des Geschehens niemals außen vor lässt.



      Es gibt keine Israelkritik ohne Kritik der Palästinenser (und anderer arabischer "Freunde", die dieses Land nur zu hern benutzen - ohne je einem Palästinenser Bürgerrechte einzuräumen).

      • @Romilia:

        Die konkrete Beispiele fehlen. Wenn ich meine, das die Ausbreitung der israelischen Siedlungen rechtswidrig ist, ist das schon antisemitisch, oder soll ich im gleichen oder im nächsten Satz auch die Palästinenser kritisieren?

  • Die Frankfurter Rundschau zur documenta: "Daran, dass Antisemitismus eben solcher ist, ändert sich nichts, wenn er als Kunst verkauft wird – und hier geht es nun eben darum, Antisemitismus als Kunst vorzutragen, in der Hoffnung, man könne sich unter dem Label der Kunst tarnen. Dieses Label funktioniert aber über einen Umweg, wenn versucht wird, Antisemitismus hinter einem vermeintlich Globalen Süden zu verstecken, also andere das Ressentiment vortragen und man selbst dabei auf der moralisch richtigen Seite stehen will."

    Das antiimperialistische Weltbild wendet sich dabei nicht nur gegen Israel und Amerika, sondern gegen alles, was mit diesen assoziativ verbunden wird: gegen die Aufklärung und den Liberalismus, gegen die Moderne und die Individualität, gegen die Freiheit und die Demokratie – kurzum gegen jede Weltanschauung, die dem Menschen individuelle Freiheit und subjektives Glück verspricht. Dagegen stellen Antiimperialist:innen eine Vorstellung von homogenen Gemeinschaften, in der der/die Einzelne nichts, das Kollektiv aber alles zählt.

    www.fr.de/kultur/g...itik-91713443.html

    Auf Juden und Jüdinnen wird all das projiziert, was abgelehnt wird. Das Ziel, das mit dem barbarischen Terrorkrieg, der aktuell stattfindet, verfolgt wird, findet sich im Kulturkampf.

    Die Hamas-Kämpfer, die Menschen demütigen, vergewaltigen, entführen und abschlachten, suchen nicht den Anschluss an die politische Architektur des 21. Jahrhunderts. Ihr Projekt ist die Vernichtung der Moderne, die Auslöschung aller Fortschritte der Gesellschaft, die Eliminierung all dessen, was Menschen unternehmen, um ein schöneres Leben zu haben. Z. B. ein Rave-Festival.

    taz.de/Islamismus-...Fussball/!5962550/

    Sag mir wer deine Freunde sind, und ich sage dir wer du bist.

    Mit diesen rotbraunen Teilen des Kunst- oder Kulturbereichs möchte man wahrhaftig nichts zu tun haben.

  • Das Bild, das im Beitrag gezeichnet wird, scheint mir doch - und das ist gut so - uneindeutiger zu sein, als die Überschrift "In Kunst und Kultur wird Terror gegen Israel gefeiert." vermuten lässt.

  • "Klar ist auch: Wer diese Statements ernst meint, muss sich zukünftig daran messen lassen. Das heißt konkret: Antisemitismus darf im deutschen Kunst- und Kulturbetrieb keinen Platz finden."

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    Da können wir ja direkt bei der documenta anfangen, wo vor nicht allzulanger Zeit SS-Runen als Augen und Schweinsnasen als Nase auf Bildern von Juden künstlerisch äusserst wertvoll war, die Künstler in Rekordzeit eine Gastprofessur bekamen, und nun in den sozialen Netzen die Hamas bejubeln.

    Frau Roth, übernehmen sie hier mal bitte....es ist so verdächtig ruhig.

  • Die derzeitige Situation sollte als Chance gesehen, sich von einigen Personen im Kunstbetrieb zu trennen/dauerhaft zu distanzieren.

    Bereits in der Vergangenheit ist mir die große Unterstützung von BDS im Kulturbetrieb unangenehm aufgefallen. Dieser Fokussierung auf und Besessenheit mit Israel.

  • Man wird dieses Denken nicht verbieten können. Man kann diesen Leuten aber die Finanzierung entziehen und sie kompromisslos als das brandmarken, was sie nunmal sind: Antisemiten.

    Wenn diese Politik mit der nötigen Konsequenz verfolgt würde, wäre schon viel erreicht!