piwik no script img

Wasserstoff-Anlage im NaturschutzgebietVögel sollen Energiewende weichen

Im Natur- und EU-Vogelschutzgebiet Voslapper Groden-Nord bei Wilhelmshaven soll eine Wasserstoff-Anlage gebaut werden. Nun formiert sich Widerstand.

Zwischen Tanklager und Kunststoffwerk: Im Voslapper Groden-Nord leben heute Dutzende Vogelarten Foto: Hans-Jürgen Zietz

Osnabrück taz | Dünentäler, Schilfröhrichte, Weidengebüsche, Gewässer: Das rund 260 Hektar große Natur- und EU-Vogelschutzgebiet Voslapper Groden-Nord beim niedersächsischen Wilhelmshaven ist eine Idylle.

Gut, das Gebiet ist Anfang der 1970er-Jahre durch Eindeichung und Sandaufspülung entstanden, um Industriegrundstücke zu schaffen, und südlich grenzt ein Tanklager an, nördlich ein Kunststoffwerk. Aber für die Lücke dazwischen fand sich kein Interessent, und heute leben hier Dutzende Vogelarten, manche von ihnen stehen auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Für sie alle, von der Rohrdommel bis zur Wasserralle, vom Blaukehlchen bis zum Rohrschwirl, ist das Gebiet „von hohem Wert“, so beschreibt es der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz in Norden.

Mit der Idylle könnte es bald vorbei sein. Mitte vergangener Woche beschloss der Rat der Stadt Wilhelmshaven mit einer Dreiviertelmehrheit gegen die Stimmen der Grünen und der Ratsgruppe „Die Bunten“ Änderungen im Flächennutzungsplan. Das öffnet den Weg für eine Bebauung.

Die Tree Energy Solutions GmbH (TES) will hier Anlagen zum Import und zur Verarbeitung von Wasserstoff bauen. Pech für die Vögel. Die Küste ist hier ohnehin schon stark bau- und industriebelastet. Der Jade-Weser-Port ist nahebei. Dazu kommen Öl-Piers und ein Terminal für verflüssigtes Erdgas (LNG). Jetzt kommt womöglich noch mehr dazu.

„Wir streben nach einer zukunftsorientierten Welt, in der unser Energienetzwerk das Leben fördert, anstatt es zu gefährden“, beschreibt TES auf seiner Website seine „Mission“, wie sie es nennen. „Hand in Hand mit der Natur“ wolle man die Energiewende beschleunigen. Leben fördern? Das gefiederte Leben im Vogelschutzgebiet würde das Gegenteil erleben. Hand in Hand mit der Natur? Bei der Zerstörung eines Naturschutzgebietes klingt das ziemlich merkwürdig.

Klar, wir brauchen Energie, aber hier wird völlig am Bedarf vorbei geplant. Das ist überdimensioniert

Tonja Mannstedt,BUND Niedersachsen

Zu den „zentralen Bestandteilen“ des TES-Projekts gehöre „die Wiederverwertung von CO2 mit Hilfe von grünem Wasserstoff“, heißt es in der Beschlussvorlage des Wilhelmshavener Rats. Klingt gut, auf den ersten Blick. Aber der Energiehunger Deutschlands ist groß, und die Angst vor Engpässen, vor Abhängigkeiten, ist es nicht minder. Die Folge: Infrastrukturbau, auch wenn die Natur das Nachsehen hat.

Diplom-Biologin Tonja Mann­stedt, Landesgeschäftsführerin Politik & Kommunikation des BUND Niedersachsen, Hannover, empört das. „Klar, wir brauchen Energie“, sagt sie der taz. „Aber hier wird völlig am Bedarf vorbei geplant. Das ist überdimensioniert.“ Sie wirft der Politik Lobbyistennähe vor: „Sie macht erneut denselben Fehler, den sie in den letzten Jahren schon oft gemacht hat: Sie hört auf die falschen Berater.“

Dass gleichwertige Ausgleichsflächen zur Verfügung stehen, bezweifelt sie. „Wo sollen solche Flächen auch herkommen? Es gibt nur noch kleine Inseln der Natur in unserer zugebauten Landschaft. Alles, was schützenswert ist, ist doch schon geschützt.“ TES hat Flächen in den Landkreisen Wittmund und Cuxhaven gekauft.

Aber noch ist der Bau nicht genehmigt. „Wir geben uns nicht geschlagen und werden den Kampf bis zum Ende führen“, sagt Mannstedt. Der BUND überlege derzeit noch, juristische Schritte einzuleiten. Der wirtschaftliche Druck auf die Küste sei groß. „Da kommt im Moment einiges unter die Räder“, sagt Mannstedt. Das sei „erschreckend“.

Von Anfang Oktober bis Mitte November liegt der Entwurfsbeschluss nun öffentlich zur Kommentierung aus. „Das haben wir von vier auf sechs Wochen verlängert“, sagt Nikša Marušić der taz, Wilhelmshavens Stadtbaurat. „Das ist ja sehr umfangreiches Material. Wir wollen die Bürger und Umweltverbände gut beteiligen.“

Dass es auf dem Voslapper Groden-Nord derzeit noch „sehr viel wertvolle Natur“ gibt, räumt Marušić ein. „Und es wird Kritik gegen die Bebauung geben. Aber die Energiewende ist eine Herausforderung, und wir versprechen uns Vorteile für den Wirtschafts- und Arbeitsstandort Wilhelmshaven.“

Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie

Ende vergangener Woche hat der Europäische Gerichtshof Deutschland in einem Vertragsverletzungsverfahren verurteilt, in dem es um Verstöße gegen die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie ging, nicht zuletzt um die mangelnde Ausweisung von Schutzgebieten. Vor diesem Hintergrund scheint die Bebauung eines Schutzgebiets besonders widersinnig.

„Das passt nicht zusammen“, sagt auch Andreas Tönjes im Gespräch mit der taz, Wilhelmshavener Ratsherr von „Die Partei“ und Sprecher der Ratsgruppe „Die Bunten“. Tönjes ist nicht gegen die Energiewende. Aber die Wasserstofftechnologie sieht er kritisch. „Und ein Naturschutzgebiet dafür zu zerstören, ist ohnehin nicht gut.“

2.500 Seiten Unterlagen mussten die Ratsmitglieder für ihre Entscheidung durcharbeiten. „Innerhalb nur weniger Tage“, sagt Tönjes, und man spürt, was er von dieser Hast hält. Wer mit ihm spricht, hört Worte wie „Verflechtung“, wie „Lobbyismus“. Jetzt gehe es um Informationsbeschaffung, um Detailanalyse. In Tönjes hat TES einen harten Widersacher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • Die Bedeutung des Artenschutzes ist in Deutschland nur einer kleinen, viel zu leisen Minderheit bewusst.

  • Ist es richtig, wenn man behauptet, dass nur ein paar Dutzend Leute von dieser Art der Industrie und somit auch von diesem Standort profitieren?

    Ohne Naturschutz und hier besonders den der Vögel für unnötig zu halten, frage ich ob hier nicht der Kampf gegen den Klimawandel Vorrang hat.

    • @fvaderno:

      Artenschutz GEHÖRT zum Kampf gegen den Klimawandel und dessen Folgen.

      Wie überhaupt auf diesem Planeten so gut wie alles miteinander zusammenhängt. Miteinander verpflochtene feine Prozesse, die der Mensch nachhaltig stört.



      Die Folgen wird er selbst tragen müssen, - leider erst, nachdem er so vieles andere unwiderbringlich vernichtet hat.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @fvaderno:

      Der Klimawandel ist kein Wandel. Es bahnt sich eine Katastrophe an.



      Der Kampf dagegen ist auch deswegen ein drängendes Erfordernis geworden, weil zuvor zu lange und zu weitgehend Naturschutz hintangestellt wurde, weil anderes angeblich wichtiger gewesen ist. "Brauchen wir aber doch", war die Standardmethode der Ignoranz von langfristigen (!) Folgen der Wirtschafts- und Finanzformen, mit denen die aktuelle Situation herbeigeführt wurde. Die Muster, dass sich Naturschutz beugen muss, sind eingefahren. Die Muster der Problementstehung lösen sich mit dem Versuch der Problemlösung nicht einfach so auf. Im Gegenteil, es wirken unter Veränderungsdruck Faktoren, die diese Muster erhalten und bestärken. Deswegen die Überzeugung bei den eingeübten Entscheidern, dass das schon hinnehmbar sein müsste, das Terminal an diesen Ort zu bauen. Wegen der sich überschlagenden Veränderungen und des empfundenen Handlungsdrucks scheint sich der Blick für Spielraum für tatsächliches Umdenken und Umlenken bei den URSACHEN einzutrüben. The same procedure ...

  • So viele bizarre Widersprüche:



    Inzwischen wirkt es so, dass Widerstand gegen den Ersatz fossiler Rohstoffe als Energieträger insbesondere von „Umweltaktivisten“ kommt.

    • @alterego:

      Bizarr ist, dass der notwendige Ersatz fossiler Energie ausgerechnet dort produziert werden soll, wo Schutzräume für die Natur entstanden / erkämpft worden sind. DER MENSCH braucht all die Ernergie und er will auch künftig immer mehr davon brauchen. Dann soll er selbst Platz dafür hergeben, - es gibt genug Flächen, die bereits versiegelt, besudelt und ungenutzt daliegen.

      Was hingegen immer knapper wird, sind intakte Böden und Lebensraum für unsere Mitgeschöpfe.

  • "wir versprechen uns Vorteile für den Wirtschafts- und Arbeitsstandort Wilhelmshaven.“

    So sind sie fast alle, diese Provinzdeppen. Gibt es hier im Saarland auch genug. Die schnallen er erst, wenn ihnen der Himmel auf den Kopf fällt.

    Und nein, noch immer kann man Geld nicht essen.

  • "Mitte vergangener Woche beschloss der Rat der Stadt Wilhelmshaven mit einer Dreiviertelmehrheit gegen die Stimmen der Grünen und der Ratsgruppe „Die Bunten“ Änderungen im Flächennutzungsplan."

    Das hätte man ruhig genauer ausführen können. Wer sind "Die Bunten"?



    Im Wilhelmshavener Rat sitzen stattliche 11 Parteien und Parteianaloga. Von 2 (Grüne und P.A.R.T.E.I.) erfahren wir, dass sie dagegen waren. SPD und CDU waren sicher dafür (sonst kommt die 3/4-Mehrheit nicht hin), FDP und AfD waren es offenbar auch.



    Aber was ist mit den anderen 5? War zB das "Bündnis für Bildung, Arbeit, Soziales und Umwelt" für Arbeit oder für Umwelt?

    (Die meisten der kleinen Wahlvereinigungen in Wilhelmshaven sind hinsichtlich ihrer Zielgruppe im Schnittfeld von AfD und FDP angesiedelt. Es wäre also schön, zu erfahren, welche das *nicht* sind.)

  • Da werden mal wieder zwei Fragen durcheinander geworfen.



    E-Methan ist ein relaiv kostengünstiger Beitrag zur Lösung des Speicherproblems erneuerbarer Energien, da zur eigentlichen Speicherung vorhandene Infastruktur genutzt werden kann.



    Ziemlich daneben ist lediglich die Idee, eine solche Anlage ausgerechnet in ein Naturschutzgebiet stellen zu wollen.

  • Der Wahnsinn...überall ächzt man unter dem Verlust an Arten und Zahl der Insekten und Vögel und dann baut man so ein Goldstück zu!?

    Nur, um einen Wirtschaftsstandort zu schaffen, von dem nur ein paar Dutzend Leute was haben?

    Den kann man doch sicher auch woanders hinbauen.

  • Ein absolutes Unding, den Lebensraum für Tiere, - noch dazu solcher, die bereits auf der Roten Liste stehen, - unserem Energiehunger zu opfern.



    Reduktion von Flächenverbrauch hat man sich vorgenommen, tatsächlich geschieht immer noch das Gegenteil. Warum werden nicht zunächst Flächen genutzt, die der Mensch sowieso bereits verheert hat (z.B. Industriebrachen, stillgelegte Flugplätze)? Das müsste immer und überall die erste Wahl sein.

    Der Mensch ist nicht das einzige Lebewesen auf diesem Planeten. Aber inzwischen eines der wenigen, die nicht vom Aussterben bedroht sind.

    Höchste Zeit, dass auch in Deutschland unsere Mitwelt endlich mit mehr Rechten ausgestattet wird. Mit der Verteidigung dieser vor Gericht könnte sich der Mensch endlich mal sinnvoll nützlich machen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Woodbine:

      Hier benötige ich Nachilfe: Kann die Änderung des Flächennutzungsplans allein den Rechtsbestand eines bzw. dieses Naturschutzgebiets aufheben?

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Ja kann es, wenn ausgleichsflächen, egal wo ausgewiesen werden. Das lässt Europäisches Recht leider zu. Allerdings werden in Deutschland, so auch hier, Fakten geschaffen ehe geklärt ist ob die ausgleichsflächen dem genügen. Deshalb das Urteil zum vertragsverlezungsverfahren