Aktivist*innen im Aufmerksamkeitstief: Der liebe Teil der Klimabewegung
Zweimal im Jahr Klimastreik und ab und zu eine Talkshow, war's das? Fridays for Future müssen sich auch mit sich selbst beschäftigen. Oder nicht?
Zur Wahrheit gehört, dass es darauf nicht die eine einfache Antwort gibt. Ja, die Bewegung ist noch aktiv. Es gibt die international koordinierten Streiks, es gibt Demos in vielen deutschen Städten, und es gibt nach wie vor viele Ortsgruppen und regionale Projekte. Was es aber auch gibt: rapide sinkende Teilnehmerzahlen, Ortsgruppen, die sich auflösen, und Unzufriedenheit darüber, welche politischen Prioritäten Fridays for Future setzt. Und wie über diese entschieden wird.
„Viele Aktivist*innen sind frustriert“, sagt eine*r, der*die sich selbst nicht mehr als Teil von Fridays for Future versteht, aber noch zu FFF-Aktionen geht und gut vernetzt ist. Seinen*ihren Namen möchte er*sie nicht in der Zeitung lesen, er*sie soll hier Fill Schmidt heißen. Es gebe verschiedene Strömungen innerhalb der Bewegung, sagt Schmidt. Er*sie selbst komme aus dem linken Teil von FFF. Und, so Schmidt: „Der linke Teil hat Machtkämpfe verloren.“
Zum Beispiel bei der Frage, welchen Schwerpunkt die Fridays setzen. Geben sie sich damit zufrieden, ein bis zwei Großdemonstrationen im Jahr zu organisieren und ansonsten in Talkshows mit Politiker*innen und FDP-Wähler*innen für Klimaschutz zu streiten? „Man kann sich entscheiden, die nette Klimabewegung von nebenan zu sein, die mit Oma und Opa auf die Straße geht“, sagt Schmidt. „Oder man versucht, die Machtfrage zu stellen.“
Störfaktor Letzte Generation?
Viele Fridays-Aktivist*innen seien der Meinung, die Letzte Generation habe die Sympathien für die Klimabewegung verspielt, sagt Schmidt. Tatsächlich hat sich laut Umfragen die Zustimmung der Bevölkerung zur Klimabewegung im vergangenen Jahr halbiert. Seitdem bröckelt auch die Rückendeckung der Letzten Generation innerhalb der Klimabewegung.
Fill Schmidt, Fridays for Future
„Gewisse Aktionen“ könnten Bürger*innen und politische Entscheidungsträger*innen im Zweifel eher abschrecken, sagte FFF-Frontfrau Luisa Neubauer dem Newsportal Watson im August. Sie distanzierte sich von der Auffassung, radikalere Aktionen würden zu radikalerem Klimaschutz führen. Schmidt sagt: „Viele Aktivist*innen bei Fridays teilen die Analyse: Wir müssen der liebe Teil der Klimabewegung sein, um die Sympathien der Bevölkerung zurückzugewinnen.“ Zwar würden das nicht alle so sehen, aber die Strömung habe sich durchgesetzt – auch weil Entscheidungsprozesse nicht so demokratisch abliefen, wie es oft dargestellt werde.
Formal haben die Ortsgruppen bei Fridays for Future die höchste Entscheidungskraft. Jeden Sonntag schicken sie eine*n Delegierte*n in eine Telefonkonferenz, kurz: die Deli-TK. Dort werden Anträge vorgestellt, die die Delegierten in ihre Gruppen zurücktragen, sodass diese dann innerhalb einer Frist per Onlinetool abstimmen können. Ein guter, basisdemokratischer Vorgang eigentlich, für eine große, über ganz Deutschland verteilte Organisation.
Ungenutzter Raum für Debatten
De facto hat sich die Deli-TK über die letzten Jahre zu einem rein verwalterischen Plenum entwickelt, berichten mehrere Aktivist*innen. Dort würden keine Diskussionen über politische Strategien geführt, sondern es werde lediglich Organisatorisches abgearbeitet, wie etwa: Wer verschickt das Mobi-Material? Der Raum für politische Diskussionen und Entscheidungen fehle, sagt Schmidt. „Fridays agiert nicht wie eine politische Organisation, sondern eher wie ein Verein oder Naturschutzverband.“ Auch auf dem Sommerkongress in Lüneburg, wo sich Anfang August 400 Aktivist*innen aus ganz Deutschland trafen, hätten solche Diskussionen nicht stattgefunden, geschweige denn, dass etwas entschieden worden sei. Formal habe ja keine Beschlussfähigkeit bestanden – abstimmungsberechtigt seien ja nur die Delegierten der Ortsgruppen.
„Die Bewegung hat ein Politik- und ein Demokratieproblem“, sagt Schmidt. Dabei steht Fridays for Future schon lange vor der Frage, wie sie den Druck aufrechterhalten können. Die Frage „Bringt das überhaupt noch was?“ stellt sich nicht erst beim 13. Klimastreik. Außerdem ändern sich die Anforderungen an die Bewegung ständig: Die Pandemie, die Ampelregierung, der Ukrainekrieg, das alles hat die Bedingungen des Protests und der Aufmerksamkeitsökonomie verändert. Zwischendurch mussten die Klimaschützer*innen immer wieder herbe realpolitische Rückschläge einstecken.
Auch die Frage, ob die Bewegung sich radikalisieren soll, ist nicht neu. Die Ortsgruppen beantworten sie unterschiedlich: Die Frankfurter, Kölner oder Göttinger rufen eher zu Aktionen des zivilen Ungehorsams auf und finden schärfere Töne gegenüber politischen Entscheider*innen als etwa die Hamburger*innen.
Ziviler Ungehorsam
Im vergangenen Jahr haben sich sowohl Fridays-Gründerin Greta Thunberg als auch Luisa Neubauer medienwirksam von der Polizei von Blockaden wegtragen lassen. Ein grundlegender Kurswechsel von Fridays for Future folgte daraus aber nicht. Bei Aktionen des zivilen Ungehorsams oder bei Aktionen, die Konfrontationen mit der Polizei beinhalten, lautet die Sprachregelung nach wie vor: Fridays for Future Deutschland beteiligt sich nicht aktiv, einzelne Aktivist*innen oder Ortsgruppen tun dies durchaus.
„Natürlich läuft nicht alles immer wie geschmiert“, sagt Pit Terjung, ein Sprecher der bundesweiten Ebene von FFF. Deshalb laufe derzeit eine Strukturreform, damit Abläufe transparenter und demokratischer würden. So sollen künftig alle Mitglieder der Ortsgruppen an der Deli-TK teilnehmen dürfen. Das Stimmrecht hätten weiterhin aber nur die Delegierten. Hat der linke Flügel Machtkämpfe verloren, Herr Terjung? „Von Flügelkämpfen würde ich nicht reden“, sagt der Sprecher. Es sei Konsens, dass FFF überparteilich bleibe. Zudem sei unumstritten, dass Gerechtigkeit im Zentrum des Klimaschutzes stehen müsse. „Das Soziale und der Klimaschutz müssen zusammengedacht werden“, sagt Terjung. So seien die zentralen Themen der Streiks dieses Mal die Forderung nach einem Klimageld zur gerechten Verteilung der finanziellen Lasten und die Verschärfung des Klimaschutzgesetzes.
Einigen, die sich dem linken Flügel von FFF zurechnen oder sich schon ganz von der Bewegung abgewendet haben, reicht das nicht. Die rheinländische Anti-Braunkohle-Aktivistin Lakshmi Thevasagayam forderte Ende Juli wörtlich: „Die Klimabewegung muss sterben, wenn sie ihren Kampf nicht mit sozialen Fragen verbindet.“ Die Bewegung habe in Deutschland zu viel Platz eingenommen, ohne wirklich breite Teile der Gesellschaft mitzunehmen und sich etwa mit der Gesundheits- oder Flüchtlingsbewegung zu verbinden.
„Lebt Gerechtigkeit vor oder macht Platz“, forderte Thevasagayam – Fridays for Future Bremen habe es vorgemacht. Die Bremer Ortsgruppe hatte sich Anfang Juli aufgelöst. Aber wie soll das konkret aussehen, die soziale Frage ins Zentrum zu stellen – oder die Machtfrage zu stellen? Was genau will der linke Teil von Fridays for Future? „Viele suchen aktuell Antworten auf die Frage, wo es hingehen soll und wie wir für mehr Klimagerechtigkeit einstehen können“, sagt Kaja Schwab, FFF-Aktivistin aus Hannover. Ein Ansatz, wieder einen Schritt nach vorn zu machen, sei etwa die Kampagne „Wir fahren zusammen“, derzeit ein Hauptprojekt für viele Ortsgruppen. Die Idee ist, mit Beschäftigten und Gewerkschaften zusammen einen besseren ÖPNV zu fordern.
Über die Verbindung der Interessen von Arbeitnehmer*innen und Klimaschützer*innen könnte die Klimabewegung die eigene Blase verlassen und ihre gesellschaftliche Basis verbreitern – und gleichzeitig für die Verkehrswende kämpfen, die Deutschland dringend braucht, um sich den Pariser Klimazielen zu nähern. Schon im Sommer 2020 und im März 2023 hatten FFF und Verdi gemeinsam gestreikt. Die Beschäftigten des Nahverkehrs legten den Verkehr in mehreren Bundesländern lahm und lösten durch die Kooperation mit FFF eine Diskussion über politische Streiks aus. Kaja Schwab hofft: „Wenn wir daran anknüpfen und das ganze noch mal größer machen, können wir den Druck erhöhen.“ Dann ließe sich die Machtfrage noch einmal ganz anders stellen als mit den Klimademonstrationen, meint Schwab.
Ihr persönlich gebe es ein völlig neues Gefühl von Solidarität und Widerstand, morgens um vier mit Arbeiter*innen am Streikposten an einer Feuertonne zu stehen. Aber die Klimastreiks blieben trotzdem zentral für Fridays for Future, betont auch Schwab. Man müsse eben beides verbinden. Ob die Großdemonstrationen lediglich eines der zentralen Elemente bleiben oder das zentrale Element der bundesweiten Organisation – über solche Fragen entscheidet sich wohl, welche Strömung bei Fridays for Future künftig den Ton angibt. Ob FFF primär der liebe Teil der Klimabewegung sein wollen oder die Aktivist*innen Schulen und Unis besetzen, Arbeitskämpfe organisieren oder gar zu Sachbeschädigungen aufrufen. Offiziell möchte natürlich kein Fridays sich darauf beschränken, „nett“ zu sein. In der Realität wird sich die Organisation, wie alle anderen im Politikbetrieb auch, an ihren Taten messen lassen müssen.
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