Rückzug der Links-Fraktionschefin Ali: Wie eine kaputte Ehe

Sahra Wagenknecht zögert bei der Gründung einer neuen populistischen Partei. Die Zeit dafür ist eigentlich günstig. Doch etwas Entscheidendes fehlt.

Sahra Wagenknecht sitzt im Deutschen Bundestag zwischen ihren FraktionskollegInnen

Bleibt sie? Geht sie? Sahra Wagenknecht im Bundestag in der Linksfraktion Foto: Imago

Es ist kein großer Verlust, dass Amira Mohamed Ali nicht mehr als Chefin der Linksfraktion antritt. Sie stieg als unbeschriebenes Blatt und Ersatz für Sahra Wagenknecht in die Fraktionsspitze auf. Eine eigene Handschrift und Agenda hat sie dort nie entwickelt.

Alis Verzicht wäre nicht weiter der Rede wert, käme darin nicht schon wieder das Elend der Linkspartei zum Vorschein. Die Partei hat derzeit etwas von einer gescheiterten Ehe. Man kann nicht hinschauen. Man kann nicht wegschauen.

Die Fraktionschefin spinnt wie viele Wagenknecht-Getreue an der Legende, Opfer sinistrer Kräfte zu sein. Die Parteispitze um Janine Wissler und Martin Schirdewan habe „einen Teil der Mitgliedschaft aus der Partei“ gedrängt. Es gibt Sätze, bei denen ist, mit Karl Kraus gesprochen, noch nicht einmal das Gegenteil richtig. Die Linkspartei hat langmütig bis zur Selbstverleugnung und aus Konfliktscheu zugelassen, dass Wagenknecht jahrelang Beschlüsse der Partei ignorieren konnte. Wagenknecht kokettiert seit Monaten öffentlich mit der Gründung einer neuen Partei. Es wurde versucht, Linksparteifunktionäre abzuwerben.

Wissler und Schirdewan haben dagegen protestiert, im allerletzten Moment. Eine Partei, die ihre eigene Spaltung regungslos hinnimmt, verliert ihre Existenzberechtigung.

Die Wagenknecht-Fraktion präsentiert sich unverdrossen als wahres Opfer. Diese rohe Verkehrung des Offenkundigen in das Gegenteil erinnert an Trumps alternative Fakten. Das dürfte ein Vorgeschmack auf die Wagenknecht-Partei sein, die als Konkurrenz zur AfD antreten soll.

Kommt die Partei? Kommt sie nicht? Die äußeren Bedingungen für das Projekt scheinen derzeit ideal. Die Regierung wirkt oft konfus, die AfD rast in Richtung Rechtsextremismus. 2024 wird in drei ostdeutschen Ländern gewählt. Dort ist der Frustpegel besonders hoch.

Und doch fehlt für den Aufbau einer neuen Partei fast alles. Es mangelt an inhaltlicher Klarheit. Gegen Russlandsanktionen zu sein, ist noch kein Programm. Zudem zögern manche Linke mit Sympathien für Wagenknecht, weil ihr Projekt weit nach rechts offen sein kann. Und: Um eine Partei zu schaffen, braucht es Ausdauer. Wagenknecht kann eine Partei ruinieren. Ob sie eine neue aufbauen kann, ist zweifelhaft.

Irgendwann vor der Europawahl 2024 wird Wagenknecht antreten oder Ex-Politikerin sein. Dann ist das zähe Spiel endlich vorbei. Eine Illusion allerdings wäre der Glaube, dass es für die Linkspartei dann automatisch bergauf gehen würde. Sie muss erst noch beweisen, dass man sie wirklich braucht. Wagenknechts Irrlichtern ist dann keine Ausrede mehr.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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