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Gestrichene Sozialhilfe in ItalienKrieg gegen die Armen

Michael Braun
Kommentar von Michael Braun

Hunderttausende Bedürftige stehen in Italien nun ohne Geld da. Die Regierung Meloni bedient damit das Ressentiment gegen die Schwächsten.

Zieht ihr Programm der Sozialkürzungen durch: Premierministerin Meloni Foto: NIicolas Maeterlinck/Belga/imago

H underttausende Menschen in Italien stehen in Zukunft ohne Einkommen da, wissen nicht, wie sie die Miete oder die Stromrechnung bezahlen sollen, und wissen zugleich, dass sie nur dann etwas zu essen auf dem Tisch haben, wenn sie sich gratis bei der Caritas oder einer Tafel eindecken können. Denn mit voller Absicht hat ihnen die Regierung Giorgia Melonis die Existenzgrundlage entzogen. Die Grundsicherung ist ab August an strengere Bedingungen geknüpft, viele fallen nun durch das soziale Netz. „Runter vom Sofa!“ lautete der Schlachtruf der italienischen Rechtsparteien schon im vergangenen Wahlkampf – und Meloni hält ihr brutales Wahlversprechen.

Schließlich hatten sich die Land­wir­t*in­nen und die in der Tourismusbranche aktiven Un­ter­neh­me­r*in­nen immer wieder beklagt, dass sie wegen der Grundsicherung – sie beträgt pro Familie im Schnitt gerade einmal gut 500 Euro monatlich – kein Personal mehr fänden, keine Ernte- oder Spülhilfen, die sich willig für Hungerlöhne ausbeuten lassen. Und diverse Unternehmerverbände klatschen Meloni jetzt heftig Beifall.

Ihnen gefällt dieser Krieg gegen die Armen. Ihnen gefällt ebenfalls, dass Meloni eisern mauert bei der von den Oppositionsparteien geforderten Einführung eines Mindestlohns von 9 Euro pro Stunde. In Melonis Wählerschaft verfängt die Rhetorik gegen die ganz Armen, die angeblich auf dem Sofa, dem italienischen Pendant zur deutschen „sozialen Hängematte“, herumlümmeln.

Melonis postfaschistische Partei Fratelli d’Italia ebenso wie Matteo Salvinis Lega setzen auf Sozialchauvinismus, der staatliche Leistungen vorneweg für Ita­lie­ne­r*in­nen reservieren will und Zugewanderte bloß als Schmarotzer sieht. Doch in zweiter Linie spielen sie auch mit dem Ressentiment der Einkommensschwachen gegen jene „Faulpelze“, die gar kein Einkommen haben. Verständnis bringt die populistische Rechte dagegen für jene auf, die Steuern hinterziehen. Ihnen werden großzügige Steuernachlässe eingeräumt. Was Meloni da verfolgt, ist ein ebenso einfaches wie lineares Programm: den Armen nehmen, den Reichen geben.

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Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
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25 Kommentare

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  • Wie erwartet, geht die Korruption durch die Decke. Die Maßnahmen gegen die 'Armen' sind nur Camouflage, um den Reichen Deals zu vermitteln. In Italien regieren die Superreichen direkt. Die brauchen kaum noch Verbände oder Ziwschenhändler, die können direkt bestimmen. Die weitere Verarmung wird aber extreme, nachhaltige Wirkungen haben. Vielerorts gibt es gar keine Möglichkeiten, um zu arbeiten. Italien verzeichnet schon lange eher kleine Wachstumsraten, aber in den großen Topf greiffen dann noch die Superreichen rein und bedienen sich. Gerade in solchen Gebieten wie Neapel wird das schlimme Folgen haben. Aber auch in anderen Großstädten trifft es sehr arme Menschen nochmals. Und das hat wenig mit Fleiß oder Engagement zu tun, es geht nur eine Kultur der Korruption, die mit nationalen Liedern bespielt werden, weil sonst die Menschen die unglaubliche Niedertracht dieser Regierung erkennen könnten.



    Es geht platt gesagt, sehr deutlich gegen schwache Gruppen.

  • Was will man von einer Rechten erwarten? Die zeigen an der Macht ihr wahres Gesicht.

    Vom Westen wird sie trotzdem hofiert, wir wissen warum...

    • @AndreasHofer:

      Herr Weber......

  • Arbeiten sollen sie! Wir brauchen Wachstum und natürlich Personal für den Tourismus!

  • Krieg? Na ja....jedenfalls sehr beunruhigend, was die Fascho-Tante verbockt. Hoffe nur , dass unter den Opfern auch ein paar Meloni-Wähler dabei sind.

  • Das ist kein Krieg, das ist



    Sozial-Narzissmus.

  • Komplett zu streichen ist menschenunwürdig, keine Frage. Auch müssen Bürger die nicht wirklich am Erwerbsleben teilhaben können (Alter, sehr mangelhafte Kinderbetreuungssngebote und natürlich Weiterbildungen) unterstützt werden.



    Jedoch nahezu sanktionsfreies Nichstun auf Kosten anderer Arbeitender ist ebenfalls der falsche Weg und verschärft den Arbeitskräftemangel zusätzlich. Viele Hotels und Restaurants (auch die mit höherem Lohnangebot) müssen tageweise schließen und tragen somit auch nicht zur gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung bei (woraus letztlich ja auch die Sozialhilfe gespeist wird).



    Insofern der (demnächst ja auch steigende) Mindestlohn zuverlässig und ohne Abstriche gezahlt wird, sollte einer Arbeitsaufnahme gesunder Menschen* nichts im Wege stehen. Auch kein „mein Geld kommt doch so oder so“.



    (* 500.000 Menschen im Alter zwischen 18 und 26, welche auch keine Umschulung, Weiterbildung oder in Elternzeit sind, sind in Deutschland, auch dauerhaft, als arbeitsuchend gemeldet. Würde es deutlich weniger Sozialleistungen geben, würde das die Arbeitsuche gewiss intensivieren 😉)

    • @Chris Teuber:

      Genau.

  • Lieber Herr Braun,

    das ist also ein "Krieg"?

    Ich finde den Begriff hier unpassend, und er relativiert den Schrecken eines echten Kriegs.

    Die/der Überschriftenmacher/in hat den Begriff auch gleich übernommen. Nicht gut.

    Im Artikel steht übrigens "„Kampf gegen die Armen“.

    ----------



    Zum Thema: Man kann nur hoffen, dass die Rechtsextremen schnell wieder abgewählt werden.

    • @Diogeno:

      Ich zitiere Warren Buffet:



      „Es herrscht Klassenkrieg, richtig, aber es ist meine Klasse, die Klasse der Reichen, die Krieg führt, und wir gewinnen" Nov. 2006 in der NY Times

  • Viele wissen nicht, wie es hier zugeht. Dass wissen nur Kranke und Behinderte. Betrug ums Krankengeld, Nahtlosigkeitsarbeitslosengeld. Misshandlungen in Rehas, man wird dann als gesund und arbeitsfähig entlassen. Man ist schwer krank, die EM Rente wird abgelehnt, alles wird einem abgesprochen, man wird als Soziopathin hingestellt. Der Hausarzt ist fassungslos.

    • @Persephone:

      Das ist in Deutschland nicht anders. Meine Schwester war gerade auf REHA, Pflegegrad 3. Sie schlief nach drei Tagen noch im T Shirt des Tages, weil ihr niemand beim Ausziehen helfen wollte. Als es nach 4 Wochen um eine Verlängerung ging, lehnte sie ab, weil sie endlich mal wieder geduscht werden musste. Körperpflege gebe es abends keine. Das waren die Wochen mit 35-38 Grad.

      • @Jairi:

        Und wenn Sie (oder jemand anderes aus Ihrer Familie) auf die Idee kommen, Ihre Schwester selbst zu pflegen, und deshalb Ihren Job aufgeben, dann erhalten Sie - jedenfalls nach den Vorstellungen von Frau Meloni und diverser Sozialdarwinisten hier - keine Unterstützung vom Staat.

      • @Jairi:

        Mir ist das nicht in Italien passiert! Sondern in einer Reha in Bayern!

        • @Persephone:

          In dem von mir geschilderten Fall war es auch in Bayern.

  • Finde es unglücklich, das jetzt ausgerechnet mit "Bürgergeld" zu übersetzen, so heißt es nun in Deutschland, aber es gibt wesentliche Unterschiede. Natürlich kann man es nicht mit der Tonne korrigieren, was im Übrigen lange angekündigt war, aber das war schon ziemlich über's Knie gebrochen und vermutlich auch mangels Erfahrung noch viel schlechter gemacht als hier, wird dem nicht gerecht. Selbst wenn's ohne Zweifel ein Fortschritt war, oder so aussah, muss man bedenken was davor war. Und dann ist es wohl kaum realistisch dort Ansätze zu erwarten wie in Schweden oder Finnland, weder ist Italien im Ansatz so reich, noch hat es einen vergleichbaren gesell. Gemeinsinn, Konsens, Wohlfahrtstradition geschweige denn politische Kontinuitäten. Das Scheitern war angelegt, ist m.E. aber fast immer so bei partei- oder gar personenspez. Steckenpferdchen oder Leuchtturmprojekten. Das hätte auch nicht nur Meloni abgeräumt, sie macht es eben auf ihre Weise, so wie sie es kann. Ein Elend für die Betroffenen, aber für mich auch verantwortungslos sie für billige Effekthascherei und Geltungssucht erst diesem Wechselbad auszusetzen. Sowas kommt auf einer soliden Grundlage oder gar nicht.

    • @Tanz in den Mai:

      "Bürgergeld" ist nicht unglücklich, sondern die Übersetzung von "Reddito di cittadinanza".

  • Das sollten sich die hiesigen Wähler*innen hinter die Ohren schreiben, die immer noch phantasieren, die AfD sei die "Partei der kleinen Leute".

    Faschistische Parteien waren das nicht 1919 und sind es auch heute nicht.

    • @tomás zerolo:

      Ganz genau, wer Afd wählt, bekommt Rechtsradikale, die den Sozialstaat, ja den Staat selber schon als Problem definieren.



      Leute, denen jede Regel für ein Gemeinwesen im Weg ist.

      Es handelt sich hierbei natürlich um Leute, die noch nie für ihr Vermögen haben arbeiten müssen, die einfach gut geerbt haben und dadurch auf die krude Idee gekommen sind, der Staat stört nur, beim Erbe verwalten!



      Andreas Kemper hat hierzu viel und gut recherchiert!

      • @Herr Schnitzlmann:

        Genauso ist es .Daumen hoch für ihre wahren Worte 👍

    • @tomás zerolo:

      auf Inhalte kuckt bei der afd aber keiner, da geht es nur um reflexe bedienen.

      • 6G
        678409 (Profil gelöscht)
        @nutzer:

        Noch schlimmer, wenn man nicht auf die Inhalte schaut.

        Mit der AGD soll auch der Arbeitsdienst wieder eingeführt werden.

  • Erschütternd!



    Da zeigt sich, dass diese faschistischen Parteien, die in Propagandareden davon reden "für das Volk" zu sein, in Wirklichkeit, wenn sie an der Macht sind, alles andere als sozial agieren.



    AFD würde es genau so machen!

    • @apfelkern:

      Ja, und man muss das weiterdrehen: Italien erhöht den Druck auf andere Staaten nicht nur in Puncto Zuwanderung. In ihrem Hass begrüßen dann die rechts geimpften Leute die Einschnitte, verbunden mit der Phantasie, dass nun endlich diese "Asylanten" "nichts" mehr bekommen. Dennoch werden Menschen kommen, egal wie wenige oder viele, und hier im Elend landen, was der Rechten aber genau wieder den Treibstoff für ihre irren Phantasien gibt.

    • @apfelkern:

      Das schlimme ist ja, das das klar in den Parteiprogrammen steht, sich deren Wähler aber scheinbar standhaft weigern auch mal das Kleingedruckte zu lesen.