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Grundsicherung in Italien gestrichenKein Geld mehr für „Beschäftigbare“

Italiens Regierung streicht Arbeitslosen die Unterstützung. Betroffene werden per SMS informiert – und die Kommunen sind nicht vorbereitet.

Wer wenig hat, bekommt jetzt nichts mehr vom Staat: von Armut betroffenes Wohnviertel in Neapel Foto: Marco Brivio/Zoonar/picture alliance

Rom taz | „Grundsicherung suspendiert, wie von Artikel 13 des Gesetzesdekrets 48/23 vorgesehen. Eventuelle Übernahme durch die Sozialdienste“. Bürokratisch in der Form, brutal in der Sache war die SMS, die Ende letzter Woche 169.000 Menschen in Italien auf ihr Handy geschickt bekamen: Seit dem 1. August erhalten sie keinen einzigen Cent mehr aus der staatlichen Grundsicherung.

Vor drei Monaten hatte die in Rom regierende Rechtskoalition unter Giorgia Meloni das entsprechende Gesetz beschlossen, mit dem die Grundsicherung in ihrer alten Form abgeschafft wird. Und schon im Wahlkampf vor einem Jahr hatten Meloni und ihre Verbündeten immer wieder gegen die Unterstützung für einkommens- und arbeitslose Menschen gewettert, die doch bloß eine Einladung zum Rumlümmeln „auf dem Sofa“ sei.

Erst 2019 war das „Reddito di cittadinanza“, das „Bürgereinkommen“, von der damaligen Regierung aus Fünf Sternen und der rechtspopulistischen Lega geschaffen worden. Wirklicher Befürworter der Unterstützungsleistung war jedoch bloß das Movimento5Stelle, während die Lega nur aus Koalitionsdisziplin mitspielte.

Italien war damit eines der letzten EU-Länder, die eine für alle Bür­ge­r*in­nen geltende Sozialhilfe einführten. Bis zu 500 Euro monatlich gab es, dazu noch 200 Euro für den*­die Ehe­part­ne­r*in und je 100 Euro pro Kind sowie maximal 280 Euro für die Miete.

Nur Familien mit Kindern oder Senioren erhalten Stütze

Doch jetzt trifft die von der Rechten inklusive Lega verabschiedete Streichung alle Haushalte, deren Angehörige zwischen 18 und 59 Jahre alt sind. Nur Familien mit minderjährigen Kindern oder älteren Personen über 60 erhalten noch Stütze. Wer über 18 ist, so die Rechtsparteien, sei doch „beschäftigbar“ und solle sich gefälligst einen Job suchen. Ob die „Beschäftigbaren“ auch vermittelbar sind, ob es überhaupt Jobs für sie gibt, ist eine Frage, die die Regierung nicht interessiert.

Nur noch sieben Monate im laufenden Jahr sollte die Grundsicherung für sie fließen, dann ist definitiv Schluss. Deshalb greift die Streichung jetzt für alle jene, die seit dem 1. Januar schon Geld aus der Sozialkasse bekamen. Rund 80.000 Menschen dagegen werden am 1. September eine SMS bekommen, diejenigen nämlich, die vom 1. Februar an Unterstützung bezogen.

Stattdessen, so die verschickte SMS, seien jetzt womöglich „die Sozialdienste“ der Kommunen für sie zuständig. Allerdings wurden die Sozialämter weder darüber informiert noch erhielten die Städte und Gemeinden auch nur einen einzigen zusätzlichen Cent für die Armenhilfe – entsprechend aufgebracht sind jetzt die Bür­ger­meis­te­r*in­nen quer durch Italien, auf deren Sozialämtern sich in den letzten Tagen Schlangen verzweifelter Menschen bildeten.

Einen Ausweg jedoch haben die „Beschäftigbaren“, denen der Unterhalt gestrichen wurde: Wenn sie an Fort- und Weiterbildungskursen teilnehmen, können sie für maximal ein Jahr 350 Euro monatlich erhalten, dann aber ist endgültig Schluss. Bis zum 1. August jedoch hat es das Arbeitsministerium nicht einmal geschafft, die versprochene Internetplattform einzurichten, auf der mögliche Kursangebote platziert werden sollen. Am Ende bleibt die Verantwortung, eine Bildungsmaßnahme zu finden – und so weiter die mehr als bescheidene Unterstützung zu bekommen –, sowieso an den Arbeitslosen hängen: Wer nicht selbst fündig wird, bekommt schlicht nichts.

„Kampf gegen die Armen“ statt Kampf gegen Armut

Als Kampf für die Menschenwürde präsentieren Meloni und ihre Ka­bi­netts­kol­le­g*in­nen dieses sozialdarwinistische Vorgehen – es sei eben einfach „würdelos“, sich vom Staat alimentieren zu lassen, statt arbeiten zu gehen. Elly Schlein, Vorsitzende der oppositionellen Partito Democratico, dagegen befindet, Meloni habe den „Kampf gegen die Armen“ aufgenommen, statt die Armut zu bekämpfen.

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15 Kommentare

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  • Erst vor kurzem hat CDU-Generalsekretär Linnemann als Sprachrohr des Vorsitzenden Merz verlauten lassen, dass es im Fall einer zukünftigen Regierungsbeteiligung Änderungen beim Bürgergeld geben soll. Der Zeitpunkt war wohl nicht ganz zufällig gewählt. Synergieeffekte werden offenbar gerne genutzt, auch wenn eine Abgrenzung nach rechts die offizielle Richtlinie ist. Es wird jetzt viel über das Thema diskutiert, und die Befürworter der Kürzungen sind auch hierzulande besonders lautstark mit dabei. Es ist sicherlich richtig, dass für viele die Erwerbstätigkeit kein Zuckerschlecken ist und daher ein gewisser Neid gegenüber denjenigen entstehen kann, die es sich vermeintlich besonders leicht machen. Aber bei genauerer Betrachtung ist dann der Wunsch doch nicht mehr so groß, mit den Empfängern von Sozialleistungen zu tauschen. Irgendeine Beeinträchtigung haben die meisten, und die Rolle als Sündenböcke ist mit den staatlichen Zuwendungen nicht gerade üppig bezahlt - zumal sie eine wichtige Funktion erfüllen: Wenn Leute als abschreckendes Beispiel hingestellt werden, wie sich die Lebenssituation bei sozialem Abstieg gestaltet, werden die Beschäftigten eher bereit sein, Zumutungen hinzunehmen. Und damit meine ich nicht nur die Leistungsanforderungen, auch wenn es da durchaus Grenzen des Zumutbaren gibt, sondern insbesondere Praktiken, die durchaus an die Leibeigenschaft erinnern: Einmischung in persönliche Angelegenheiten und der Versuch, Mitarbeiter so zu formen, dass sie voll und ganz das politisch-weltanschauliche Mindset übernehmen, das Vorgesetzte oder andere Mitarbeiter von ihnen erwarten. Jeder, der da mitspielt, trägt zur Normalisierung solcher Missstände bei. Insofern bin ich froh darüber, in letzter Zeit öfter zu lesen, dass die Generation Z durchaus Ansprüche an den Arbeitgeber stellt. Das geht leichter, wenn vom sozialen Netz aufgefangen wird, wer in Ungnade fällt. Insofern können Abgaben, die in die Sozialkassen fließen, durchaus im eigenen Interesse sein.

  • 6G
    658767 (Profil gelöscht)

    Wie in Frankreich ist auch in Italien die Arbeitslosigkeit zurückgegangen, deshalb wandern auch weniger aus. Deshalb Strukturreformen, weil man sich Sondervermögen (budgetrechtlich in den meisten EULändern verboten) wie hierzulande nicht leisten kann, mit denen die notwendigen Strukturreformen und Kürzungen auf Kosten der jungen Generation vorerst umgangen werden. Deshalb abregen. In Italien funktioniert die Familie und über 80% haben WohnungsEigentum.

  • Und ich war erst positiv überrascht das meloni so gemäßigt erst rüberkam. Naja wieder mal getäuscht. Ich frage mich wie viele arme Menschen sie und die rechten gewählt haben.

  • Alle kritisieren den Rechtsrutsch, der durch ganz Europa geht, zu Recht.



    Doch warum er fast Zeitgleich durch Europa geht und warum die Wähler immer mehr rechts wählen, das hat mir noch keiner schlüssig erklären können. Zufall wird es wohl nicht sein.

    • @Rudi Hamm:

      Was die Rechten ihren Anhängern zu bieten haben, ist symbolisches Kapital (Pierre Bourdieu hat diesen Begriff geprägt). Es gibt viele, denen es ungeheuer wichtig ist, auf der Seite der Macht zu stehen. Da kommt dann die Identifikation mit dem Vaterland, mit einer autoritären politischen Befehlsgewalt und mit wirtschaftlichen Eliten gelegen. Viele Arbeitgeber wiederum freuen sich, wenn ihre Beschäftigten sich damit abspeisen lassen und für Gottes Lohn und als Dienst am Volk unbezahlte Mehrarbeit leisten. "It's the economy, stupid", war mal ein Slogan. Schön wär's. Zutreffender müsste es heißen: "It's the hegemony of the stupid."

    • @Rudi Hamm:

      Da die Entscheidung der Wahl in dem jeweils Einzelnen liegt, kann man sich dem nur annähern und versuchen zu interpretieren.

      • @FloMe:

        Man weiß in Deutschland, dass die Rechten gerade bei Arbeitslosen großen Zuspruch genießen, die sich zu kurz gekommen fühlen. Diese Menschen übersehen in aller Regel, dass die Rechten Ihnen die Altersarmut erst garantieren würden, da man plant, erst nach 45 vollen Beitragsjahren einen Rentenanspruch zu gewähren.



        Das gehört zu den Dingen, denen ich mich beim besten Willen nicht annähern kann.



        So wenig übrigens wie der Unterstützung für Alleinerziehende, die auch nur noch gezahlt werden soll, wenn die Erziehungsperson "unverschuldet" in diese Rolle geriet.

  • Das ist schon extrem bescheuert. Gibts da kein Verfassungsgericht das das Gesetz wieder einsackt?

  • @LAND OF PLENTY

    Nicht nur Merz. Seine ganze AfD ist das.

  • Erschütternd!



    Da zeigen die Faschist:innen ihr wahres Gesicht: nicht für das Volk, sondern für das eigene Klientel.

  • Ganz nach Plan der Libertarians, die wie Merz in Europa auf dem Vormarsch sind.

  • So weit ist es bei uns (noch) nicht. Jedoch ist es bekanntlich keine Seltenheit, dass Bürgergeldempfänger*innen hierzualnde als arbeitsscheu angesehen werden. Das geht quer durch sämtliche Gesellschaftsschichten und - einige Parteien. Wenn erst mal unsere "Post-Faschisten" auf dem Teppich dieser Vorurteile Macht erhalten sollten, dann geht's auch hierzulande für die Schwächsten zur Sache. Aber vielleicht bleibt das alles ja auf die "kommunale Ebene" begrenzt. Räusper, räusper...

  • Ein Fest für die Mafia!



    Hatte die Mafia bist jetzt Rekrutierungsprobleme hat sie die nun bestimmt nicht mehr.



    Im Süden geht man schließlich zum Don, sollte es wirtschaftliche Probleme geben und der hat immer irgend einen Auftrag.



    Manche Staaten im Westen, nicht nur im Osten, entwickeln sich scheinbar zurück. So werden sich die



    Auseinandersetzungen mit Migranten wohl verschärfen . Die die Nichts haben werden sich an denen abarbeiten die das Wenige, das die auch nicht besitzen, zum Überleben fordern. Es könnte die Wiederauferstehung des Duce folgen, was die Regierungschefin- als Wölfin im Schafspelz- wohl nicht unattraktiv findet.



    Und mal Hand aufs Herz: auch die AfD liebäugelt mit diesen Plänen.



    Was Rechts ist im 21ten Jahrhundert, das ist nichts anderes als zurück in die Vergangenheit von Menschen die ihre



    Besitzstände nostalgisieren weil sie sie wegbrechen sehen. In diesem Sinne spiegelt die AfD nichts anderes wieder als eine Gesellschaft der



    60er Jahre des zwanzigsten Jahrhundert, eine Gesellschaft der Kissingers und Filbingers, der FJ Strauß im Touch mit Adolf von Tatten als man die NPD im Zuge des Kalten Krieges als nicht so schlimm erachtete, schon der eigenen Vergangenheit wegen. Das schleppt sich so nun auch durch Teile der EU, leider!

    • @Thomas Rausch:

      Ich denke Sie meinen *Kiesinger

  • ...will Italien jetzt den Tourismus einstampfen... der Kriminalität wird so jedenfalls kein Einhalt geboten...



    Irgendwie Till Eulenspiegel anhängig solche Aktionen...