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Urteil zu GefangenenvergütungOhne Geld keine Verantwortung

Gefangene arbeiten für Minilöhne. Karlsruhe erklärt das für zwei Länder als verfassungswidrig. Diese müssen nun „widerspruchsfreie“ Regelungen vorlegen.

Auch in der JVA muss Arbeit anständig entlohnt werden – Arbeitshandschuhe in der JVA Dresden Foto: Sylvio Dittrich/imago

Karlsruhe taz | Wenn von Strafgefangenen erwartet wird, dass sie Schäden wiedergutmachen und Unterhalt für ihre Angehörigen bezahlen, darf man sie nicht mit Mickerlöhnen von rund 2 Euro pro Stunde abspeisen. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb die Strafvollzugsgesetze von Bayern und Nordrhein-Westfalen für verfassungswidrig erklärt. Die Länder haben bis Mitte 2025 Zeit, neue, „widerspruchsfreie“ Regelungen zu beschließen. Das Karlsruher Urteil dürfte auch für alle anderen Bundesländer relevant sein.

Geklagt hatten zwei Gefangene aus Straubing (Bayern) und Werl (Nordrhein-Westfalen). Ihre Verfassungsbeschwerden hatten nun Erfolg. Es ist aber noch völlig offen, ob sie und andere Gefangene ab 2025 mehr Geld bekommen. Karlsruhe hat den Ländern keinen konkreten Stundenlohn vorgegeben, sondern nur eine besser durchdachte Gesetzgebung.

Derzeit bekommen Gefangene für ihre Arbeit nur 9 Prozent des Durchschnittslohns aller Rentenversicherten. Je nach Qualifikation sind das zwischen 1,37 Euro und 2,30 Euro pro Stunde. Dies ergibt einen Tagesverdienst von nur 9,87 Euro bis 16.44 Euro. Zudem erhalten arbeitende Gefangene noch zwischen 6 und 8 freie Tage pro Jahr, die in der Regel die Haftzeit am Ende verkürzen. In den meisten Bundesländern besteht für Häftlinge Arbeitspflicht, meist ist aber zu wenig Arbeit für alle Arbeitswilligen da.

Weiter Spielraum des Gesetzgebers

Bis 2001 betrug der Haftlohn sogar nur 5 Prozent des normalen Durchschnittslohns. Die damalige Erhöhung ging auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1998 zurück. Damals postulierte das Gericht, dass sich aus dem Grundgesetz ein „Resozialisierungsgebot“ ergebe. Strafgefangene haben den Anspruch, auf ein straffreies Leben vorbereitet zu werden. Die klagenden Häftlinge machten nun geltend, dass auch die aktuellen Minimallöhne gegen dieses Resozialisierungsgebot verstießen.

Die Länder hielten die Löhne dagegen für angemessen. Schließlich hätten Strafgefangene nur eine Produktivität von 15 bis 20 Prozent normaler Arbeitnehmer:innen, so Bayern. Grund seien schlechte Ausbildung, hohe Fluktuation und häufige Sprachprobleme. NRW rechnete vor, dass das Arbeitswesen hinter Gittern doppelt soviel Kosten verursache wie damit Einnahmen erzielt werden.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts unter Vizepräsidentin Doris König bekräftigte nun das Resozialisierungsgebot und verpflichtete die Länder, alle wesentlichen Fragen gesetzlich zu regeln. Dabei müsse insbesondere die Bedeutung der Arbeit und ihrer Vergütung festgelegt werden. Wenn die Arbeit hinter Gittern, wie bisher in allen Ländern, eine wichtige Rolle bei der Resozialisierung spielen soll, dann müssen die Landtage folgende Vorgaben beachten: Geleistete Arbeit muss „angemessene Anerkennung“ finden.

Arbeit ohne greifbaren Gegenwert degradiere die Gefangenen zu „Objekten staatlicher Gewalt“. Die (geringe) Entlohnung solle von den Gefangenen nicht als Teil der Strafe empfunden werden. Diesen soll der Wert regelmäßiger Arbeit für ein künftiges eigenverantwortliches und straffreies Leben in Gestalt eines für sie greifbaren Vorteils vor Augen geführt werden.

In diesem Rahmen habe der Gesetzgeber aber einen weiten Spielraum. So kann er etwa die geringere Produktivität von Gefangenenarbeit berücksichtigen. Die Anerkennung der Arbeit könne in Geld, aber auch in Haftverkürzung oder Hafterleichterungen erfolgen. Zudem kann der Gesetzgeber die Häftlinge an den Haftkosten beteiligen und Entgelte für ärztliche Behandlungen verlangen. Auch können die Länder vorsehen, dass mit den Löhnen Wiedergutmachung geleistet und Unterhalt bezahlt wird. Ebenso kann die Rückzahlung von Schulden und Gerichtskosten von den Gefangenen verlangt werden.

Zeit bis Juni 2025

Am Ende müssen jedoch Häftlinge, die arbeiten, besser dastehen als Häftlinge, die nicht arbeiten, so Karlsruhe. Auch müssen die Erwartungen an die Gefangenen, insbesondere zur Wiedergutmachung von Schäden, realisierbar sein und nicht wegen der geringen Entlohnung völlig unrealistisch erscheinen. An diesen Vorgaben scheiterten die Strafvollzugsgesetze von Bayern und NRW. Die Länder erwarteten zunehmend, dass die Häftlinge Verantwortung für ihre Opfer und ihre Angehörigen übernehmen – während der Haftlohn unverändert bei 9 Prozent des Durchschnittslohns verblieb, Es „erschließt sich nicht“, so die Richter:innen, „wie diese Anforderungen von den Gefangenen erfüllt werden sollen, ohne dass ihnen mehr Lohn für die von ihnen geleistete Arbeit zur Verfügung stünde“. Die Vorstellungen der Länder seien „widersprüchlich und realitätsfern“.

Bayern und NRW haben nun bis 30. Juni 2025 Zeit für eine Neuregelung. Bis dahin gelten die alten Löhne fort. Die Neuregelung muss auch keine Rückwirkung haben, so Karlsruhe. Formal gilt das Urteil nur für die zwei Länder. Doch die anderen Länder tun gut daran, die Karlsruher Vorgaben ebenfalls umzusetzen, sonst werden sie beim nächsten Fall verurteilt.

Wenn Gefangene mit den Ergebnissen der jeweiligen Landesneurelung unzufrieden sind, können sie zwar wieder das Bundesverfassungsgericht anrufen. Aber Richterin König machte deutlich, dass Karlsruhe die Konzepte der Länder dann nur auf „Vertretbarkeit“ prüfen werde, weil diese einen großen Gestaltungsspielraum haben.

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22 Kommentare

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  • Die Entscheidung des BVG zur "Gefangenenentlohnung" war überfällig. Nicht nur in den JVAs wird dieses Thema nun weiter diskutiert werden. Auch in der forensischen Psychiatrie und ihrem Anspruch "Menschen zu resozialisieren und ihnen Wertschätzung und Selbstachtung zu vermitteln" wird das bald größere Kreise ziehen. Und das ist auch richtig so. Das Gleiche gilt für Arbeiten in Werkstätten für behinderte Menschen. Auch hier werden Menschen für "Kleines Geld" "Sinnvoll" beschäftigt und namhafte Unternehmen finden hier "Schnäppchenlösungen" für unrentable Arbeiten. Und wer meint daß das alles nur "Peanuts" sind irrt. Kliniken sind teilweise auf die Arbeit der PatientInnen angewiesen.



    Das wir uns richtig verstehen: Begleitete arbeitstherapeutische Maßnahmen machen durchaus Sinn und viele KollegInnen leisten hervorragende Arbeit. Für PatientInnen können sie ein wichtiger Schritt auf dem Weg in eine bessere Zukunft sein.



    Trotzdem ist es wichtig den Menschen nicht das Gefühl zu geben „Versklavt“ zu sein. Das konterkariert den Ansatz den Menschen „Selbstwert“ zu vermitteln, bzw. auch „Kranken“ Menschen das Gefühl zu geben „Gebraucht“ zu werden.



    Inklusion nennt man das wohl. Aber bei Geld hört die Inklusion eben auf.

  • Ich denke, es ist wichtig, dass wir uns als Gesellschaft damit gründlich befassen.



    Gefängnis ist und bleibt aus meiner Sicht immer ein Kompromiss gegenüber die ideale Möglichkeit, dass viele Straftaten erst gar nicht begangen wurden. Methoden der Prävention wären dafür die Mittel. Jetzt haben wir uns jedoch als Gesellschaft für Gefängnisse entscheiden u.a. verbunden mit der Hoffnung, dadurch Menschen vor kriminellen Personen zu schützen und die Straftäter: innen gleichzeitig zu erziehen und als stabilere Teilnehmer:innen der Gesellschaft dann später zu zu entlassen.



    Aus meiner Sicht wäre es dabei sehr wichtig, dass die Arbeitskraft der Strafgefangenen niemals zum wirtschaftlichen Vorteil der Gesellschaft außerhalb der Gefängnisse instrumentalisiert werden. Das drohte dann die Motivation für Gefängnisstrafen und die Erweiterungen von Gefängnisplätzen zu verwischen.

    • @Nilsson Samuelsson:

      die "ideale Möglichkeit" ist keine reale und auch keine ideale Option sonden ein Hirngespinst und ein zynischer Eupemismus.



      Der Srafgefangene arbeitet auch nicht zum "wirtschaftlichen Vorteil" der Gesellschaft, er mindern damit nur die Kosten, die die Gesellschaft mit seiner Resozialisierung zu Tragen hat.

      • @Saccharomyces cerevisiae:

        Harter Urteil von Ihnen:



        "Hirngespinst und ein zynischer Euphemismus"



        Ich habe neulich das Buch 1619 u.a. über die Sklavereiwirtschaft in USA bis in die Gefängniswirtschaft der Gegenwart gelesen.



        www.thalia.de/shop...etails/A1063537013



        Ich denke schon, dass Gefängnis- und Lagerwirtschaft gesamtgesellschaftlich ökonomisch mit analysiert werden sollen.



        Ich denke daher auch dass ihre Vorstellung; dass es sich lediglich nur um eine Art Teilrefinazireung der Kosten der "Resozialisierung" handelt, etwas kurz und eindimensional gedacht ist.



        Aber wir müssen ja in diese Sache nicht einig werden.

        • @Nilsson Samuelsson:

          Mag sein, dass es zu direkt klingt. Denoch ist diese mäandernde Verbrämung ,die "ideale Möglichkeit", dass viele Straftaten erst gar nicht begangen wurden(sic!)" sei schlicht Prävention, einfach nur naiv.



          Als ob das nicht spätestens seit den 70ern ein Grundsatz des Strafrechts ist! ( de.wikipedia.org/wiki/Resozialisierung ) Und doch gab es 2021 275 Morde (Totschlag: 364) und für beide zusätzlich ca. 1650 Versuche.



          Ich bin sicher, eine wöchentliche, allgemeinverpflichtende Familienaufstellung oder ein Stuhlkreis hätte all diese Taten verhindert (SCNR). Und soll geschehen mit den Tätern, welche nicht durch "Prävention" von ihren Taten abgehalten werden?

          Anders als in den USA, und diese beschreibt Ihr Buch, ist Strafvollzug in Deutschland keine privatwirtschaftliche Industrie und unser Strafrecht nicht auf den Prinzipien von Rache und Vergeltung aufgebaut.



          Sie sprechen von "Lagerwirtschaft". Welche deutschen "Lager" meinen Sie?



          Aber zurück zur Prävention:



          Wenn Sie die Daten des statistischen Bundeamtes ( www.destatis.de/DE...flege/_inhalt.html ) betrachten, dann werden Sie feststellen, dass 2021 bei 5,0 Mio Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften 662100 Personen rechtskräftig verurteilt wurden während es ca. 50000 Strafgefangene gab.



          Also wird nicht einmal jeder 13. strafrechtlich Verurteile eine längere Haftstrafe antreten müssen.



          Aber an den "Neuen Menschen" der ja bekanntlich nicht gegen die Gesellschaft handelt, kam bisher jeder Versuch nur auf dem Weg der Liquidation, Umerziehung und Unterdrückung und war in keiner Weise erfolgreich. Weder die Jacobiner, oder die NS_Diktatur noch die Khmer Rouge oder am Marxismus-Leninismus ausgerichtete Systeme hatten Erfolg.

  • Tja. Die offensichtlich vielfältigen Ausbeutungslöhne -wie man hier in dem Forum liest- sind wohl eher symptomatisch. Bei der Abschaffung würden sicherlich viele Wirtschaftsbetriebe laut aufheulen, denn so billige Arbeitskraft ist nicht eben mal so zu ersetzen und das schmälert die Profite. Eine Todsünde in Deutschland!!

    • @Perkele:

      "... denn so billige Arbeitskraft ist nicht eben mal so zu ersetzen und das schmälert die Profite."

      Es gibt doch noch die Behindertenwerkstätten. Der deutsche Staat zahlt Milliarden Euro (von den Steuergeldern der Bürger) an Behindertenwerkstätten. "Großzügige" 1,34 Euro pro Stunde erhalten die Behinderten dort für ihre Arbeit. Der Mindestlohn gilt nämlich nicht für behinderte Menschen. Siehe dazu z.B. ***(Legale) Abzocke und Ausbeutung in der Behindertenwerkstatt | Die Anstalt*** auf dem ZDF-Kanal bei YouTube.

  • ein staat der körperverletzung nur auf anzeige der geschädigten verfolgt, und dann auch meist auf bewährung = garnicht bestraft hat andere Probleme.

  • Wer in Deutschand ein FSJ macht, kriegt ca 2,20 pro Stunde

    • @rero:

      Das FSJ ist wie der Name schon sagt freiwillig. Die Leute können sich jederzeit einen anderen, höher bezahlten Job suchen. Strafgefangene nicht.

      • @Andreas J:

        Das Arbeiten in den JVAs ist meist auch freiwillig.

        • @rero:

          " In den meisten Bundesländern besteht für Häftlinge Arbeitspflicht". Steht im Text!

      • @Andreas J:

        Die Strafgefangnene sind Straftäter und haben Straftatenbegangen.



        Sie sind nicht freiwillig dort sondern weil sie in der Schuld der Gesellschaft stehen.



        Der Wehrsold für Wehrpflichtleistenden, die (im Moment) nicht mehr existieren, läge für Mannschaftsdienstgrafe zwischen 11,41€ und 15,25€ pro Tag.



        Warum sollte ein Strafgefangener mehr verdienen sollen?

        • @Saccharomyces cerevisiae:

          Ein Strafgefangener soll weniger verdienen als ein Wehrpflichtiger den es nicht gibt, aber deren Sold sie bemessen können. Sie konstruieren eine Ungerechtigkeit die es nicht gibt. Schon schräg.

          • @Andreas J:

            Die Wehrpflicht ist seit 2011 ausgesetzt, nicht abgeschafft. Wehrpflichtige werden seither nicht verpflichtet, es gibt sie jedoch weiterhin.



            Die Besoldung ist der Wehrsold, ich "bemesse" diesen nicht, sondern er ist nach Wehrsoldgruppen festgelegt. (de.wikipedia.org/w...82%AC%20Gefreiter).



            Ich "konstruiere" keine Ungerechtigkeit, sondern stelle die Frage, wieso eine Person, welche durch eigenes schuldhaftes Verhalten die Gesellschaft oder Dritte geschädigt hat und dafür zur Verantwortung gezogen wird,, für die Dauer der Haft besser gestellt werden soll als jemand, der ohne Verschulden zu einem Beitrag zur Gemeinschaft verpflichtet wird.

      • @Andreas J:

        Die Strafgefangenen konnten sich aber aussuchen, ob sie Verbrechen verüben oder es sein lassen.

      • @Andreas J:

        @ Andreas J: Dann muss auch die Frage erlaubt sein, wer denn nicht freiwillig eine Straftat begeht? Meines Wissens wird niemand gezwungen, kriminell zu werden/zu sein. Insofern ist auch ein Gefängnisaufenthalt eine freiwillig in Kauf genommene Angelegenheit.

  • „Wer in Deutschland in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, verdient durchschnittlich 220 € im Monat. Das macht einen Stundenlohn von ca. 1,46€“

    • @guzman:

      Sie können aber nicht ein Unrecht mit einem anderen abtun.



      Die Löhne in Behindertenwerkstätten waren auch schon oft genug Thema vor Gericht.



      Es wurde ja schon gesagt, dass die bessere Entlohnung nicht zwangsweise in Geld ausbezahlt werden muss. Hafterleichterungen oder sogar Verkürzungen sind ebenfalls viel Wert, kosten den Staat und die dort produzierenden Unternehmen aber nichts.

      • @Herma Huhn:

        Was unterstellen Sie? Ich ‚tue nicht ab’ sondern verweise auf ein weiteres Unrecht.

    • @guzman:

      Die ersten 2 Jahre gibt nur 60 Euro und danach wird gestaffelt bzw. nach Motivation bezahlt.

  • 10 Milliarden für Intels Chipfabrik - ja, hier bitteschön.



    Halbwegs fairer Stundenlohn für Häftlinge - ach, oh weh, so teuer!