Strafvollzug in Berlin: Gefangene gegen Diskriminierung

Im einem Tiktok-Video prangern Insassen der JVA Tegel in Berlin die Diskriminierung ausländischer Gefangener an. Justiz will den Vorwürfen nachgehen.

Außenmauer der Justizvollzugsanstalt in Tegel

Außenmauer der Justizvollzugsanstalt in Tegel Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Berlin taz | Die Kamera filmt von oben. Wahrscheinlich steht ein Mann mit Smartphone auf einem Stuhl oder einem Tisch. Zu sehen sind zehn Personen, die Kamera filmt lediglich ihre Beine. Nur von einem sieht man das Gesicht. Er trägt ein weißes Sweatshirt und Goldkettchen, außerdem eine Brille.

„Ausländische Gefangene werden diskriminiert und erhalten schlechtere Arbeit beziehungsweise keine Arbeit“, sagt er. Das Video, erklärt er, sei am 9. Februar 2023 in der Teilanstalt VI der Justizvollzugsanstalt Tegel aufgenommen worden. Anschließend wurde es auf die Videoplattform Tiktok hochgeladen, wo es sich heute noch findet. Eine Sprecherin der Justizverwaltung hat gegenüber der taz die Echtheit des Videos bestätigt.

Die Liste der Vorwürfe ist noch länger: Ausländische Gefangene würden nicht auf die Entlassung vorbereitet. Ein Ex-Häftling habe eine Nacht vor der Tür der JVA geschlafen, weil er nicht wusste, wohin er gehen solle. Ärztliche Anordnungen ignoriere die JVA ebenso wie Gerichtsbeschlüsse und Dienstaufsichtsbeschwerden. Gefangene, so heißt es weiter, die die deutsche Sprache nicht sprechen, bekämen für Anhörungen und sogenannte Vollzugsplankonferenzen keine Dolmetscher.

Außerdem gebe es „kollektive Bestrafungen“ für alle, wenn sich einzelne daneben benähmen. Wie genau die Bestrafungen aussehen, beschreibt der Vortragende nicht näher. Darüber hinaus sei die Versorgung mit Lebensmitteln reduziert worden.

Video als Hilferuf

Das Video sei ein Hilferuf, so erklärt es der Gefangene. „Durch diese Aktion wollen wir uns Gehör verschaffen und die Aufmerksamkeit auf uns richten.“ Dann dreht er sich nach rechts. Was „diese Aktion“ ist, sieht man auf Tiktok nicht.

In einem zweiten Video wird auf Instagram verwiesen, wo das komplette Video zu sehen ist. In den letzten Sekunden sieht man, wie sich drei Gefangene mit einem scharfen Gegenstand – möglicherweise einer Rasierklinge, die Adern aufritzen, bis sie bluten. Auf eine Nachricht der taz an den Betreiber des Tiktok-Kanals gab es keine Antwort.

Aufgenommen worden sei das Video in den Kellerräumen der Teilanstalt VI der JVA Tegel, erklärt die Sprecherin der Senatsjustizverwaltung. Der Gefangene, der im Video mit Gesicht zu sehen sei, sei identifiziert worden.

„Die Senatsjustizverwaltung geht den in dem Video erhobenen Vorwürfen gründlich nach“, sagte eine Sprecherin. Das gelte auch für die Rassismus-Vorwürfe. Grundsätzlich seien Rassismus und Diskriminierung gesellschaftliche Phänomene, die auch vor den Gefängnismauern nicht Halt machten. Allgemein seien Unzufriedenheiten „bezüglich der ausgegebenen Kaltspeisen“ in der gesamten JVA Tegel bereits bekannt. Das Smartphone, mit dem das Tiktok-Video aufgezeichnet wurde, sei noch nicht gefunden worden.

Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) setze sich schon seit Langem für eine Reform des Beschwerdemanagements in den Berliner Gefängnissen ein. „Ziel muss ein niedrigschwelliges Beschwerdemanagement sein, in das die Gefangenen Vertrauen haben.“ Das Vertrauen in die Verlässlichkeit staatlicher Institutionen sei ein wichtiger Beitrag zum vordersten Vollzugsziel der Resozialisierung.

Unterschiedliche Reaktionen

Unter dem Video auf Tiktok haben sich bis Freitagnachmittag mehr als 1.000 Kommentare angesammelt. Sie rangieren zwischen verächtlich und verständnisvoll. Viele senden lachende Emojis und machen sich über die Vorwürfe lustig. „Die denken, sie seien im 5-Sterne-Hotel“, heißt es unter anderem.

Andere begrüßen es, dass Missstände öffentlich gemacht werden. „Richtig gute Sache und gute Aktion!!!!! Schön zu sehen, dass ihr zusammenhaltet“, schreibt eine Lena. „Stimmt, ich kenne genug Leute, denen das auch so passiert. Schrecklich“, kommentiert ein Yves. Ein anderer sagt: „Ist leider nicht nur in Berlin so.“ Grammatik und Rechtschreibung hat die taz für den Artikel korrigiert.

In den acht Berliner Gefängnissen sitzen derzeit rund 4.000 Menschen ein. Die JVA Tegel ist mit 900 Gefangenen die größte Haftanstalt für Männer. Die Zustände in den Berliner JVAen sind immer wieder Thema. Besonders katastrophal sind sie in der Teilanstalt II in Tegel. Diese soll, ebenso wie die Teilanstalt III, von Grund auf saniert werden. Auf der Brache der abgerissenen Teilanstalt I soll ein modernes Vollzugsgebäude errichtet werden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.