piwik no script img

Reform des StraßenverkehrsgesetzesRunter von der Autospur

Das Bundeskabinett will eine Reform des Straßenverkehrsgesetzes beschließen. Umweltverbände vermissen aber noch konkrete Schritte.

Mehr Platz für Radler:innen, weniger für Autofahrende: Das könnte die Reform des StVG bewirken Foto: Karsten Thielker

Freiburg will eine soziale Verkehrswende: Wie viel Geld Bür­ge­r:in­nen für ihren Anwohnerparkausweis zahlen, soll von deren Einkommen abhängen. Das ist ein neuer Ansatz. Doch innovativ dürfen Kommunen bei ihrer Verkehrspolitik nach derzeitiger Rechtslage nicht sein. Die Rich­te­r:in­nen des Bundesverwaltungsgerichts kassierten die Idee. „Eine Bemessung der Gebühren nach sozialen Zwecken hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen“, urteilten sie.

Ob neue Rad- oder Fuß­gän­ger:innenwege, verkehrsberuhigte Zonen, Tempo 30 oder Parkgebühren – bislang haben die Kommunen kaum einen Spielraum, ihre öffentlichen Räume umzugestalten und Autos zurückzudrängen. Die derzeitige Gesetzeslage sichert die Privilegien der Autofahrenden in den Kommunen. „Im Zweifel fahren Autos überall 50 und parken, wo sie wollen“, fasst der Jurist Roman Ringwald die Rechtslage zusammen.

Er berät Kommunen in Fragen der Verkehrswende. Wollen Städte und Gemeinden Tempo-30-Zonen einrichten oder Parkgebühren erheben, müssen sie nachweisen, dass das wirklich nötig ist. Das kostet Zeit und Geld. Verzichten sie darauf, riskieren sie eine Klage, etwa von Anwohner:innen.

Das soll sich ändern. Am Mittwoch will das Bundeskabinett einen Gesetzentwurf von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) verabschieden, der die Möglichkeit eröffnet, dass Kommunen sehr viel größere Spielräume bekommen. Die vorgesehene Änderung wirkt unscheinbar, hat aber weitreichende Folgen. Im Straßengesetz soll es eine Veränderung geben: Derzeit wird dort allein die Leichtigkeit und Sicherheit des Verkehrs als Ziel bezeichnet – wobei damit im allgemeinen Autoverkehr gemeint ist. Neu hinzukommen als weitere Ziele sind der Klima- und Umweltschutz, die Gesundheit und die städtebauliche Entwicklung.

Entscheidend ist die StVO

Die Änderung des Straßengesetzes ist im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vereinbart worden. Am vergangenen Donnerstag verschickte das Bundesverkehrsministerium den Gesetzentwurf an Verbände zur Stellungnahme. Am Mittwoch soll das Gesetz ins Bundeskabinett.

Hat der Bundestag das Gesetz verabschiedet, kann aber noch nicht von einem Ende die Rede sein: Entscheidend ist, dass im Anschluss die Straßenverkehrsordnung (StVO) angepasst wird. Denn die Privilegien für den Autoverkehr sind hier verankert. Besonders Paragraf 45 ist reformbedürftig. Dort ist festgeschrieben, dass Beschränkungen und Verbote für den Autoverkehr nur erlaubt sind, „wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht“.

Gerade die Anforderung, diese Gefahrenlage nachzuweisen, macht Änderungen für Kommunen so schwer, dass sie es oft lieber lassen. Teilweise ist es ihnen auch kaum möglich, die bislang geforderten Nachweise zu erbringen. Bevor etwa eine Bus- oder Radspur eingerichtet werden darf, muss eine bestimmte Nutzung nachgewiesen werden – aber die Nachfrage kommt erst in Gang, wenn die Spur da ist.

Kommunen können heute auch keine speziellen Regeln für E-Autos oder Carsharing erlassen, um Anreize für ihre Nutzung zu schaffen. „Wir warten auf die Novelle“, sagt Thomas Kiel d’Aragon, Verkehrsreferent des Deutschen Städtetags. Allerdings sehen die Kommunen auch Nachbesserungsbedarf. Sie wollen eine Erprobungsklausel. „Unser Wunsch ist, dass wir in die Innovation kommen, damit wir in Änderungsprozesse kommen, die uns voranbringen“, sagt er.

Deutsche Umwelthilfe spricht von Nebelkerze

Für die Denkfabrik Agora Verkehrswende ist die Novelle ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Sie wird das Beste sein, was wir in dieser Legislaturperiode bekommen“, ist Christian Hochfeld überzeugt, Direktor von Agora Verkehrswende. Mit der Reform der Straßenverkehrsordnung könne ein Paradigmenwechsel eingeleitet und ein Modernisierungsschub im städtischen Verkehr ausgelöst werden.

Nicht alle teilen diese Einschätzung. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht in der Novellierung den „Versuch der Festschreibung des Primats einer autofreundlichen Stadt“ und spricht von einer „Nebelkerze“. „Eine wirkliche Reform des Straßenverkehrsgesetzes ist nicht vorgesehen“, sagt Geschäftsführer Jürgen Resch. Die Organisation kritisiert, dass das Gesetz selbst keine konkreten Schritte und eben keine Änderung der Straßenverkehrsordnung vorsieht – obwohl das nach Auffassung der DUH durch eine kleine Änderung in der Novelle möglich wäre. „Wir brauchen auch für die kostendeckende und den ÖPNV mitfinanzierende Parkraumbewirtschaftung mehr Rechte für die Stadt“, fordert Resch. „Und auch die Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und Busspuren muss bereits im Straßenverkehrsgesetz geregelt werden.“

Die Verband Changing Cities ist gnädiger. Er sieht „viel Gutes, aber wenig Konkretes“ in dem Entwurf. Die Ra­dak­ti­vis­t:in­nen ärgert, dass das Ministerium den Verbänden nur 24 Stunden Zeit für eine Stellungnahme gegeben hat. „Zivilgesellschaftliche Beteiligung nur über ein so kurzes Zeitfenster zu ermöglichen, lässt mutmaßen, dass eine wirkliche demokratische Beteiligung vom Ministerium gar nicht erwünscht ist oder nicht priorisiert wird“, heißt es in einer Stellungnahme.

Allerdings müssen Kommunen Handlungsspielräume auch nutzen wollen. Das ist keineswegs überall der Fall. In Berlin etwa will die neue Regierung aus CDU und SPD zurückdrehen, was die rot-rot-grüne Koalition an Verbesserungen für Rad­le­r:in­nen auf den Weg gebracht hat. Die neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) hat geplante Radwegprojekte auf Eis gelegt. Sie will Projekte kippen, wenn nur ein einziger Parkplatz dafür weichen muss.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

20 Kommentare

 / 
  • Die DUH hat Recht, dass die Reform auf halber Strecke stehenbleibt. Außerhalb Berlins (und Hamburgs) ist für die Städte und Gemeinden nichts gewonnen, wenn sie für die viel befahrenen Straßen (die ja in erster Linie relevant sind) die Zustimmung der bei den Ländern angesiedelten Behörden brauchen, die allerdings nunmehr nach leicht geändertem Bundesgesetz und Ausführungsverordnung entscheiden als nach altem Bundesgesetz und Ausführungsverordnung. Für die Parkraumbewirtschaftung gilt das gleiche. Und die Ausführungsverordnungen ordnen an, dass alle Städte und Gemeinden, die Parkdruck durch Auswärtige spüren oder unter Durchgangsverkehr leiden, dies dulden müssen, weil sie raumplanerisch dazu verpflichtet sind.

    Kurzum: Es wird sich nichts ändern, wenn nicht die Beweislast umgekehrt wird und die Landesbehörden nur noch unter strengen Auflagen Tempo 30 und teureres Parken verhindern können und zugleich die Kommunen massiven (wahrscheinlich auch finanziellen) Druck verspüren, genau diese Maßnahmen einzuleiten.

  • Ein vier bis acht Meter breiter Bürgersteig, wie in Berlin vielerorts üblich, gibt allemal Platz für einen zwei Meter breiten Radweg her. Dafür braucht man keine Parkstreifen oder Fahrspuren zu beseitigen. Übrigens: eine Busspur mit vielen Radfahrern drauf ist auch kein Vergnügen für Busfahrer und Fahrgäste. Und: Straßenbahnen machen nur Sinn auf eigenem Gleiskörper, sonst stehen sie im Stau (siehe Invalidenstraße).

  • Diese Minimalziele werden schon rechtzeitig von der interessierten Lobby verwässert. Keine Sorge, liebe SUV Fans, das kriegen die schon hin....

  • „Und auch die Umwidmung von Straßenflächen in geschützte Radwege und Busspuren muss bereits im Straßenverkehrsgesetz geregelt werden.“

    Man kommt mit dem Fahrrad innerstädtisch im Allgemeinen schneller und sicherer auf der Straße voran als auf (rechts neben der Straße geführten) separaten Flächen für Fahrräder. Diese denen eher dazu, den Autofahrern die Radfahrer vom Hals zu halten. Ich weiß nicht, warum die DUH für separate Flächen ist. Sinnvoller wäre Tempo 30 als Default-Geschwindigkeit in Innenstädte. Radspuren braucht es eigentlich nur um Radfahrer am Ampelrückstaus vorbeizuführen und eventuell in einigen Fußgängerzonen.

    • @Ruediger:

      Was ist sicher daran, zwischen Autos rumzugurken?

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Vor allem, dass man besser von den Autofahrern wahrgenommen wird, insbesondere, wenn diese rechts abbiegen.

        • @Ruediger:

          Aha. Wenn man im toten Winkel des Rückspiegels ist, wird man besser gesehen. Wieder was gelernt...

          • @warum_denkt_keiner_nach?:

            Sie sind doch viel eher im toten Winkel des Rückspiegel, wenn das Auto neben Ihnen fährt, als wenn es vor oder hinter ihnen ist und mit einem richtigem Spurwechsel überholen muss. Die meisten schweren Unfäle zwischen Auto- und Radfahrern passieren, weil auf Radwegen oder -spuren geradeausfahrende Radfahrer von rechtsabbiegebden Autofahrern übersehen werden. Wenn der Radfahrer vor statt neben dem Auto ist, kann das nicht passieren.

            • @Ruediger:

              In der Theorie stimmt das. In der Praxis bleiben aber viele Radfahrer nicht in der Schlange, sondern versuchen, sich vorn rechts, also genau im toten Winkel zu positionieren. Ist ein Radweg vorhanden, so entspricht das der StVO und wird erwartet. Im anderen Fall, eher nicht.

              Das Problem sind also nicht die Radwege, sondern Verkehrsteilnehmer, die sich entgegen der StVO unaufmerksam und rücksichtslos verhalten. Häufig sitzen diese im Auto. Manche aber auch auf dem Fahrrad.

  • Ich rieche förmlich, wie die Dräte zwischen VDA und Verkehrsministerium heisslaufen.

    Zwei kriminelle Vereinigungen unter sich.

  • Von mir aus braucht es keine Autos. Ich finde es nur merkwürdig, dass in Deutschland um jeden Meter Strasse gekämpft wird und auch der anderen Seite die Autoproduktion mit Milliarden gefördert werden. An diesem Punkt sollte man ansetzen. Sollte Deutschland wirklich jedes Jahr viele Millionen Klimakiller-Autos bauen und verkaufen? Ich denke nicht.

  • „.. weitere Ziele sind der Klima- und Umweltschutz, die Gesundhei…..“



    Einfach lächerlich!



    Tempolimit auf Autobahnen steht seit Ewigkeiten an, doch die vollkommen idiotische Raserei mit Riesengefahrenpotential ist der deutschen Politik CO2, Verletzte und Tote wert, EU-weit das „Gesundheitsphänomen“ schlechthin!

    • @POFF KAMITO:

      Ich weiß umgekehrt nicht, wieso immer ausgerechnet das Tempolimit zum absoluten und erstptrioritären "sine qua non" einer zukunftsfähigen Verkehrspolitk erklärt wird.

      Es ist wie eine fixe Idee: "ERSTMAL muss das Tempo auf den Autobahnen runter. Alles Andere sind halbgare Maßnahmen." Das hat mit der Realität nichts zu tun. Weder sind die Autobahnkilometer ohne Limit im Vergleich zu anderen Straßen, insbesondere Lanfstraßen, übermäßige Unfallschwerpunkte, noch geht ein wirklich erheblicher Teil der Treibhausemissionen des Straßenverkehrs auf ihr Konto. Wo kommt diese Fixierung her?

      • @Normalo:

        "ERSTMAL muss das Tempo auf den Autobahnen runter. Alles Andere sind halbgare Maßnahmen."



        Wer sagte diesen Satz? Habe ich noch nie gehört. Wie sie schon schreiben: "Das hat mit der Realität nichts zu tun."

        Das Tempolimit scheint mir ein kleinster Nenner zu sein, es gibt eine Mehrheit dafür und viele glauben eben sehr wohl, dass das Tempolimit einen signifikanten Teil zur Treibhausgasreduktion beitragen kann. Das die Politik nicht mal diese so simple Maßnahme umsetzt, erscheint vielen als Arbeitsverweigerung. Es gibt in Deutschland einen sehr ausgeprägten Autofetisch, der von Politikern genutzt und gefördert wird.

        • @Hauke:

          Der Satz entsprach dem, was ich dem Vorposting entnehmen konnte:

          “Einfach lächerlich!

          Tempolimit auf Autobahnen steht seit Ewigkeiten an,..."

          Quintessenz: Wenn es kein Tempolimit gibt, ist es nur heiße Luft.

          Und sorry, die Mehrheiten sind eben nur in Umfragen vorhanden (denen bekanntlich nur trauen sollte, usw.). Im Bundestag haben die Parteien, die ein Tempolimit im Programm stehen haben, keine Mehrheit. Isso.

          Davon abgesehen ist "Glauben", dass etwas nötig ist, in einem säkularen Staat nur sehr begrenzt ein stichhaltiges Argument für Verbote. Dafür gibt es Fakten. Die besagen, dass es zwar eine Einsparung gäbe, die aber in absoluten Zahlen im Vergleich zum sonstigen CO2-Abdruck unseres Landes so winzig wäre, dass eine effektive Klimapolitik daran nicht scheitert. Die großen Hebel liegen woanders.

          Wenn man ehrlich ist, ist doch der Zankapfel "Tempolimit" nur ein symbolischer Kriegsschauplatz. Es geht darum, wer im Land das Sagen hat - die Klimaschützer oder die bräsigen Wohlstands-NIMBYs. Ist es das wirklich wert? Sollte man diesen Kampf nicht da führen, wo das Ergebnis wirklich einen respektablen Unterschied macht (wie z. B. bei den dringend nötigen Stromtrassen oder bei der Nutztierwirtschaft)?

  • Schneckenspur



    Gibts ne Extraspur dann , für Schnecken, Politiker und ihr artspezifisches Tempo? Denn das (weinige) (Positive), was hier zusammnegeklaubt wurde, sind Ideen, die in der 80-er Jahren schon rauf - und runterdiskutiert wurden.

  • 6G
    671142 (Profil gelöscht)

    Vielen Dank an alle SPD-Wähler, ohne euch hätte uns nicht diese Genialität von Parkplatz-Manja bereichert. Lasst uns alle unsere Fahrräder verkaufen und unsere BVG-Abos kündigen. Lasst uns alle nen fetten Blechhaufen kaufen und mit rein in den tagtäglichen Stau oder einfach mal überall parken. Der Traum eines jeden homo brummbrummus.

    • @671142 (Profil gelöscht):

      Ja, wer braucht breite Gehwege, Fahrradstellplätze ...? Tsss. Weg damit! Hauptsache das Auto hat Platz. Egal ob Klimakrise und sechstes Massenaussterben, Unfalltote, Lärm, dreckige Luft ...

      • @Uranus:

        Dabei hatte der damals-künftige Regierende doch proklamiert, man wolle den gerechten Ausgleich und das Miteinander der Verkehrsteilnehmer? Bin seeehr dafür ! 1/4 für Aufenthalt(squalität) der Anwohner, 1/4 für Zufußgeher, Dreiräder, Kinderroller, Rollis ..., 1/4 für Radfahrer (und, seuz:wohl auch Elekrostehroller) - Verkehrs-und Stellflächen, und das letzte Viertel (sagt ihnen einfach, es sei das erste) für Brummbrumm und entsprechendes Abstellen. Das hatte er doch versprochen, oder ???

    • @671142 (Profil gelöscht):

      Vielleicht ist das sogar für Aktivisti finanzierbar.



      Wir buchen sämtlich Carsharing-Autos und haben damit halt in der Stadt was zu laden.



      z.B. 2. Reihe, Brötchen laden (in Berlin Weckle)