: Aufgestachelt
Im US-Bundesstaat Texas gehen nicht nur Aktivist:innen in Opposition, um die trans- und queerfeindliche Politik der republikanischen Landesregierung zu konterkarieren. Die hat Angst vor finalem Machtverlust. Ein widerständiger Report
Aus Austin, Texas Johannes Streeck
Das Kapitol ist der Hauptsitz der Regierung von Texas. Rund zwei Jahrzehnte nach Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs erbaut, ist es bis heute Mittelpunkt der Innenstadt von Austin, der Kapitale des weit ausgedehnten Bundesstaats am südlichen Zipfel der USA. Stolze Bürger:innen weisen immer wieder gerne darauf hin, dass das texanische Kapitol um mehrere Meter höher ist als das US-Repräsentantenhaus. An einem heißen Morgen Ende Mai spiegelt sich die Sonne im pinkfarbenen Granit des imposanten Gebäudes, fast verlassen wirkt das parkähnliche Gelände.
Dabei tobt dort im Kapitol ein Kampf um die Grundrechte vieler Staatsbürger:innen. In Texas, nach Kalifornien der bevölkerungsstärkste Staat der USA, ist die LGBTQI-Community seit einiger Zeit politischen Angriffen ausgesetzt, die fast keine Vorläufer in der Geschichte des Landes haben. 140 Gesetzesentwürfe, die von der Bürgerrechtsorganisation Equality Texas als queerfeindlich eingestuft werden, wurden allein in der aktuellen Legislaturperiode von Abgeordneten des Staats eingereicht. Anfang Mai lieferten sich Befürworter:innen und Gegner:innen eines dieser Gesetze, bekannt unter dem Amtskürzel „SB 14“, in der Rotunde des Kapitols lautstarke Auseinandersetzungen.
SB 14 sieht vor, sogenannte geschlechtsbejahende Behandlungen für minderjährige Transpersonen zu verbieten. Die Durchführung von Hormontherapien und die Verabreichung von Pubertätsblockern an Menschen unter 18 Jahren soll verboten werden, Menschen, die bereits in Behandlung sind, sollen nach dem Gesetzestext „medizinisch korrekt entwöhnt“ werden.
Damit richtet sich die von den Republikanern angeführte texanische Bundesregierung nicht nur gegen den medizinischen Konsens, sondern auch gegen die Wünsche vieler Texaner:innen. Die American Medical Association, der größte Verband US-amerikanischer Mediziner:innen, warnt ganz explizit vor den Folgen solcher Verbote. Geschlechtsbejahende Behandlung sei „medizinisch notwendig“, sagte der Verband schon 2021, die psychologischen Folgen für Betroffene könnten fatal sein.
Die Republikanische Partei ließ sich von den unterstützenden Stimmen behandelnder Ärzt:innen und Psycholog:innen genauso wenig umstimmen wie von den Tausenden Menschen, die sich im Kapitol versammelt hatten, um vehement gegen das Gesetz zu protestieren. Nachdem die vielen Mitglieder und Förder:innen der LGBTQI-Gemeinde in Texas den Abgeordneten zu lautstark wurden, ließ man sie einfach mit Polizeigewalt aus dem Gebäude entfernen.
Jonathan Gooch leitet die Außenkommunikation für Equality Texas und erklärt, dass SB 14 nur Teil eines massiven Vorstoßes der texanischen Rechten sei: „Die von den Republikanern vorgestellten Gesetze richten sich bei Weitem nicht nur gegen Transpersonen“, sagt er im Interview mit der taz. „ Neben der Gesundheitsversorgung von Minderjährigen geht es teilweise sogar um geschlechtsbejahende Behandlungen für Erwachsene. LGBTQI-Themen sollen in Schulen zensiert werden, sie möchten Bücher, die sich damit beschäftigen, in öffentlichen Büchereien verbieten.“
Equality Texas mobilisiert über breite Bündnisse gegen die ständigen Vorstöße der Republikaner. „Wir haben an einem Donnerstag erfahren, dass das Gesetz am darauffolgenden Montag verhandelt werden soll“, erzählt Jonathan Gooch. „Am Montag waren dann im Laufe des Tages rund 3.000 unserer Unterstützer im Kapitol von Austin, um sich gegen das Gesetz auszusprechen.“
Für Beobachter:innen ist Texas voller Gegensätze. Das Cowboyimage, das hier gerne noch propagiert wird, ist längst Geschichte. Die Mehrheit der Texaner:innen lebt heute in städtischen Gebieten, seit ein paar Jahren ist der Bundesstaat zudem „Majority Minority“, zahlenmäßig sind Weiße dort nun in der Minderheit.
„Unsere Regierung reflektiert diesen Umstand aber überhaupt nicht“, sagt Jonathan Gooch. Die Mehrheit der Abgeordneten und Senator:innen, die auf der Seite des republikanischen Gouverneurs Greg Abbott stehen, sind nach wie vor weiße Männer. Dass dies so ist, ist laut Gooch und anderen Aktivist:innen aber vor allem eine Konsequenz des politikwissenschaftlich sogenannten Gerrymandering. Damit werden die Grenzen von Wahldistrikten so gezogen, dass bestimmte Wählerschaften ein- oder ausgeschlossen werden. „Die Distrikte haben dadurch bizarre Formen oder sind sehr langgezogen, um sicherzustellen, dass bestimmte Menschengruppen in der Mehrheit bleiben“, erklärt Gooch. Den Republikanern gehe es in Texas darum, „dass sie die politische Mehrheit behalten, obwohl sie zahlenmäßig unterlegen sind“.
Während SB 14 noch auf die Unterschrift von Gouverneur Abbott wartet, der das transfeindliche Gesetz lautstark unterstützt, habe die extreme Anti-LGBTQI-Rhetorik in Texas jetzt schon Folgen, erzählt Gooch. „Manche Familien planen bereits, den Bundesstaat zu verlassen.“ In einigen Fällen bedeute das, dass sich Familien aufteilen müssten, um sicherzustellen, dass ein Kind die notwendige medizinische Versorgung bekomme. „Der eine Elternteil zieht also weg, und der andere bleibt in Texas, um weiterarbeiten zu können und um den Umzug zu finanzieren.“
Zudem stachelt die homophobe und queerfeindliche Rhetorik der Republikaner die extremsten Teile der texanischen Rechten an. „Republikanische Abgeordnete gehen offen mit Desinformationen und Beleidigungen gegen die queere Gemeinde vor, und wir müssen mit ansehen, wie Neonazis und Befürworter der weißen Vorherrschaft bei Dragveranstaltungen auftauchen“, sagt Gooch. „Viele LGBTQI-Personen fühlen sich gerade sehr verunsichert.“
Geht es um den Ursprung der rechten Hetze gegen die LGBTQI-Gemeinde in Texas und anderswo in den USA, gibt es wohl keine Stimme, die lauter ist als die der christlichen Rechten. Vor allem evangelikale Kirchen wettern lautstark gegen den vermeintlich verderblichen Einfluss der „queeren Agenda“, insbesondere in den Südstaaten ist die Kirche stark.
Emily Witt arbeitet für da Texas Freedom Network, eine Organisation, die sich für die Trennung von Kirche und Staat einsetzt. Witt, die sich selbst als queer bezeichnet, sieht in den Vorstößen der christlichen Rechten vor allem eine Reaktion auf den demografischen Wandel im Staat.
„Wir haben in Texas eine Wählerschaft, die ständig jünger, progressiver und diverser wird“, sagt Witt der taz. „Die Leute, die in Texas historisch das Sagen hatten, haben unglaubliche Angst vor dem Machtverlust. Sie sehen, dass die Uhr tickt und dass sie nicht mehr viel Zeit haben, um diese extremistischen Gesetze durchzukriegen.“
Witt sieht die Angriffe auf ihre Community dabei nur als Teil eines größer angelegten Versuchs, unliebsame Stimmen zum Schweigen zu bringen. „Für mich sind die Rechte der LGTBQI-Community mit dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch verwoben. Sie hängen aber auch mit den Kämpfen für Klimagerechtigkeit und Justizreform, den Rechten ethnischer Minderheiten sowie dem Thema Bildung zusammen.“
Kristin Braun, Priesterin in Austin
In Witts Augen ist die Hetze gegen LGBTQI-Rechte für die christliche Rechte das nächste Kapitel nach deren erfolgreichem Kampf gegen das Recht auf Abtreibung, das seit der Aufhebung des Gerichtsurteils „Roe v. Wade“ im Juni 2022 in den USA nicht mehr besteht. In Texas ist wegen der besonders drakonischen Gesetzeslage seit der Aufhebung des Urteils eine Abtreibung nur noch in extremen Ausnahmen möglich.
„Seit die gleichgeschlechtliche Ehe legal wurde, gab es hinter den Kulissen Bestrebungen, uns dieses Recht wieder wegzunehmen“, sagt Witt. „Es hat 50 Jahre gedauert, ‚Roe. v. Wade‘ abzuwickeln, das war Teil einer Langzeitstrategie. Aber ich finde, man kann auch an diesem enormen Backlash messen, wie weit wir es in den vergangenen Jahrzehnten gebracht haben.“
Progressive Aktivist:innen wie Emily Witt und andere hoffen, dass die Wahlen in den kommenden Jahren in Texas einen Umschwung zugunsten der Demokraten bringen. Bis jetzt haben sich diese Hoffnung jedoch nie erfüllt – der letzte Gouverneurskandidat der Demokraten hatte rund 10 Prozentpunkte weniger als Amtsinhaber Greg Abbott erhalten.
Auch die St. David’s Episcopal Church ist in der Innenstadt von Austin zu finden, sie liegt nur wenige Straßen vom Kapitol entfernt. Das mittelalterlich anmutende Gebäude steht zwischen Bürogebäuden und Parkgaragen und ist der Arbeitsplatz von Priesterin Kristin Braun. Mit den reaktionären Ideen manch anderer Kirchenmitglieder und Oberhäupter in Texas kann Braun nichts anfangen. „Für mich ist es wichtig, dass wir als Christen unseren Glauben so verstehen, dass wir alle Menschen zu lieben haben – nicht nur die, die heterosexuell sind“, sagt Braun im Gespräch mit der taz.
In ihrer Kirche sind nicht nur alle Menschen willkommen, sondern die St. David’s Church setzt sich auch für die Rechte der queeren Community ein. Bei den großen Protestaktionen gegen das transfeindliche Gesetz SB 14 war Braun selbst vor Ort, um anwesende Gemeindemitglieder zu unterstützen und vor den Gesetzgebern zu sprechen.
Braun erzählt offen von ihrer eigenen komplizierten Geschichte mit der Kirche. „Ich wurde streng katholisch von österreichischen und deutschen Einwanderern erzogen“, sagt sie. Ihren Bruch mit der Religion ihrer Eltern erlebte sie mit 11 Jahren, als ihr Vater Suizid beging. „Ich hörte bei der Beerdigung damals, wie die Erwachsenen verwundert darüber sprachen, dass mein Vater katholisch beerdigt wurde, obwohl er doch wegen seines Selbstmords mit Sicherheit in die Hölle gekommen war.“ Für die junge Braun war diese Erfahrung eine Zäsur. „An diesem Tag habe ich mich von Gott getrennt und beschlossen, nie wieder zurückzukehren.“
In den darauffolgenden Jahren entdeckte Braun, dass sie pansexuell ist und konnte auch auf die Fragen, die ihre Identität aufwarf, zunächst in der Kirche keine Antworten finden. Nach und nach wandte sie sich aber wieder ihrem Glauben zu, trat irgendwann in die Episkopalkirche ein, um sich schließlich auf Grund einer Eingebung dem Priesteramt zu widmen. „Ins Seminar ging ich quasi nur mit Widerwillen.“
Heute steht Braun einer Kirche in Austin vor, die sie selbst als „radikal inklusiv“ beschreibt. In Gesprächen mit anderen Mitgliedern der queeren Community bemüht sie sich oft um Zurückhaltung. „Ich habe mit vielen Menschen zu tun, die von der Kirche zu tief verletzt wurden“, sagt sie. „Und da ist es oft besser, einfach zuzuhören.“
Gefragt, warum queer- und transfeindliche Rhetorik und Gesetzesgebung plötzlich in den USA wieder solche Aktualität erführen, stellt Braun einen Vergleich mit der Tierwelt an. „Feuerameisen können zu Hunderten auf einem herumklettern, ohne dass auch nur eine einzige beißt“, sagt sie. „Aber wenn eine das Signal gibt, dann beißen sie alle auf einmal.“ Für Braun sind die Ameisen die reaktionären Kräfte, die gerade mit aller Macht versuchen, queere Personen und andere Minderheiten ins Abseits zu drängen. „Seit 15 Jahren arbeiten sie sich in den Zentren der Macht vor, und jetzt beißen sie plötzlich alle gleichzeitig zu.“
Iana Witchm ist in Austin aufgewachsen, und benutzt die genderneutralen Pronomen „they/them“. Seit Kurzem lebt Witchm in Seattle im Nordwesten der USA. Der Bundesstaat Washington, in dem die Großstadt liegt, gilt als weitgehend liberal und ist politisch ungefähr so weit von Texas entfernt, wie es nur geht. „Ich bin auch weggezogen, weil mir die Hitze in Austin nicht bekommt, aber das Timing hat auf jeden Fall viel mit der politischen Stimmung gegen Queerpersonen zu tun“, erzählt Witchm der taz. „Für mich war der Umzug eine Reaktion auf ein Trauma.“
Im Interview beschreibt Witchm die Arbeit in ihrem früheren Friseursalon. „Ich habe mich auf komplizierte Färbetechniken spezialisiert, vor allem grelle Regenbogenfarben. Nach und nach kamen dann geschlechtsbejahende Frisuren dazu. Ich habe vielen Kindern und Jugendlichen die Haare geschnitten, die trans sind oder die sich in einer Phase befinden, in der sie ihre Genderidentität infrage stellen.“ Witchm beschreibt, wie glücklich viele der Klient:innen waren, nachdem sie eine Frisur hatten, die ihrer Identität näherkam.
Besonders die Arbeit mit minderjährigen Kund:innen wurde aber immer komplizierter, je weiter die Hetze der Republikaner ging, berichtet Witchm der taz: „Irgendwann habe ich dann vorsichtshalber alle Fotos von Kindern und Jugendlichen von meinem Instagram-Profil gelöscht. Ich hatte Angst, dass ich versehentlich einen Menschen oute oder dessen Eltern in Gefahr bringe, weil sie zulassen, dass ihre Kinder sich gemäß ihrer Genderidentität und nicht gemäß ihrem zugewiesenen Geschlecht kleiden oder frisieren lassen.“ Witchm denkt immer noch viel an die jungen Menschen, die von der trans- und queerfeindlichen Politik in Texas betroffen sind. „Die Kombination von Homophobie und Waffengewalt ist in diesem chaotischen Staat einfach angsteinflößend.“
In den kommenden Tagen wohl wird der republikanische Gouverneur Greg Abbott in Texas das transfeindliche Gesetz SB 14 unterschreiben. Kristin Braun von der St. David’s Church hat keine griffige Antwort darauf, wie es in Texas für sie und die queere Gemeinde weitergehen soll.
Anfang Mai war sie im Kapitol dabei, um gegen die Verabschiedung des Gesetzes zu protestieren. „Ich weiß nicht, was ich machen soll, außer weiter aufzutauchen und Präsenz zu zeigen“, sagt sie über die sporadisch stattfindenden Protestaktionen. „Ich tue einfach das, was die Leute jetzt immer auf den Demos rufen: Findet einander, kümmert euch umeinander.“
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