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Debatte um U-Ausschuss zu NSU-MordKein Verlass mehr auf die Grünen

Miriam Block hat dem Antifaschismus eine Stimme gegeben – als einzige Grüne in der Hamburger Bürgerschaft. Dafür hat ihre Partei sie nun abgestraft.

Eine Gedenkstelle für den am 27. Juni 2001 ermordeten Kaufmann Süleyman Taşköprü Foto: Christian Charisius/dpa

Die Entscheidung war schon nicht mehr entscheidend. Allein die Debatte der Grünen in Hamburg um einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu den Hintergründen des NSU-Mordes 2001 an Süleyman Taşköprü offenbarte den parteiinternen Disput – der dann zum Debakel wurde: Eine Niederlage, die nicht die Bürgerschaftsabgeordnete Miriam Block zu verantworten hat, sondern die Abgeordneten der Fraktion, die ein Opfer brauchen.

Mit ihrem angekündigten Ja zu einen Ausschussantrag der Linken hatte Block den Konsens der Regierungsfraktionen von SPD und Grüne unterlaufen. Auf diesen doppelten Fraktionsbruch gegen die rot-grüne Regierung und gegen die eigene Fraktion musste in der von moralischen Fragen unbelasteten Logik der Hamburger Grünen ein Exempel folgen. Freies Mandat, alleine dem eigenen Gewissen folgen – schöne Sprüche für Themen und Zeiten, bei denen es ohnehin egal ist. Der Entscheidung der Fraktion ist zu folgen, die Linie ist bedingungslos zu halten. Ein Ausbruch wie der von Miriam Block, die mit ihrem Gewissen eine Ablehnung eben nicht vereinbaren konnte, muss da abgestraft werden. Am Montagabend stimmte die Fraktion dafür, sie von allen Ämtern zu entheben.

Dieses Abstrafen wollte der Fraktionsvorstand, mitgetragen vom Landesvorstand und den Senator*innen, wohl nicht bloß, um die Machtverhältnisse in der Fraktion zu klären; und wahrscheinlich ging es der großen Mehrheit der Fraktion auch nicht schlicht um die Absicherung des Verhältnis zur SPD. Block hat ihre Par­tei­kol­le­g*in­nen viel tiefer getroffen. Denn diese eine Grüne mit ihrer Überzeugung steht exakt da, wo alle Grünen sich selber gern sehen – an der Seite der Betroffenen von rechtsextremen Terror und an der von antirassistischen Initiativen.

Doch der Pseudoantifaschismus der Grünen an der Elbe beschränkt sich beim NSU-Komplex auf wissenschaftliche Aufarbeitung – was Projekte gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und antifaschistische Netzwerke zuvor kritisierten. Dabei wissen diejenigen, die Block kaltgestellt haben, genau: Wissenschaftliches Aufarbeiten ist mit einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss nicht zu vergleichen, die rechtlichen Mittel wie auch die öffentliche Wahrnehmung sind wesentlich schwächer.

Vertrauen zerstört

Dass die Fraktion nicht dem Wunsch der Familie Taşköprü nach Aufklärung nachkam, hinterlässt Verletzungen, zerstört das Vertrauen in die grüne Kernkompetenz neben dem Kampf gegen den Klimawandel. Sie sind an der Elbe kein verlässlicher Partner mehr im Kampf gegen Nazis. Dass ihnen die Entscheidung angeblich schwer fiel, ist moralische Rhetorik. Fakt ist: Bei der Aufklärung rechten Terrors ist auf die Grünen kein Verlass.

Dass ein Untersuchungsausschuss im Zeichen des Antifaschismus auch als Regierungspartei möglich ist, belegten die Grünen in Thüringen gleich zwei Mal. Die Entscheidung der Hamburger Grünen beschädigt all diejenigen in der Partei, die sich in Parlamenten, auf der Straße und im Alltag gegen Rechte engagieren, teils unter massiven persönlichen Anfeindungen, die die Grünen an der Elbe bequem ignorieren können.

Die SPD ist dabei in der Debatte schön außen vor. Sie wollte nie eine tiefer gehende Untersuchung, Kritik trifft sie nicht: Von der SPD in der Hansestadt erwarten Ant­fa­schis­t:in­nen schon lange nichts mehr.

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16 Kommentare

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  • Ahjo, das wäre mal 'ne richtig lustige Sache, wenn der Bürger jeden Tag mehrfach abstimmen müsste. Von Tiefbauprojekten in der eigenen Gemeinde/Stadt über den Ausbau von Kreisstraßen, die Renovierung von Brücken in Dingenskirchen bis hin zur Änderung der Gebührenordnung für - sagen wir mal - Tierärzte.

  • 3G
    33556 (Profil gelöscht)

    Die "repräsentative Demokratie" ist garkeine Demokratie.



    Weil der Souverän seine Souveränsrechte am Wahltag an einen Repräsentanten überträgt, der damit nach der Wahl über vier Jahre oder mehr nach eigenem Gutdünken verfährt. Gemildert wird die Willkür durch den Bezug, die Verbindung zwischen Wähler und Abgeordnetem im Wahlkreis, wo der Bürger den Repräsentanten jederzeit zur Rede stellen kann - aber Demokratie ist das dennoch nicht. Aus Praktikabilitätsgründen ist das aber zu akzeptieren.



    Dann kommt allerdings die "Erststimme" als demokratiefeindliche Komponente dazu, weil damit völlig fremde Menschen mich und meine Wünsche/Vorstellungen repräsentieren sollen, obwohl sie weder mich noch meine Vorstellungen kennen.



    Aber pervers im Wortsinn wird das System dann, wenn das imperative Mandat zuschlägt.



    Denn das hat (1.) eine klar autokratische Komponente, weil der Boss oder ein kleiner Parteiklüngel über den Volkswillen entscheidet.



    Und (2.) negiert dieses imperative Mandat klar den ausdrücklichen Willen der Verfassung, die den Abgeordneten nur seinem Gewissen verpflichtet. Ein dreister Bruch der Vrfassung und sonst garnichts.



    So.



    Und nun entscheidet eine Abgeordnete nach ihrem Gewissen und wird auch noch von ihrer Fraktion abgestraft.



    Heißt: Wenn du dein verfassungsmäßig geschütztes Recht wahrnimmst, dann braten wir dir ein's über.



    Schlimmer kann's eigentlich nur noch in einer Diktatur zugehen!

    • @33556 (Profil gelöscht):

      "Die "repräsentative Demokratie" ist gar keine Demokratie.

      ...

      Schlimmer kann's eigentlich nur noch in einer Diktatur zugehen!"

      Immerhin, den Unterschied sehen Sie noch... bleibt die Frage, wenn eine repräsentative Demokratie keine Diktatur ist, und keine Demokratie (und ich füge aus offensichtlichen Gründen hinzu, auch keine Monarchie) - was ist sie dann?

  • "Bei der Aufklärung rechten Terrors ist auf die Grünen kein Verlass."

    Das ist bitter, aber wahr. Ich wünschte, es wäre anders.

    Und ein PUA NSU wäre für alle sehr wichtig gewesen.

    Die SPD sollte sich das merken, was sie hier für ein Zeichen setzen.

  • Äusserst schlechte Parteiführung in Hamburg. Da wäre ein Parteiausschlußverfahren sinnvoll. Schließlich wurde mit dieser Aktion der Partei ein größerer Schaden zugefügt als dies Hr. Palmer jemals ermöglicht hätte.

  • Nur mit dem Schlußsatz hat Andreas Speit sich vertahn. Genau das erwarten wir von der SPD. Es wäre jedoch mal wieder Zeit die Damen und Herren der SPD zu fragen, warum sie so viel Angst vor einem Untersuchungsausschuß in dieser Sache haben. Das erweckt bei mir den Verdacht, das dafür ein Grund besteht. Wer soll da geschützt oder versteckt werden? STinki Müller

    • @Jens Meyer:

      Ich könnte mir vorstellen das die SPD per se, kein Problem mit einem solchen NSU Ausschuss hat. Ich befürchte hier einen größeren Kontext, hier wurde von der SPD die Treue eingefordert um sicher zu gehen das man ohne weiteres tun zu müssen auch etwaige Wartburg, Cum-Ex Ausschüsse im Keim zu ersticken, bevor noch weiter auf den "armen" ehem. Bürgermeister mit beginnender Demenz (Nur eine polemische überspitzung, basierend auf seinen doch Massiven Errinerungslücken) gefeuert werden kann.

  • »Tatsächlich muss man festhalten, dass gerade in der Politik Selektionskräfte am Werk sind, die nachdenkliche, kreative, emphatische Menschen eher behindert als fördern. Wie auch könnte ein origineller, phantasievoller, sensibler Mensch all den Stumpfsinn, all die Kleingeistigkeit, all den Zwang zu opportunistischer Heuchelei überstehen, der einem Berufspolitiker während seines Marschs durch die Institutionen zugemutet wird? Ist es nicht so, dass diejenigen, die schon von vornherein eine gewisse Neigung zu stumpfsinnigem Opportunismus in sich tragen, auf politischem Gebiet im Vorteil sind?



    Esther Vilar fragt zu Recht: >Wie bringt ein Mensch es fertig, jahrzehntelang in all diesen Phrasen zu schwimmen und all diese Gemeinplätze im Mund zu führen? Wie stellt er es an, das stets wechselnde Parteiprogramm mit ewig gleicher Inbrunst zu zu verteildigen? ... Wer zu Unternehmern redet, bedauert die Unersättlichkeit der Lohnempfänger, und schon bei der nächsten Ansprache werden diese dann auf die Profitgier ihrer Bosse hingewiesen. ... Und das alles im Sechzehn-Stunden-Tagt, an jedem Tag der Woche.<



    ...



    Die herrschende Dummheit ist stets auch die Dummheit der Herrschenden.« Michael Schmidt-Salomon in "Keine Macht den Doofen", S.69f

  • Die Grünen sind eine politische Partei, die ihrer Klientel verpflichtet sind, mehr nicht. Und natürlich dem Selbsterhalt.

    Erwartungshaltungen in den Bereichen, Außen-, Sozial- oder Umweltpolitik sind Projektionen oder ehrlicher Selbstbetrug des Publikums.



    Und warum auch nicht so lange jegliche Äußerungen der Politstars bejubelt wird, statt auf ihre Wirklichkeitsnähe und Wahrhaftigkeit überprüft wird.

  • "moralische Rhetorik" ..

    Danke, endlich passende Worte, wie ich das nennen kann, was Politiker gern

  • Mein Gott, sind die Grünen von allen guten Geistern verlassen, sich bei einem derart zentralen Menschenrechtsthema der wendehaldigen SPD anzudienen, die sie gerade in Berlin vor die Tür gesetzt hat?

  • Genau das!

    Man könnte noch deutlicher werden: Antifaschismus ist bei den Hamburger Grünen ein Lippenbekenntnis und kein yota mehr.

    Die Grünen wandeln sich gerade im Eiltempo von Wahlsiegern zu den Königen und Königinnen der Doppelmoral.

    Vielleicht ist den Grünen aber der echte Antifaschismus auch gar nicht mehr so wichtig. Applaus lässt sich ja heute viel leichter beim "Kampf" gegen "gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Das ist viel leichter und zeigt ja auch dass man auf der richtigen Seite steht.

  • Was sind das eigentlich für Menschen, die für diese katastrophale Entscheidung der Grünen in Hamburg verantwortlich sind? Die vermutlich angesichts der Gedenktage für die Opfer des Faschismus öffentlich wirksam trauern und sich gegenseitig ihrer Widerstandsfähigkeit versichern, aber bei der ersten sich bietenden Gelegenheit den Kampf gegen den Faschismus und das Gedenken an die Opfer des Faschismus aufgrund billiger eigener Interessen verraten?

    Könnte es sein, dass hier eine Politikergeneration herangewachsen ist, die überhaupt nicht fühlt, was sie öffentlich wirksam an den Gedenktagen für die Opfer des Faschismus in den Medien bekennt?

    Mit diesem Skandal, das erkennt Andreas Speit völlig zurecht, ist eine grüne Kernkompetenz zu Bruch gegangen, sehr viel politisches Vertrauen zerstört worden.



    Klingeln in der Vorstandetage im Bundesvorstand die Alarmglocken? Nouripor hat sich mit seiner Stellungnahme zum Skandal schon disqualifiziert. Bleibt noch Ricarda Lang, die bei den Grünen in Hamburg sofort massiv intervenieren müsste, um zu retten, was noch zu retten ist.



    Dass die Hamburger SPD gerne öffentlich wirksam bekennt, wenn es um das Gedenken an die Opfer des Faschismus geht, aber nicht handelt, wenn damit Konsequenzen verbunden sind, ist nächste von Speit zurecht betonte Wahrheit.

  • In Hessen tun sich die Grünen auch nicht gerade mit NSU Aufklärung hervor. Ursprünglich hatten sie einer Geheimhaltung der Akten darüber für 100 Jahre (oder mehr?) zugestimmt. Ein Unding für diese Partei. Das wurde dann auf ein paar Jahrzehnte reduziert - doch wahrscheinlich belastete Akteure sind auch dann nicht mehr zu greifen. Das ist schäbig von der Grünen Fraktion und Regierungsmitgliederen. Es ist ähnlich dem Vorgehen jetzt in Hamburg: die eigene Karriere und der Machterhalt sind viel (!) wichtiger als Grundsätze.

  • Hab‘s schon mal via GG & Karlsruhe Rspr verankert:



    Fraktionen & Parteien haben wider der Demokratie-Intension des Grundgesetzes!



    Zuviel Macht gegenüber den einzelnen Abgeordneten •

    kurz - Daß auch unter den Grünen - & das gilt bundeswieländerweit! Woll.



    Die in der Wolle gefärbten Demokraten dünn gesägt sind! Gellewelle.



    Is plan as plan can be & pfeifen längst die Spatzen von den Dächern! Newahr.



    Normal!



    Auch tazler entblöden sich dennoch nicht!



    Grüne Autokraten abzufeiern! Wie Peter Unfried grade wieder! Gelle.



    Schlicht kein eine eine Frage! Gellewelle&Wollnichtwoll •



    taz.de/Ueber-Empoe...4&s=Peter+Unfried/



    Vor sich hin stuckernd! Newahr.



    Normal - wa.

  • War noch nie Verlass in letzter Zeit!