Wie geht die Letzte Generation vor?: Klimakleber packen aus
Die Klimaaktivist:innen der Letzten Generation haben das Unverständnis über sie satt und machen ihr internes Wiki öffentlich.
1. Sie setzen auf Masse
Die Gruppe setzt auf „Wachstum, Wachstum, Wachstum“, heißt es in den Dokumenten. Sie wolle eine kritische Masse erreichen, um „einen sozialen Kipppunkt und einen internationalen Dominoeffekt“ zu erreichen. Durch die Blockadeaktionen will die Gruppe Aufmerksamkeit auf die Forderungen der Gruppe lenken – aber auch mehr Menschen für den Protest gewinnen. Dafür finden auch jede Woche Vorträge und Trainings statt.
2. Die Gruppe will bürgerlich wirken
In den Informationen zu den Straßenblockaden schreibt die Letzte Generation: „Wir achten wenn möglich auf bürgerliche Kleidung.“ Es soll zum Beispiel niemand barfuß an Aktionen mitmachen. Auf einer anderen Seite in der Informationsdatenbank freuen sich die Aktivist:innen über ein Treffen mit zwei Staatsanwälten: „Wir werden als bürgerlich genug wahrgenommen, yey“.
3. Die Presse ist nicht ihr Freund
Obwohl die Letzte Generation all ihre Aktionen mit Fotos und Videos dokumentiert und mit allen Mitteln versucht, mediale Aufmerksamkeit zu bekommen, sieht sie die Presse sehr kritisch. Nur die in Pressetrainings ausgebildeten Aktivist:innen sollen mit Journalist:innen sprechen, denn die „sind Teil des toxischen Mediensystems und wollen primär ihren Profit“.
4. Kleber nur von einer Marke
Unter den praktischen Tipps und Anleitungen für die Aktivist:innen finden sich auch Empfehlungen für das richtige Material: „Kauft ausschließlich den Kleber von Tedi“. Im Notfall ginge auch der Kleber von Woolworth, der klebe aber nicht gut bei Minusgraden. Zusätzlich gibt es auf der Seite der Aktivist:innen Rezepte für „Superkleber“ oder ein 22-minütiges Video-Tutorial, in dem gezeigt wird, wie man sich die Hand einbetoniert.
5. Von Bienen, Wildbienen, Hummeln und Schildkröten
Aktivist:innen, die sich an Blockaden beteiligen, werden von der Letzten Generation als Bienen bezeichnet. Wildbienen sind jene, die auch „hohe Repressionen“ in Kauf nehmen. Zusätzlich gibt es auch noch Bienenköniginnen (Bikös). Sie haben besonders viel Erfahrung und halten bei Aktionen Kontakt zur Presse. Hummeln sind für die hintergründige Unterstützung zuständig. Als Schildkröten werden Aktivist:innen bezeichnet, die keine Höhenangst haben und auf Autobahnschilder klettern, um von dort den Verkehr zu stören.
6. Historisch inspiriert
In der Informationsdatenbank sind auch Videos verlinkt, in denen Aktivist:innen über ihre Inspiration sprechen. Sie beziehen sich zum Beispiel auf die US-Bürgerrechtlerin Rosa Parks oder Mahatma Gandhi. In den Videos sprechen die Aktivist:innen auch über ihre Theorie der Veränderung. Sich politisch zu engagieren und das System von innen heraus zu verändern sei sinnvoll, sagt eine Person in einem internen Vortrag. Aber dafür bliebe nicht mehr genug Zeit. Deswegen setzt die Gruppe darauf, die Regierung in eine Dilemmasituation zu bringen. Sie will so viel Druck aufbauen, dass die Entscheider:innen entweder sehr repressiv gegen die Gruppe vorgehen müssen – was Politiker:innen schlecht dastehen lassen würde – oder den Forderungen nachgeben müssen. Der Protestforscher Dieter Rucht zieht in einem im März erschienenen Beitrag hingegen eine kritische Zwischenbilanz über die Gruppe. Sie bekomme zwar durch ihre Aktionen sehr viel Aufmerksamkeit, durch die Auswahl der Aktionen in Kombination mit ihren Forderungen – erst Lebensmittelverschwendung stoppen, inzwischen Gesellschaftsrat, Tempolimit und 9-Euro-Ticket –, vergebe sie allerdings ihr Potenzial, ernsthaft etwas zu bewegen.
7. Sie feiert ihre Erfolge
In einem Dokument hält die Gruppe ihre bisherigen Erfolge fest. Für Mitte März steht da zum Beispiel: „Sehr starke Mobi-Woche“. Anfang März verbucht die Letzte Generation: „Die Bild nennt uns jetzt Klimaaktivisten und nicht mehr RAF oder Terroristen.“ Auch die Unterstützung von Bürgermeister:innen ist in dem Dokument festgehalten, oder dass die Aktion am Grundgesetz-Denkmal mehrere Millionen Views auf Twitter erreicht hat.
8. Zuweilen skurril
Im Wiki der Gruppe lassen sich auch irritierende Sätze finden. Sie schreiben beispielsweise in ihren Werten: „Auch Entscheider:innen des Systems sehen wir als Menschen“ oder “Wir werden die lästigen Freiwilligen lieben und uns um sie kümmern, auch wenn wir es nicht wollen.“ In der Datenbank ist ein „Kuschelmanifest“ verlinkt.
9. Straff organisiert
Es gibt mehrere Dutzend Arbeitsgemeinschaften, die sich etwa um Buchhaltung, Grafik oder die Protestplanung kümmern. Auch ein Team für rechtliche Fragen, Daten oder Presse gibt es. Dazu gibt es in dem Wiki unzählige E-Mail-Vorlagen oder Vortragsskripte, die Aktivist:innen nutzen können. An verschiedenen Stellen wird auch darauf hingewiesen, dass sich niemand überarbeiten soll, „damit Menschen sich auch mittel- sowie langfristig für uns einsetzen können“. Der Protestforscher Rucht schreibt, dass die Gruppe „relativ straff organisiert“ ist und die Kerngruppe „sich zu einer Führungsriege entwickelt hat“.
10. Bezahlte Aktivist:innen
Unter „Finanzen“ stand direkt nach Veröffentlichung des Wikis erst mal wenig. Inzwischen hat die Gruppe ergänzt: „Ausführlicher Inhalt folgt in Kürze“. Schon jetzt kann man aber nachlesen, dass die Gruppe Menschen „für gemeinnützige Tätigkeiten“ bezahlt. Zuletzt wurden immer wieder Fälle von Aktivist:innen bekannt, die ihr Studium für den Protest unterbrechen oder ihren Job kündigen. Um das zu ermöglichen, können sich Aktivist:innen bei der „Letzten Generation Unterstützungsinitiative“, die über den gemeinnützigen Verein Wandelbündnis organisiert wird, ein Gehalt zahlen lassen. Die Letzte Generation betonte in den letzten Monaten aber immer wieder, dass Aktivist:innen kein Geld für Straßenblockaden, sondern nur für die Bildungsarbeit zur Klimakrise bekämen. Im Januar war die Rede von 41 Anstellungen. Seitdem sollen es mehr geworden sein. Auf Anfrage schreibt die Letzte Generation: „Die Zahl der Anstellungen wächst kontinuierlich an.“ Im Januar veröffentlichte die Letzte Generation bereits einen Finanzbericht für das Jahr 2022. Mehr als 900.000 Euro hätte die Gruppe demnach 2022 eingenommen. 535.000 hat die Gruppe nach eigenen Angaben für Transport, Verpflegung oder Werbematerialien ausgegeben.
11. Anleitung zur Straßenblockade
In der Datenbank finden sich viele praktische Tipps für den Protest, zum Beispiel dazu, wie Aktionen geplant werden. Schritt 1: Mögliche Straßen für Blockaden in Google Maps markieren. Schritt 2: Wochentag und Uhrzeit „mit dem größten Verkehrsaufkommen“ raussuchen, für eine Fahrtrichtung entscheiden und am besten vorher schon mal „scouten“, wie es vor Ort wirklich aussieht. Schritt 3: Mitstreiter:innen, Warnwesten, Kleber und Banner für die Blockade organisieren. Während des Protests dann Einsatzfahrzeuge mit Blaulicht durchlassen und posieren, denn „der Ort des Protests ist eine Bühne“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies