Au­to­r*in über Hierarchien und Sex: „Sexualität als eine Art Brennglas“

Eva Tepest hält das Schlafzimmer für einen guten Ort, um Machtmechanismen zu beobachten. Darüber hat die Au­to­r*in ein Buch geschrieben.

Eine nackte Frau beugt sich über eine nackte Frau

Wenn es um Intimität und Lust geht, ist auch Macht nicht weit Foto: Annette Schreyer/laif

taz: Eva Tepest, in das erste Essay Ihres Buchs „Power Bottom“ starten Sie mit der Frage: „Top oder Bottom?“ Welche Dichotomie meinen Sie damit?

33, ist Au­to­r*in und schreibt als Jour­na­lis­t*in unter anderem für die taz. Im Essayband „Power Bottom“ beschäftigt dey sich mit Lust, sexueller Identität und gesellschaftlicher Macht.

Eva Tepest: Die Dichotomie zwischen Top und Bottom wurde ursprünglichen in der schwulen Subkultur geprägt und beschreibt in einem engeren Sinne, dass es beim Sex zumeist eine klare Rollenverteilung gibt. Diejenigen, die, im wahrsten Sinne des Wortes, oben und aktiver sind, sind die „Tops“ und zumeist auch die penetrierenden Personen. Jene, die beim Sex unten liegen, passiver sind und penetriert werden, sind die „Bottoms“. Wie die meisten binären Kategorien kommt diese Differenzierung nicht in Reinform vor. Trotzdem prägt uns die gesellschaftliche Vorstellung, dass es in der Sexualität stets einen aktiven und einen passiven Part gib. Diese Aufteilung bringt immer auch Hierarchien und Machtstrukturen mit sich, die ich mir in meinem Buch aus einer queer-lesbischen Randperspektive anschaue.

Die „Bottoms“ fügen sich also der Macht der „Tops“. Aber was ist dann ein „Power Bottom“?

An dieser Stelle muss man die Metapher von „Top“ und „Bottom“ ein Stück weiterdenken, sich von der rein sexuellen Betrachtungsweise lösen und eine gesamtgesellschaftliche Perspektive einnehmen. Als queer-lesbische Person bin ich in vielerlei Hinsicht noch immer Gewalt ausgesetzt und, was Machtbeziehungen anbelangt, in einer unterlegenen Position. Durch mein ganzes Buch zieht sich die Frage, welche Stärke und welches Potenzial in dieser gesellschaftlichen Positionierung steckt. Ich freue mich jeden Tag darüber, lesbisch zu sein, da es mir ermöglicht, aus einer bestimmten Perspektive auf die Gesellschaft zu blicken. Wäre ich ein weißer-heterosexueller-cis Mann, stünde ich also im Zentrum der Macht, wäre es viel schwieriger zu verstehen, welche Hierarchien unsere Gesellschaft durchziehen. Genauso wenig wie ich ein solcher Mann sein möchte, möchte ich ein „Top“ sein. Ich glaube, dass gerade in der Position der „Bottoms“ das Potenzial für gesellschaftliche Veränderung liegt.

Im Buch legen Sie Ihr persönliches Begehren offen. Warum glauben Sie, dass Ihre Sexualität an die Öffentlichkeit gehört?

Das Buch ist autofiktional geschrieben und kein Erfahrungsbericht. Außerdem finde ich weder mein eigenes Leben besonders spannend, noch habe ich total krassen Sex. Aber ich denke, dass es beim Thema Sexualität immer noch eine starke Berührungsangst gibt, die einer ernsthaften Auseinandersetzung mit unserem Begehren entgegensteht. Das ganze Buch ist deshalb auch eine Art Flucht nach vorne. Indem ich mich als „Bottom“ offenbare und meine eigene Sexualität beschreibe, mache ich mich scheinbar verletzlich, behalte am Ende aber die Kontrolle. Das ganze Buch ist somit ein „Power Bottom“-Move.

Während die gesellschaftliche Gleichstellung im Alltag voranschreitet, ist das Schlafzimmer also immer noch ein Ort der klassischen Machtbeziehungen?

Ich glaube, dass es keinen Ort ohne Machtbeziehungen gibt. Sie durchdringen noch immer jede Ebene unserer Gesellschaft. Um Machtbeziehungen zu untersuchen, hätte ich genauso gut ein Buch über die Hierarchien in einem Café oder in einem Sportverein schreiben können. Sexualität fungiert allerdings als eine Art Brennglas. Überall dort, wo unsere Affekte und unser Begehren stärker ausgelebt werden können und wo es um Fragen der Intimität und Lust geht, können wir den gesellschaftlichen Machtmechanismen besonders gut auf die Schliche kommen. Das Schlafzimmer ist in jedem Fall ein privilegierter Ort für die Auseinandersetzung mit Macht.

Ist unser sexuelles Begehren gesellschaftlich genauso konstruiert wie patriarchale Einteilung in zwei Geschlechterrollen?

Absolut. Ich bin nicht dazu in der Lage, mir ein Begehren fern von einer gesellschaftlichen Prägung vorzustellen. Ich glaube auch nicht, dass es so etwas wie ein essenzielles Begehren und eine festgeschriebene Sexualität gibt. Ich beziehe mich dabei auf Freud, der deutlich gemacht hat, dass man sich seine sexuelle, wie jede festgelegte Identität, fortlaufend erarbeiten muss. Würde ich von mir behaupten wollen, dass ich zu einhundert Prozent lesbisch bin, müsste ich ganz viele Ambivalenzen, die auch zu meiner Sexualität gehören, wegschieben.

Welche sexuellen Prägungen machen zumeist Frauen zu „Bottoms“?

In einer zweigeschlechtlich geprägten Welt richten junge Menschen, die zu Frauen gemacht werden, ihre eigene Sexualität und ihr gesamtes Auftreten so aus, dass sie von Männern begehrt werden. Noch immer werden Frauen als verfügbar angesehen und dann besonders begehrt, wenn sie lieblich und kümmernd sind. In einer heterosexuellen Prägung erwächst das Begehren aus dem Umstand des Begehrt-Werdens. Diese Prägung muss man, wenn man das möchte, aktiv verändern.

Welche Rolle spielt Gewalt bei der sexuellen Prägung dieser jungen Menschen?

Bei mir war es zum Beispiel so, dass meine ersten sexuellen Begegnungen, die ich in einem kindlichen Zusammenhang hatte, über sogenannte Doktorspiele liefen. In denen spiegeln Kinder das, was um sie herum passiert. Wenn die Art, wie das Umfeld von Kindern über Sex spricht, suggeriert, dass Frauen verfügbar und unterlegen sind, wird diese Rollenverteilung bereits in kindlichen Spielereien reproduziert.

Im Buch schreiben Sie über ein Spannungsverhältnis zwischen politischer Einstellung und gelebter Sexualität. Worin besteht dieses Spannungsverhältnis?

Sexualität ist rational nicht so greifbar wie die eigenen politischen Überzeugungen und lässt sich auch argumentativ nicht leicht verändern. Wir haben keinen direkten Zugriff auf unser Begehren. Ich kann emotional noch so selbstreflektiert sein und werde von meinem Begehren trotzdem immer wieder überrascht werden. Was ja aber auch gut ist. Ich hoffe, dass ich weiterhin von mir selbst überrascht werde. Ich finde es schön, mich selbst nicht ganz verstehen und greifen zu können.

Sie möchten dieses Spannungsverhältnis also gar nicht auflösen?

Nein, ich habe in diesem Sinne keine Wunschsexualität. Vor ein paar Jahren war das noch etwas anders, weshalb ich viel mit mir selbst gehadert habe. Viele dieser Selbstzweifel finden sich auch noch im ersten Essay meines Buches wieder. Damals war ich noch viel strenger mit mir selbst und habe mich für meine Sexualität noch mehr geschämt. Inzwischen freue ich mich, dass ich offen sein kann, für alles was passiert. Sex sollte eine Entdeckungsreise sein dürfen.

Wie kann es uns gelingen, die Aufteilung in „Bottom“ und „Top“ aufzulösen oder anders gefragt, wie lässt sich das sexuelle Skript umschreiben?

Über dieses Programm müsste ich wahrscheinlich noch ein Buch ­schreiben. Mein Buch ist kein politisches Manifest. Darum habe ich kaum allgemeine Antworten. Auf einer gesellschaftlichen Ebene glaube ich aber, dass gerade die „Bottoms“, also alle marginalisierten und vom Machtzentrum ausgeschlossenen Gruppen, das Potenzial zu einer revolutionären Veränderung haben. Ich benutze in diesem Zuge eben die queer-lesbische Linse, um Zusammenhänge zu konkretisieren. Wenn sich die „Bottoms“ verbinden, können sie ihre Macht realisieren.

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