Umstrittene Podiumsrunde mit Tellkamp: Kein Lehrstück in Sachen Demokratie
Autor Tellkamp trifft auf Ministerpräsident Kretschmer. Verschwörungen, Zweifel an der Reichsbürger-Razzia werden geäußert. Streiten will keiner.
„Eine offene Debatte. Das hält auch der Berliner Diskurs aus“, sagt Clemens. Er versichert, dass alles in seinem Hause „immer auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ stattfinde. Mit diesen Worten versucht Clemens die hitzige Debatte um die Einladung des umstrittenen Autors Tellkamp einzufangen.
Ist das am Donnerstagabend so gewesen und gelungen? Sehr wohl wussten die Parteifreunde Kretschmer und Clemens um die Provokation, die mit einer Veranstaltung mit Tellkamp verbunden ist. Ein Facebook-Posting der pegidanahen Buchhändlerin Susanne Dagen vom Vortag hatte dies ein weiteres Mal unterstrichen: Dagen, Tellkamp und Ellen Kositza, Gattin und Mitstreiterin des ultrarechten Publizisten Götz Kubitschek aus Schnellroda, auf einem Bild. Dazu die Ankündigung der nächsten Folge eines Videoformats zu Gesprächen über Literatur in einer Reihe, in der auch schon Martin Sellner von der Identitären Bewegung zu Gast war.
Am Donnerstag in der Sachsen-Vertretung sitzt Dagen in der ersten Reihe auf einem der für Ehrengäste reservierten Plätze. Gleich neben den Eltern von Tellkamp, und sie wird herzlich begrüßt von der anwesenden Prominenz. Der Moderator Martin Machowecz, Chef des „Streit“-Ressorts der Wochenzeitung Die Zeit, wird einmal kurz für Missstimmung sorgen, als er Tellkamp auf Dagens Posting anspricht.
Tellkamp wird gefragt, Tellkamp schimpft
Man wolle ihn vorführen, die Frage sei „infam“, giftet der Schriftsteller zurück, er schimpft über einen aus seiner Sicht unberechtigten „Kontaktschuld“-Vorwurf. Und erklärt: „Im demokratischen Spektrum sollte jede Meinung ihre Stimme haben. Warum muss ich mich rechtfertigen, was ich in meiner Freizeit tue oder lasse?“
Ansonsten sagt Tellkamp viele Dinge, die er schon seit vielen Monaten so oder so ähnlich sagt: Er vergleicht die Zustände in der heutigen Bundesrepublik mit denen in der DDR. Den Begriff Totalitarismus benutzt er nicht wörtlich, in seinem speziellen Literatendeutsch ist die Rede davon, dass im Lande „totalitäre Wahrheitszüge vorschimmern“ und dass es ein „totalitäres Wollen gegenüber Abweichlern“ gebe.
Der Begriff „Führer“ fällt bei ihm mehrfach. Tellkamp sagt, es gehe dabei freilich nicht um Hitler, aber beispielsweise sei das „Corona-Expertentum“ auch „in gewisser Weise Führertum“. Manches hat der Autor fast wortgleich formuliert, als er dem rechten Blogger Boris Reitschuster vor ein paar Tagen für ein eineinviertelstündiges Videointerview zur Verfügung stand. Zum Beispiel, dass die Menschen in der DDR den Bleiwüsten in den Zeitungen in ähnlicher Weise misstraut hätten wie heute viele den etablierten Medien in der Bundesrepublik.
Der Buschfunk werde wichtiger, so sei es auch früher gewesen, sagt er. Bei Reitschuster hob er zudem lobend verschiedene Parallelmedien wie den Blog von Vera Lengsfeld oder die Achse des Guten hervor. In der Sachsen-Vertretung würdigt er den Welt-Reporter Tim Röhn, der als Einziger überhaupt die vorgegebenen Narrative zur Corona-Berichterstattung „ernsthaft in Frage gestellt“ habe.
Jede Menge Futter für Verschwörungsmythen
Und auch zu den Razzien in der Reichsbürger-Szene lässt sich Tellkamp aus. Er bezweifelt („Woher wissen Sie das?“, entgegnet er dem Moderator), dass es wirklich Umsturzpläne gegeben habe. Er spricht von einer „Reichsbürger-Verschwörung“ und macht dafür Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) verantwortlich. Tellkamp sagt, bei Revolution Chemnitz – einer rechtsterroristischen Gruppe – habe es sich 2018 auch nur um „ein paar Hanseln mit einem Luftgewehr“ gehandelt.
Mit anderen Worten: Das Vorgehen gegen Rechtsextreme sei in Wirklichkeit oft eine Überreaktion des Staates, der dem Volk „einen Bären aufnötigen“ wolle. Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer werde „nicht vergleichsweise angegangen“, fügt er an. Ob er das ernsthaft vergleichen wolle, fragt Moderator Machowecz. Tellkamp will. Er hält die Forderungen von Klimaaktivist:innen für unwissenschaftlich und sagt, dass mit ähnlicher Methodik wie Neubauer heute schon „die Kommunisten“ in der DDR ihre Interessen durchgesetzt hätten.
Das handverlesene Publikum – gut 100 Leute sind im Saal – nimmt fast alles, was Tellkamp sagt, nahezu widerspruchslos hin. Immer wieder gibt es Zwischenapplaus und nur selten Gegrummel bei Einzelnen. Ernsthaft stört das harmonische Zusammentreffen nur einer: Frank Richter, Ex-Bürgerrechtler, früherer Chef der sächsischen Landeszentrale für politische Bildung, inzwischen SPD-Landtagsabgeordneter.
„Die Anschlussfähigkeit des Denkens in den ganz rechten Bereich macht mir Sorge“, kritisiert er. Brüsk weist Tellkamp die Kritik zurück, sie stünde Richter nicht zu. „Ich kann nichts dafür, bei wem das auf Widerhall trifft“, sagt er in Anspielung auf den großen Zuspruch, den er in rechten Kreisen bekommt.
Kretschmer fährt Tellkamp nicht in die Parade
Der Regierungschef und CDU-Landesvorsitzende Kretschmer relativiert zwar die eine oder andere Aussage von Tellkamp vorsichtig, ernsthaft fährt er ihm aber nicht in die Parade. Zwar sagt der CDU-Politiker im Unterschied zu Tellkamp, dass er über den Ermittlungserfolg bei den Reichsbürgern „sehr froh“ sei: „Diese Wirkmächtigkeit von Verschwörungstheorien hätte ich nicht für möglich gehalten.“ In diesen Kreisen würden „wirreste Dinge“ formuliert: „Das ist echt gefährlich.“
Dann aber spricht er ebenso wie Tellkamp über die von ihm beobachtete Radikalisierung unter Klimaaktivist:innen. Ein Konflikt ist an diesem Abend weder vom Publikum noch auf der Bühne gewollt.
Kretschmer verteidigt sein Dialogkonzept, bei dem Tellkamp nur einer in einer langen Reihe ist. Es sei richtig gewesen, dass 2015 der damalige sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig die Anführer:innen von Pegida getroffen hatte, ebenso, dass er selbst 2020 im Großen Garten in Dresden mit Corona-Demonstrant:innen diskutierte.
Als er später mit den Querdenker-Ikonen Sucharit Bhakdi und Stefan Homburg an einem Runden Tisch zusammenkam, habe ihm das sogar „in vielen Punkten die Augen geöffnet“, sagt Kretschmer. Miteinander reden bedeute ja nicht, dass man „nach dem Munde redet, sondern dass man sich mit denen auseinandersetzt“. Rote Linien will der sächsische CDU-Mann nach eigenen Worten erst dann ziehen, wenn der Staatsanwalt oder der Verfassungsschutz das vorgeben. Grundsätzlich gelte: „Wenn wir nicht mehr miteinander reden, wie soll das dann gehen?“
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