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Steinmeiers WeihnachtsanspracheFrüher war mehr unbequem

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Der Bundespräsident sagt, dass die Letzte Generation ihrem Anliegen schade. Damit biedert sich das Staatsoberhaupt der Mehrheit seines Publikums an.

Die Strohsterne sahen vergangenes Jahr ganz ähnlich aus: Steinmeier vor seinem Weihnachtsbaum Foto: Tobias Schwarz / afp

D ie Weihnachtsansprache des Bundespräsidenten ist ein ganz spezielles Genre mit eigenen Regeln. Sie soll Hoffnung verbreiten, ohne Kritisches ganz beiseite zu lassen. Sie soll Moral enthalten, aber wohldosiert, um die finale Verbreitung von Zuversicht nicht zu stören. Die Spielräume sind klein. Aber es gibt sie. Hat Frank-Walter Steinmeier sie klug genutzt?

Fangen wir mit dem Positiven an. Steinmeier hat die Deutschen aufgerufen, weiterhin solidarisch die Belastungen des Ukrainekriegs zu ertragen. Das ist richtig. Denn es gibt kein Anzeichen dafür, dass der Krieg bald enden wird. Erfreulich wäre ein zarter Hinweis gewesen, wie diese Lastenteilung besser funktionieren kann. Die Weihnachtsgeschichte enthält ja genug Anknüpfungspunkte, um zu fragen, ob die Reichen genug zur Solidarität beitragen. Aber das hätte ein wenig Wagemut erfordert.

Wenn man die Allgemeinplätze der Rede streicht, bleiben zwei markante Forderungen übrig: Der Krieg gegen die Ukraine müsse mit einem „gerechten Frieden enden, der Landraub nicht belohnt“. Das ist ein wünschenswertes Ziel. Aber warum ist es die Aufgabe des Bundespräsidenten, in der Weihnachtsansprache das Ergebnis ferner Verhandlungen zu definieren, bei denen Gerechtigkeit und Frieden kaum deckungsgleich sein werden?

Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Ex-Außenminister, der den Landraub der Krim 2014 diplomatischer betrachtete, hier als Spätbekehrter redet, der seine Läuterung demonstrieren will.

Der Letzten Generation bescheinigt Steinmeier, „der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen“. Aber sind ein paar Hundert KlimaaktivistInnen es wert, vom ersten Mann im Staate verurteilt und somit als bedeutsam geadelt zu werden? Wenn schon, dann wäre der Zusatz nötig, dass das Gerede von der Klima-RAF verhetzend wirkt. Diese Aktionen sind ziviler Ungehorsam.

Banale Einsichten

Auch wenn man ihre Wirkungen skeptisch beurteilt, gibt es keinen Grund, AktivistInnen als kriminelle Vereinigung zu behandeln. Doch solche Differenzierungen fehlen. Steinmeier spiegelt nur, was die Mehrheit denkt – das ist zu wenig. Zum Kampf gegen den Klimawandel ist nur zu erfahren, dass er „nichts an Dringlichkeit verloren“ habe. Das ist banal. Schon der mögliche Eindruck, Letzte Generation und Klimawandel könnten gleichrangige Probleme sein, hat etwas Niederschmetterndes.

Gustav Heinemann hat in der Weihnachtsansprache 1971 von den Deutschen mehr Bürgermut gefordert und gesagt: „Es ist bequem, unangenehme Wahrheiten zu verschweigen.“ Bei Steinmeier müssen wir uns mit bequemen Weisheiten begnügen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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30 Kommentare

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  • Beim zweiten Besuch nach der Annexion der Krim durch Russland in Jekaterinburg fragte Außenminister Steinmeier die versammelten jungen russischen Studenten:



    "Können wir einander lesen? Und das bedeutet in der deutschen Sprache: Sind wir in der Lage, dem anderen zuzuhören, effektiv miteinander zu kommunizieren, die Signale, die der andere sendet, richtig zu interpretieren? Können wir, kurz gesagt, einander verstehen?" ...Zu diesem „Lesen“ gehört ... auch die eigene Brille, durch die wir das Gegenüber lesen.

    Lässt man diese Worte nachhallen und setzt sie in Beziehung zu Steinmeiers Reaktion auf die Letzte Generation in seiner Weihnachtsansprache, so wird klar, dass wohl kaum ein deutscher Präsident die Jugend so für dumm verkaufte wie Steinmeier.

    Er ist groß darin, seine eigenen massiven Fehler in Bezug auf Russland großzügig zu übersehen, aber ganz schnell dabei, wenn es darum geht, der klimabewegten Jugend die Rechnung im Klimaschutz aufzumachen, die er ihr huldvoll von der hohen Kanzel herab auf dem Fernseher im Gefängnis serviert. Was für ein Abgrund!



    Steinmeier hat eine Politik mitzuverantworten, die der Industrie wie bei einem billigen Al Capone-Krimi billige Klimazertifikate ohne Ende zuschanzte und Deutschland in die Abhängigkeit von Putins Gas trieb.

    Steinmeier haut junge Klimaaktivisten in die Pfanne, anstatt mit Kriminellen in der Auto-Industrie abzurechnen, die mit technischen Tricks und Lobby-Millionen-Ohne-Ende die deutschen politischen Anstrengungen im Klimaschutz in der BRD und der EU systematisch hintertrieben, so dass heute Klimanotstand herrscht.

    Das wichtigste Wort diesen Jahres nimmt Steinmeier nicht in den Mund.



    Statt von oberster Warte die Wahrheit im Klimaschutz zu sagen - das 1,5 Grad-Ziel ist unerreichbar - und der gesamten gesellschaftlichen Elite die Rechnung für die vollkommen verfehlte Klimapolitik aufzumachen, haut er die Jugend in die Pfanne, missachtet all ihre Signale, die er in seiner Rede in Russland so pries.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Die Bitterkeit Ihrer bemerkeswert klarsichtigen Pointe ist noch gar nicht ganz ausgekostet.

      "Sind wir in der Lage, dem anderen zuzuhören, effektiv miteinander zu kommunizieren, die Signale, die der andere sendet, richtig zu interpretieren?"



      Der Herr war mal als Kanzleramtschef auch Sicherheitschef . Mehr brauche ich mit Blick auf die Russlandpolitik und die aktuelle Lage nicht zu sagen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Lindenberg:

      Stimmt so. Er ist ein Repräsentant des Bürgertums; das tut sich gerade etwas schwer. Die Heiligen Drei Könige werden auf ihrem Weg zurück von der ungestörten Krippenandacht auch bei ihm nicht wieder einkehren.

  • Womit er recht hat. Ich bin Klimaprotesten gegenüber positiv eingestellt. Die Kleber sähe ich aber lieber abgeführt. Das sind billige Trittbrettfahrer, die sich nach den Erfolgen von FFF dachten, Eskalation um jeden Preis würde sie zu Helden machen. Die sind vermutlich neidisch, das eine schwedische Schülerin bedeutsamer ist als irgendwelche SoWi-Studenten ohne berufliche Zukunft.



    Billige Rhetorik, plumpes Aufmerksamkeitsgeheische und Erpressermethoden. Selbst wenn man behauptet, die Motive sind redlich und gut, sind die Methoden zu verurteilen. FFF macht alles richtig und dann fallen ein paar Kapeiken aus dem Rahmen und torpedieren die Sache.

  • 6G
    659554 (Profil gelöscht)

    Einen moralischen Kompass hat man oder man hat ihn nicht.



    Steinmeier hatte ihn nie (siehe Fall Kurnaz), woher sollte er jetzt auf einmal kommen?

    • @659554 (Profil gelöscht):

      Das ist nicht zutreffend. Er ist kein guter Bundespräsident, aber er war ein hervorragender Aussenminister. Seine Aussenpolitik war doch deutlicher von einem moralischen Kompaß geprägt als z.B. bei unserer jetzigen Aussenministerin (siehe Iran, Jemen, Äthiopien, Saudi Arabien usw). Er hatte auch unrühmliche Kapitel aber im großen und ganzen sehr gute Arbeit geliefert.

    • @659554 (Profil gelöscht):

      Liggers. So ist der Seminarjungspund treffend und abschließend beschrieben!

      & dem Autor - mal - Lovando - & zum Präsi



      “Angesichts der Briefumschläge des exIM Mielke auf Rädern & BT.Präsi

      &

      Häuptling Silberlocke zu Guantanamo & Kurnaz van Steinmeier-Maaßen-Affäre!

      Sind ja unsere höchsten Lichtgestalten am Start! Gellewelle&Wollnichwoll - wa.

      Bellevue heißt ironischerweise ja auch:

      Schöne Aussicht!



      Na Mahlzeit



      unterm—- entre nous -

      Herr Stefan Reinecke - wenn ehna dieser melatenblonde Seminarjungspund & der feine Strippenzieher des Kohlschen Bimbes Systems (glatter Verfassungsbruch - ein Impeachment wäre sofort erfolgreich gewesen!!!) - …öh Intellektuelle sind.

      Dann ist ehna echt nicht zu helfen •

      (ps saß mal in einem international besetzten Musikensemble & erwähnte meinem Nebenmann - Harry Mulisch - .

      “Unser einziger Intellektueller!“ drehte sich schmunzelnd ein Musiker aus den Nederlands um.



      Da liegt die Latte - nicht bei solchen geistigen Klemmis. Gellewelle.



      unterm—— servíce —

      www.welt.de/welt_p...Nachtlektuere.html

      &

      www.zeit.de/2007/3...bles_Nachtlektuere

      & Kriegsstrafrecht Schäuble klar! aber -

      Steini! too => btw - zum unfaßbaren 5 Jahre anlaß&rechtsgrundlos Wegschließen von Kurnaz Guantanamo - durch den feinen - dabei völlig hirnlosen - Herrn Präsi (vgl VG Bremen!!) & seinem Klempner Hans-Georg Maaßen - paßt es wie A…auf 🪣 - daß Steini - als Assi - dem sich hier mal vergaloppierenden Herrn Prof Helmut Ridder zum Kriegsstrafrecht!! - anders als sein Vorgänger - wie schlau - nicht widersprochen hat. Gelle. Get it? Fein.

      Lesens nach => Gesammelte Schriften

      Buch von Helmut Ridder

      (Hg.) Dieter Deiseroth / Peter Derleder / Christoph Koch / Frank-Walter Steinmeier (rezensiert von Thilo Scholle).



      So geht das & always at your servíce.



      ——



      taz.de/Buch-von-St...kaempfer/!5817715/



      “Buch von Steinmeier über Vorkämpfer



      : Brauchen wir Helden?



      Steinmeier will Bewusstsein für Demokratiegeschichte wecken“

      Na Mahlzeit

  • Steinmeier war ist und bleibt ein konturenloser Harmoniesierer. Ihm ist zu verdanken, dass die SPD von der Union kaum zu unterscheiden war. Steinmeier mit Heinemann zu vergleichen ist wie Muckefuck zu einem guten Kaffee zu erklären. Heinemann war eine politische Persönlichkeit. Steinmeier ist eine Verwaltungsperson in der Politik.

    • @Norbert Sinofzik:

      ... wobei mittels des Vergleich doch ein Gegensatz zwischen den besagten aufgezeigt werden soll.

  • Sehr richtig! Steinmeier ist banal und anbiedernd. Er gibt auf irgendwelchen Kaffeerunden den Nicht- Spalter gegenüber AFD- Wählern und hat gleichzeitig keine Bedenken sich in seiner Weihnachtsansprache an jungen Idealisten zu vergreifen. Der Applaus ist gewiss und Applaus ist was Steinmeier interessiert.

  • Der Großteil der Bevölkerung ist eben harmoniesüchtig, und Steinmeier hat die passende Weihnachtsansprache dazu geliefert. Ein bisschen Klimaschutz möchte man ja schon ganz gerne, aber man will dafür nicht den Unmut von Industrie, Autofahrern oder sonst irgendwem auf sich ziehen. Mit anderen Worten: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Deshalb muss es jetzt vor allem darum gehen, die Leute aus der Lethargie ihrer heilen Welt zu holen - bei Diskussionen im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz oder wo auch immer. Wo es darauf ankommt, der heilen Welt im Realen auch nur ansatzweise eine Chance zu geben, kann es keine Rücksicht auf den schönen Schein geben, in dem sich viele so gemütlich eingerichtet haben.

  • Schade, dass der Mann inzwischen sein Fähnlein nachdem Winde dreht. Ich würde mir einen unbequemeren Bundespräsidenten wünsche.



    Steinmeier war ein hervorragender Außenminister, aber als Bundespräsident halte ich ihn für eine Fehlbesetzung.

    • @Alexander Schulz:

      Sehe ich auch so.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Alexander Schulz:

      Ein Eindruck, der im Licht der aktuellen Weltlage etwas verblasst.

  • Fatal ist, dass der Bundespräsident (66) sich nicht als Älteren betrachtet (auch nicht all die anderen ähnlich alten Politiker*innen) und in seiner Ansprache von den "anderen" Älteren" Veränderung erwartet. "Othering" ist Diskriminierung.

    • @LilisTochter:

      Booey. "Othering" ist Diskriminierung.“

      Liggers. Much all weesen. Ever.



      “Othering“ is ja bekanntlich der Halbbruder von “BrOthering“! Woll.



      Und ganze Familien im hohen Norden tun sich dicke mit einem tee-aitch der Cinemascope Breitwand Todd AO.



      Blöd nur - wenn mal n Meckelnbörger vörbikam - dee de dorigen Oekelnams van Meckelnbörg kennt! Aber Hallo!



      “Wo heit juch? “BrOthering“?! Watten Tüünkraam! Broot Hering ! Heit juch!



      Brathering! Liggers.“ - 🙀🙃🥳 -



      Auch ne Form von Diskriminierung!;)

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    Mit Verlaub … Warum fällt mir jetzt Josef Fischer ein?

  • @JIM HAWKINS

    Der Kern der Aussage ist ja eher, dass der Bundespräsident 1971 mutiger, bedeutsamer war, als das gefällige Wischiwaschi desjenigen 2022.

    Eine Einschätzung, die ich auch plausibel finde.

  • Schau mal einer, der Bundespräsident des Jahres 2022 hält nicht die Rede des Bundespräsidenten 1971.

    • @Jim Hawkins:

      Stefan Reinecke wollte eigentlich nur sagen - Zwei Volljuristen - aber nur einer mit nem Arsch in der Hose!



      ( Tucho “ Einen hatten wir!“)



      Und das - wird sich auch im neuen Jahr nicht ändern! Woll.

      kurz - Wer mit seinem Klempner Maaßen - Murat Kurnaz für fünf Jahre Guantanamo ohne Bedauern!



      Versemmelt hat! Der ist sowieso aus dem Spiel •

      • @Lowandorder:

        Ja, das Arsch in der Hose haben ist aus der Mode gekommen.

        Gleichzeitig verkörpert Steinmeier ganz gut den gesellschaftlichen Konsens.

        "Unbequem", das ist heute eine hohle Floskel unter vielen anderen.

        • @Jim Hawkins:

          Klar “…aus Liebe zu Deutschland?“ -



          “Ich liebe meine Frau.“

          • @Lowandorder:

            👍👍

          • @Lowandorder:

            Das waren noch Zeiten.

            Und Walter Scheel, gefragt wie er über das coming out seiner Tochter denkt:

            "Ich kann Cornelia verstehen, ich liebe auch Frauen."

            Cool eben.

            • @Jim Hawkins:

              …und was hätte der „coole“ Sangesbruder (hoch auf dem gelben Wagen) zu einem schwulem Sohn gesagt?

              • @guzman:

                Es gibt Menschen , die lieben den Menschen und nicht ausschließlich sein Geschlecht....

                • 3G
                  31841 (Profil gelöscht)
                  @Alex_der_Wunderer:

                  Ja, das meint Weihnachten :-)

                  • @31841 (Profil gelöscht):

                    ...na denn, wünsche " Frohes Fest " gemacht zu haben...

  • "Der Letzten Generation bescheinigt Steinmeier, „der Sache des Klimaschutzes zu schaden, indem sie andere gegen sich aufbringen“. Aber sind ein paar Hundert KlimaaktivistInnen es wert, vom ersten Mann im Staate verurteilt und somit als bedeutsam geadelt zu werden?"

    Ich denke, dass sie es vielleicht deswegen wert sind, weil die zunehmend, in diesem Fall vergleichsweise einfach, erkannte Legitimation ihrer Aktionsformen, deren Anwendung in Hinblick auf weitere gesellschaftliche Misstände vorbereitet. Dies ist nicht wünschenswert, wenn der Status Quo von Autorität und Kapitalismus gewahrt werden soll.

  • Hat irgend jemand etwas anderes erwartet: Mainstreamgesülze, garniert mit fader Floskelsoße. Ähnlich waren seine diplomatischen Statements: Auf breiter Zustimmungswelle mit Surfbrett und alles im Flachwasser.