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Petition der WocheSoll Bioessen steuerfrei sein?

Der Verein „True Cost Economy“ fordert eine Mehrwertsteuersenkung auf Biolebensmittel. Ist das sozial gerecht?

Weniger Mehrwertsteuer auf Bio-Lebensmittel. Ist das sozial gerecht? Foto: Philipp von Ditfurth/dpa

Die Lebensmittelpreise sind im vergangenen Jahr und besonders seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine rasant gestiegen. Nahrungsmittel sind zwischen August 2021 und August 2022 um 16,6 Prozent teurer geworden. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die vor Kurzem angelaufene Petition von Johanna Kriegel auf einige Zustimmung trifft: Sie fordert, Biolebensmittel mit 0,0 Prozent Mehrwertsteuer zu belegen und damit zu vergünstigen. Aber warum ausgerechnet Bioprodukte? Weil die Frage, welche Lebensmittel bezahlbar sind, weit über Energiekrise und Inflation hinausreicht.

Johanna Kriegel hat einen Verein gegründet, den True Cost Economy e. V. „Verkaufspreise spiegeln nicht die wahren Kosten von Produkten wider“ heißt es ganz oben auf der Website des Vereins. Der Grundgedanke: Der Verkaufspreis von Konsumgütern wäre um ein Vielfaches höher, wenn man die im Vorfeld entstandene Umweltbelastung miteinbeziehen würde.

Das gilt vor allem für tierische Produkte, wie auch ein exemplarisches Beispiel einer Studie des Discounters Penny aus dem Jahr 2020 zeigt. Kriegels Verein arbeitet deshalb an sozial gerechten und umweltschonenden Lösungen für diese ausgelagerten Produktionskosten, die im Verkaufspreis normalerweise keine Rolle spielen.

In der Politik ist die Debatte um die sogenannten externen Kosten bisher kaum angekommen. Kriegel und ihre Mit­strei­te­r:in­nen möchten das ändern. Nach ersten Gesprächen mit Bundestagsabgeordneten fordern sie jetzt konkrete Lösungen. Die Petition ist dabei der erste Schritt. Denn Lebensmittel mit EU-Bio-Siegel haben geringere externe Kosten und wirken einer langfristigen Umweltbelastung damit entgegen.

taz am wochenende

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Null Prozent Mehrwertsteuer, das soll nicht nur langfristig gegen Umweltschäden helfen, sondern auch kurzfristig gegen die steigenden Preise. Eine gesetzliche Grundlage gibt es bereits: Anfang April dieses Jahres passte die EU-Kommission ihre Mehrwertsteuersystemrichtlinie an. Diese Richtlinie ermöglicht den Mitgliedsstaaten einen reduzierten Steuersatz auf Grundnahrungsmittel.

Bisher plant in der EU lediglich die Niederlande eine solche Steuersenkung für Lebensmittel, wobei dort nicht zwischen konventionellen und Bioprodukten unterschieden wird. Schlecht für die externalisierten Kosten, aber eine nachvollziehbare politische Antwort auf die ansteigende Inflationsrate (voraussichtlich +10 Prozent im September 2022).

Gleichzeitig greift die Initiative aus den Niederlanden die soziale Frage auf, die von der Petition vernachlässigt wird: Wer konsumiert Biolebensmittel? Lässt die Forderung geringverdienende Haushalte außer Acht, die beim Einkauf darauf angewiesen sind, auf die Preisschilder zu schauen, und gar keine Bioprodukte kaufen? Johanna Kriegel versteht den Einwand. Doch Kosten für die Umwelt, die mit der Zeit ohnehin durch die Allgemeinheit getragen werden würden, bewertet sie höher: „Nachhaltiger Konsum ist zuerst teurer, aber langfristig die günstigere Variante.“ Sollte ihre Forderung umgesetzt werden, hofft Kriegel, könnten Steuersätze auch in anderen Bereichen die externen Kosten berücksichtigen. Wie wäre es etwa mit steuerfreien Bahntickets?

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19 Kommentare

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  • Volkswirtschaft



    Irgendwie müssen - am Ende- die ganzen Entlastungspakete bezahlt werden.



    So ganz ohne Steuern wird das wohl nicht klappen.



    Mit Tafeln und Ähnlichem gibt es direkte Unterstützung beim Lebensmittelbedarf.



    Grundsätzlich waren Lebensmittel in Deutschland bisher zu billig.



    Wenn nun ein Umdenken stattfindet, dahingehend, dass Lebensmittel einen Wert darstellen, ist das erstmal positiv.



    Es wird unweigerlich dazu führen, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden, da gezielter eingekauft wird. Das ist auch noch gut für das Klima.



    Wenn durch die Preissteigerungen weniger nutzloser Krempel um die Welt transportiert wird, damit Jemand für 10 sec. Auspacken glücklich ist, noch besser.



    Es hungern weltweit Hunderte Millionen Menschen, wir haben da echt KEIN Problem, Houston!

  • Bio allein kann aus meiner Sicht nicht das Kriterium sein. Es zählen noch weitere wichtige Punkte: Transportweg, Verpackung, pflanzlich vs. tierisch etc. (der gesamte Lebenszyklus).



    Außerdem sollte man erst die Subventionen für negative landwirtschaftliche Anbaumethoden abbauen, um die wahren Kosten nicht zu verschleiern.

    • @mike müller:

      Moin,



      sehe ich ähnlich. Auch angesichts der bekannten Kontrolldefizite bei bio und Unterschieden innerhalb biologischer Landwirtschaft (insb. bezüglich Humusaufbau).

      Mein Vorschlag zur Güte: Konsequent pflanzliche Produkte niedriger besteuern (0 oder 7 Prozent) als tierische (19 Prozent). Dort ist der Unterschied bei den ökologischen (und gesundheitlichen, nicht wegen Tierprodukten per se, sondern wegen Überkonsums) externen Kosten klarer als bei bio vs. nicht-bio. Ausnahmen, also höhere Steuern, für hoch verarbeitete Lebensmittel und Genussmittel (gesundheitlich motiviert und um die - diskutable - Einkommensquelle MwSt. nicht abrupt zu sehr abreißen zu lassen) ließen sich in einem solchen System aus meiner Sicht auch gut und konsistent begründen.



      Eine Reform der MwSt. ist schon aus sozialen Gründen aus meiner Sicht überfällig, in der aktuellen Inflation umso drängender, und die ökologischen und gesundheitlichen Belange sollten mitgedacht werden (wir zahlen bald weniger MwSt. auf Erdgas(!) als auf Hafermilch).



      Beste Grüße

  • Wenn ich mal in einem Bioladen einkaufe, schlägt sofort mein Klasseninstinkt an.

    Alles ist weich und freundlich, Leute laden sich für 150,- Euro den Einkaufswagen voll, die mies bezahlten Angestellten haben hier nicht den ruppig-proletarischen Charme wie die bei Netto, sondern wirken, als kämen sie alle aus der Waldorfschule.

    Und ausgerechnet die Öko-Bourgeoisie soll jetzt weniger für ihr Futter bezahlen?

    Wenn das passiert, werfe ich bei der Bio-Company die Scheiben ein.

    • @Jim Hawkins:

      Ist das nicht Sinn der Sache: Eben das sich auch andere als die "Bio-Bourgeoisie" Bio leisten können?

      • @M.B.:

        Aber nicht wegen der läppischen 7% Steuer. Da müssen andere Maßnahmen her.

  • Wer heute nicht weiss, was er morgen essen kann, der kann mit langfristig nichts anfangen.

    Ich habe selbst mehr als ein Jahr ohne Unterstützung durch Amt oder Hilfsorganisationen wie der Tafel klar kommen müssen.



    In der heutigen Zeit hat man als junger weisser Mann echt die A-Karte, wenn man Hilfe bräuchte.

    Wäre mir die Autorin dieser Petition in der Zeit über den Weg gelaufen, wäre sie wohl im Kochtopf gelandet.

    Heute habe ich eine Invalidenrente, trotz Deckelung auf absolutem Minimum leiste ich mir zu ca. 50% Bio Lebensmittel.

    Hab vor Jahren Mal Gärtner in einem Demeter-Betrieb gelernt.

    Tatsache:



    Jeder und Jede könnte sich Bio leisten, wenn die Verbraucher und Erzeuger sich nicht mehr verarschen liessen.

    So lange alle daran glauben, dass Bio nur etwas für Ökos und Mehrbessere ist, bauen nur Ökos Bio an und verlangen Preise, die sich nur Mehrbessere leisten können.

    Biologisch bewirtschaftete Böden werfen bereits nach 5-10 Jahren mehr Ertrag ab, als konventionelle.

    Der Wasserverbrauch ist geringer, die Erosion fällt weg, die Bodenvitalität steigt.

    Es widerspricht jeglicher Vernunft, konventionell zu Wirtschaften.

    Pflanzenschutzmittel haben rein als Rückversicherung zur Ernährungssicherheit eine gewisse Daseinsberechtigung.



    Aber nicht so wie in Deutschland, wo Getreide im vollen Wachstum mit Glyphosat gespritzt wird, damits Termingenau abreift.

    • @Stubi:

      "Biologisch bewirtschaftete Böden werfen bereits nach 5-10 Jahren mehr Ertrag ab, als konventionelle."

      Das stimmt schlicht nicht.

  • ich bin dafür die Steuer auf alkoholische Getränke zu streichen



    Schließlich bringt der Alkohol die Menschen zusammen und macht gute Laune.



    Bei dem Thema muss natürlich auf Kanabisprodukte dann auch keine Steuer erhoben werden sobald sie legalisiert sind :))

  • Ich denke, auf Grundnahrungsmittel sollte überhaupt keine Mehrwertsteuer erhoben werden. Dafür ein erhöhter Mehrwertsteuersatz auf Luxuslebensmittel wie Champagner und Kaviar.

    • @Septum:

      Richtig. Auf reine Genussmittel darf man ruhig eine höhere Steuer erheben (eine "Zuckersteuer" z.B. fände ich auch toll)



      "Zum Verzehr geeignete Chemieprodukte" (Lebensmittel würde ich das nicht nennen wollen) aus dem Bereich "convenient food", also viele Fertigessensprodukte, die hauptsächlich aus Salz, Zucker, Aromen und sonstigen Füllstoffen bestehen, dürfen ebenfalls hoch besteuert werden.Dazu gehören auch Produkte wie diese heiss geliebte Zucker-Palmölpampe, die aussieht wie schon verdaut und wieder ausgeschieden. Denn auch das hat mit Ernährung nichts zu tun, sondern ist reines Genussmittel.

  • Von einer Mehrwertsteuersenkung wird ganz sicher nichts billiger. Lediglich die Gewinne der Vertreiber erhöhen sich dann dementsprechend.

    • @wxyz:

      Da wäre ich mir angesichts des Preiskampfes im Lebensmittelhandel nicht so sicher.

      • @Septum:

        Gegenwärtig beobachte ich den Preiskampf mehr in der Richtung, lästige Konkurrenz möglichst elegant auszudünnen, um die Preise rigoroser erhöhen zu können und/oder die Mogelpackungen (immer weniger Inhalt) zum Standard zu machen.

  • Ist das sozial gerecht? Nein!



    Warum sollten ausgerechnet die Kunden ihre Lebensmittel noch billiger bekommen, welche sich Biolebensmittel leisten können?



    Und die 7% weniger machen Biolebensmittel nicht so günstig, dass sich die unteren Einkommensgruppen diese leisten könnten.



    Ich kanns mit leisten, ich zahle die Mehrwertsteuer gerne dafür.

    • @Rudi Hamm:

      Überlegen Sie mal. Diese Lebensmittel werden dann billiger, so dass auch jene Kunden sich diese Lebensmittel leisten können, die es zuvor nicht konnten.

      • @Rudolf Fissner:

        Die 7%MWSt machen den Kohl nicht fett, will sagen, würde man kaum merken. Bei ursprünglich 5 Euro wären es dann 4,95.

        • @resto:

          5 / 1,07 = 4,67. 33ct sind sicher nicht die Welt. Aber beim Benzin achten die Leute auch darauf, ob es ein paar cent billiger ist.

          Richtig ist: Konkurrenz zu konventionellen Lebensmitteln wird man damit nicht schaffen. Der Faktor zwischen konventionell und bio ist deutlich höher.

        • @resto:

          Auf viele Produkte zahlen wir derzeit 19 Prozent, das ist schon ne andere Hausnummer. Zumal sich dann, insbesondere beim Discount-Bio, der preisliche Abstand zu konventionellen Produkten verringern würde und deren Anbieter eventuell mit Preissenkungen reagieren müssten.



          Dennoch bin auch ich eher dafür, bei der Steuer eher zwischen tierisch und nicht tierisch sowie einer kleinen Gruppe von Luxus- und Genussmitteln und hochverarbeiteten Produkten zu differenzieren.