Russische Deportationen aus der Ukraine: Fakten schaffen ohne Waffen
Verschleppungen von Ukrainer*innen nach Russland sind seit Monaten Praxis. Der Kreml will auch so die Ukraine von der Landkarte tilgen.
E s ist wichtig, dass die USA Deportationen von Ukrainer*innen nach Russland gerade jetzt vor dem UN-Sicherheitsrat zum Thema gemacht haben. Nur: Was für viele wie eine neue schockierende Nachricht daherkommen mag, ist bereits seit Monaten weitverbreitete Praxis und fester Bestandteil der russischen Kriegsstrategie. Nach wie vor lautet die von oberster Stelle verordnete Vorgabe, die Ukraine, diesen „bedauerlichen Unfall der Geschichte“, von der Landkarte zu tilgen. Um dieses Ziel zu erreichen, gilt es nicht nur den Nachbarn um den Preis sinnloser Zerstörung und Zigtausender Toter militärisch in die Knie zu zwingen, sondern auch die Köpfe und Herzen der Menschen zu erobern – unter Einsatz von Zwang und Gewalt. Nach dem Motto: Fakten schaffen auch ohne Waffen.
Wie das funktioniert, ist zahlreichen Berichten und Zeug*innenaussagen zu entnehmen, beispielsweise aus und über Mariupol. Menschen, schwer traumatisiert vom wochenlangem Überlebenskampf im Bombenhagel und nur mit einem One-Way-Ticket ausgestattet, werden einfach verschleppt. Ihre Unterbringung in sogenannten Filtrationslagern erinnert an finsterste Zeiten aus den beiden Tschetschenienkriegen. Registrierung? Von wegen. Stattdessen Gehirnwäsche, Folter, Erniedrigung, Verschwindenlassen oder Tod.
Besonders Waisenkinder – es soll Tausende Fälle geben – sind eine hochwillkommene Beute. Da fällt es noch am leichtesten, das verhasste kulturelle ukrainische Gedächtnis auszulöschen und gehorsame Russ*innen heranzuziehen.
Selbst diejenigen, die diesen Terror überleben, sind ihren neuen Machthabern hilflos ausgeliefert. Oder wie sonst sollte jemand, der oder die sich plötzlich im hintersten Winkel Russlands wiederfindet und komplett mittellos ist, diesem Freiluftknast entkommen können?
Wie viele Ukrainer*innen betroffen sind, weiß niemand. Doch es könnten noch weitaus mehr Menschen zu Opfern dieses Vorgehens werden, das ein klarer Bruch humanitären Völkerrechts ist. Warum? Erfolge der russischen Truppen lassen auf sich warten. Den ganzen Donbass bis zum 15. September zu besetzen scheint illusorisch. Stattdessen machen die ukrainischen Streitkräfte in den russisch besetzten Gebieten Boden gut. Um dort geplante Pseudoreferenden Moskaus ist es still geworden. Dafür sollten diejenigen Organisationen, die Kriegsverbrechen dokumentieren, umso lauter werden. Ihre Arbeit ist von unschätzbarem Wert – nicht nur, um Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen, sondern auch, um den Opfern eine Stimme zu geben.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen