Massenhafte Kündigungen in den USA: Wenn niemand Scheißjobs macht

Mehr arbeiten für einen niedrigeren Lebensstandard – da steigen viele aus. Die USA leiden unter der Great Resignation, einer riesigen Kündigungswelle.

Eine Werbetafel an einer Straße

Hier werden langhaarige Freaks gesucht, Wisconsin im Juni 2022 Foto: Mario Anzuoni/reuters

In den USA ist die gegenwärtige Lage am Arbeitsmarkt voller Widersprüchlichkeiten. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts war Arbeitslosigkeit einer der wichtigsten Indikatoren für eine Wirtschaftskrise. Doch die derzeitige Krise ist vor allem durch Inflation, eine drohende Rezession und steigende Lebenshaltungskosten gekennzeichnet. Das scheint alles nicht mit der These von der Great Resignation – der „Kündigungswelle“ zusammenzupassen.

Seit einem Jahr sieht man überall an den Straßen „Wir stellen ein“-Schilder. 2021 haben 40 Millionen Beschäftigte ihre Jobs aufgegeben. Pop-Megastar Beyoncé griff diese Entwicklung mit ihrem Song „Break My Soul“ auf, einer Hymne, in der sie davon singt, dass es die „neue Erlösung“ sei, den Job hinzuwerfen. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten gibt es in den USA derzeit doppelt so viele offene Stellen wie Arbeitssuchende.

Gesucht wird vor allem für die Dienstleistungsbranche – Fastfood-Restaurants, Megamärkte, Tankstellen, Lagerhäuser und Einzelhandel – also was man gemeinhin Scheißjobs nennt. Am anderen Ende des Spektrums findet man bei LinkedIn ständig Suchanzeigen von Krypto- und Technologiefirmen, die versuchen, mit hohen Gehältern und Hinweisen auf eine tolle Work-Life-Balance neue Mit­ar­bei­te­r*in­nen anzuwerben. Aber sind Jobsuchende auf dem Arbeitsmarkt derzeit tatsächlich im Vorteil?

Für mich als schon älteres Mitglied der Millennial-Generation mit einem Masterabschluss von einer amerikanischen Top-Universität (der wegen hoher Studiengebühren mit einem erklecklichen Schuldenberg erkauft werden musste) ist es keine Überraschung, dass sich niemand um diese offenen Stellen reißt.

Mein beruflicher Werdegang musste drei finanziell turbulente Knock-outs wegstecken, die mir durch die Terroranschläge vom 11. September 2001, die Finanzkrise von 2008 und die Coronapandemie beschert wurden. Der Traum, irgendwann wie meine Eltern in den Ruhestand gehen zu können, ist schon lange vorbei.

Die Great Resignation wird nicht nur durch die Pandemie ausgelöst, sondern durch den angesammelten Frust der Millennials und der nach ihnen kommenden Zoomer, die nicht nur ihren Lebensunterhalt bestreiten wollen, sondern mit ihrer Arbeit einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft leisten möchten.

Weil es für meine Generation so viel schwieriger geworden ist, ein eigenes Haus zu erwerben oder Geld fürs Alter zurückzulegen, scheinen sich die beruflichen Optionen auf ein „alles oder nichts“ zu reduzieren – und diese Sicht ist bei den Zoomern noch stärker verbreitet als bei uns Millennials.

Also entweder du fährst rücksichtslos die Ellenbogen raus und rackerst mit gewaltigem Stress und ständiger Unsicherheit, oder du setzt auf volles Risiko und investierst in Start-ups oder Kryptowährungen, oder du verweigerst dich der Arbeitswelt ganz und führst ein klägliches Leben als Obdachloser und Drogenabhängiger. An beiden Enden des Spektrums hat sich das Ausmaß an Depressionen und Suiziden in dieser Generation vergrößert.

Psychische Störungen hin oder her – mir fällt dabei Max Horkheimer ein, der Direktor der Frankfurter Schule, und sein Text „Der kleine Mann und die Philosophie der Freiheit“. Darin schreibt er: „Alle arbeitenden, ja sogar die nichtarbeitenden Menschen (sind) an der Erzeugung der gegenwärtigen Wirklichkeit beteiligt.“

Die Great Resignation ist ein Symptom für die Auswirkungen einer zerfallenden Gesellschaft, deren verfügbares Reservoir an Arbeitskräften nicht länger bereit ist, eine stetig sinkende Lebensqualität hinzunehmen und gleichzeitig keine Alternative zu dem bestehenden Zweiparteiensystem zu erkennen.

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wohnt in Miami und schreibt als unabhängige Kritikerin und freie Journalistin über Kunst und Politik.

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