piwik no script img

Sachbuch von David de JongBraun bis ins Mark

Welchen Einfluss haben in der Nazizeit groß gewordene Unternehmerdynastien heute? David de Jong geht in seinem Buch „Braunes Erbe“ dieser Frage nach.

Einer, der sich auf Enteignungen verstand: Privatbankier August Baron von Finck 1939 Foto: ullstein bild/SZ-Photo/Scherl

„Zukunft braucht Herkunft.“ Diesen Satz ließ 2019 die Ferry-Porsche-Stiftung verlauten, als sie ihren Willen bekundete, Deutschlands erste Professur für Unternehmensgeschichte zu finanzieren. Dabei klingt aber noch eine andere Botschaft mit: Ohne Herkunft besteht in Deutschland nur bedingt Hoffnung auf wirtschaftlichen Erfolg.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Dass diese Herkunft meist in der dicken braunen Erde der NS-Zeit wurzelt, lässt sich noch heute an der Rangliste der reichsten Deutschen ablesen. Jenen Unternehmerdynastien, die besonders von der nationalsozialistischen Herrschaft profitiert haben, hat David de Jong in seinem Buch „Braunes Erbe“ nachgespürt. Nur einige der Industriemagnaten waren dabei glühende Nationalsozialisten, befindet der niederländische Journalist. Die meisten waren einfach kühl kalkulierende, skrupellose Opportunisten.

Während Anton Piëch so etwa aus Überzeugung gleich zweimal in die NSDAP, zuerst in die österreichische Schwesterpartei, und die SS eintrat, hatten er und sein Schwiegervater Ferdinand Porsche kein Problem damit, ihr Automobilkonstruktionsbüro 1931 zusammen mit dem jüdischen Kaufmann Adolf Rosen­berger zu gründen. Sieben Jahre später konnten sie ihn als „Nichtarier“ allerdings günstig loswerden, um mit der Produktion des „Volkswagens“ ihren Milliardenreichtum zu begründen.

Piech, Porsche, Quandt

Der Großindustrielle Günther Quandt, dessen Nachfahren heute BMW kontrollieren, war kein National­­sozialist der ersten Stunde. Persönlich war er mit den Nazis jedoch enger verbunden als jeder andere Unternehmer, war seine Ex-Frau doch die First Lady des Dritten Reichs, Magda Goebbels.

Die wiederum, auch das ein interessantes Detail, ließ sich von niemand anderem als Prinz August Wilhelm davon überzeugen, in die NSDAP einzutreten. Der Kaisersohn ist im Jahr 2022 wieder Gegenstand eines Gerichtsprozesses: Geklärt werden soll, ob der Hohenzollern-Clan dem Aufstieg der Nationalsozialisten „erheblichen Vorschub“ geleistet hat.

Wie in „Braunes Erbe“ die Kennenlerngeschichte der beiden Goebbels, belegt durch Tagebuchpassagen des Propagandaministers, nacherzählt wird, sorgt für erheblichen Unterhaltungswert im Buch.

Dem Autor merkt man ein wohliges Grausen an, das er beim Wühlen im braunen Klatsch empfunden haben muss: So bringen Magda und Joseph Goebbels ihre Eheprobleme stets vor ihren Mediator Adolf Hitler, der, zwar eigentlich in Magda verliebt, die Ehe zur Staatsangelegenheit erklärt und eine Scheidung untersagt.

Das reichste Geschwisterpaar Deutschlands

Magdas Sohn aus erster Ehe, Harald Quandt, lieben Goebbels wie Hitler „abgöttisch“, ist er mit seinen blonden Haaren und blauen Augen doch dem arischen Erscheinungsbild so nahe, wie die beiden Männer davon entfernt sind. Sein Bruder Herbert Quandt sollte mit dem Geld des Vaters nach dem Krieg BMW retten und seine Kinder Susanne Klatten und Stefan Quandt zum reichsten Geschwisterpaar Deutschlands machen.

Günther Quandts Reichtum lag in Textilfirmen, in der Waffen- und Batterieproduktion begründet. In seinen Fabriken schufteten Zwangsarbeiter:innen, zudem konnte er sich einige seiner Firmen nur sichern, weil sie unter jüdischer Aufsicht standen und so günstig zur Arisierung, sprich Enteignung, angeboten wurden.

Einer, der sich ebenfalls auf Enteignungen verstand, war August Baron von Finck. Seine Merck Finck & Co, die heute noch unter selbem Namen operiert, stieg während der NS-Zeit zur erfolgreichsten Privatbank auf, auch wegen der Arisierung der Bank J. Dreyfus sowie der S. M. v. Rothschild, die er für knapp 6 Millionen Reichsmark „übernahm“, wie es heute auf der Wikipedia-Seite der „Merck Finck“ verharmlosend heißt.

Unterstützung rechtsextremer Politiker

Der eigentliche Wert lag bei 48 Millionen Reichsmark und selbst den vergleichsweise kleinen Betrag zahlte von Finck, indem er die Privatkonten der Rothschilds plünderte. Das verdiente Geld legte der Von-Finck-Clan auch nach dem Krieg wohlüberlegt an, wie de Jong nachweist: Sohn August von Finck junior, dessen Ehefrau 2022 auf der Forbes-Liste den 14. Platz belegt, spendete zeitlebens Geld an rechtsextreme Politiker, auch wird stark vermutet, dass er die AfD in ihrer Gründungsphase unterstützt hat.

Dass einer der umtriebigsten NS-Unternehmer seinen Reichtum nie verlor, verwundert nicht, wurde er im Rahmen seines Entnazifizierungsprozesses doch lediglich als Mitläufer klassifiziert. Zudem habe er sich in der Rothschild-Angelegenheit „so vorbildlich verhalten, dass jedes Wort darüber zu viel wäre“. Womöglich spielte die Erpressung des homosexuellen Richters bei dem Urteil eine Rolle.

Doch zu Erpressungen mussten die meisten angeklagten Industriellen nicht mal greifen. Mit Beginn des Kalten Kriegs ging es den Alliierten, allen voran den USA, weniger darum, Nazis ins Gefängnis zu bringen, als eine kapitalistische Gesellschaft als Bollwerk gegen den Kommunismus aufzubauen. Zudem übergaben sie NS-Verbrecher und NS-Sympathisantinnen nach den Nürnberger Prozessen vermehrt an westdeutsche Gerichte und Richter, die verständlicherweise nicht alle daran interessiert waren, ihre Gesinnungsgenossen wegzusperren.

Flick-Skandal

Vergleichsweise hart bestraft wurde lediglich Friedrich Flick. Als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft verurteilt, kam der Stahl- und Rüstungsmagnat schon 1950 frühzeitig wegen guter Führung frei. Sein Flick-Konzern sorgte in den 80er-Jahren für den bis dato größten Politskandal um Spendengelder an konservative Politiker. Verurteilt worden war er 1947 unter anderem wegen der unmenschlichen Bedingungen, unter denen seine Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen arbeiteten. Seine Lager, fand de Jong heraus, gehörten zu den schlimmsten.

In der Aufarbeitungsarbeit der Bundesrepublik nahmen die NS-Zwangsarbeiter lange Zeit wenig Raum ein. 2013 eröffnete in dem deutschlandweit einzigen Doku­mentations­zentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin die erste Ausstellung. Dessen Leiterin, Christine Glauning, sagte einmal dem Deutschlandfunk, es habe im Reichsgebiet etwa 30.000 Zwangsarbeiterlager gegeben.

Das Buch

David de Jong: „Braunes Erbe. Die dunkle Geschichte der reichsten deutschen Unternehmerdynastien“. Aus dem Englischen von Michael Schickenberg und Jörn Pinnow. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 496 Seiten, 28 Euro

Für Aufruhr sorgte 2019 die Kekserbin Verena Bahlsen, die öffentlich und medial maximal ungeschickt erklärte, „wir“ hätten „die Zwangsarbeiter genauso bezahlt wie die Deutschen und sie gut behandelt“.

Nun ist es wohl unrealistisch, von Firmenchefs zu erwarten, Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen abzulehnen und eine Pleite wegen fehlender Arbeitskräfte zu riskieren, wenn ihnen der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung noch nicht Grund genug gewesen war, die Stimme zu erheben. Gerade Rüstungsfirmen dürften daran wenig Interesse gehabt haben.

Doch gab es erhebliche Unterschiede in der Behandlung der Zwangsarbeiter:innen; ein oder zwei Stücke Brot aus Sägemehl täglich konnten bei den unterernährten Ar­beits­skla­v:in­nen ebenso einen Unterschied machen wie der Zugang zu sauberem Wasser und medizinischer Versorgung.

Nürnberger Prozesse

David de Jong beschäftigt sich in „Braunes Erbe“ erklärtermaßen mit den größten Unternehmerdynastien, die sich bis auf den Puddingkonzern Dr. Oetker, der Hitlers Frontgruppen verpflegte, alle in der Rüstungsindustrie engagierten. Angeklagt wurden allein in den Nürnberger Prozessen neben Flick jedoch 42 Wehrwirtschaftsführer, deren jeweiliger Werdegang im Buch unerwähnt bleibt.

Die Geschichten der Quandts und der Oetkers sind zudem in Biografien und TV-Dokumentationen vergleichsweise gut nachgezeichnet. Doch bei vielen in der NS-Zeit operierenden Unternehmen fehlen die 12 Jahre Terrorherrschaft komplett in den Firmenchroniken; weitere exemplarische Erfolgsgeschichten hätte man gerne in dem Buch ebenfalls nachgelesen.

Ein Blick auf die aktuelle Forbes-Liste der reichsten Deutschen ist ziemlich erhellend. Der zweitreichste Deutsche, Klaus-Michael Kühne, ist Erbe eines Logistikunternehmens, das seinen jüdischen Anteilseigner verdrängte und am Abtransport „beschlagnahmter“ Einrichtungsgegenstände aus jüdischen Wohnungen verdiente.

Platz 15 nimmt, direkt hinter der Finck-Erbin, Georg Schaeffler ein, Erbe des damals Rüstungsgüter produzierenden Schaeffler-Konzerns, der Menschenhaar von ermordeten KZ-Häftlingen verarbeitete.

Ob die Er­b:in­nen aus ihrer Vergangenheit gelernt haben, darf bezweifelt werden. Noch Jahre nach dem Krieg beschäftigten Firmen alte Nazikollegen, spendeten große Summen an zwielichtige Vereine wie die Stille Hilfe, die verurteilte und flüchtige SS-Mitglieder unterstützte (Dr. Oetker), und so gut wie nichts als Entschädigung für Zwangs­ar­bei­te­r:in­nen (Flick).

Zu leiden scheint die zweite und dritte Generation vor allem an sich selbst. Es sei schwierig, mit dem Neid auf ihr Vermögen umzugehen, zitiert de Jong das Geschwisterpaar Quandt. „Wer würde denn mit uns tauschen wollen?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Das sind also unsere Familienunternehmen, die wir so schützen müssen.



    Nennen wir sie doch ehrlich das was Sie sind: Oligarchen.



    Sie haben ihren Reichtum auf dem Leid anderer mit Hilfe der Nazis aufgebaut und bestimmen heute aufgrund ihrer Kapitalmacht weiter die Politik mit.



    Beispiel die Quandts (BMW). Der Spross Stefan Quandt hat sich Mitte 2019 in den Aufsichtsrat der FAZ wählen lassen und kurz darauf könnte er in der FAZ seinen Erguss gegen die Erbschaftssteuer dort platzieren (www.google.com/amp...-16249425.amp.html leider inzwischen hinter der Paywall)



    Die Medienlandschaft ist inzwischen fest in der Hand der "Familienunternehmen" und damit ist auch klar, in welche Richtung die Meinungsbildung geht. " Wess' Brot ich fress, dess' Lied ich sing'"



    Vermögenssteuer? Erbschaftssteuer? Nicht mit den Oligarchen! "...das grenzt an Enteignung..." Stefan Quandt (sinngemäß in seinem FAZ-Gastbeitrag)

  • Das Narrativ der hart arbeitenden, gestressten, ungerecht beurteilten Milliardär:innen mit ebenfalls sehr hart arbeitenden, erfinderischen und mutigen Vorfahren ist artifizielle Bilderbuchgeschichte zur Selbst-Legitimation von Geldadel par excellence. Manche Firmengeschichte wurde dafür professionell aufgehübscht. Julia Friedrichs und andere AutorInnen und JournalistInnen haben das Umfeld von potenziellem Nepotismus und Plutokratie schon früher für sog. Eliten ausgeleuchtet. Die Ignoranz beim Thema Zwangsarbeit ist in der Enkel:innen-Generation nicht verwunderlich, Empathie ist hinderlich. Dass niemand mit den Quandt-Erb:innen tauschen würde, halte ich für ein Gerücht. Alleinstellungsmerkmale als charismatische Personen konnte ich nicht herauslesen aus bekannten Verlautbarungen zu verschiedenen neuralgischen Themen. Wenn die angesprochenen Hohenzollern ihre Ansprüche formulieren, erscheinen sie bezüglich der Familiengeschichte auch sehr speziell, dazu haben sie ihren sehr eigenen Stil des Umgangs mit einer ihnen wenig wohlwollenden Berichterstattung entwickelt. Das Zeitalter der Majestätsbeleidigung war aber das letzte Jahrtausend. Frau Klatten sorgte hingegen als Opfer in diesem Jahrtausend mit unterhaltsameren Fakten und Klatsch für die Fütterung der Yellow Press in der erweiterten Sparte Sex & Crime./



    //



    taz.de/Autorin-Jul...er-Elite/!5183197/



    //



    taz.de/Die-Wahrheit/!5638521/



    //



    www.faz.net/aktuel...en-16821610.html//



    //



    taz.de/Dokumentati...schichte/!5172863/

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Es ist nicht nur die Art, wie sich Angehörige des deutschen Großkapitals an die Nazibrut anbiederten.



    Es ist nicht nur die ungeheuerliche Niedertracht, mit der sie über diese Verbindungen den auf ekelhafteste Weise gedemütigten Eigentümer ihr Vermögen und (auch) ihre Firmen stahlen.



    Es ist nicht nur die schleimige Art, mit der sie sich nach dem Desaster von 1945 aus der Verantwortung stahlen - häufig und zu großen Teilen mit Unterstützung jener Bonzen in Politik und Justiz, die schon unter den Nazis (mit-)regierten und von der neuen Republik bzw. deren Politikern wieder in dieselben Positionen gehoben wurden.



    Es ist auch die ethisch-moralische Verwahrlosung, mit der viele der Schuldigen den Gedemütigten, Ausgebeuteten und Verfolgten auch noch die Entschuldigung verweigerten und Entschädigungen hintertrieben. Auch darauf hoffend, die Zeit (sprich: das Lebensende der Berechtigten) würde ihnen und ihren ohnehin prall gefüllten Geldbeuteln auch diese vergleichsweise geringen Beträge noch "retten".

  • Schön, dass mal jemand ausspricht, was eigendlich jeder weiß bzw. wissen sollte.



    Auch wenn das in den Schulen nicht unbedingt gelehrt wird.



    Wer sich nur ein klein Wenig mit dem Thema beschäftigt, stolpert unvermeidlich über diese Fakten.

  • Der einzige unter dieser ganzen Bagage, der sich ein wenig anders verhält, ist wohl Jan Phillip Reemtsma.

    Ich weiß nicht, ob er aus dem Verkauf des ergaunerten und arisierten Vermögens Zahlungen an Zwangsarbeiter und Hinterbliebene geleistet hat, aber immerhin hat er das Institut für Sozialforschung gegründet und Arno Schmidt unterstützt.

    Und ich weiß nicht, um wie viele Ecken der Apfel vom Baum gefallen ist, Carla Reemtsma ist ja auch diesem Stall und auch nicht verkehrt.

    Alle anderen haben keinen Begriff von Moral und Verantwortung.