piwik no script img

Extremismusexpertin über Ferda Ataman„Kein Shitstorm, sondern Kampagne“

Ferda Ataman soll die Antidiskriminierungsstelle leiten. Heike Kleffner erklärt, warum Rechte dagegen Sturm laufen und weshalb das gefährlich ist.

Seitdem die Bundesregierung Ataman nominiert hat, rollt eine mediale Lawine Foto: Sarah Eick
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

taz: Frau Kleffner, vorige Woche hat die Bundesregierung die Journalistin Ferda Ataman als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nominiert. Seitdem rollt eine mediale Lawine; ein Artikel jagt den anderen, unzählige Tweets wurden abgesetzt. Könnte man nicht sagen: Wie gut, dass es offensichtlich ein so großes Interesse an diesem Amt gibt?

Heike Kleffner: Es wäre schön, wenn wir eine Debatte darüber hätten, wie viele Menschen in Deutschland Diskriminierung erleben. Da würden sich auch diejenigen Po­li­ti­ke­r*in­nen von Union und FDP, die jetzt gegen Ferda Ataman Sturm laufen, wundern; das betrifft nämlich durchaus ihre eigene Wählerklientel. Zum Beispiel Menschen, die aufgrund ihres Alters oder wegen einer Behinderung diskriminiert werden.

Tatsächlich aber wird genau diese Debatte bewusst von einer Phalanx aus Spal­te­r*in­nen unmöglich gemacht, und zwar durch das gezielte Verbreiten misogyner, rassistischer und antimuslimischer Ressentiments. Bemerkenswert fand ich, wie wertschätzend sich Armin Laschet für Ataman ausgesprochen hat. Es gibt also auch weltoffene Konservative, die diesem unappetitlichen Spiel öffentlich widersprechen.

Im Interview: Heike Kleffner

ist Journalistin mit Schwerpunkt Rechtsterrorismus und Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Sie ist Mitherausgeberin des aktuellen Sammelbands „Fehlender Mindest­abstand: Die Coronakrise und die Netzwerke der Demokratie-Feinde“ (Herder 2021).

Ataman spitzt gerne zu. Muss sie da nicht einen Shitstorm aushalten können?

Das ist kein Shitstorm, sondern eine orchestrierte Kampagne durch rechte Filterblasen. Angefacht werden diese durch gezielte Tweets prominenter Accounts, zum Beispiel des Ex-Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt.

Es folgt ein längst eingeübtes Muster: Fol­lower*in­nen, Fake-Accounts und Troll-Armeen spitzen die Botschaft zu, verkürzen, ergänzen Falschbehauptungen, bis nur noch gefährlicher Hass und Hetze übrig sind und die Person, um die es geht, nachhaltig beschädigt ist. Wie gefährlich genau diese Dynamik nicht alleine für den politischen Diskurs ist, erleben unzählige Man­dats­trä­ge­r*in­nen und Wis­sen­schaft­le­r*in­nen tagtäglich – und wissen wir spätestens seit dem Mord an dem CDU-Politiker Walter Lübcke.

Welche Rolle spielen die klassischen Medien? Allein die Welt veröffentlichte in der vergangenen Woche mehr als zehn Artikel über Ataman: Sie sei eine Fehlbesetzung, die Ampel betreibe Identitätspolitik, die künftige Antidiskriminierungsbeauftragte diskriminiere selbst und spalte die Gesellschaft.

Solche Onlinekampagnen zielen sehr klar darauf, über Twitter die Medienberichterstattung zu beeinflussen. Für Welt und Bild ist es Teil des Geschäftsmodells, Reichweite über emotionalisierte und polarisierte Debatten zu erzielen. Dabei wird auf einen Dominoeffekt gesetzt: Nicht nur das jeweilige „Hassobjekt“ mit Schmutz zu bewerfen, sondern auch alle, die deren Positionen teilen, einzuschüchtern.

Dahinter steckt politisches Kalkül?

Ganz klar. Ferda Ataman ist nicht die erste profilierte und fachkundige Frau im Umfeld der neuen Bundesregierung, die in die Schusslinie gerät. Die gleiche unheilige Koalition schießt gegen Bundesinnenministerin Nancy Faeser. Das Innenministerium war 16 Jahre lang unionsgeführt. Schauen wir uns an, was Horst Seehofer in seiner gesamten Amtszeit im Kampf gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsterrorismus alles verweigert oder verschlafen hat. Faeser hat in den letzten sechs Monaten eine Aufholjagd gestartet – aber dafür werden sie und ihr Personal auch massiv angegriffen. Und das macht leider auch jede konstruktive Kritik unmöglich.

Inwiefern?

Alle, die dringend notwendige Fortschritte einfordern, müssen sich erst mal hinter der Person versammeln, damit diese nicht von einer reaktionären Allianz weggemobbt wird. Im Kampf gegen Diskriminierung oder gegen rechte, rassistische und antisemitische Gewalt gibt es noch sehr viel, was verbessert werden muss. Dafür brauchen wir offensives Streiten. Nicht über einzelne zugespitzte Äußerungen, sondern mit Fokus auf Atamans künftiges Handeln als Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, die Arbeit von Nancy Faeser oder anderer wichtiger Ver­ant­wor­tungs­trä­ge­r*in­nen in diesem Bereich.

Was für Verbesserungen meinen Sie mit Blick auf Antidiskriminierung?

Man muss sich die Geschichte des Amtes und des dazugehörigen Gesetzes anschauen: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt es erst seit 2006. Es war längst überfällig, und dennoch hat Deutschland es nur auf Druck der EU verabschiedet. Bis heute ist es viel zu vielen Menschen nicht mal bekannt und eine Baustelle, die nicht alle Formen der Diskriminierung erfasst. Es gibt zum Beispiel keinen bundesweiten Schutz vor Diskriminierung durch staatliche Institutionen, sei es in der Schule, der Polizei oder der Ausländerbehörde. In anderen Ländern ist das längst selbstverständlich. Darüber müssen wir reden. Doch wir erleben eine enorme Diskursverschiebung, die genau das unmöglich macht.

Dazu passt, dass die Antidiskriminierungsstelle des Bundes seit 2018 nur eine kommissarische Leitung hatte, oder?

Die Botschaft der vorherigen Bundesregierung an Betroffene war klar: Eure Belange sind für uns zweitrangig. Dabei geht es um große Teile der Bevölkerung; um Diskriminierung etwa aufgrund von Alter, Rassismus, Antisemitismus, geschlechtlicher Identität oder Behinderung, und sehr oft auch die um Verschränkung von mehreren dieser Ebenen.

Ataman muss nun für viele sehr verschiedene Menschen einstehen und offensiv Verbesserungen an diesem Gesetz erkämpfen. Dafür braucht es eine streitbare und durchsetzungsfähige Fürsprecherin. Dass Ataman das sein kann, das hoffen viele – es fürchten aber offensichtlich auch sehr viele.

An Ataman gibt es nicht nur Kritik von rechts, sondern zum Beispiel auch von kurdischen Stimmen, die sagen, sie gehe nicht entschieden genug gegen türkischen Rassismus vor.

Es ist wichtig, dass die Kritik kurdischer oder alevitischer Gruppen an Ferda Ataman ernst genommen wird. Deutlich zu machen, dass sie keine Hierarchien zwischen unterschiedlichen Dis­kri­mi­nie­rungs­erfah­rungen ­aufmacht, sondern deren Mehrdimensionalität mutig adressiert – das ist ihre persönliche Herausforderung. Ob sie das kann, wird sich zeigen. Aber die Chance dazu, die sollte sie in jedem Fall bekommen.

Hinweis der Redaktion: Dieses Interview wurde geführt, bevor am Nachmittag bekannt wurde, dass die Wahl Ferda Atamans im Bundestag auf Anfang Juli verschoben wurde.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • luzi , Moderator*in

    Vielen Dank für eure Beiträge, wir haben die Kommentarfunktion geschlossen. 

  • Wer jede Kritik an linken Zeitgeistpromis als rechte Hetze diffamiert, wirkt letztlich als Brandbeschleuniger derselben.



    Ataman soll ihre Chance bekommen, aber die Kritik an ihrer Ernennung ist in mancher Hinsicht richtig und auch aus linker Perspektive evident.

  • 0G
    03998 (Profil gelöscht)

    Es wird noch eine Weile dauern, bis unsere Politiker merken, dass gerade im Bereich Diskriminierung und Rassismus, es Personen braucht, die die Integration vorantreiben und nicht bewusst polarisieren. Deutsche Kartoffeln zu nennen tut ja nicht wirklich jemanden weh führt aber zu der Reaktion: also so sieht die uns also. Und das beschädigt die Idee einer toleranten und offenen Gesellschaft und führt am Ende zu mehr Rassismus, wie wir es ja auch jetzt gerade erleben.

  • ...Kampagne angefacht durch BILD usw....



    Dann erst recht für Frau Ataman.



    Ich erwarte, dass die FDP da keine Irritationen von sich gibt und die Wahl bald stattfindet.

    • @nzuli sana:

      Der Feind meines Feindes ist mein Freund?



      Das wäre mir zu billig.

  • Ich halte Frau Kleffners Einstellung für demokratisch problematisch. Sie betont, wieviele Gruppen und Menschen in Deutschland diskriminiert werden. Auf der anderen Seite stehen Hass und Hetze, misogyne, Rassisten etc.

    Gerade weil es so extrem viele Menschen betrifft, geht es doch eigentlich mehr um allgemeine Politik, in der es immer darum geht wie all die vielen Gruppen und Interessen fair bedient werden. Wenn alle Gegner Rassisten und schlimmer sind, kündigt man die Demokratie auf, weil man mit Hassern, Hetzern und Rassisten offensichtlich nicht politisch verhandeln kann.

    Meinem Eindruck nach äußert sich Ataman oft in derselben Richtung: es gibt unverhandelbare Ziele und Gegner, die außerhalb des demokratischen Diskurses stehen, mit denen man also gar nicht politisch verhandeln darf.

    Ich glaube das wird so nicht funktionieren. Das Gesellschaftsbild von Frau Kleffner ist für mich problematisch.

  • Klar. Kritik an Frau Ataman (und Frau Faeser gleich mit) kann nur von einer reaktionären Allianz kommen, die Hass, Hetze und Rassismus im Gepäck hat. Seit dem Regierungswechsel scheint es unschicklich geworden zu sein, die Regierung zu kritisieren (solange es keine FDP-Minister trifft). Mir gefällt das nicht, und ich finde, Frau Faeser und Frau Ataman haben eine bessere Verteidigung verdient.

    • @Jochen Laun:

      Steht nicht im Artikel. Aber das verfälscht, verkürzt, zugespitzt wird von den "Kritikern" schon.

  • Die orchestrierte Kampagne erfindet man jedes Mal, wenn Menschen oder Dinge mit identitären Bezug kritisiert werden. Und sogar wenn das nicht der Fall ist, wie bei der Urheberrechtsreform als einfach behauptet wurde, das wäre von Google orchestriert.

    Ataman steht nicht für Antidiskriminierung, sondern für die Relativierung von Diskriminierung, für ein Weltbild das Menschen basierend auf Erscheinung und Herkunft auf- oder abwertet. Für dieses Weltbild gibt es einen Begriff und der macht sie unvereinbar mit dieser Position und politischer Arbeit.

    Antidksiminierung hat den Auftrag für Egalität zu Sorgen. Wer Egalität nicht im Sinn hat, sollte weit wie möglich von Stellen wie der für Antidiskriminierungm ferngehalten werden.

    • @WolfStark:

      Hamse nich auch mal wat Konkretes?

      Ich lese bei Ihnen nur bösartiges Geschwurbel und am Ende haben Sie ja auch nichts Konklretes gesagt.

      Sind Sie womöglich Teil der Kampagne?

  • Die Stelle war seit 2018 aufgrund einer Klage nur kommisarisch besetzt und nicht weil mand die ADS als Gedöns abtut. Die SPD wollte damals eine verdiente Funktionärin einen warmen Posten verschaffen und eine Mitbewerberin klagte. Warum also solche ein Framing, dass es der Vorgängerregierung unwichtig war? Nur um ein Argument aufzubauen, dass Frau Ataman doch die richtige ist? Ganz schwach.

    • @unbedeutend:

      Korrekt und übrigens Danke für die Erinnerung an die Zusammenhänge. War mir schon wieder entfallen.

      Allerdings lese ich den Absatz im Interview so, dass das nur wörtlich als "passt dazu" gemeint war.

      Diskrimierung war der der Vorgängerregierung in jedem Fall unwichtig. Und genau so habe ich den Bundeshorst auch durchgängig in Erinnerung.



      Der zeitliche Horizont des Interviews beginnt übrigens schon 2006 und nicht 2018.

      Die sprachliche Unschärfe kann man bestimmt kritisieren, aber ich würde das eher unter Stilfragen einordnen.