Plan für staatliches Tierwohllabel: Schnitzel vom glücklichen Schwein
Agrarminister Özdemir schlägt eine staatliche Kennzeichnung von Fleisch und Wurst vor. Das Wichtigste zum geplanten Fleischlabel.
Liegen Fleisch und Wurst mit neuer Kennzeichnung in jedem Supermarkt?
Die Kennzeichnungspflicht soll sich zunächst auf frisches Schweinefleisch beschränken: gekühlt oder gefroren, verpackt oder unverpackt, im Lebensmittelladen, Fleischereifachgeschäft, auf dem Wochenmarkt oder im Onlinehandel. Es ist die beliebteste Fleischart in Deutschland. Im vergangenen Jahr hat jede und jeder Deutsche 9,4 Kilo Fleisch vom Rind und Kalb sowie 13,1 Kilo vom Geflügel gegessen. Vom Schwein waren es, wenn auch 10 Kilo weniger als noch vor zehn Jahren, satte 31 Kilo.
Woran lässt sich erkennen, wie es dem Schwein erging?
Die Kennzeichnung soll fünf Stufen haben. „Stall“ wird für eine Haltung stehen, die den gesetzlichen Mindestanforderungen entspricht. Bei „Stall+Platz“ soll das Schwein 20 Prozent mehr Platz haben, der Stall etwas komfortabler eingerichtet sein. „Frischluftstall“ heißt: Das Schwein hat 46 Prozent mehr Platz, eine Seite des Stalls ist offen. Bei „Auslauf/Freiland“ kann das Tier mindestens acht Stunden am Tag raus. Dazu kommt die Stufe: „Bio“. Wie die Tiere transportiert und geschlachtet werden, spielt für das Label keine Rolle, das soll gesetzlich geregelt werden. Wer schummelt, soll mit Bußgeldern rechnen müssen.
Werden alle Tiere künftig besser leben?
Die Tiere werden auf keinen Fall sofort glücklicher, nach und nach dürfte sich aber etwas tun. Das zeigt die Erfahrung. Schon im April 2019 haben die großen deutschen Handelskonzerne freiwillig selbst ein vierstufiges Label eingeführt.
Seither fragt die Umweltorganisation Greenpeace jedes Jahr bei den großen Ketten nach, 2021 waren in den Supermärkten demnach noch 90 Prozent des Fleisches mit den unteren Haltungsformen 1 oder 2 gekennzeichnet, allerdings mit einer Verschiebung von 1 nach 2. Und: Aldi, Rewe, Penny haben zum Beispiel angekündigt, ab 2030 nur noch Frischfleisch der Haltungsformen 3 und 4 zu verkaufen. Ein Grund: In Umfragen geben 92 Prozent der Deutschen an, dass ihnen wichtig sei, wie Tiere gehalten werden.
Wem schmeckt das Label nicht?
Bäuerinnen und Bauern sind unter Druck. Die Zahl der Betriebe, die Schweine halten, sinkt schon jetzt: 2019 waren es noch 21.200 deutschlandweit, 2021 noch 18.800 – ein Rückgang um gut 11 Prozent. Nun treibt noch der Ukrainekrieg die Kosten für Energie und Getreide nach oben. Schweine bringen derzeit wenig ein, eher zahlt ein Betrieb noch drauf. Das Geld für einen Umbau der Ställe: knapp. Allerdings stemmt sich niemand gänzlich gegen Özdemirs Plan. Joachim Rukwied, der Präsident des Deutschen Bauernverbands, sieht „einen ersten wichtigen Schritt, aber auch noch erhebliche Lücken“.
Steigt der Preis fürs Schnitzel?
Regierungsberater schlagen schon seit Längerem einen Aufschlag von 40 Cent pro Kilo Fleisch vor, damit Bauern für eine bessere Tierhaltung mehr Geld bekommen. Das will die FDP in der Ampelkoalition aber nicht, sie lehnt eine Abgabe, auch einen höheren Mehrwertsteuersatz ab. Für Bäuerinnen und Bauern, die ihre Ställe nun tierfreundlicher umbauen, sind im Bundeshaushalt bis zum Jahr 2026 1 Milliarde Euro vorgesehen. Özdemir meint, das reiche langfristig nicht. Er versicherte: „Wir lassen die Bauern nicht im Stich.“
Oder doch lieber ganz ohne Fleisch?
Allein im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 98.000 Tonnen Lebensmittel hergestellt, die Fleisch oder Fleischprodukte mit pflanzlichen Alternativen ersetzen – 17 Prozent mehr als 2020. Schon seit geraumer Zeit geht der Fleischkonsum insgesamt in Deutschland zurück. 2021 lag er pro Person und Jahr bei 55 Kilogramm. Das sind 7,8 Kilo weniger als noch zehn Jahre zuvor. Dennoch: Der Wert der Fleischproduktion 2021 entsprach mit 35,6 Milliarden Euro noch immer rund dem 80-Fachen des Wertes der Fleischersatzprodukte.
Wann wird das Label kommen?
Schon CDU-Frau Julia Klöckner und CSU-Mann Christian Schmidt, die vor Özdemir das Agrarressort innehatten, planten mehr Tierwohl. Sie scheiterten. „Wir sind zum Erfolg verdammt“, meinte Özdemir. Und: „Ich möchte, dass die landwirtschaftliche Tierhaltung in Deutschland eine Zukunft hat.“ Geht es nach ihm, startet die Kennzeichnung im Laufe des kommenden Jahres.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Streit um Neuwahlen
Inhaltsleeres Termingerangel
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Überwachtes Einkaufen in Hamburg
Abgescannt
Lehren aus den US-Wahlen
Wo bleibt das linke Gerechtigkeitsversprechen?
Linkspartei nominiert Spitzenduo
Hauptsache vor der „asozialen FDP“
Obergrenze für Imbissbuden in Heilbronn
Kein Döner ist illegal