Ökonom über Vorstoß von Supermarktketten: „Aldi will mit Tierschutz werben“

Mehrere Handelsketten wollen Fleisch aus sehr engen Ställen auslisten. Sie reagieren auf Wünsche der Verbraucher, sagt Ökonom Achim Spiller.

Schweine knabbern an Gras auf einer Weide

Bisher eher die Ausnahme: Freilandbio­schweine Foto: Rupert Oberhäuser/imago

taz: Herr Spiller, Aldi hat angekündigt, ab 2030 Frischfleisch nur noch zu verkaufen, wenn die Tiere Zugang zum Außenklima oder Auslauf haben. Auch Lidl, Kaufland und Rewe wollen in wenigen Jahren Frischfleisch auslisten, das nur nach dem gesetzlichen Mindeststandard erzeugt wurde, also etwa in sehr engen Ställen. Warum machen die das?

Achim Spiller: Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass Tierschutz bei den VerbraucherInnen ganz oben auf der Wunschliste steht. Sie haben sehr große Bedenken gegenüber der heutigen Tierhaltung. Da ist es für ein Handelsunternehmen naheliegend, dass man sich darüber positionieren will. Und in der Gesellschaft hat sich auch einiges entwickelt in den vergangenen Jahren.

Als wir 2015 im wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium empfahlen, allen Tieren zum Beispiel Kontakt nach draußen zu gewähren, wären wir fast „zerfleischt“ worden. Das ist jetzt anders. Die Vorschläge der Kommission unter Leitung des ehemaligen Agrarministers Jochen Borchert für mehr Tierwohl vor gut einem Jahr haben das gepusht, so dass im Handel die Erkenntnis gereift ist: Man muss das Sortiment deutlich verändern. Aldi will sich mit Tierschutz profilieren und Ruhe in diese wichtige Warengruppe bringen.

Allein bei Frischfleisch hat Aldi einen Marktanteil von 12 Prozent und ist Trendsetter in der Branche. Wird die Tierhaltung in Deutschland also bald gut genug sein?

In unseren Studien, für die wir VerbraucherInnen befragt haben, sehen wir, dass Freilandsysteme durchweg akzeptiert werden – zum Beispiel die Haltung von Kühen auf der Weide. Wenn die Tiere zwar Zugang zur frischen Luft haben, aber immer im Stall stehen, ist die Zustimmung schon geringer, aber immer noch deutlich besser als bei den heutigen geschlossenen Ställen ohne Licht und Luft.

geb. 1964, ist Professor für Agrarmarketing an der Uni Göttingen und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik beim Bundesministerium für Ernährung.

Und es gibt noch mehr Themen: Die Verbraucher haben zum Beispiel bisher kaum auf dem Schirm, dass Kälber sehr früh von der Mutterkuh getrennt werden. Aber wenn man das erklärt, und zwar möglichst neutral mit Pro- und Contraargumenten, dann finden wir in einer Studie eine deutliche Ablehnung dieser gängigen Praxis in der Milchviehhaltung. Das Mensch-Tier-Verhältnis verändert sich schon grundlegend.

Was fehlt noch?

Wir brauchen auch einen deutlich verringerten Medikamenteneinsatz. Nötig sind ebenfalls strukturierte Funktionsbereiche in den Ställen, also getrennte Schlaf-, Fress- und Kotplätze für alle Tiere. Den Kastenstand in der Sauenhaltung kann man den Bürgern auch nicht erklären. Das wird als Käfig gesehen und auch entsprechend abgelehnt. Auch wenn man versucht, den Kastenstand mit Argumenten der Landwirtschaft zu erklären, zum Beispiel mit Arbeitsplatzsicherheit, wird das von den Bürgern nicht akzeptiert.

Die Ankündigungen des Handels beziehen sich nur auf Frischfleisch. Wie hoch ist der Anteil der Tiefkühlware?

Die Tiefkühlware ist ein kleines Segment. Verarbeitungsprodukte wie Wurst sind entscheidend. Aldi denkt darüber nach, diese einzubeziehen. Die Kette verzichtet ja schon seit 2004 auf Schaleneier aus Käfighaltung, aber zunächst nicht für Eier in Verarbeitungsware wie Nudeln. Das hat immer wieder zu Diskussionen geführt. Es ist sehr wichtig, dass Aldi diesen Fehler nicht noch einmal macht. Derzeit geht rund ein Drittel der deutschen Tierhaltung in Verarbeitungsware.

Brauchen wir jetzt noch staatliche Maßnahmen für mehr Tierwohl?

Das lässt sich noch nicht abschätzen. Nachdem Aldi Eier aus Käfighaltung ausgelistet hatte, zogen die anderen Händler nach und dann auch der Gesetzgeber. Deshalb könnte man davon ausgehen, dass der Markt das Problem allein löst.

Dagegen sprechen die hohen Unsicherheiten: Wird die Landwirtschaft das in dem kurzen Zeitraum überhaupt umsetzen können? Bekommen die Landwirte die neuen Ställe auch genehmigt? Werden sie sich trauen, allein auf die Ankündigungen von Aldi und Rewe viel Geld in neue Ställe zu investieren? Nach der Bundestagswahl sollten Politik, Lebensmit­tel­ein­zel­han­del, Landwirte und Tierschützer sich zu einem großen Branchentreffen zusammenfinden, um diese Fragen zu klären. Ohne eine politische Begleitung wird es aber letztlich nicht gehen.

Können die Handelskonzerne überhaupt genug Fleisch aus den höheren Haltungsstufen beschaffen?

Nur wenn die Politik insofern mitzieht, dass die genehmigungsrechtlichen Möglichkeiten zu Stallum- und -neubauten ein Stückchen verbessert werden. Sinnvoll wäre auf jeden Fall auch eine zusätzliche Investitionsförderung. Natürlich müssen der Handel und die Fleischindustrie den Landwirten langfristige Verträge mit entsprechenden Preisaufschlägen bieten. Die Tierhaltung bis 2030 in der Breite umzustellen, ist schon sehr ambitioniert, da es sehr lange dauert, eine Genehmigung für Stallbauten zu bekommen.

Werden die VerbraucherInnen am Ende mehr bezahlen fürs Fleisch?

Am Schluss müssen die Verbraucher den Tierschutz bezahlen. Die Landwirtschaft kann das nicht. In den Schweine-, Rinder- oder Geflügelpreisen ist schon jetzt nicht großartig Luft. Die Frage ist, ob der Handel die Preise erhöht oder der Staat die Mehrkosten über eine Tierwohlabgabe von beispielsweise 40 Cent pro Kilogramm Schweinefleisch erhebt und an die Landwirte weitergibt. Wenn Tierwohlfleisch aus der Nische herauskommt, könnten die Mehrkosten begrenzt sein. Als die Käfigeier ausgelistet wurden, war der Preisunterschied auch viel kleiner als gedacht. Bodenhaltung war nur 1 Cent pro Ei teurer als Käfighaltung.

Werden Bauern aufgeben müssen?

Wahrscheinlich in den Intensivregionen wie Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen. Wo wir sehr hohe Tierhaltungsdichten und AnwohnerInnen in der Nähe haben, werden wegen der Geruchsbelästigung wohl nicht so viele offene Ställe genehmigt werden. Das wird auch zu einer räumlichen Entzerrung beitragen. Es gibt aber auch noch andere Impulse, dass wir 2030 etwas weniger Tiere haben werden: Klimaschutz, der steigende Anteil von Vegetariern. Die höheren Preise würden zudem auch 3 oder 4 Prozent der Nachfrage kosten.

Wird mehr importiert werden?

Das hängt sehr stark davon ab, ob der Handel eben auch Verarbeitungsware einbezieht und der Außer-Haus-Markt mitzieht, also zum Beispiel McDonald's & Co oder auch Kantinen. Wenn nicht, dann droht da ein Anstieg der Dumpingimporte. Mehr Tierwohl ist aber auch eine Exportchance für deutsches Fleisch, weil die Bevölkerung in anderen Regionen und Ländern so anders beim Tierwohl gar nicht denkt. In Nordwesteuropa sowieso, aber auch in Südeuropa ist in Studien zu erkennen, dass sich das Mensch-Tier-Verhältnis ­wandelt.

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