Freispruch für Olaf Latzel: Christlich hassen ist legal
Bremer Landgericht kassiert die Verurteilung des Martini-Pastors Olaf Latzel: Er hatte auf biblischer Grundlage gegen Homosexualität gehetzt.
Zu dieser Einschätzung ist Richter Hendrik Göhner am Freitag im Berufungsverfahren gekommen. Er hob damit die Verurteilung Latzels wegen Volksverhetzung in erster Instanz auf: „Eine skandalöse Entscheidung“ nennt das Santos Blume vom Bündnis Queerlobby, das am Freitagfrüh zur Demo vorm Gerichtsgebäude aufgerufen hatte.
In einem Redebeitrag erinnerte er daran, dass öffentliche Diskriminierung sich „messbar negativ auf den Alltag“ auswirke und Ausschlüsse und Gewalt gegen die angegriffenen Teile der Bevölkerung führt. „Diese Wirkungen sind auch aus der Forschung gut belegt“, so Blume.
Der Umgang mit gesellschaftlichen Minderheiten sei „als Gradmesser einer Demokratie“ eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“. Um dieser gerecht zu werden, sei nun die Staatsanwaltschaft in der Pflicht, in Revision zu gehen. „Und auch von der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) erwarten wir, dass sie endlich aufhört, Hassprediger in ihren Reihen zu dulden.“
Homosexualität ohne Menschen
Auch Richter Göhner hatte die Latzel-Parolen als „in gesellschaftlicher Hinsicht mehr als befremdlich“ gerügt. Und er hatte betont, dass es durchaus möglich sei, die Aussagen des Predigers als Versuch zu verstehen, die Betroffenen verächtlich zu machen. Dann wären sie ein Angriff auf die Menschenwürde, mit dem Latzel ihr Lebensrecht in der Gesellschaft bestritten hätte.
Zur Volksverhetzung wären sie ihm zufolge jedoch nur geworden, wenn diese Deutung die einzig mögliche wäre. Insbesondere, weil der verurteilte Prediger seine Äußerungen im Rahmen einer langwierigen Belehrung und somit „unter dem Schutz, nicht unter dem Deckmantel“ des Grundrechts auf Glaubensfreiheit getätigt hatte, sei zu berücksichtigen, dass „man es auch anders verstehen könnte“, so Göhner in der Urteilsbegründung.
Schließlich habe Latzel in der Verhandlung beteuert, nur die Homosexualität, nicht aber die Homosexuellen zu verdammen. Das dürfe nicht einfach als Schutzbehauptung abgetan werden. Das war es nach Einschätzung des Amtsgerichts gewesen. „Homosexualität ohne Menschen ist nicht vorstellbar“, hatte Richterin Ellen Best am 25. November 2020 geurteilt.
Richter Göhner sieht das offenbar anders. Durch diese Trennung werde für ihn „klar, dass nicht zu Hass gegen einen Teil der Bevölkerung aufgestachelt werden soll“, so der Vorsitzende weiter. Auch machte er geltend, dass die pauschalen Verdammnisse Latzels sich auf einen spezifischen Kontext bezögen: So folgte er der Darstellung der Verteidigung, nach der die Martini Gemeinde sich auch als Opfer fühlen könne.
Tatsächlich war sie immer mal wieder Ziel von queeraktivistischen Farb- und Schriftzugattacken geworden. Es gab auch fiese Aktionen auf Latzel direkt – Paketbestellungen in seinem Namen etwa – und es war in die Gottesdienste eingegriffen worden: Namentlich erwähnte der Richter ein Happening im Jahre 2008, kurz nachdem Latzel die Stelle in Bremen angetreten hatte.
Hier hätte sich gelohnt, genauer hinzuschauen, um die ganze Wahrheit in den Blick zu bekommen. Denn genau genommen sind die Attacken jedoch auch einen Hinweis darauf, wie sehr Latzels homophobes Wirken dazu angetan ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Und wie sehr er mit dieser Wirkung offenbar kokettiert.
Bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt in Bremen hatte der Pastor gegen Schwule und Lesben agitiert: Im Rahmen des evangelikalen Christival-Kongresses warb er für so genannte Konversionstherapien. Deren Veranstalter geben vor, Schwule und Lesben so zu behandeln, dass sie danach heterosexuell wären. Diese vermeintliche „Heilung“ verursacht oft massive psychische Schäden bei ihren unmittelbaren Opfern. Seit 2020 sind die entsprechenden Programme in Deutschland weitestgehend verboten.
Ein Kiss-In als Gegenwehr
Einem bei dem evangelikalen Glaubens-Event geplanten, aber aufgrund von Protesten abgesagten Umpolerseminar hatte Latzel damals seine Gemeinde in einer öffentlichen Talkshow als alternativen Austragungsort angeboten – weil er den Verzicht auf die Veranstaltung als „Einknicken“ verurteilte. Der reale Kampf gegen die Homosexualität sollte offenkundig an Geist und Körpern von Individuen ausgetragen werden.
Das hatte damals die Gegenwehr der Community auf sich gezogen: Wenige Tage hatten sich LGBT*I-Aktivist*innen unter die Gläubigen gemischt, um eine gegen sie gerichtete Andacht zu besuchen. Während der Predigt fingen sie an, zu knutschen, einander zu streicheln, teilten Erdbeersekt, Zärtlichkeit und Pappherzchen aus.
Schließlich wurden sie, teils mit roher körperlicher Gewalt, aus dem Gotteshaus geworfen: Was will man auch von Menschen anderes erwarten, denen ihr Hirt weismacht, „diese Homolobby, dieses Teuflische“ komme „immer stärker, immer massiver“, und fresse sich immer weiter vor, wie sich Latzel ausdrückt – natürlich nur auf die abstrakte Homosexualität bezogen, nicht auf Menschen. Er sage ein „absolutes Ja zu jedem Homosexuellen“, hatte der Geistliche im Prozess gesagt.
Bei der Demo vorm Gerichtsgebäude schildert eine junge Frau in einer bewegenden Rede, was es für eine Lesbe bedeutet, im homophoben evangelikalen Kontext aufzuwachsen. „Ich habe das durchlebt“, sagt sie, heute Mitarbeiterin eines feministischen Kultur- und Bildungs-Vereins.
Kirchenrechtliches Disziplinarverfahren
Oft habe sie Predigten von Latzel gehört. Demütigungen, Hass und quälende Schuldgefühle, der Glaube, abnorm zu sein – das sei es, was Predigten bei ihr erzeugen würden. „Und dieser Mann ist nicht Prediger in irgendeiner Freikirche“, erinnert sie, „sondern in einer der Landeskirchen der Evangelischen Kirche Deutschlands“. Das mache es so besonders unerträglich.
Das kirchenrechtliche Disziplinarverfahren der BEK gegen Latzel läuft unabhängig vom Strafverfahren. Während Latzel-Verteidiger Sascha Böttner von einer Einstellung ausgeht, sofern der Freispruch rechtskräftig wird – die Staatsanwaltschaft kann noch Revision beantragen – dürfte es Sanktionen erschweren. Hinzu kommt, dass die Gemeinden der BEK theologisch autonom sind.
Selbst gegen menschenverachtende Predigten habe man bislang keine direkte Handhabe gefunden und Latzels Verbalattacken, die außer Homosexuelle auch Katholik*innen, Buddha-Anhänger*innen und muslimische Gläubige trafen, meist nur mit Bedauern zur Kenntnis genommen. Allerdings betonte das geistliche Oberhaupt der BEK, Schriftführer Bernd Kuschnerus gegenüber epd, es sei dienstrechtlich unstrittig, dass „Ausgrenzung und Verunglimpfung von Personen durch einen Pfarrer nicht tragbar sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen