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Prekäre Mit­ar­bei­te­r im CallcenterLügen auf Allah für Max Mustermann

Unser Autor hat wegen eines annullierten Fluges zwei Jahre mit Callcenter-Mitarbeitern zu tun gehabt. Er wollte trotz der Lügen menschlich bleiben.

Lügen, Lügen Foto: imago

A ngefangen hat alles mit einem annullierten Flug, den ich kurz vor Beginn der pandemischen Krise im Jahr 2020 über das Reiseportal Opodo gebucht hatte. Schnell stellte sich heraus: Opodos Rückerstattungspolitik funktioniert nach darwinistischen Regeln. Man kann eigentlich nicht viel gegen die Gier solcher Unternehmen tun.

Ich machte also das Beste daraus und rief in den vergangenen zwei Jahren unregelmäßig im Servicecenter an, um nachzufragen, ob es Neuigkeiten rund um die mir zustehende Erstattung gibt. Weil sich bei mir schnell die Gewissheit durchsetzte, dass Opodo das Geld nie herausrücken wird, deutete ich den Griff zum Telefon in meinem Kopf als Möglichkeit um, neue Kurzzeitbekanntschaften zu schließen.

Ich hatte zwischendurch zum Beispiel einen super cuten Ägypter an der Strippe, der irgendwo unweit vom Nil zum Hörer gegriffen hatte. Zuerst sprach er mit mir auf Deutsch, und als ich geschickt ein wallah zwischendurch platzierte, sagte er sanft auf Arabisch: „Bruder! Ich schwöre auf Allah, dass ich mich innerhalb von 14 Tagen kümmern werde.“ Ich wusste, dass es nicht stimmt, dass er sich nicht kümmern würde. Drei andere Angestellte hatten mir in den Monaten zuvor versprochen, dass sie sich innerhalb von 14 Tagen kümmern würden. Sie kümmerten sich nie.

Als ich dem ägyptischen Mitarbeiter schilderte, dass ich im Namen von Opodo stets angelogen werde, änderte sich seine Stimme. Sie wurde sanft, seine Worte waren verständnisvoll. Er sehe, dass die Airline wenige Monate nach der Annullierung Opodo das Geld überwiesen habe, er werden noch am selben Tag mit seinem Vorgesetzten sprechen. Er hat auf Allah geschworen. Ich spürte die menschliche Connection zu ihm. Das ist nun auch mehr als acht Monate her.

Kundschaft anlügen zum Mindestlohn

Ich kenne überall auf der Welt Menschen, die in Callcentern arbeiten und die Kundschaft in Europa oder Nordamerika für Mobilfunkanbieter oder Airlines hinhalten sollen. In Indien, in Albanien, in Ägypten oder Marokko gilt dieser harte Job als Chance. Junge Menschen nehmen Schulden auf und geben das Geld beim lokalen Goethe-Institut aus, um Deutsch zu pauken, Max und Erika Mustermann geduldig zuzuhören und sie anzulügen, dass man sich kümmere.

Wenn die Callcenter-Angestellten Glück haben, bekommen sie dafür den lokalen Mindestlohn, mit dem sie die Sprachkursschulden nur schwer zurückzahlen können. Neulich habe ich es über die Chatfunktion in der Opodo-App probiert. Ich bin ja für Neues offen. Eine Mitarbeiterin stellte sich mit einem indischen Namen vor. Sie kopierte Floskeln in den Chat, dass sie sich kümmern werde, innerhalb von 14 Tagen und so weiter. Ich merkte, wie schwer es mir fiel, ohne eine sanfte Stimme am Hörer menschlich zu bleiben. Ich musste mich selbst daran erinnern, wie wichtig es ist, Mitarbeitenden in den Callcentern des westlichen Kapitalismus mit Respekt zu begegnen und sie nicht mit dem gierigen Arbeitgeber zu verwechseln.

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Mohamed Amjahid
Mohamed Amjahid ist freier Journalist und Buchautor. Seine Bücher "Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken" und "Let's Talk About Sex, Habibi" sind bei Piper erschienen. Im September 2024 erscheint sein neues, investigatives Sachbuch: "Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt" ebenfalls bei Piper.
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14 Kommentare

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  • Als Callcenter Agent (Gott/Göttin/ Divers sei Dank nicht mehr mit Vertriebsvorgaben tätig) finde ich es sehr nett vom Autor, den aufgestauten Ärger nicht am telefonierenden Agent auszulassen. Ich habe im Laufe der Jahre sowohl unfähige/fehlerhafte Bearbeitung gesehen und dusselige bis dummdreiste KundInnen gehört. Leider ist Telefonservice an Zeitvorgaben gebunden, darunter leidet oft die Qualität. Kümmern hätten sich die Agents trotzdem mal oder wenigstens ehrlich sein. Aber in manchen Fällen hilft nur der Gang zum Verbraucherschutz.

  • "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten." Albert Einstein.

    Wenn der Autor weiß, dass die Mitarbeiter des CC keinen vernünftigen Ansprechpartner haben und keine Möglichkeit etwas weiter zu leiten.... Warum ruft er dort weiter an?

    Adresse von Opodo aus den Impressum nehmen, direkt anschreiben, am besten Fax online verschicken.

    Wenn das nicht hilft den Verbraucherschutz kontaktieren.

  • Ist die Unterscheidung zwischen Mitarbeitenden und Unternehmen nicht ein wenig kurzsichtig? Das Unternehmen hat keinen eigenen Willen und trifft keine eigenen Entscheidungen. Jede fragliche, unmoralische oder nervige Entscheidung eines Unternehmens ist letztlich die Entscheidung eines oder mehrerer dort arbeitenden Personen.

  • Ich hatte mal wegen eines Telefonanschlusses bei der Telekom mit callcentern lange und ausgiebig zu tun. Einer war wohl einsam oder schräg drauf, ungeheures Redebedürfnis was schon unheimlich war. In dem Fall übrigens wurde das Problem erst gelöst, als ich die Netzstruktur (Hardware-seitig) recherchiert hatte und Vorschläge gemacht. Ich lag zwar nicht ganz richtig, doch im Verteilerkasten drei Straßen weiter wurde dann tatsächlich ein defektes Relais gefunden was die Ursache des Übels war. Erstmal die Entscheidung auszulösen, anderes zu tun als Modem an und auszuschalten war schon ein Gewaltakt.



    Zurück zum Artikel: wenn die Airline das Geld bereits an den Anbieter erstattet hat handelt es sich um Unterschlagung. Das würde ich an einen Rechtsanwalt übertragen - wäre mein Ansatz nach einer Fristsetzung. Es ist auch ein Straftatbestand, doch nur zur Polizei wird nichts bringen, jedenfalls kein Geld auf die Schnelle, sondern eher nur zu viel Aufwand führen (Beweislast etc.).

  • Und? Scheinbar ist die Geduld mit Opodo unendlich und die Erstattung nur eine Lapalie. Dafür gibt es ansonsten Rechtsanwälte oder auch ein gerichtliches Mahnverfahren. Dann klappts auch mit der Rückerstattung.

    • @Lars B.:

      Stimmt, clever ist das Vorgehen nicht. Die Ansprüche verjähren nach drei Jahren.

  • Wir hatten 2021 mehrere Flüge über Dubai, Johannesburg nach Durban bei Mytrip gebucht und bezahlt. Von JoBurg nach Durban hatte MyTrip der Airline das Geld aber nicht überwiesen. Nach Monaten Reklamationen, unzähligen Anrufen in der Hotline haben wir über unseren Kreditkartenanbieter reklamiert und der hat tatsächlich den gesamten Flugpreis (also alle Flüge!) zurückgebucht. Seitdem hab ich von MyTrip nichts mehr gehört...

  • Sehr unterhaltsam und nett geschrieben. Aber das Problem ist ja damit trotzdem nicht gelöst. Oder ist der Autor an einer Lösung nicht interessiert, solange der Vorgang Futter für Artikel bietet? Dieser Mehwert entfällt ja für die allermeisten anderen betrogenen Kunden, die hingehalten und vertröstet werden. Vielleicht eine Lehre, die Internetportale lieber zu meiden?

  • Bin angerührt, aufgrund ähnlicher Erfahrungen als Kunde (Kofferverlust bei AF).

    Und der Text ist super geschrieben!

  • Richtig. Herr Amjahid hat erkannt, dass es meistens nicht die Mitarbeiter das Problem sind, sondern die Firma.

    Spräche ich mit einem Call-Center der Techniker Krankenkasse, habe ich einen phantastischen Service.

    Bei Vodafone sieht das schon ganz anders aus. Da will man nur noch weg. Und das macht die Firma nochmal extra schwer.

    Von Opodo habe ich noch nie etwas gehört und würde es vermutlich auch nicht mit der Kneifzange anfassen.

    Der Fisch stinkt vom Kopf her.

    • @shantivanille:

      "Bei Vodafone sieht das schon ganz anders aus. Da will man nur noch weg. "

      Das Unterschreibe ich sofort.



      Ähnliche Bekanntschaft habe ich auch bei der Kundenhotline von DHL gemacht. Oder Amazon. Servicemitarbeiter die eigentlich gar nichts selber dürfen. Nicht selber denken. Nicht selber in einen Prozess eingreifen. Nicht selber Antworten (nur nach Skript um nichts falsches zu sagen). Die sind einfach nur noch der Shitstorm-Abwehr- und Kundenberuhigungsschild.

      So erklärte mir der Vodafone-Hotliner er könne eine von mir genannte Internetseite nicht aufrufen weil er - festhalten - kein Internet hat!



      Der Supporter. Bei einem Internetanbieter. Hat kein Internet!

      • @Firlefonz:

        Die Qualität vom Service hängt stark vom beauftragten externen Unternehmen ab.

        Ich habe auch im Auftrag von Vodafone telefoniert, vor etlichen Jahren. Wir durften externe Seiten aufrufen, das hatte die Gewerkschaft durchgesetzt.

        Eigentlich ist es eher die Ausnahme, dasss dies nicht möglich ist.

  • Es gäbe sehr viel mehr zu diesem Thema zu schreiben, aber ich habe mich trotzdem über den humorvollen & empathischen Beitrag gefreut.



    Ich habe in meiner Zeit beim Callcenter mehr über die Wirklichkeit unserer Wirtschafts- & Gesellschaftsordnung gelernt als in meinem Studium.

  • Toller Artikel, ich habe viel dazu gelernt. Vielen Dank