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Reform der katholischen KircheDie Machtfrage gestellt

Die katholische Kirche kann nicht mehr so bleiben, wie sie ist. Die Frage ist, ob sie sich im Sinne ihrer liberalen Mitglieder ändern wird.

Dreharbeiten für ARD-Doku „Wie Gott uns schuf“: Norbert Lammers ist Priester und schwul Foto: rbb

Diese Woche haben 125 queere Menschen die Machtfrage in der katholischen Kirche gestellt. Die Initiative #OutInChurch gibt jenen Mit­ar­bei­te­r*in­nen der katholischen Kirche ein Gesicht, von denen man wusste, dass es sie gibt, die sich aber versteckt halten sollten: Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär identifizieren.

Die Praxis des „Don’t ask, don’t tell“, oder auf Deutsch: „Frag nicht, sag nichts“, gehört seit vielen Jahrzehnten zur katholischen Kirche. Welche katastrophalen Folgen die Nichtthematisierung haben kann, zeigen nicht nur die Gutachten zur sexualisierten Gewalt in der Kirche. Auch die Menschen der Initiative #OutInChurch sprechen von Suizidalität, Diskriminierung, Einsamkeit.

Im Katechismus wird Homosexualität weiterhin als eine „schlimme Abirrung“ bezeichnet. Die Vorgesetzten von queeren Menschen im Bistum, in Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Hospizen oder in ihren Kirchengemeinden haben daher Macht über sie. Wie viel Einfluss diese Macht auf ihr Leben hat, bemisst sich daran, wie liberal oder konservativ die jeweiligen Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen sind.

Manche Menschen von #OutInChurch erzählen, dass sie schon lange in ihrer Kirchengemeinde geoutet sind und kaum oder keine Probleme haben. Andere haben mit der Initiative ihr Coming-out und erleben es als Befreiung. Sie müssen aber mögliche Konsequenzen wie eine Kündigung noch abwarten.

Einer der größten Arbeitgeber

Ein lesbisches Paar, das seit 40 Jahren eine Beziehung führt, macht diese lange nach ihrer aktiven Zeit als Mitarbeiterinnen der katholischen Kirche öffentlich. Bei anderen war die Angst vor dem beruflichen Aus zu groß. Sie entschieden sich, anonymisiert Teil der Initiative zu sein.

Als queere Menschen kann ihnen ein Loyalitätsverstoß gegen die katholische Kirche vorgeworfen werden. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz darf in Deutschland niemand aufgrund seiner Sexualität oder Religion benachteiligt werden. Aber das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgesellschaften ist im Grundgesetz verankert und dieses schließt ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht ein, das auf der Loyalitätsverpflichtung fußt.

Die Mit­ar­bei­te­r*in­nen sollen mit den Vorstellungen des Arbeitgebers konform gehen und das auch im Privatleben. Die Kirche ist einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. Etwa 1,3 Millionen Menschen arbeiten im kirchlichen Dienst.

Bundesjustizminister Marco Buschmann hat nach der Coming-out-Aktion gesetzgeberische Konsequenzen gefordert: „Niemand darf wegen seiner oder ihrer sexuellen Identität benachteiligt werden“, schrieb der FDP-Politiker am Montag auf Twitter. „Bei allem Respekt vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht insbesondere im verkündungsnahen Bereich – dem muss auch die Kirche als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland Rechnung tragen.“

Doppelmoral sichtbar gemacht

Die Ampelparteien haben im Koalitionsvertrag angekündigt zu prüfen, wie das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen angeglichen werden kann. Doch die Macht liegt durch das höher wiegende kirchliche Selbstbestimmungsrecht bei den einzelnen Bistümern. Einige Bischöfe haben bereits angekündigt, dass ihre Mit­ar­bei­te­r*in­nen keine Konsequenzen für das Coming-out zu befürchten haben. Rechtssicherheit haben sie dadurch aber nicht.

Welche Macht können die Menschen von #OutInChurch mit ihrer Initiative erlangen? Klar ist, dass die mutigen 125 Menschen die in so vielen Bereichen der katholischen Kirche herrschende Doppelmoral für die Öffentlichkeit erneut deutlich sichtbar machen. Einen schwulen katholischen Jugendreferenten darf es geben, aber über seine Homosexualität soll er bitte nicht sprechen.

Ähnlich wird seit Jahren mit geschiedenen Menschen verfahren oder auch mit Priestern, die sich eigentlich dem Zölibat, also der verpflichtenden Ehelosigkeit, verschrieben haben, aber mit Kenntnis vieler Menschen schon über Jahre eine Beziehung führen. Solange sie die Beziehung nicht offiziell machen, also heiraten oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen wollen, werden sie geduldet.

Im Jahr 2002 wünschte sich ein Mensch aus meinem persönlichen Umfeld, nach fünf Jahren Beziehung seine Freundin heiraten zu können. Das bedeutete für ihn einen beruflichen Bruch, er war katholischer Priester. In Gesprächen mit dem Vorgesetzten gab es keinen Vorwurf oder Verwunderung, sondern nur eine Frage: „Wollen Sie das denn wirklich öffentlich machen?“

Aussitzen wird nicht funktionieren

Das Pflichtzölibat abzuschaffen, dafür treten auch die Reformgruppen der katholischen Kirche ein, wie etwa Maria 2.0. Bei der dritten Versammlung des kirchlichen Reformprojekts Synodaler Weg soll vom 3. bis 5. Februar auch über die Veränderung der Sexualmoral im Katechismus gesprochen werden. Doch auf grundlegende Veränderungen, die durch die höchste Stelle der katholischen Kirche, den Vatikan und Papst, angestoßen werden, wartet man vergebens. Auch in Deutschland bleibt es bislang bei guten Vorsätzen, bei Gesprächsangeboten, bei Tolerierung. Echte Veränderungen folgen nicht, viele der progressiven Forderungen gibt es schon seit Jahrzehnten.

Die aktuellen Ereignisse werden die katholische Kirche aber hoffentlich länger beschäftigen: das mutige Coming-out, aber auch die falsche Aussage des emeritierten Papstes Benedikt XVI. im Münchner Gutachten zur sexualisierten Gewalt. Die Stadt München hat ihre Kapazitäten für Kirchenaustritte nun verdreifacht, auch NRW meldet eine Rekordzahl an Kirchenaustritten.

Die oft genutzte Taktik einiger Entscheidungsträger der katholischen Kirche, die Füße stillzuhalten und zu warten, bis die öffentliche Aufregung vorübergezogen ist, dürfte nicht mehr lange funktionieren. Auch Kardinal Reinhard Marx sagte nun: „Es gibt keine Zukunft des Christentums in unserem Land ohne eine erneuerte Kirche.“

Warum die Menschen, die bei #OutInChurch von ihren Diskriminierungserfahrungen berichten, überhaupt Teil der Kirche sein wollen, treibt viele um. Die Antwort kann nur eine individuelle sein. Kirche ist, was vor Ort passiert, sagen aktive Mitglieder und berichten von bereichernder Arbeit. Die katholische Kirche hat ihnen keinen Schutzraum gegeben. Den müssen sie sich selbst holen. Mit dem gemeinschaftlichen Coming-out haben sie das Machtinstrument des Schweigens gebrochen.

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17 Kommentare

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  • Wer die katholische Kirche als Organisation verstehen will, muss sie als Offenbarungsreligion und als absolutistisches Staatsgebilde verstehen. Eine Organisation, die daran glaubt, dass ihr heiliges Buch von Gott offenbart wurde, kann nicht frei über Inhalte entscheiden. Und eine Sekte, die ihren Anführer als unfehlbar definiert, ist nicht reformierbar. Dazu kommt das globale Geschäftsmodell, welches sich in den Wachstumsmärkten nicht mit liberalen Ansichten verträgt.

  • Sofern es wirklich solche Mißbrauchsfälle in der Kirche gegeben hat, finde ich das richtig traurig und moralisch absolut nicht vertretbar.



    Ich möchte aber darauf hinweisen, dass jede Form von Organisation "Schutzräume" für sexualisierte Gewalt gibt. Beispiel: Mißbrauch im Breitensport, Kinderheime, die nicht unter kirchlicher Trägerschaft sind, etc...

    • @tobibo:

      Die Unterschiede: Die Kirche will von us allen Geld, weil sie so heilig und mildtätig sei. Die Kirche genießt nach wie vor unfassbare Privilegien in diesem Staat. Und zu guter Letzt: Die Vorwürfe gegenüber der katholischen Kirche beziehen sich nicht auf den Missbrauch an sich, sondern an die aktive Vertuschung und den Täterschutz, der weitere Taten erst möglich machte. Das grenzt an organisierte Mittäterschaft.

    • @tobibo:

      "Sofern es wirklich solche Mißbrauchsfälle in der Kirche gegeben hat, finde ich das richtig traurig und moralisch absolut nicht vertretbar."

      Die hat es gegeben das ist nun mal bewiesen daher verstehe ich ihre Formulierung gar nicht und das Vergehen anderer Organisationen kann von den wiederlichen Verbrechen in den Kirchen nicht ablenken.



      Die Kirche und ihre Existenz ist egal es geht hier um das Leid der Opfer

  • Ich würde sogar noch einen großen Schritt weiter gehen und "ketzerisch" fragen, seit wann Gott Vorschriften macht? Bitte nicht falsch verstehen: Ich war schon in Taizé im Kloster, eine wunderbare Erfahrung. Ich gehe gern in die Kirche, ich schätze die Stille sehr. Und ich glaube an Gott. Aber wie sagte meine Mama immer: "Wasser predigen, Wein saufen".

    Die Sexualität ist etwas zutiefst Persönliches, etwas Urlebendiges. Sie will gelebt und nicht unterdrückt werden! Nur heterosexuelle Beziehungen sind "richtige" Beziehungen?

    Ich wünsche der Kirche von Herzen, dass sie im 21. Jahrhundert ankommt.

    • @Kirsten1990:

      "Die Sexualität ist etwas zutiefst Persönliches, etwas Urlebendiges. Sie will gelebt und nicht unterdrückt werden"



      Sexualität kann man nicht nach Herzenslust ausleben, ohne seinen Partner und sich selbst zu schädigen.



      Den Wert der Keuschheit sollte man nicht unterschätzen. Keuschheit braucht man auch zum Vermeiden von MeeToo-Problemen oder für die Treue, die für jede gelungene Parnerschaft wesensnotwendig ist.



      Nicht der Zölibat, sondern der Verstoß dagegen ist das Problem!

      • @Christoph Strebel:

        Was Sie da andeuten ist nicht logisch und auch nicht von Fakten gestützt. Selbstverständlich kann man einvernehmliche Sexualität unter Erwachsenen ausleben - in Partnerschaften oder außerhalb.

        Keuschheit verhindert Missbrauch nicht, sondern fördert ihn. Genau darum, dass die katholische Kirche das perfekte Beispiel herfür ist, geht es ja.

        Nicht der Verstoß gegen den Zölibat ist das Problem, sondern die lebens- und menschenfeindlichen Ideen der katholischen Kirche. Sexualität und Lust sind etwas absolut natürliches (für Christen: Teil der Schöpfung und von Gottes Plan für uns Menschen). Tabuisierung und Verteufeln von Sexualität inkl. Zölibat sind Perversionen.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Wann ist ein Verein eine kriminelle Vereinigung und was sind dann die Mitglieder?

    • @47202 (Profil gelöscht):

      Da die Heilsversprechen ja eine Art Trick sind, um an das Geld der Mitglieder zu kommen, kann man davon ausgehen, dass gläubige Mitglieder eher Opfer als Mittäter sind.

  • "Reform der katholischen Kirche"



    Das Wort Reform und die katholische Kirche sind nicht kompatibel. Die einzige "Reform" der katholischen Kirche geschah unter Luther, welche zur evangelischen Kirche wurde.



    Die katholische Kirche ist nicht reformierbar, sie klammert ich an Macht und Geld, ihre Gläubigen sind bestenfalls zur Finanzierung interessant.



    Die einzig richtige Antwort heißt austreten!

  • "Kirche ist, was vor Ort passiert, sagen aktive Mitglieder und berichten von bereichernder Arbeit. Die katholische Kirche hat ihnen keinen Schutzraum gegeben. "

    Die Menschen vor Ort sind sch selbst der Schutzraum. Da muss niemand aus Rom kommen und ein Türchen aufschließen.

    • @Rudolf Fissner:

      Da haben Sie ja wieder mal einen spaßigen Beitrag geschrieben.

      Rom sagt das: "Im Katechismus wird Homosexualität weiterhin als eine „schlimme Abirrung“ bezeichnet."

      Und mit dem Türen aufschließen tut sich dieser Verein schwerer als jede andere gesellschaftliche Institution.

  • Es wird sich nichts ändern. Die Schäfchen habe es in der Hand - Kirchenaustritt jetzt

    • 4G
      47202 (Profil gelöscht)
      @Phineas:

      100% Zustimmung!

      • @47202 (Profil gelöscht):

        Ja! Wer es immer noch nicht gemacht hat, sollte sich jetzt dazu entscheiden!

  • Den kategorial-qualitativen Wesensunterschied zwischen Religionsgemeinschaften und Sekten kann in Wirklichkeit niemand definieren, da sich diese Glaubensapparate alle über transzendente Phänomene definieren, die sich einer menschlichen Logik entziehen. Es bedarf einer rigorosen messerscharfen Trennung von Staat und Glaubensapparaten. Der Staat muss diese kontrollieren indem niemand vor dem Gesetz eine Sonderstellung erfährt. Konsequenz: Keine rechtlichen Sonderwege für irgend jemand. Glaubensfreiheit muss garantiert bleiben, aber Rechtsverstöße durch Glaubensapparate müssen konsequent geahndet werden. Der sogenannten III. Weg, wie ihn Ministerpräsident Kretschmann fordert, ist ein Irrweg.

  • Die Machtfrage in der katholischen Kirche wurde gestellt. Da wird der Petersdom aber vor Angst wackeln und die kath. Kirche sich die Frage stellen, ob sie sich im Sinne ihrer liberalen Mitglieder ändern sollte.



    Nicht in diesem Jahrhundert.