Missbrauch in der katholischen Kirche: Komplizen der Täter

Kardinal Marx sagt kein Wort zu den Vorwürfen gegen Ex-Papst Benedikt. Das muss er nachholen.

Der ehemalige Papst Benedikt XVI.

Sollte sich dringend äußern: der emeritierte Papst Benedikt XVI Foto: Daniel Karmann/dpa

War das der noch dröhnendere Paukenschlag, den die katholische Kirche brauchte? Sprengt das Wissen um die „Bilanz des Schreckens“, wie Anwalt Ulrich Wastl das Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising nannte, endlich das System der Vertuschung und des Wegschauens?

Das Vokabular nach der Vorstellung des Gutachtens war ähnlich wie nach den vorherigen fünf Studien zu sexueller Gewalt in katholischen Bistümern: Erneuerung, unfassbares Leid, mehr Transparenz. In der Zivilgesellschaft reichten die bereits bekannt gewordenen Fälle systematischer Vertuschung von sexualisierter Gewalt längst, um das Vertrauen in die katholische Kirche zu verlieren. Zahlreiche Kirchenaustritte waren die Folge.

Doch dieses Mal hat das Gutachten aus München noch mehr Gewicht. Schwere Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt stehen im Raum. Er soll in seiner Funktion als Erzbischof von München von 1977 bis 1982 in mindestens vier Fällen nichts gegen Kleriker unternommen haben, die der Gewalt gegenüber Minderjährigen beschuldigt wurden. Nichtstun bei vier Tätern bedeutet zugleich eine deutliche höhere Opferzahl. Davon gehen auch die Er­stel­le­r*in­nen des Gutachtens aus.

Besonders schmerzhaft ist dies im Fall des Priesters Peter H., der 1980 aus dem Bistum Essen nach München versetzt wurde. Versetzt, weil er nachgewiesen Kindern und Jugendlichen sexualisierte Gewalt antat. In München sollte er sich einer Therapie unterziehen – mehr Schritte erwog die katholische Kirche nicht. Dass Peter H. weiter jahrelang als Pfarrer arbeitete und weiteren Menschen sexualisierte Gewalt antun konnte, obwohl seine Vorgeschichte bekannt war, ist unfassbar.

Als der Fall 2010 bekannt wurde, waren viele Menschen aus dem Umfeld der katholischen Kirche und des Vatikans empört, dass der amtierende Papst Benedikt in die „Geschichte hineingezogen“ werde. Das unabhängige Gutachten der Anwaltskanzlei über das Münchner Bistum legt jetzt aber nahe, dass der damalige Erzbischof Ratzinger von der Vorgeschichte des Priesters gewusst haben muss. Entgegen seiner Behauptung zeigt das Protokoll der Sitzung, in der über den Verbleib von Peter H. entschieden wurde, dass der spätere Papst Benedikt an dieser teilnahm. Hat er darüber wissentlich gelogen?

Kein Wort zu Benedikt von Marx

Zu diesen und den anderen schwerwiegenden Vorwürfen müssen sich Verantwortliche der Kirche verhalten, hierzu muss sich auch der inzwischen 94-jährige Ex-Papst äußern. Der agierte als Komplize der Täter und darf nicht länger von hochrangigen Kirchenmitgliedern geschützt werden. Er sei erschüttert, er bitte um Entschuldigung und er fühle sich mitverantwortlich, sagte Reinhard Marx, Erzbischof von München in seinem kurzen Statement zu dem Gutachten. Doch zu den Vorwürfen gegen Benedikt äußerte sich Marx nicht.

Es bleibt zu hoffen, dass er das am kommenden Donnerstag nachholt. Die Praxis des Nichtssagens, um den Ruf von hochrangigen Kirchenmitgliedern nicht zu schaden, muss endlich der Vergangenheit angehören. Das massive Fehlverhalten von Verantwortlichen, das in dem Gutachten aufgezeigt wird, kann und darf die katholische Kirche nicht mehr mit wohlfeilen Beteuerungen wegwischen. Im Namen der Opfer, die ihr Leben lang an den Folgen der sexualisierten Gewalt leiden.

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Schreibt seit 2017 für die taz und arbeitet seit 2020 als Redakteurin bei der taz. Studierte Kommunikationswissenschaften, Germanistik, Anglistik sowie Kulturjournalismus in Berlin und Essen.

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