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„Querdenken“-BewegungWenn Nazis linke Parolen rufen

Co­ro­nal­eug­ne­r:in­nen skandieren auf ihren Demos Fridays for Future-Parolen. Die Aneignung linker Symbole ist Strategie.

Eine Impfgegenerin bedient sich am Buffet linker Slogans Foto: Fabian Sommer/dpa

W ir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“: Die Parole ist bekannt und eindeutig der Fridays-for-Future-Bewegung zuzuordnen – oder etwa nicht? Am Montag war sie in Goslar bei einer Demonstration fast identisch zu hören. Doch nicht die Klimaschutzbewegung war dort auf der Straße, sondern „Querdenken“ und Corona-Leugner:innen. Sie änderten nur das letzte Wort und riefen „raubt“ statt „klaut“.

Bei anderen Protesten der Bewegung wurde der leicht abgewandelte Spruch ebenso skandiert, weiß Lilly Kleinkauf von Fridays for Future (FFF) aus Goslar. Ein „Missbrauch“, sagte sie jüngst bei goslarsche.de. Die FFF-Bewegung distanziert sich immer wieder von „Querdenken“ und Corona-Leugner:innen. Beim Gegenprotest in Hamburg am Samstag erklärte die FFF-Aktivistin Elisa Bas, die Wissenschaftsfeindlichkeit, die Klima- und Corona-Leugner:innen gemein hätten, seien für sie untragbar.

Die Strategie, dass Rechte sich linke Codes, Symbole, Parolen und auch Aktionsformen aneignen, betrifft aber nicht nur FFF. In Hannover konnte kürzlich bei einer Demo gegen die Pandemie-Maßnahmen von einem Infotisch ein Button mit der Botschaft „Gib Gates keine Chance“ mitgenommen werden. Das Design erinnerte an „Gib Nazis keine Chance“, war aber mit dem Zusatz „Freier Impfentscheid!“ versehen. In Hamburg erklang bei einer „Querdenken“- Demo über einen Lautsprecher die Internationale, gesungen von Hannes Wader.

Diskurs-Piraterie

Diese Strategie der Aneignung nennen Regina Wamper, Helmut Kellershohn und Martin Dietzsch „rechte Diskurspiraterien“. In ihrem gleichnamigen Band führen sie aus, dass „in den letzten Jahren“ ein „verstärktes Bemühen auf Seiten der extreme Rechten“ zu beobachten sei, Strategien, Themen, Aktionsformen und „ästhetische Ausdrucksmittel linker Bewegungen zu adaptieren und für ihren Kampf um die kulturelle Hegemonie zu nutzen“. Die Intention dahinter sei, an Diskurse in der gesellschaftlichen Mitte anzudocken und die eigenen Positionen zu verharmlosen. Die Strategie solle auch bewusst die Rechts-links-Dichotomie aufbrechen. Das gelinge am besten, wenn linke Codes, Symbole und Parolen nur noch floskelhaft verwendet werden, substanzlos werden oder Teil der Popkultur sind.

Das ist kein neues Phänomen. Schon vor Jahrzehnten liefen Rechtsextreme mit Che-Guevara-T-Shirts auf. Das Symbol „Che“ wurde neu für einen „Befreiungsnationalismus“ umgedeutet – der Internationalismus verschwand. Wamper, Kellershohn und Dietzsch weisen auch auf die Piraterie hin, die einst die NSDAP betrieben hat. Die Piraterie bei den Protesten gegen Masken und Corona-Impfung dürfte aber auch den teilnehmenden Personen geschuldet sein: Einzelne kommen aus dem links-alternativen Milieu.

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Andreas Speit
Autor
Rechtsextremismusexperte, Jahrgang 1966. In der taz-Nord schreibt er seit 2005 die Kolumne „Der Rechte Rand“. Regelmäßig hält er Vorträge bei NGOs und staatlichen Trägern. Für die Veröffentlichungen wurde er 2007 Lokaljournalist des Jahres und erhielt den Preis des Medium Magazin, 2008 Mitpreisträger des "Grimme Online Award 2008" für das Zeit-Online-Portal "Störungsmelder" und 2012 Journalisten-Sonderpreis "TON ANGEBEN. Rechtsextremismus im Spiegel der Medien" des Deutschen Journalistenverbandes und des Ministeriums für Justiz und Gleichstellung des Landes Sachsen-Anhalt. Letzte Bücher: herausgegeben: Das Netzwerk der Identitären - Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten (2018), Die Entkultivierung des Bürgertum (2019), mit Andrea Röpke: Völkische Landnahme -Alte Sippen, junge Siedler, rechte Ökos (2019) mit Jena-Philipp Baeck herausgegeben: Rechte EgoShooter - Von der virtuellen Hetzte zum Livestream-Attentat (2020), Verqueres Denken - Gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus (2021).
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10 Kommentare

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  • 1. "Gib Nazis keine Chance" ist auch schon abgekupfert, nämlich von "Gib AIDS keine Chance". Und "Gib Gates keine Chance" dürfte auch eher auf diesen alten Slogan zurückgehen, denn "Gates" reimt sich auf "AIDS".



    2. Die sattsam bekannte FFF-Parole enthält überhaupt keine linke Aussage, sondern passt für alles und jedes. Wer zwecks Massenkompatibilität Parolen verwendet, die eigentlich völlig nichtssagend sind, darf sich nicht wundern, wenn auch Leute sie verwenden, die für ganz andere Ziele demonstrieren. Soll FFF doch Parolen mit konkreten Aussagen wählen. Darunter könnte allerdings die Popularität leiden.



    3. Wenn linke Symbolik, linke Ausdrucksformen, linke Codes etc. sich so leicht von Rechten adaptieren lassen, hängt das vielleicht auch damit zusammen, dass die Linke etwas falsch macht. Ich halte herzlich wenig von der Totalitarismusthese bzw. der "Hufeisentheorie". Das ändert aber nichts daran dass in manchen Bereichen die eine Seite der anderen ähnlicher ist, als sie es gern wäre. Beispiel: Kommen führende Politiker kapitalistischer Staaten in Davos unter dem Titel "Weltwirtschaftsforum" zusammen, wird das, was dort verabredet wird, häufig von Rechten angegriffen, die dann dafür von links gern als Verschwörungstheoretiker oder-mythiker bezeichnet werden. Kommen dieselben Politiker hingegen in Hamburg unter dem Titel "G20" zusammen, protestieren die Linken vehement. Aber bei G20 besprechen diese Politiker mit einiger Sicherheit auch nichts anderes als in Davos. Die einen kritisieren die "Globalisten", die anderen lieber die "Globalisierung". Da kann sich dann jeder, der ein diffuses kapitalismuskritisches Weltbild hat, aussuchen, ob er rechts oder links sein will, und bei Bedarf ohne nennenswerte Änderung der eigenen Position die Seiten wechseln. Solange die Linke keine konkreten Vorstellungen entwickelt, wie ein System, das den Kapitalismus ablösen kann, aussehen und funktionieren soll, wird sich daran, fürchte ich, auch nicht viel ändern.

    • @Budzylein:

      Mir aus dem Herzen gesprochen. Leider hat die (jetzige) Linke kein allzu konkreten Vorstellungen oder auch Visionen darüber, wie denn ein nicht-kapitalistisches Gesellschaftssystem nach dem Scheitern des "Realexistierenden" sein könnte (ich spreche hier immer im Konjunktiv). So lange es keine "post-kapitalistische" Vision gibt, sind für mich die Sichtweisen vieler Linken immer nur dagegen und nicht dafür. Sind denn noch die Grünen als Links zu bezeichnen, wenn Frau Baerbock von amerikanischer Wertegemeinschaft spricht (Wie bitte? Werte des US-Imperialismus? Hm). und so ähnlich erlebe ich das zu Hauf. Ich habe natürlich auch keine Antwort, aber immer nur "Nazi, Nazi" zu schreien und keine Gesellschaftsvision zu liefern, ist zu wenig.

      • @Leningrad:

        Dass es keine „post-kapitalistische(n)“ Vision(en) gibt, ist völlig aus der Luft gegriffen. Sie kennen Sie offenbar nur nicht. Das hat aber eher mit Ihrem politischen Weltbild und der Auswahl Ihrer Lektüre zu tun. Auch Ihre anderen Kommentare unterstreichen das!

  • Vielleicht sollte man das ja mal (satirisch) aufgreifen und...die:

    "Endlösung der AfD-Frage"

    fordern... ;-)

    • @Wunderwelt:

      Das ist ein Problem mit Diskurspiraterie, andersrum funktioniert's nicht. Die Rechten klauen die linken Sprüche, um die Anziehungskraft ihrer emanzipatorischen Aussagen zu übernehmen. Die Endlösung der AfD-Frage - oder alle anderen rechten Sprüche - laufen einfach nur auf Massenmord hinaus. Begeistert niemanden, schreckt viel mehr ab, und natürlich, ist ja auch rechts. Die wollen uns imitieren, nicht umgekehrt. Dass das so ist, ist kein Zufall.

  • Meines Erachtens wird der Begriff "Nazi" seit geraumer Zeit in der Bundesrepublik vollkommen inflationär gebraucht und verliert dadurch an seiner "Abschreck-Wirkung". Für einen DDR-Bürger waren Begriffe wie Nazi und Faschist mit bestimmten Vorstellungen und Bildern wie entmenschlichte KZ-Wächter etc. verknüpft. Enttäuschend, dass die TAZ diesen Trend mitmacht. Vielleicht sollte hier mal sprachliche Definitions-Arbeit geleistet werden. Für mich hat dieses Wort angesichts des Übergebrauchs an Wirkung sehr verloren. Sehr bedauerlich.

    • @Leningrad:

      zum glueck sind ja nicht alle ddrbuerger. und sind sich vll bewusst, das nicht nur „entmenschlichte kz-waechter“ den nationalsozialismus moeglich gemacht gaben, sondern eben die breite masse der deutschen bevoelkerung.

      • @rughetta:

        Gute Antwort. Auch gute Argumentation. Allerdings muss ich wirklich sagen, dass jeden und alles als Nazi zu bezeichnen, wie es zur Zeit so sehr verbreitet ist, wirkt - meines Erachtens - lächerlich. Ich beteilige mich nicht mehr daran.

        • @Leningrad:

          Nazis gibt’s also in Ihrer Welt nicht mehr?

  • Funktioniert halt auch so gut, weil viele "linke" Begriffe letztlich vollkommen inhaltlich-theoretischer Bestimmung beraubt worden sind. Was ist denn nun beispielsweise dieser "Faschismus"? Ist Faschismus einfach nur jegliche, in irgendeiner Form als autoritär wahrgenommene Handlungsweise? Von Seiten des Staates? Von Seiten Einzelner? Oder beschreibt Faschismus spezifische Machtkonstellationen und ist damit eben nicht wahllos auf alles, was irgendwie als "rechts" (oder gar "links") wahrgenommen wird, übertragbar?