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Kritik am Festival „Dear White People“Verhärtete Kommunikation

Meron Mendel
Gastkommentar von Meron Mendel

Beim Antirassismusfestival „Dear White People“ in Freiburg kam es zum Eklat um die Teilnahme des Vereins „Palästina spricht“.

Hunderte demonstrierten im Mai in Berlin in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung Foto: M.Golejewski/adora Press

Wir sind wütend, dass (…) keine jüdische Stimme mehr auf unserem Festival sprechen wird.“ Das ist das Fazit der Ver­an­stal­te­r*in­nen des antirassistischen Festivals „Dear White People“, das in der vergangenen Woche in Freiburg stattfand. Die Abwesenheit jüdischer Stimmen ist tatsächlich ein Armutszeugnis für ein Festival, das sich als intersektional präsentiert. Gegen wen richtet sich die Wut? Das verraten die Ver­an­stal­te­r*in­nen nicht.

Geplant war ursprünglich, dass ich an einem der Panels teilnehme – jedoch entschieden sich die Organisator*innen, die Veranstaltung abzusagen. Wie es dazu kam, ist exemplarisch dafür, wie schwer es ist, auch in linken Kreisen einen Dialog herzustellen.

Schon im Vorfeld entbrannte eine Debatte über die Teilnahme des Vereins „Palästina spricht“: ein Verein, der in Freiburg eine Anti-Israel-Demo auf dem Platz der Alten Synagoge angemeldet hatte. Als jüdische Organisationen diese Demo kritisierten, reagierte das Festival zunächst mit der Ausladung von „Palästina spricht“. Die Begründung: „Wir wollen weder Betroffenen von Antisemitismus noch Betroffenen von anti-palästinensischem Rassismus ihre Erfahrungen und Einschätzungen absprechen.“ Zwei Wochen später wurde diese Entscheidung revidiert: Das Festival sollte wie geplant stattfinden und der Verein teilnehmen. Die Kritik an „Palästina spricht“ galt plötzlich nur noch als Ausdruck weißer Vorherrschaft. Konkret verkündeten die Organisator*innen, sie würden sich „(…) nicht von weißen deutschen hegemonialen Bestrebungen, Schuld zu tilgen, in einseitige und dominante Diskurse drängen“ lassen.

Nicht der Debatte verweigern

Die Klage über eine vermeintliche deutsche Schuld, die getilgt werden muss, kennen wir eigentlich aus einer anderen politischen Ecke. Erwartungsgemäß sagten nun neben vielen anderen auch die eingeladenen Jüdinnen und Juden ab – alle außer mir. In dreißig Jahren politischer Arbeit habe ich mich noch nie einer Debatte entzogen oder ein Gespräch verweigert. Es mag naiv klingen, aber ich glaube an den Dialog – gerade mit Menschen, die anders denken als ich. Mir war klar, dass meine Teilnahme in der eigenen Community sowie in proisraelischen Kreisen zu Kritik führen würde. Tatsächlich ließ sie nicht lange auf sich warten, steigerte sich bis hin zu persönlichen Beleidigungen.

Worum ging es genau? Teilnehmen sollte ich an dem Panel „Wie kann in Deutschland ein Sprechen zur Situation in Israel und Palästina stattfinden und ein Raum für Dialog ermöglicht werden?“, um mit der Autorin Alexandra Senfft und Anna Younes von „Palästina spricht“ zu diskutieren. Am Vorabend zog „Palästina spricht“ seine Teilnahme zurück. Zur Begründung erklärte der Verein, dass die „Zusammensetzung des Panels zum Großteil aus Holocaust- und Antisemitismusforscher*innen“ bestand.

Abgesehen davon, dass diese Behauptung nicht stimmt (weder ich noch Senfft sind Holocaust- oder Antisemitismusforschende), ist das ein Strohmann-Argument. Warum soll die Bezeichnung Ho­lo­caust­for­sche­r*in eine Person disqualifizieren, den deutschen Diskurs über den Nahostkonflikt zu kommentieren? Anscheinend reichte für „Palästina spricht“ der bloße Verdacht, der Antisemitismus von propalästinensischen Demos könnte angesprochen werden, um sich dem Gespräch zu entziehen. Stattdessen schlugen sie – anstelle einer palästinensischen Stimme – eine weitere jüdische Teilnehmerin vor.

Eine Absurdität stellt auch die Reaktion des Festivals auf die Absage dar. Statt das moderierte Gespräch mit den restlichen Teilnehmenden zu führen, wurde die gesamte Veranstaltung abgesagt, mit der Begründung, nun gäbe es ein „Ungleichgewicht auf dem Podium“. Den Anspruch auf „Gleichgewicht“ hatte das Festival jedoch nicht, als „Palästina spricht“ ein eigener Slot im Programm eingeräumt wurde, ohne Möglichkeit zu kritischen Nachfragen. Die Ver­an­stal­te­r*in­nen sind nun „wütend“, dass mit der Absage des Panels keine jüdische Stimme sprach, wollen aber keine Verantwortung dafür übernehmen. Das Versprechen „Wir lassen uns weder spalten noch hören wir auf, im Dialog zu bleiben!“ scheint eine leere Hülse zu sein.

Mein persönliches Fazit ist ernüchternd: Es ist traurig, dass wir innerhalb linker Räume – als linke Palästinenser*innen, linke Jüdinnen und Juden und anderen – nicht einmal in der Lage sind, miteinander zu sprechen. Bevor wir den beteiligten Konfliktparteien in Nahost Dialog und Versöhnung predigen, sollten wir uns künftig erst einmal an die eigene Nase fassen.

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18 Kommentare

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  • Der Vollständigkeit halber- bzw. auch eine etwas andere Darstellung der Abläufe- hier die Stellungnahme der Festivalbetreiber. Ich hoffe herzlich daß ein Nachholen dieser (und ähnlicher) Dialogveranstaltung auf konstruktivere Weise möglich ist.



    www.facebook.com/D...itePeopleFreiburg/

  • Antagonistische Identitätsverwaltung ist mit vernünftigem Diskurs unvereinbar. Jene war aber schon im Titel dieses "Festivals" angekündigt, deswegen ist die ganze sprachlose Diskussionsverweigerung keine Überraschung.

  • Dieses Beispiel im Artikel ist ein Symptom einer m.E. sich verbreitenden Haltung: Es lässt sich halt gut leben, wenn man sich vorbehaltlos auf der "richtigen" Seite wähnt, auf der der Benachteiligten und Unterdrückten, der LGBT* und der Umwelt.

    Schwierig wirds halt, wenn sich in diesem Weltbild Zielkonflikte und Ambivalenzen offenbaren. Dann müsste man eigentlich abwägen, was einem selbst am Wichtigsten ist, sich entsprechend positionieren und darauf aufbauend eine Diskussion anbieten - im vollen Wissen, a) das wir alle nicht im Besitz der endgültigen Wahrheit sind und b) nur das Gespräch miteinander die Welt friedlicher macht (zumindest in den meisten Fällen, nicht in allen!).

    Das Bewusstsein für Zwischentöne, Ambivalenzen, Kompromisse geht aber leider in unserer schönen neuen "Social" Media-Welt immer mehr verloren. Die Angst vor Shitstorms, oder die, von der eigenen Peer-Group verstossen zu werden, überwiegt oft.



    Ein sehr schönes Beispiel sind die aktuellen Diskussionen in der Linkspartei.

  • Die Selbstethnisierung ist also auf Höchstniveau - und mir zu Kopf gestiegen.

  • Anti-Racism and Anti-Semitism Collide: Glenn Loury in Conversation with Bari Weiss

    "Is anti-Semitism an inevitable byproduct of anti-racism, which tends to blame high-achieving ethnicities for the circumstances of their less prosperous counterparts? "

    www.youtube.com/watch?v=Zu9PdD9W-W8

    Und zur Gewinnung eines realistischen Bildes über 'Intersektionalismus' und 'Wokeismus':

    Helen Pluckrose und James Lindsay:



    "Cynical Theories: How Universities Made Everything about Race, Gender and Identity - And Why this Harms Everybody"

    Im areomagazine findet eine differenzierte Diskussion statt. areomagazine.com/

    John McWhorter auf Substack:



    johnmcwhorter.subs...799-john-mcwhorter

  • Könnte es sein, daß das Verdikt des (schwarzen) Linguisten John McWhorter zutreffend ist, daß es sich bei den (intersektionalen) ‘anti-racists’ um ‘racist anti-racists’ handelt?

    Die (Rassen-) Kategorie der ‘Hautfarbe’ ist Kern ihrer Ideologie.

    Sie werten Menschen mit weißer Hautfarbe systematisch ab.

    Der verächtliche ‘alte weißen Mann’ ist ihr Sündenbock für die Weltübel.

    In den USA:



    Nicht nur Juden, auch ‘Braune’ und AsiatInnen werden der ‘white complicity’ verdächtigt, und als ‘white adjacent’ bezeichnet - weil sie als zu erfolgreich gelten.

    Seit Malcolm X ist ‘Anti-Semitismus’ im ‘Anti-Rassismus’.

    Die Tochter von Malcolm X.:"Sadly, her father had often associated the ‘people in power’ with Jews. Throughout his life, he attacked what he called ‘Zionist-Dollarism’, deplored Israel and cast Jews as a race of white oppressors." [1]

    "During the Los Angeles riots over the killing of George Floyd, Jewish shops were destroyed, synagogues were sprayed with ‘free Palestine’ graffiti, and a statue of a Swedish diplomat who had saved Hungarian Jews from the Nazis was defaced with anti-Semitic slogans."[1]

    Rassismus mit Revanche-Rassismus bekämpfen zu wollen, ist von Anfang an eine eher dürftige Idee.

    M.L. Kings Traum war ‘Farbenblindheit’: Menschen sollten nach ihrem Charakter und nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt werden. Und Generationen von fortschrittlichen Menschen in aller Welt haben an diesem Projekt gearbeitet – nicht ohne Erfolg.

    Der woke ‘Anti-Rassismus’ droht, diese Fortschritte zunichte zu machen, denn er revitalisiert mit seiner ‘Rassifizierung’ jeglicher – vermeintlicher oder echter - gesellschaftlicher Schieflagen das Denken in Rassenkategorien.

    Die identitäre Linke ist NICHT die ganze Linke – es ist an der demokratischen Linken, das Spiel eines ‘rassistischen Anti-Rassismus’ nicht mitzuspielen.

    [1] www.spectator.co.u...-x-for-inspiration

  • 2G
    20226 (Profil gelöscht)

    Kann das sein, das hier unter dem Lable 'Antirassismus' gar kein Antirassismus stattfindet?



    Das ist so ein bisschen Wein saufen und Wasser predigen. Also: Wein bleibt Wein, auch wenn man Wasser draufschreibt. (Nichts gegen Wein, nur so metaphorisch)



    Dear white people ... Rassismus gibt es auch bei 'uns'. Vielleicht gar keine schlechte Botschaft, zeigt es doch, dass das 'wir' für echten Antirassismus steht, im Gegensatz zu der Einteilung in 'wir' und 'die'.

    Manchmal ist die Botschaft größer als der Horizont derer, die sie brüllen.

  • Linke Räume also? Warum rechnet der Autor gefühlt die genannten "nicht-weißen" Personen und Vereine automatisch dem linken Spektrum zu? Das ist doch eine ziemlich unzulässige Verallgemeinerung. Einfach weil jemand eine dunkle Haut hat oder irgendwie benachteiligt ist, teilt er also die Ideale der Linken, z.B. hier respektvolles Diskutieren und Demokratie statt offener Hass und Rassismus?

    Ins Bild passt dann auch die Begründung der selbstverschuldet in der Schlangengrube der Nahostpolitik gefangenen Veranstalter, die liest sich wie aus dem AfD Wahlprogramm entsprungen und zeigt mit welchen Vorwürfen die genannten Verein(e) ihre Bedingungen durchboxen wollen...

  • Wahnsinn. Lese ich richtig dass der Verein eine Demo vor der Synagoge abgehalten hat oder wollte? Das ist Antisemitismus und keine Kritik. Wer das tut verliert von mir jede Unterstützung und hat kein Recht mehr sich selbst als Opfer zu sehen. Es tut mir ja wirklich leid. Aber nach 20 Jahren als Punk mit Antifa etc, bin ich nicht mehr bereit diese angeblichen Antirassisten zu unterstützen. Doppelmoral und Rassismus sind bei denen an der Tagesordnung. Wann immer ihnen jemand begegnet der sie auf Grundlage von Fakten widerlegen kann , verweigern sie sich dem Dialog und erzählen was von Augenhöhe. Das ist wissenschaftsleugnung auf Querdenker Niveau. Nein, die 20 jährige Studentin kann nicht auf Augenhöhe mit dem Studierte Afrikanisten über kolonialgeschichte reden, nur weil sie schwarz ist. Dafür braucht es Wissen und nicht bloß Hautfarbe. Es tut mir sehr leid aber bei dieser aggressiven und menschenverachtenden ( weiße Menschen) Art der Bewegung, werde ich nicht mehr an eurer Seite demonstrieren.

    • @Janek Janeksen:

      Der Platz der alten Synagoge ist ein zentraler öffentlicher Platz, auf dem ein Großteil aller Kundgebungen in Freiburg—unabhängig von deren Thematik—stattfinden. Vor ihrer Zerstörung durch die Nazis stand dort die Synagoge. Der Platz ist ein Ort der Erinnerung, aber gleichzeitig auch (und für die meisten wohl primär) einer der zentralen Versammlungsorte der Stadt.

      • @N1c:

        Ein dummer Zufall also? Glauben sie das wirklich?

        Freiburg hat genug andere zentrale Plätze, die auch regelmäßig für Kundgebungen genutzt werden. Einen "Platz der alten Synagoge" gibt es dagegen nur einmal. DEN Freiburger Gedenkort an die Judenverfolgung für eine Demo gegen israelische Politik zu wählen, ist also alles andere als zwingend und - vor dem Hintergrund der durchaus berechtigten Diskussion um antisemitische Tendenzen im propalästinensischen Narrativ - so völlig unsensibel, dass es schwerfällt, keine Absicht zu unterstellen.

        • @Normalo:

          Habe lediglich Kontext geliefert um den Eindruck zu korrigieren, dass "vor der Synagoge" demonstriert wurde.

          Hätte es geeignetere Orte gegeben? Sicher. Absicht? Kann sein, kann ich nicht beurteilen.

  • Vorschlag: der Verein benennt sich um in "Palästina spricht mit Israel" und konzentriert sich ab jetzt darauf, diesen Dialog ernsthaft in Gang zu setzen. Das wäre doch schön! Redet miteinander, nicht übereinander!

  • Ich hab neulich bei dem Autor Amitav Gosh (in: Die große Verblendung - der Klimawandel als das Undenkbare) die Feststellung gelesen, dass paradoxerweise mit der Unabhängigkeit der Kolonien die Durchsetzung der englischen Sprache (und ihrer Diskursräume) als Teil der globalen hegemonialen Ordnung einhergeht.

    Daran musste ich denken, als ich den Titel der Veranstaltung gelesen habe. Er nimmt den Titel einer US-Netflix-Serie auf.

    Wut und Verwirrung liegen manchmal so nahe beeinander.

    Danke für diese ruhige Kritik an linken Dialogräumen.

  • "...sie würden sich '(…) nicht von weißen deutschen hegemonialen Bestrebungen, Schuld zu tilgen, in einseitige und dominante Diskurse drängen' lassen.

    Gibt es tatsächlich Menschen, die solche Formulierungen formulieren und glauben?

  • Die Menschen jeder politischen Couleur sind alle gleichkacke…



    Ich freue mich 🤩…

  • "Bevor wir den beteiligten Konfliktparteien in Nahost Dialog und Versöhnung predigen, sollten wir uns künftig erst einmal an die eigene Nase fassen."

    Ein wirklich kluger Satz zum Abschluss.

  • Lieber Meron Mendel,



    Ich als ehemals Recht antisemitisch antizionistischer Mensch und Verwandter deutsch-amerikanischer Juden möchte ganz deutlich sagen:



    Danke für deinen Mut und deinen Willen zum Dialog!



    Ich, der antirassistisch aktiv bin, kann das ganze ebenfalls nur als Armutszeugnis sehen, das besonders POC und anderen durch eine ("westlich") weiße Mehrheit strukturell benachteiligten Menschen einen Bärendienst erweist. In Zukunft wünsche ich mir pluralistischer angelegte Festivals und Diskussionsräume. Danke fürs stark bleiben und die Dialogbereitschaft! Bitte unbedingt weiter so!