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Überfall auf die Sowjetunion 1941Blutiges Erbe

Der Vernichtungskrieg ist viel zu monströs, als dass man ihn begreifen könnte. Man muss es trotzdem versuchen.

Sowjetische Gefangene an einer Sammelstelle, 1941 Foto: Sammlung Berliner Verlag Archiv

Wer nach dem Krieg geboren oder aufgewachsen ist und sich auch nur ein wenig dafür interessiert hat, was „im Osten“ geschehen ist, dem haben sich die Bilder eingebrannt: von den Ruinenlandschaften, Städten wie Minsk, über die zweimal die Walze des Kriegs hinweggerollt war, die Filmaufnahmen vom Pogrom in Kaunas, den Massenerschießungen von Juden im kurländischen Libau, von den Hunderttausenden gefangenen Rotarmisten, die auf blanker Erde zusammengepfercht Krankheit und Tod ausgeliefert waren, von den Galgen, die überall errichtet waren, wo es Partisanen gab oder es danach aussah, von den zerstörten Fabriken, die alles zunichte gemacht hatten, was in einer beispiellosen Kraftanstrengung in den Vorkriegsjahren aufgebaut worden war.

Wir haben die Statistiken im Kopf mit den unfassbaren Zahlen der Opfer unter Zivilisten und Militär. Wir sehen die Leningrader, die ihre Toten auf Schlitten über die vereisten Straßen ziehen, und die Rauchwolken über den von Stukas in Brand geschossenen Lebensmittelmagazinen.

Wir sehen die Restauratoren in den Gewölben der Eremitage, die die Kunstschätze packen für die Evakuierung in den Ural, den Platz vor der Isaaks-Kathedrale, auf dem nun Kohl gepflanzt wird; und doch gibt es Schostakowitschs „Leningrader“1. Und vor allem: Wir sehen vor der Schneelandschaft die wie Säulen in den Himmel ragenden Schornsteine der niedergebrannter Dörfer. Das weite Land entvölkert. Abermillionen auf der Flucht, Tausende von Fabriken ostwärts verfrachtet. „Alles für die Front!“.

Wir haben nicht alles, aber viel gelesen, und wir haben verstanden, dass es nicht allein Diktatur und Stalins Befehl Nr. 227 „Kein Schritt zurück“ war, sondern Not, Überlebenskampf, Heimatliebe, Hass auf einen Eindringling, der nicht einmal erklären konnte, was er dort zu suchen hatte. Wir haben die Geschichte und die Theorien studiert, die uns erklären wollen, wie es dazu kam: zum Weltkrieg, zum Überfall auf die Sowjetunion, zur Schoah.

Aber sie kommen nicht heran an das Erleben derer, die in diese heillose und furchtbare Geschichte hineingezogen, in ihr umgebracht worden oder umgekommen sind. Es gibt eine unüberschreitbare Mauer in der Verständigung zwischen einer so erfahrungsarmen Generation wie der meinen und jenen, die alles, was das Jahrhundert an Katastrophen bereit hielt, durchlebten oder darin zugrunde gingen.

Auf den Straßen von Kiew und Kursk

Ich war 1966 zum ersten Mal in der Sowjetunion (in einer Schülergruppe aus einem bayerischen Benediktiner-Internat). Zwei der Lehrer waren in russischer Kriegsgefangenschaft gewesen, hatten Russisch gelernt und sprachen bewegt von dem „russischen Menschen“, der ihnen geholfen hatte, lebend davonzukommen.

Auf den Straßen von Kiew und Kursk sah man damals noch die vom Krieg Verstümmelten, auf ihren hölzernen Wägelchen rollend und sich mit verbundenen Händen vorwärts stoßend. Auf den Campingplätzen traf ich auf Kriegsveteranen, die mich ins Zelt baten, weil sie mit dem Deutschen reden und ihn wohl auch testen wollten, wie viel er vom Kräuterschnaps vertrug.

So weit ich mich erinnern kann, bin ich nie als Deutscher geschnitten worden. Ich kann mir bis heute diese merkwürdige Großzügigkeit nicht recht erklären, waren sie es doch, die nach 1945 um die Früchte ihres Sieges gebracht worden waren, während die Feinde von gestern sich fast alles leisten konnten.

Kinder mit Knochen in der Hand

Ich habe die vom Krieg verheerten Orte gesehen, die Denkmäler und Dioramen in Sewastopol und Dnipropetrowsk, die von einem Gitter oder Mäuerchen eingefassten Grabstätten für Rotarmisten in fast jeder Siedlung im ehemaligen Kriegsgebiet. Auf der Datscha an der Moschajsker Chaussee kamen die Nachbarskinder manchmal mit Menschenknochen aus dem Wald zurück – Überreste der Schlacht um Moskau.

Es war mir bei meinen Reisen nicht klar, dass ich mich auf den Spuren meines Vaters bewegte.

Karl Schlögel

Alle Orte hatten ihre besondere Bedeutung: Brest, wo die Gleise breiter wurden, war der Ort der gemeinsamen Parade von Wehrmacht und Sowjetarmee nach der Zerschlagung Polens im September 1939 und nach dem 22. Juni 1941 der Ort des Kampfs „bis zum letzten Tropfen Blut“ gegen die Deutschen! Wer vom Flughafen in Sche­re­metjewo ins Moskauer Zentrum fuhr, passierte die Panzersperren. Der Krieg war allgegenwärtig. Bei den Treffen der Veteranen im Gorki-Park, wo sie sich zum Tanz einfanden. Oder in der Literatur: Konstantin Simonow, Wiktor Nekrassow, Daniil Granin, Lidia Ginsburg.

Später traf ich den Historiker Alexander Nekritsch, der in den sechziger Jahren die Legende von Stalin als militärischem Genie infrage gestellt hatte und dann ins Exil nach Harvard gegangen war. Ich lernte bei der Vorbereitung der „Berlin – Moskau“ Irina Antonowa, die Direktorin des Puschkin-Museums kennen (und schätzen), die als junge Frau ins besetzte Berlin gekommen war, um Kunstobjekte zu requirieren.

Großer Terror, Gulag und Verbannung

Die Gespräche in Moskau, Leningrad und Kiew in den Achtzigern drehten sich allerdings weit mehr um die Gewalt im Lande selbst, um die innere Verwandtschaft der Diktaturen Hitlers und Stalins, die Schicksale, die mit dem Großen Terror, dem Gulag und der Verbannung verbunden waren.

Für die meisten überdeckte der Große Vaterländische Krieg den Krieg, den Stalin gegen das eigene Volk lange vorher entfesselt und nach dem Sieg über Hitler wieder aufgenommen hatte, mit der Deportation ganzer Völker, der Deportation von Hunderttausenden aus dem „befreiten“ Baltikum und der Ukraine, der Bestrafung von Hunderttausenden der in ihre Heimat zurückgekehrten Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen, die als Vaterlandsverräter verdächtigt worden waren.

Es war mir bei meinen Reisen seit den siebziger Jahren nicht klar, dass ich mich auf den Spuren meines Vaters bewegte, der – bis auf ein Jahr in Belgien und Frankreich – an der „Ostfront“ im Einsatz war. Wie viele meiner Generation, die alles besser und sich auf der richtigen Seite der Geschichte wussten, war es bald zum Bruch gekommen. Man schwieg, wo es besser gewesen wäre, nachzubohren und zuzuhören.

Aber ich, der marxistisch aufgeklärte und moralisch überlegene Sohn, war an dem Gespräch mit dem Vater, dem vor dem Krieg jungen, angehenden Hoferben aus dem Allgäu, nicht mehr interessiert. Sogar in der scheinbar von Kriegsschrecken so abgelegenen Gegend gab es Spuren, die in „den Osten“ führten – auf den Friedhöfen gab es die Schilder mit der Zeile „gefallen im Osten“, und viele im Dorf erinnerten sich noch an „den Ukrainer“, „die Ukrainerin“, die als Ersatz für die Männer an der Front Zwangsarbeit leisteten – mehr als zwei Millionen Menschen waren aus der Ukraine ins Reich deportiert worden.

Die Erinnerung an Weizenfelder

Der Vater hätte mir vielleicht sagen können, was er mit eigenen Augen gesehen hat. Als „Kulak“2 hatte er einen Horror vor Kollektivierung und Kolchosen, er schwärmte auch später noch von den Weizenfeldern in der Ukraine und machte sich tatsächlich noch einmal dorthin auf den Weg, wo er vierzig Jahre zuvor gewesen war: Kiew, Dnipropetrowsk, Odessa, Rostow, Wolga-Don-Kanal – Stalingrad, das nun Wolgograd hieß. Von der Schiffstour gibt es Fotos mit Neptunfest an Bord.

Erst nach seinem Tod habe ich seine Stationen an der Ostfront im Wehrpass aufgelistet gefunden, sie decken sich exakt mit den Daten der Militärhistoriker. Mein Vater kam bis Stalingrad, wurde aber ausgeflogen, bevor der „Kessel“ geschlossen wurde. Er hatte die Ortsnamen, die über Leben und Tod entschieden, immer parat: Stalino (heute Donezk), Kalatsch, Gumrak, Rostow, Charkiw.

Meine späteren Reisen bewegten sich in dem von Krieg und Völkermord kontaminierten Gelände. Ich kam nach Lwow/Lwiw, weil ich die Vielvölkerstadt Lemberg suchte und stieß auf die Massaker des NKWD3 und die Judenpogrome des ukrainisch-nationalistischen Mobs. Ich kam nach Brody auf der Suche nach der Schule Joseph Roths, wusste aber nichts von der mörderischen Kesselschlacht und den Abertausenden sowjetischen Kriegsgefangenen.

Zum ersten Mal in Babi Jar

Ich kam nach Kiew, wo der Campingplatz in Darnitsa nicht weit entfernt lag von den NKWD-Erschießungsplätzen von 1937 und den deutschen Lagern für die im Kiewer Kessel gefangen genommenen Rot­armisten. Ich war zum ersten Mal in Babi Jar: In der Schlucht am Kiewer Stadtrand waren in drei Tagen im September 1941 über 30.000 Juden getötet worden. Ich war in Charkiw, weil ich die Architektur der sowjetischen Avantgarde bewunderte, und entdeckte erst später, dass dies auch eine Metropole im Land des Holodomor4 und der deutschen Besatzung war. So war es überall, in diesem von Unglück, Terror, Massenmord verheerten Land. Und so ist es heute, wohin auch immer ein Deutscher im östlichen Europa unterwegs ist.

Es war eine der Langzeitfolgen des Kalten Kriegs und der Teilung Europas, dass uns die Welt jenseits des Eisernen Vorhangs fremder wurde als die Rückseite des Monds. Für die in der DDR Aufgewachsenen sieht es wohl anders aus. Sie waren durch Ausbildung, Beruf, Reisen näher an den Schauplätzen, aber mussten aus lauter Nähe zur Siegermacht auch vieles verdrängen oder übersehen.

Karl Schlögel, 1948 im Allgäu geboren, ist Osteuropahistoriker, Publizist und schrieb vielfältige Texte und Bücher zur sowjetischen Geschichte, unter anderem „Der Duft der Imperien“ (2020).

Die Wahrnehmung dessen, was im Krieg geschehen war, blieb asymmetrisch – und ist es bis heute. Man weiß vom Judenmord, aber nur wenig vom Massensterben der sowjetischen Kriegsgefangenen. Man spricht vom Russlandfeldzug, obwohl sich Krieg und Besatzung vor allem in der Ukraine und Belarus abgespielt hatten. Man wird nicht müde, auf die ukrainischen Hilfswilligen zu verweisen, während die russische Wlassow-Armee kaum erwähnt wird. Es reicht nicht ein Leben, jedenfalls nicht meines, nicht das einer Generation, um wirklich zu erfassen, geschweige denn dahinterzukommen, was da passiert ist.

Kein gemeinsames Gedenken

Im achtzigsten Jahr der Wiederkehr des Angriffs auf die Sowjetunion bedrückt einen nicht nur die Ungeheuerlichkeit der deutschen Verbrechen, sondern auch, dass es ein diesem Anlass angemessenes gemeinsames Gedenken nicht gibt, derzeit wohl auch nicht geben kann. Putins Russland führt Krieg gegen die Ukraine, Lukaschenko hetzt seine Schläger auf das Volk, in Russland gibt es fast täglich neue Maßnahmen, um jede oppositionelle Regung im Keim zu ersticken.

Aber es ist nicht aller Tage Abend. Als Wassili Grossman in den sechziger Jahren die Veröffentlichung seines Romans „Leben und Schicksal“ forderte, beschied ihm die Ideologie-Abteilung der KP, dieser würde auch in 200 Jahren nicht erscheinen können. Grossmans Epos zeigt das ganze Drama zwischen Stalingrad und Berlin, zwischen dem Getto in Berditschew und der „Hölle von Treblinka“, zwischen Buchenwald und Workuta. Die damals Mächtigen haben sich verrechnet, Wassili Grossman war stärker.

1 Die Leningrader Sinfonie widmete Dmitri Schostakowitsch der belagerten Stadt, sie wurde dort am 9. August 1942 uraufgeführt.

2 Kulaken waren selbstständige Bauern, sie wurden mit ihren Familien zwischen 1929 und 1932 in Lager deportiert oder erschossen.

3 NKWD: Geheimpolizei der Sowjetunion von 1934 bis 1946.

4 Holodomor (ukr.) bezeichnet die Hungersnot in der Ukraine, bei der in den 1930er Jahren bis zu 7 Millionen Menschen starben.

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18 Kommentare

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  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Wichtig für den Frieden ist das man wegkommt von der Exklusivität der Opferrollen, die Ukrainer litten unter Stalin das entschuldigt nicht die Kriegsverbrechen ukrainischer Nationalisten. Andererseits wenn bei manchen Umfragen 70% der Russen Stalin positiv sehen ist es natürlich schwer, in Russland den Sovietstaat, den viele immer noch vermissen, als jenes Monster zu analysieren das er war



    Insbesondere in den baltischen Staaten wo so viele Menschen in den Sowjetischen Säuberungsaktionen verschwanden, entwickelt sich dann schnell eine Antipathie.

    Erst wenn man von der Verehrung von Leuten lassen kann die für andere Verbrecher waren und der gegenseitigen Opfer gemeinsam gedenkt kann man wirklich Frieden haben, das gilt für Osteuropa genauso wie auf dem Balkan oder Nahost.

  • Das Schweigen der Deutschen nach dem Krieg, über das, was sie gesehen hatten, woran sie beteiligt waren, das ermöglichte die Verdrängung nach 1945. Erst in den 1980er Jahren erzählte mein Vater mir, dass er kurz nach Beginn des Überfalls mit seiner Einheit nach Kowno/Kaunas kam. Dort sah er, wie mitten in der Stadt Juden/Kommunisten auf offener Straße von Zivilisten erschlagen wurden. Wehrmachtssoldaten schauten dem ungerührt zu. Täter waren lithauische Nationalisten. Nach dem Krieg erzählte er immer wieder gerne 'lainige' Geschichten über seine Zeit als Besatzungssoldat in Frankreich - Kowno? Kein Thema! Erst als in den 80ern die Staatsandwaltschaft wegen Ermittlungen gegen einen der Schlächter anfragte, erzählte er davon. Anno 1946 saßen in der Wohnung meiner Oma ein paar junge Leute, die an einem Zeitungsprojekt mit meinem Vater beteiligt waren - darunter Ralph Giordano. Als ich diesen kurz vor seinem Tod brieflich fragte, ob mein Vater jemals davon gesprochen hatte - verneinte es Giordano. Für den Davongekommenen ein weiteres Beispiel - obwohl er meinen Vater mochte - für die zweite Schuld.....

  • Ich gehöre zu der Generation, die, nach dem Krieg geboren, sich intensiv mit den Vätern auseinander gesetzt haben und mit der unsäglichen deutschen Geschichte des Faschismus. Daraus ist eine gewissen Immunität entstanden gegen jedwede Kriegshetzerei und gegen die heute gepredigten Feindbilder, die sich zu meinem Entsetzen wieder den alten großdeutschen Feindbildern angleichen. Da wünschte ich mir bessere Geschichtskenntnisse und mehr Verantwortungsbewusstsein nicht nur gegenüber Israel, sondern gegenüber all jenen Völkern, die unter unvorstellbaren Grausamkeiten des faschistischen Deutschland leiden mussten.

    Der Beitrag von Karl Schlögel trägt da wohltuend zum besseren Verständnis bei, obwohl ich meine, dass er am Ende wieder in den Modus des kalten Krieges wechselt.



    Man kann nur davor warnen, sich als Deutscher wieder als Bessermensch zu verstehen.

    • @Rolf B.:

      "... dass er am Ende wieder in den Modus des kalten Krieges wechselt."

      Das Putin Krieg gegen die Ukraine führt 80 Jahre nach dem Einmarsch in die Sowjetunion, bei dem allein 8.000.000 Ukrainer starben auch für den Schutz der Teilrepublik Russland ist nun mal ein sehr sehr traurige Wahrheit, aber deswegen kein Kalter Krieg gg. Russland.

      • @Rudolf Fissner:

        "Das Putin Krieg gegen die Ukraine führt 80 Jahre nach dem Einmarsch in die Sowjetunion, bei dem allein 8.000.000 Ukrainer starben..."



        8 Millionen?

        • @Struppo:

          Nicht nur der "reguläre" Krieg, auch der Partisanenkampf und der Holocaust fanden großenteils in der Ukraine (neben Weißrussland und dem Baltikum) statt. So unplausibel ist die Zahl gar nicht. Wobei offiziell natürlich nur die Zahl der getöteten Sowjetbürger genannt wird, denn für die Zentralmacht in Moskau wäre es nicht gerade sinnvoll gewesen, die westlich gelegenen Sowjetrepubliken als Träger der Hauptlast des Krieges klar zu benennen. Deshalb glauben heute so viele, Russland hätte die meisten Opfer gebracht und deshalb wäre einzig gegenüber der russischen Regierung Sensibilität angebracht.

  • Das ist viel, viel zu viel für einen Artikel. Wie soll man das verarbeiten, gerade in einem Land, in dem immer noch bewusstlose Verdrängung eine Tugend ist und immer war?

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Sehr guter Artikel ich hätte nur Wlassov mit Kaminski ersetzt die Wlassov Armee kam fast nicht zum Einsatz während Kaminski und seine Einheiten aktiv am Terror beteiligt waren.

  • Mein Großvater väterlicherseits war, weil er als Facharbeiter in der Stahlindustrie kriegsrelevant beschäftigt war, nicht im Krieg. Aber von seiner Wohnung im Zentrum Duisburgs, die wundersamer Weise dem Feuersturm der RAF Mitte Oktober 1944 nicht zum Opfer gefallen war, konnte er wenige Tage vor dem Einmarsch der US-Armee das ununterbrochene MG-Feuer hören, weil noch hunderte politische Häftlinge und tausende sowjetische Kriegsgefangene erschossen wurden.

    Dass im Westen Deutschlands ebenso viele sowjetische Menschen begraben liegen wie im Osten, obgleich hier die Rote Armee nicht kämpfte, liegt nur an der genozidalen Behandlung gefangener Rotarmisten und ziviler Fremdarbeiter. Eben deshalb begreife ich nicht, dass wieder dieses große Land dämonisiert und gegen es aufgerüstet wird, indem es auf eine einzige Führungsfigur reduziert wurde. Es ist unglaublich, dass trotz dieser Geschichte die Aufrechterhaltung der Freundschaft mit der Bevölkerung Russlands ein so gering geschätzter Wert zu sein scheint, dass sie für ein gefährliches geopolitisches Muskelspiel ad acta gelegt wird. Mich macht das ziemlich wütend und bestürzt - mir haben die vielen Begegnungen mit Russen seit 1990 viel bedeutet.

    • @Anja Böttcher:

      Ach Frau Böttcher. Die Gabe der Differenzierung gehört zu Ihren Stärken nicht. Hauptkriegsschauplatz des Zweiten Weltkriegs, war nicht Russland, sondern die Gebiete die zwischen Russland und Deutschland lagen. Dort wütete das Grauen ärger als anderswo.



      Sich dieser Gräuel zu erinnern ist höchst verdienstvoll, aber man sollte a) nicht vergessen, dass die Gräuel des Zweiten Weltkriegs nicht mit dem Überfall auf die Sowjetunion begannen, sondern 1939 als Hitler und Stalin sich - als Verbündete zum Krieg verabredeten und b) Russland nicht die Sowjetunion darstellte. Man kann der Opfern der Sowjetunion nicht gedenken, wenn man Belarus, die Ukraine und die baltischen Staaten dabei ausblendet. Diese Staaten haben heute leider wieder ein Problem, nicht mit dem Westen, sondern mit Russland, das deren Grenzen in Frage stellt.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Anja Böttcher:

      "Eben deshalb begreife ich nicht, dass wieder dieses große Land dämonisiert und gegen es aufgerüstet wird", Dämonisiert wird Russland nicht, es ist in anderen Ländern eingefallen und russische Politiker lassen sich regelmäßig hinreißen auch die Freiheit der Balten zu bedrohen, dementsprechend rüstet man auf für die Verbündeten. Würde Russland vom Imperialismus lassen würde man wieder abrüsten.

      "indem es auf eine einzige Führungsfigur reduziert wurde" Nun Putin ist der Herrscher Russlands, ich mache werfe das den Russen nicht vor aber man muss die Politik an der Politik der Führung ausrichten und nicht daran wie sehr man das Volk mag.

      "Freundschaft mit der Bevölkerung Russlands ein so gering geschätzter Wert zu sein" Ist die Freundschaft Russlands zum ukrainischen Brudervolk so ein geringer Wert das Russland ihn auf dem Altar des Imperialismus opfern bereit ist?

      Sie verwechseln Feindschaft gegen die Politik eines Landes mit Feindschaft gegen das Volk, die derzeitige Haltung gegen Russland richtet sich gegen Imperialismus, Militarismus und Aggression Russland, die rassistischen gegen die Menschen gerichteten Diskurse finden sie eher in Russland wo der Westen als degeneriert, "schwul" und weiblich verspottet wird.

      • @83379 (Profil gelöscht):

        Ein kleiner Denkanstoss vom "bösen Russen" höchstpersönlich und eine kleine "Nachhilfe" in Empathie und vernunftbegabten Denken: www.zeit.de/politi...Fl.facebook.com%2F

    • @Anja Böttcher:

      "Eben deshalb begreife ich nicht, dass wieder dieses große Land dämonisiert und gegen es aufgerüstet wird, indem es auf eine einzige Führungsfigur reduziert wurde."

      Sie unterschlagen, dass ein Großteil der Opfer der Sowjetunion aus Ukrainern und Weißrussen bestand. Allein 8 Millionen Ukrainer fanden den Tod im WK II. www.deutschlandfun...:article_id=476279



      Und heute wird die Ukraine von Russland bedroht; Teile des Landes wurden und annektiert.

      Ich würde daher sagen: Es ist unglaublich, dass Russland die Ukraine, die solch einen hohen Blutzoll auch für den Schutz Russlands im WKII leistete, heute von Russland militärisch bedroht wird.

      Sie auch Karl Schlögels Artikel "Die gefährliche neue Liebe der Deutschen zu Russland" in der Welt: www.welt.de/debatt...n-zu-Russland.html

  • Ich habe natürlich auch versucht eine Verbindung mit dem l.v.L. herzustellen.



    Auch hier hat Karl Schlögel aus der Sicht der" anderen Seite" gut geschrieben.



    Alles hängt mit allem zusammen!



    ......Man muss heruntersteigen von der Aussichtsplattform und eine Blickwendung vollziehen, damit einem nicht entgeht, was sonst im toten Winkel bleibt.....



    Jenseits von Marienborn oder: Kalter Krieg privat



    zeithistorische-fo...gen.de/2-2008/4682

  • 9G
    90946 (Profil gelöscht)

    "Der Vernichtungskrieg ist viel zu monströs, als dass man ihn begreifen könnte. Man muss es trotzdem versuchen."



    Dem kann ich nur zustimmen. Karl Schlögel versucht das mit großer Kenntnis, Ausdauer, Akribie und Ernsthaftigkeit. Immer wieder wichtige Denkanstöße - vielen Dank dafür!

  • Danke Karl Schlögel. Besser kann man nicht erinnern und in Nachgeborenen Interesse dafür wecken, was möglicherweise die eigenen deutschen Urgroßeltern verbrochen haben.

  • Vielen Dank für den Text.

    Vielleicht wäre eine biografische Notiz angebracht gewesen. Karl Schlögel ist nicht irgendwer. Er ist der Verfasser herausragender Werke wie "Terror und Traum" oder "Das sowjetische Jahrhundert".

    de.wikipedia.org/w...Karl_Schl%C3%B6gel

    • @Jim Hawkins:

      anschließe mich - Danke - Chapeau -



      (*April 45 - schon “unter“ den Amis - Halle/Saale



      —— servíce—-



      de.wikipedia.org/w...Karl_Schl%C3%B6gel



      & Däh!



      “ Neben anderen Personen, wie dem Chemiker und ersten Nachkriegs-Bürgermeister von Halle Theodor Lieser und seiner sogenannten antifaschistischen “Lieser-Gruppe”, ist es auch Luckners persönlichem Einsatz zu verdanken, dass die Stadt Halle an der Saale bei ihrer Eroberung im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurde. Im April 1945 drohten die US-Amerikaner mit der massiven Bombardierung Halles für den Fall, dass sich die Stadt nicht ergeben würde. In Begleitung des Majors a. D. Karl Huhold gelang es Luckner, sich zur US-Armee durchzuschlagen. Nach Vorsprache beim Kommandeur der 104. US-Infanteriedivision (auch „Timberwolves“ genannt), die Halle erstürmen sollte, konnten beide den deutschen Stadtkommandanten überzeugen, aus Halle abzuziehen. Dies geschah entgegen einem ausdrücklichen Führerbefehl, die Stadt „bis zum Letzten“ zu verteidigen. Die deutschen Truppen zogen nach Süden ab, und Halle wurde zur offenen Stadt. Bereits startbereite alliierte Bomberverbände blieben daraufhin am Boden. So konnten Huhold und Luckner durch Verhandlungen die Zerstörung der Stadt verhindern. Luckner wurde dafür nach dem Krieg zum Ehrenoberst der 104. US-Division „Timberwolves“ ernannt. Als die US-amerikanischen Truppen später wieder abzogen und die Stadt an die Rote Armee übergaben, ging Luckner in den Westen, wo er weiter Vorträge hielt und Bücher veröffentlichte.

      Trotz seines Beitrages zur friedlichen und kampflosen Übergabe Halles gibt es in Halle keine Straße, die nach Luckner benannt ist. Derartige Anträge wurden im Stadtrat immer wieder abgelehnt, mit der Begründung seiner Nähe zum NS-Regime und seiner pädophilen Neigungen. Zur Eintausendjahrfeier der Stadt Halle im Jahre 1961 wurde Graf Luckner nach Halle eingeladen. An drei Stellen der Stadt wird mit Gedenktafeln an Luckner und die anderen Retter erinnert.



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