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Vorwürfe gegen GesundheitsministeriumMal alle tief Luft holen

Kommentar von Susanne Knaul

Das Gesundheitsministerium soll überlegt haben, fehlerhafte Masken an Bedürftige zu verteilen. Selbst wenn es so war – ein Skandal wäre es nicht.

Wird von der Opposition, aber auch von der SPD scharf kritisiert: Gesundheitsminister Jens Spahn Foto: AP / Michael Sohn

E inem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, rät ein deutsches Sprichwort. Der gute Ton verlange es, kleine Aufmerksamkeiten dankbar entgegenzunehmen, auch wenn sich absehbar keine Verwendung dafür findet. In der Regel lässt sich davon ausgehen, dass es zumindest gut gemeint war. Anders ist es, wenn sich in der Gabe eine von außen nicht erkennbare Boshaftigkeit verbirgt. Ein wurmstichiger Apfel etwa oder die Pudelmütze einer von Läusen befallenen Vorbesitzerin.

Skandalös und menschenverachtend, so schimpfen Kritiker, sei die Idee gewesen, minderwertige Masken unter Obdachlosen und Hartz-IV-Empfängerinnen zu verteilen. Kann man Gesundheitsminister Jens Spahn oder welcher seiner Mitarbeiter auch immer die Verantwortung für den Plan trägt, ernsthaft böse Absichten unterstellen? Welches Ziel genau hätte er damit verfolgen wollen? Gruselige Vorstellungen, wenn man den Gedanken mal bis zu Ende denkt.

Wahrscheinlich war es so, dass die Masken nun einmal da waren, zwar nicht perfekt, aber nach Ansicht des fraglichen Mitarbeiters im Bundesgesundheitsministerium doch zu schade zum Wegwerfen. Ziemlich nachhaltig eigentlich. Berechtigt ist daneben die Frage, warum die Sache jetzt erst an die Öffentlichkeit kommt, wo das von der SPD geführte Arbeitsministerium offenbar schon vor Monaten die Verteilung stoppte.

Noch bevor überhaupt klar ist, was der Gesundheitsminister wusste, wer die Entscheidung traf und wie minderwertig die Masken sind, überschlägt sich die Opposition. Und wie viele Menschen haben keine oder zu wenige kostenfreie Masken bekommen, weil sich der Plan zerschlug? Jede Maske bietet noch immer mehr Schutz als gar keine. Wir erinnern uns an die Nähvorlagen für die Maske Marke Eigenbau.

Drei Monate vor der Bundestagswahl ist der Skandal ein gefundenes Fressen für alle gegnerischen Parteien. Über den „moralischen Verfall der Union“ sinniert SPD-Chefin Saskia Esken. Jetzt mal alle tief Luft holen und abwarten, wer denn nun eigentlich was genau plante. Für einen Rausschmiss bleibt noch immer Gelegenheit.

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Redakteurin Meinung
1961 in Berlin geboren und seit 2021 Redakteurin der Meinungsredaktion. Von 1999 bis 2019 taz-Nahostkorrespondentin in Israel und Palästina.
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17 Kommentare

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  • Der Weser-Kurier teilte heute mit, dass ganz normale FFP2 Masken verteilt wurden. Die fraglichen China-Masken befinden sich eingelagert in der sogenannten Nationalen Reserve Gesundheitsschutz.

    Man könnte jetzt natürlich ein Dong daraus drehen, dass die Masken NICHT unter die Leute verteilt wurden, obwohl dringend überall Masken gebraucht wurden. 🤪

  • taz: "Wahrscheinlich war es so, dass die Masken nun einmal da waren, zwar nicht perfekt, aber nach Ansicht des fraglichen Mitarbeiters im Bundesgesundheitsministerium doch zu schade zum Wegwerfen. Ziemlich nachhaltig eigentlich."

    Der obige taz-Artikel hätte auch aus der Schreibfeder eines Springerblatt-"Journalisten" kommen können. Die eigentliche Frage ist doch, weshalb nach über einem Jahr Corona-Pandemie immer noch keine intakten Schutzmasken an über 5 Millionen Hartz IV Bezieher und 52.000 Obdachlose in Deutschland kostenlos ausgegeben werden? Am Geld kann es ja wohl nicht liegen, denn davon ist anscheinend genügend vorhanden, wenn man sich den Rettungsfonds im Volumen von 600 Milliarden Euro mal anschaut, den die Bundesregierung für Unternehmen bereitgestellt hat. Die Lufthansa wurde mit neun Milliarden Euro Steuergeldern gerettet und der weltgrößte Tourismuskonzern TUI bekam drei Milliarden Euro Staatshilfe, damit diese beiden Unternehmen den CO2-Gehalt auch in den nächsten Jahren kräftig ankurbeln können. Der arme Bürger bekommt aber nicht einmal kostenlose Schutzmasken, und wenn doch, dann waren die eigentlich für den Müll vorgesehen.

    ***Wollte Spahn unbrauchbare Masken an Bedürftige verteilen? | WDR Aktuelle Stunde*** www.youtube.com/watch?v=tEhkjyCEMrc

    • @Ricky-13:

      Dito. Selbst wenn keine klassistische Sichtweise dahinter stand, drückt sie dennoch Klassismus aus. Warum stellt sich Anderen dieses Problem erst gar nicht? Könnte es mit Einkommensungleichheit, unterschiedlichen Zugang zu (gesellschaftlichen) Ressourcen, Privilegien zu tun haben? Hat dies nicht System? ...

  • "Welches Ziel genau hätte er damit verfolgen wollen? " Gar kein Ziel! Alleon der Umstand unzulängliche Masken an den Teil der Gesellschaft verschenken zu wollen, der ohnehin schon schlecht dran ist, ist der eigentliche Skandal. Frei nach dem Motto "Der Schrott ist gut genug für die." Das ist nicht nur menschenverachtend, sondern zeigt auch eine Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit auf, die erst einmal woanders gefunden werden muß.

    • @Lars B.:

      Diesen Beitrag kann ich nur dick unterstreichen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Spahn alleine auf die Idee gekommen ist, sondern dass wohl findige Ministeriumsbeamt*innen dabei Geburtshelfer*innen waren. Das wäre viel schlimmer! Denn egal ob Spahn geht oder bleibt, dieser Geist würde weiter im Ministerium wehen. Und dass sind die, die die Gesetze schreiben.



      Ich verstehe an dieser Stelle die unkritische Haltung der taz gegenüber der Rolle der Bürokratie leider nicht. Es ist offensichtlich, dass wir an vielen Stellen in Deutschland in der Pandemie ein Verwaltungsversagen haben. Leider berät aber die Verwaltung die Politik. Dann muss man sich nicht wundern, was dabei rauskommt.

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    »Dass einige nun bewusst Obdachlose und Menschen mit Behinderung verunsichern, um Stimmung zu machen, sagt mehr über den Zustand der SPD als über die Qualität der Masken aus.« - Darauf musste erst mal kommen.

    www.spiegel.de/pol...-928a-fa240762f8bd

  • Spahn hat einfach zuviele Vorlagen geliefert, da lässt sich ihm nun nahezu alles anhängen, egal wie plausibel das sein mag. Siehe zuletzt die Test-Abrechnungen, die die eigetlich verantwortlichen Länder und KVn elegant an sich abperlen lassen konnten

    Und die SPD in ihrem Absturz schlägt in Todesnöten um sich, in der verwegenen Hoffnung, nicht von der Lawine verschlungen zu werden, die sie mit ihrem verzeifelten Greifen nach jedem Halt auslösen wird.

  • Ist doch topp !

    Zur uns "da oben" Topmodelle vom Apotheker - abgerechnet zum Luxuspreis.

    Für die "da unten" Resterampe - jetzt nicht sooo megawirksam aber immerhin besser wie nichts.

  • "Wahrscheinlich war es so, dass die Masken nun einmal da waren, zwar nicht perfekt, aber nach Ansicht des fraglichen Mitarbeiters im Bundesgesundheitsministerium doch zu schade zum Wegwerfen. Ziemlich nachhaltig eigentlich."

    Volle Zustimmung. Warum die allerdings auschliesslich an die Armen gehen sollen erschliesst sich mir nur bedingt.

  • Das Problem ist nicht, dass er sich bei den Masken verzockt hat und sie jetzt in der Müllverbrennung landen, sondern dass er permanent wie ein barocker Fürst mit Geschenken an seine Untertanen glänzen will, die aber andere bezahlen müssen: So auch jetzt wieder, wo er offenbar für Kinder und Jugendliche entgegen dem Kabinettsbeschluss 1 Mio Dosen Impfstoff zurückhält, den diese aber gar nicht haben wollen und die jetzt den nach seiner eignen Verordnung privilegierten 60-Jährigen fehlen, von denen wohl einige in den nächsten Wochen noch an der Indienmutante sterben werden.

  • Der neureiche Minister für uneinlösbare Ankündigungen hat schon lange ausgedient! Er hat für genügend Leid insbesondere während der Pandemie gesorgt. Ob aber merkel noch genügend Mut aufbringen wird, den Mann kurz der Wahl zu schassen, ist leider fraglich!

  • *Jetzt mal alle tief Luft holen und abwarten, wer denn nun eigentlich was genau plante.*

    Stimme zu, mit Bedenken. Denn ich wünsche mir dringlich eine wirkliche Aufklärung der Sache – wenn sich Fakten finden lassen. Wenn nicht alles in den Untiefen eines Ministeriums verschwindend gemacht wird. Da kann es klüger sein, nicht gleich über jedes Schäumen und Raunen zu berichten. Aber abgewartet werden sollte mit der Aufklärung weder vom Journalismus, noch von den pol. Parteien. Mir ist erstens die Frage zu wichtig, als dass ich sie als instrumentalisierte sehen wollte. Als eine, die nur Wahlkampf transportiert, aber die Suche nach der Antwort vernachlässigt. Und mir ist die zu findende Antwort zu wichtig, als dass ich sie als eine „halbgare“ sehen wollte, die nur dazu dient, bildlich gesprochen „Köpfe rollen zu lassen“ aber den Wahrheitsgehalt der Antwort schon vernachlässigt.



    *Kann man Gesundheitsminister Jens Spahn oder welcher seiner Mitarbeiter auch immer die Verantwortung für den Plan trägt, ernsthaft böse Absichten unterstellen? Welches Ziel genau hätte er damit verfolgen wollen? Gruselige Vorstellungen, wenn man den Gedanken mal bis zu Ende denkt.*

    Pardon aber das nimmt mir die Antwort suggestiv vorweg. Es geht darum, was ein Minister/ und oder Mitarbeiter ernsthaft mit welcher Zielsetzung geplant haben. Dann kann sozusagen die Moral der Sache bewertet werden. Vorschnelles Moralisieren hilft den Armen u. Erwerbslosen nicht. Aber vorschnelles Überdecken von Frage u. Antwort egal von welcher Seite wäre gewiss auch gruselig. Denn es geht quasi um die weiterreichende Frage von z. B. den Erwerbslosen zwischen Resterampe u. fremdbestimmter allseitiger Verfügbarkeit: Mit den kann es gemacht werden. Hier zur „Gesundheit“. Zur eben gestellten Frage verlinke ich einen Taz-Artikel von Bettina Gaus (2015), welcher sie exemplarisch werden lässt, an anderem Thema. Die dort teils heftige Kritik an B. Gaus teile ich nicht.

    taz.de/Kolumne-Macht/!5227596/

  • Wohl am deutschen Sprichwort vergriffen, was Frau Knaul.



    Wohnungslose sind sehr häufig vulnerable Menschen, denen auch keine halbwegs undichte Masken geschenkt werden sollten. Und von einem Gesundheitsminister schon gar nicht.



    Oder lassen Sie sich gerne ein schrottreifes nicht zugelassenes Auto schenken, mit dem Wunsch auf eine Gute Fahrt.



    Hier agiert die CDU in alter Tradition wie die CSU; vertuschen und alles schlechte in ein schönes Licht rücken.



    Sie sind da wohl drauf rein gefallen.

  • 2G
    29834 (Profil gelöscht)

    Dieser Kommentar geht aber auch mit einem "moralischen Verfall" bei der taz einher. Böswillig einfach auszublenden, wem hier im Sinne der Nachhaltigkeit die Masken angedient werden sollten - Obdachlosen und behinderten Menschen!



    Wer die abgrundtiefe Menschenverachtung in der Sache nicht sehen will - weil die taz mal wieder grün-schwarz besoffen ist -, schlage gerne vor, minderwertige Masken an Berliner Politiker und Journlisten zu verteilen.

    • @29834 (Profil gelöscht):

      "Und wie viele Menschen haben keine oder zu wenige kostenfreie Masken bekommen, weil sich der Plan zerschlug? Jede Maske bietet noch immer mehr Schutz als gar keine."

      Was genau ist daran "moralischer Verfall"?



      Lieber keine Masken als unmoralische Masken?

      • @flip flop:

        Addendum: wir reden hier übrigens über eine Zeit, als Masken aus Gardinenstoff selbst genäht und Schals und Halstücher akzeptabel waren -- dass die Masken schlechter wären als diese Eigenpoduktionen hat noch niemand behauptet.



        Das CE-"Zertifikat", dessen Fehlen den ganzen Aufruhr begründet ist im Übrigen auch nur eine Selbstzertifizierung der Hersteller, die nicht systematisch extern geprüft wird.

  • ... und bis 10 zählen - guter Hinweis. Lasst Milde walten! Sicher war zum fraglichen Zeitpunkt die Finanzierung der Berliner Immobilie noch nicht unter Dach und Fach - nicht dass Herr Spahn am Ende noch wohnungslos geworden und auf Gratis-Masken aus dem eigenen Laden (sorry - Ministerium) angewiesen wäre. Das wollen wir doch auch unseren politischen Lieblingsgegenern nicht wünschen!