Abschusslisten für Raubtiere: Jäger erschießen Wölfin
Erstmals wurde in Deutschland ein Wolf legal getötet, weil er Schafe gerissen haben soll. Umweltschützer kritisieren weitere „geheime Abschusslisten“.
Dem Ministerium zufolge wurden im Territorium des Rudels seit Ende 2018 rund 500 Schafe von Wölfen getötet. Dabei hätten Wölfe des Rudels mehrfach „zumutbaren Herdenschutz“ überwunden, etwa 1,20 Meter hohe Zäune. Durch die Angriffe sei allein einem Schäfer ein Schaden von etwa 50.000 Euro entstanden.
Niedersachsen hatte deshalb vor einem Jahr eine Ausnahmegenehmigung zur Tötung des weiblichen Tiers erteilt, die Genehmigung war bis zum 15. April befristet und galt für genau definierte Gebiete in drei Landkreisen. Eine weitere Abschussgenehmigung für einen Rüden desselben Rudels wurde im September ausgesprochen.
Ob und inwieweit diese beiden Wölfe selbst Schafe gerissen haben, ließ das Ministerium offen. Da die sichere Identifizierung eines Wolfs im Gelände nicht zweifelsfrei möglich sei, könne sie nur „über den räumlich-zeitlichen Zusammenhang in Anknüpfung an die Schadensereignisse“ erfolgen, hieß es. Die Tötung der Fähe sei von der geltenden Rechtslage nach dem Bundesnaturschutzgesetz „vollumfänglich gedeckt“. In Niedersachsen sind noch weitere Wölfe zum Abschuss freigegeben. Wie viele genau, erklärte die Landesregierung aus Sorge vor Aktionen von Tierschützern zur Geheimsache.
„Geheimniskrämerei“ des Umweltministeriums
Der grüne Landtagsabgeordnete Christian Meyer bemängelt, eben wegen der „Geheimniskrämerei“ des Umweltministeriums habe nicht vorher gerichtlich überprüft werden können, ob die strengen Voraussetzungen für die Tötung der vermeintlichen Problemwölfin tatsächlich vorlagen. Es sei daher unklar, ob der oder die Schützen legal gehandelt hätten. Umweltminister Olaf Lies (SPD) begebe sich „auf sehr dünnes Eis“ und bringe auch die möglichen Schützen in rechtliche Schwierigkeiten.
Auch die Umweltverbände WWF und Nabu kritisieren, derzeit wisse niemand, wie viele und welche Wölfe auf „geheimen Abschusslisten“ der Landesregierung stünden. Informationen über sogenannte „Ausnahmegenehmigungen vom strengen Schutz“ würden nur unvollständig herausgegeben, Auskunft über die betroffenen Landkreise und Wolfsindividuen werde verweigert. Der WWF kündigte eine juristische Prüfung an, inwieweit das Land Niedersachsen zu mehr Transparenz gezwungen werden könne.
Der Abschuss der Fähe ist die zweite legale Tötung eines Wolfs in Niedersachsen. Bei der ersten war die „Begründung“ anders: Es ging nicht um die Bedrohung von Nutztieren, sondern von Personen. Ein „Kurti“ genannter Jungwolf war im April 2016 getötet worden, nachdem er sich mehrmals Menschen genähert hatte.
35 Rudel in freier Wildbahn
In Niedersachsen leben laut Jägerschaft bereits 35 Rudel und zwei Wolfspaare in freier Wildbahn. Erhöht hat sich auch die Anzahl der Wölfen zugeschriebenen Risse von Nutztieren: Von 85 im Monitoringjahr 2016/17 stieg die Zahl auf 242 im Zähljahr 2019/20. Weidetierhalter und Bauernverbände fordern deshalb schon länger mehr Abschüsse und eine „Obergrenze“ für Wölfe. Naturschützer sehen hingegen den optimalen Erhaltungszustand der Wolfspopulation für Niedersachsen noch längst nicht erreicht.
Verschärft hatte sich der Konflikt Ende Januar, als das Umweltministerium zwei Wolfsberater entließ. Die beiden Männer, die auch Vorstandsmitglieder im „Freundeskreis wildlebender Wölfe“ sind, hatten sich zuvor kritisch über illegale Wolfsabschüsse und über die neue niedersächsische Wolfsverordnung geäußert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bilanz der Ampel-Regierung
Das war die Ampel
Kritik an der taz
Wer ist mal links gestartet und heute bürgerlich?
Die Regierungskrise der Ampel
Schnelle Neuwahlen sind besser für alle
Die Grünen nach dem Ampel-Aus
Grün und gerecht?
Regierungskrise in Deutschland
Ampel kaputt!
Anklage gegen Daniela Klette erhoben
„Politisch motivierter Verfolgungseifer“