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Sehnsuchtsort NordamerikaUSA – trotz allem

Die letzten Jahre waren hart. Doch wenn unser Autor einen Ort suchen müsste, an dem er ankommen könnte, ohne sich aufzugeben: Es wären noch immer die USA.

Menschen, die so viel wacher, lebendiger, zugewandter sind Foto: Tom Brenner/reuters

I ch war 16, und es roch nach süßem Mais. Die Luft war klebrig, das Wasser schmeckte nach Schwimmbecken, voller Chlor und seltsam ­abgestanden, und auch wenn ich es damals noch nicht genau sagen konnte, heute verstehe ich es: Der Boden, der Grund, die Erde fühlte sich dünn an und jung, nicht so alt wie das München, das ich kannte, sondern neu, brüchig, meines.

Ich war zu Hause, in Champaign, Illinois, für ein Jahr, das mein Leben veränderte; ein Jahr, weit weg von Deutschland. Das war sicher Teil der Erfahrung, dieses Land, in das ich hineingeboren wurde, aus einer Distanz zu sehen und zu spüren, wie gut sich das anfühlte, fort zu sein. Aber der entscheidendere Teil war positiv nicht im Gegensatz, sondern aus sich heraus – es war eine Ahnung von Freiheit, Offenheit und Neugier, die sich mit den Menschen verband; und das ist bis heute geblieben.

Ich weiß, dass ich vieles erst langsam verstanden habe, erst nach und nach an mich herangelassen habe. Ich erinnere mich an die Seminare in der Universität in Hamburg, in Berlin, in München, in denen ich mich dagegen wehrte, wenn von der CIA und dem Coup in Guatemala und vom Iran die Rede war – ich glaubte, da einen Furor zu spüren, eine deutsche Selbstgewissheit, sich am amerikanischen Beispiel ins Recht zu setzen; und ja, ich denke, dass das auch Teil der Stimmung und der Argumente war, damals Anfang der 1990er Jahre und bis heute.

Aber das schien fern, dieses andere, verbrecherische Amerika, es schien verdeckt und vergangen; die Gegenwart war angebrochen, und sie sollte nie mehr enden. Das war das Gefühl damals, das war das fahle, falsche Versprechen, und ich glaubte daran, ohne mich aktiv zu entscheiden; ich war Teil dieser Gegenwart und wollte es sein. Ich sah die Widersprüche, ja, ich sah die Schuld, aber nicht in der Tiefe, nicht in der Konsequenz, und die Frage, wie die Rolle der USA in der Nachkriegszeit zu bewerten ist: Zerstörung von Demokratien, Zerstörung der Natur – diese Frage wird His­toriker*innen noch eine Weile beschäftigen.

Georg Diez

Georg Diez ist taz-Kolumnist und Chefredakteur von „The New Institute“, das sich mit Fragen der ökolo­gischen, ökonomischen und demo­kratischen Transforma­tion beschäftigt.

Der indische Essayist Pankaj Mishra hat das gerade in der New York Review of Books aufgeschrieben, die Lebenslügen des Liberalismus, der seine eigenen Verbrechen, seine eigenen Grausamkeiten immer gut mit dem Verweis auf die andere Seite vertuschen konnte (wirklich?). Und überhaupt wird gerade dieses kurze amerikanische Jahrhundert, das 1945 begann und wahlweise 2001, 2016 oder 2020 endet, von verschiedenen Seiten historisiert und damit einer grundsätzlichen Kritik zugänglich gemacht.

Die Politologin Katrina Forrester, Autorin von „In the Shadow of Justice“, etwa, die den Philosophen John Rawls, durch sein Werk „A Theory of Jus­tice“ Ahnherr eines für sie letztlich apolitischen, weil nicht für ökonomische Gleichheit argumentierenden Liberalismus, vor dem Hintergrund der Pathologien des gegenwärtigen Kapitalismus dekonstruiert. Oder Sam Moyn, Historiker an der Yale University, der in der Rhetorik der Menschenrechte eine Camouflage der neoliberalen Weltordnung erkennt – Ideale, die nicht umgesetzt werden können oder müssen, es reicht schon der Appell, um auf der richtigen Seite zu stehen.

Die Ahnung von Freiheit, Offenheit und Neugier, die sich mit den Menschen verband, ist bis heute geblieben

Und ja, natürlich waren die vergangenen vier Jahre hart, verstörend, zerstörerisch, natürlich hat sich ein Abgrund aufgetan von 400 Jahren Rassismus, der seinen Repräsentanten im Weißen Haus hat. Auch die vergangenen 20 Jahre waren hart, die Kriege, die völker- und menschenrechtswidrig begonnen wurden, die Planlosigkeit, die Willkür, die Allmachtsfantasien dieses Amerikas, das sich auf einer biblischen Mission wähnt.

Aber, das große Aber: Ich finde dort immer noch Menschen, die so viel wacher, lebendiger, zugewandter, freundlicher sind, so viel diverser, schwarz, braun, jüdisch, muslimisch, christlich, die spirituell Diesseitigen, die naturzugewandten Transzendentalisten, die Hoffnungsvollen, die Ankommenden, die Mutigen und Neuen.

Ich finde dort eine Linke, die akademisch und zugleich aktivistisch ist und die Demokratie, in Theorie und Praxis, von Occupy Wall Street bis Black Lives Matter auf ihre Art verändert; ich finde dort Texte, die so viel klüger, schneller, leichter, komplexer, tiefer, schlauer sind – einfach schlauer, als das im immer überheblichen Deutschland gesehen wird; ich fühle mich zu Hause.

Ich weiß nicht, wer die Wahl gewinnt, ich weiß vor allem nicht, ob der Gewinner dann auch ins Weiße Haus einzieht; ich ahne, dass die kommenden Wochen hart sein werden, von Gewalt und Gerichten geprägt; ich ahne auch, dass es so oder so eine Art Abschied ist, dass die Ruinen des amerikanischen Traums wie Trümmer in der Landschaft liegen bleiben werden.

Dennoch, wenn ich weggehen müsste von hier, und das ist ja etwas, über das schon mehr und mehr Menschen nachdenken, wenn ich einen Ort suchen müsste, wo ich ankommen könnte, ohne mich aufzugeben, wo ich ich sein könnte und gleichzeitig Teil einer Art von Wir, das inklusiv ist und nicht ausschließend, dann wäre es dieses Land, in dem ich mehr Freunde habe, die sich nach mir erkundigen, in dem mehr Bücher erscheinen, die ich lesen will, in dem mehr Menschen leben, die die Welt mit offenen Augen sehen.

Es ist genau dieser brüchige Boden, es ist der dünne Firnis der Zivilisation, wie sie in Europa sagen würden, es ist dieses ewig Neue, dieses Entstehende, dieses Unfertige, das mich anzieht. Amerika, hat der in Berlin lebende US-Politikwissenschaftler Daniel Ziblatt gerade in einem Gespräch gesagt, kann immer noch ein Modell sein, für eine Demokratie, die multiethnisch ist und für alle offen.

Ich kann das ernsthaft nicht über Deutschland sagen. Ich würde mich freuen, wenn es dazu kommt, ich würde gern in einem Land leben, das sich des Reichtums bewusst ist, der in den Menschen besteht. Ich will auch daran mitarbeiten, hier wie dort, trotz allem.

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27 Kommentare

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  • "Georg Diez ist ... Chefredakteur von 'The New Institute', das sich mit Fragen der ökolo­gischen, ökonomischen und demo­kratischen Transforma­tion beschäftigt."

    Eine tatsächliche ökologische und ökonomische Transformation kann damit nicht gemeint sein.

    Der Amerikanische Traum kann nicht für alle funktionieren. Wer es trotzdem behauptet, macht sich oder anderen etwas vor.

  • Däh&Zisch - Mailtütenfrisch - spottet -

    “ Moinmoin







    Diez im Schlagloch - noch so`n Großkolumnist: taz.de/Sehnsuchtso...damerika/!5722539/







    Achja, der Herr Diez, der sich einst als aktiver Nichtwähler rühmte, sein Kreuz zu verweigern. Eigenes Nichtstun als "Verweigern" zu verklären, darauf musste erst mal kommen. www.spiegel.de/kul...stem-a-912025.html



    btw.: Wer nicht wählt, soll bitte in politischen Angelegenheiten die Klappe halten.“

    kurz - Wer - bitte wollte widersprechen?

    unterm——-🤫 - entre nous - wär schön



    Bitte mal wieder zeitnah einrücken - um der Kommunikation willen.



    Dank im Voraus

  • 9G
    97760 (Profil gelöscht)

    Ich muss in den USA farbige Menschen immer wieder vor herumblökenden, weißen ü55 Männern und Frauen, verbal in Schutz nehmen.

    • @97760 (Profil gelöscht):

      Wo soll das denn sein? Sorry, das glaube ich Ihnen nicht, dass das 'immer wieder' vorkommt. Und wenn, hat es vielleicht einen anderen Grund. Ich kenne einige Südstaaten und die Weststaaten intensivst und habe so etwas noch nie mitbekommen.

  • Lieber Herr Diez,

    ich fürchte, so schnell werden Sie die deutsche Überheblichkeit nicht von ihrem selbstgebauten Sockel stoßen. Die Kommentarspalte singt mehrheitlich ein selbstgewisses Lied davon.

    Aber - so amerikanisch sind Sie hoffentlich selbst geblieben - das muss so eine Kolumne ja auch nicht. Aus der kann Jeder machen, was seine Bedürfnisse ihn machen lassen. Nur ein typischer Deutscher würde erwarten, dass das die Übernahme seiner einzig wahren Sichtweise ist.

    In diesem Sinne: Ride on and keep dreamin'! :-)

    • @Normalo:

      stop dreaming. Wake up! Face reality...

      • @danny schneider:

        Danke für die sehr typische Bestätigung meiner Thesen!

        Ich gebe den Ratschlag aber gerne zurück. Die Realität sieht zweifellos so aus, dass die USA von heute kein Paradies sind und dass es immer möglich ist, sie negativ zu sehen. Realität ist aber auch, dass das in den USA sehr viele Leute einfach nicht tun und ihr Land trotz aller Fehler immer noch für den besten Platz zu leben auf der ganzen Welt halten. Und sie ist eben auch, dass es in den USA diese vom Autor beschriebene Solidarität mit dem Menschen vor Deiner Nase gibt, diese Freundlichkeit, die sich interessiert und NICHT spontan erstmal hinter der (im Zweifel trotzdem vorhandenen) Schrotflinte versteckt, die überhaupt nicht daran denkt, die Tür abzuschließen, wenn man das Haus verlässt. Und Realität sind auch die vielen Leute, die in einer Situation, in der die meisten Deutschen klagen und Manna von oben verlangen würden, genau anders reagieren und "Denen da Oben" lieber sagen: "Lasst mich einfach in Ruhe, ich kriege das schon hin."

        Als guter Deutscher können Sie das Land und diese Einstellung vieler seiner Bürger natürlich aus der Ferne be- und verurteilen wie kein Zweiter. Aber Ihr Urteil ist NICHT die Realität sondern nur eine Meinung.

        Ganz kurz gesagt: Gerade der Blick auf die Realität erlaubt erst das Träumen. Die Frage ist, ob man träumen will und WAS man träumt. Beides lässt sich nicht verbindlich regeln.

  • "Doch wenn unser Autor einen Ort suchen müsste, an dem er ankommen könnte, ohne sich aufzugeben: Es wären noch immer die USA."

    Aha? Und Tschüss!

  • Danke für den schönen Text.

    Ein Teil meiner Familie lebte einige Jahre in Baltimore und in New York.

    Ich war öfter dort und auch wenn meine Eindrücke etwas oberflächlicher sind, als die von jemandem, der dort lebt, so hat auf mich vieles ähnlich gewirkt.

    Eine große Offenheit, eine selbstverständliche Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Viel Neugierde und wirkliches Interesse.

    • @Jim Hawkins:

      Amiland sehe ich gerne sehr kritisch, habe allerdings auch sehr positive Multikulti-Kontakte mit bereits bekannten amerikanischen Freunden aus dem privaten und musikalischen Bereich, insbesonders in Florida und Kalifornien äusserst angenehm erlebt.



      Ein unangehmes Cop-Erlebnis in New York nach Abschluss einer West-Ost-Durchquerung konnte diese Eindrücke auch nicht zerstören.



      Trotzdem - Wohnen und Leben möchte ich da lieber nicht.

      • @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

        Ich habe die unglückselige Neigung, gegenüber Uniformierten Späße zu machen. Hier ging es um die zahlreichen Tattoos auf den Armen des Beamten der Einwanderungsbehörde.

        Der Officer starrte mich so durchdringend an, dass ich dachte, OK, das war's, jetzt fliege ich wieder nachhause.

        Musste ich dann nicht, aber es war eine Lehre fürs Leben.

        Und: Ich möchte ums Verrecken nicht in Rostock-Lichtenhagen wohnen, aber in Freiburg? Warum nicht?

        • @Jim Hawkins:

          Mit den Späßen, die man sich nicht verkneifen kann, ist das so ne Sache:



          In den 70ern auf Transit nach Berlin bei der Einreise in die DDR:



          Haben Sie Waffen oder Funkgeräte dabei?



          Wieso, braucht man das hier?



          Ergebnis: 3 Stunden gefilzt



          In New York war der Auslöser der Kontrolle lediglich eine durgebrannte Birne an der Beleuchtung des Autos. Mit der bedrohlichen Aufforderung, das Fahrzeug stehen zu lassen und mich auf der Wache zu melden.



          Der bin ich NICHT nachgekommen, hab mein Auto für 10 $ geplant verschrottet und bin 3 Tage später nach Hause, damals in Paris geflogen.



          Elsass ist für mich lebenswert weil doppelkultürlich und zu Freiburg teile ich ihre Meinung

  • Lieber Georg Diez,

    vielen Dank für diese Kolumne, die ich gerne gelesen habe.

    Ebenfalls Anfang der 90er hatte ich einen Traum.



    Nach dem Abitur und dem Wehrdienst arbeitete ich darauf hin mir diesen zu erfüllen.



    Ich hatte einen Roadtrip im Sinn. Coast to Coast durch die USA.



    Ich nahm einen Job als Hilfsarbeiter auf dem Bau an und eineinhalb Jahre später hatte ich das Budget für den Trip zusammengespart.

    Drei Monate lang reiste ich alleine kreuz und quer durch über 20 Staaten USA. Ich lernte viele sehr unterschiedliche Menschen und eine ausgeprägte Gastfreundschaft kennen. Was mich sehr geprägt hat waren die langen Gespräche mit Menschen sehr verschiedener Herkunft.



    Da war der Redneck in Tennessee, der mir von sich aus half eine Autopanne zu beheben und mir anschließend für zwei Nächte Quartier bei seiner Familie gewährte.



    Die aus Ungarn eingewanderte Familie in Arizona, die mir eine Woche lang den Wohnwagen im Garten überließ.



    Es gibt etliche weitere Beispiele.

    Aber was sie alle gemein hatten und was ich mir für meine persönliche Zukunft zu Herzen nahm, war eine Einstellung, die ich wie folgt beschreiben mag:

    Wer Glück und Wohlstand - auch bescheidenen - erlangen will, der muss selbst etwas dafür tun und darf nicht erwarten, oder gar einfordern, dass Andere ihm oder ihr dieses Glück oder den Wohlstand bringen.



    Rückschläge gilt es wegzustecken und erneut von vorne zu beginnen, wann immer nötig, um es dann besser zu machen.

    Es war dieses ausgeprägte Selbstverständnis von Eigenverantwortung, das mir sehr imponierte und das ausnahmslos alle erwachsenen Menschen innehatten, die ich kennen lernen durfte.

    Ich war seither oft in den USA, sowohl privat als auch beruflich.

    Und sollte ich Deutschland eines Tages, aus welchen Gründen auch immer, verlassen wollen, so sind die USA auch eins meiner bevorzugten Ziele.

  • Ich denke mal, dass es eine Frage der Affinität zu der Mentalität von Deutschen und US-Amerikanern ist. Es gibt sicherlich viel an den Amis zu kritisieren (wie auch an anderen Nationen), was ich aber den Amis hoch anrechne, ist, dass sie mitgeholfen haben, Nazi-Deutschland zu besiegen. Dass sie die West-Berliner während der Blockade nicht verhungern/erfrieren ließen - und zwar unter Einsatz des Lebens ihrer Piloten. Ich würde sagen, dass die USA weiterhin ein Sinnbild des Schmelztiegels verschiedener Kulturen und Nationen sind. Es gibt dort alles, sowohl im Positiven wie auch im Negativen.

    • @Jossi Blum:

      Vor ihrem Einstieg haben sie die Nazis erstmal unterstützt, dann festgestellt, dass sie nicht auf der Verliererseite stehen wollen (ich spreche von den verantwortlichen Politikern und Militärs, nicht der Bevölkerung), was sich ja negativ auf die geostrategische Position ausgewirkt hätte. Der Grund für die Luftbrücke und die Unterstützung Westdeutschlands war rein militärischer, nicht humanitärer Natur. Man sollte nicht Realitäten ausblenden, nur weil es dann muggeliger ist.



      Deinem letzten Satz stimme ich zu, nur was hat das zu bedeuten?

  • Lieber Georg Diez,



    ich vestehe das nicht. Wahrsscheinlich bin ich viel zu sehr Europäer oder habe zu wenig von der Welt gesehen aber da bin ich ja nicht alleine unter den Meschen und ich kann ja auch wenig dafür, dass ich als 16 -jähriger nicht das Privileg hatte, ein Jahr in den USA zu verbringen.

    Die Kolonialgeschichte, die USA mit Europa teilt, die Umweltzerstörung, die Ungleichheit, der Rassimus und Schauvinismus die trotz allen tatsächlich beundernswerten Denker:Innen und Aktivist:innen offenbar bei weitem nicht überwunden wurden, macht der Titel und die Argumentation für "USA - trotz allem" für mich unverständlich - ich komme nicht mit. Ich habe andere Sehnsuchtsorte.

    Außerdem bin ich mir nicht so sicher, ob die vergelichenden Kategorien "besser" oder "schlechter" als Deutschland uns wirklich weiter bringt. Vielleicht wirkt das sogar eher polarisierend.

    • RS
      Ria Sauter
      @Nilsson Samuelsson:

      Wunderbar stimmiger Kommentar! Danke!

  • Also ich verstehe ja einfach nicht, wie man die sozialen Missstände in den USA immer so leicht ausblenden kann. Und die allgegenwärtige Waffengewalt, den Rassismus, das schlechte Gesundheitswesen etc.

    Je öfter ich in die USA komme, desto mehr sehe ich die Missstände. Da kann das Land noch so schön, die Linke noch so agil sein, das Negative überwiegt bei weitem.

    Gut geht es da vor allem den Kapitalisten und den Selbstdarstellern.

  • Ich glaube, Deutsche, Franzosen und Briten, aufgewachsen in dicht besiedelten Landstrichen, können nicht nachvollziehen, wie weit das politische Washington von ländlichen Gebilden (u.a. einzelne Großfarmen mit Anschluss an chain stores) in Idaho oder Montana entfernt ist. Bewohnern von NYC, New Orleans oder der Twin City fällt das ähnlich schwer.



    Ich habe Bekannte, schwarze und weiße, die so empfinden wie Georg Diez - sie waren froh, dem engen Europa zu entkommen.



    In meiner Erfahrung braucht es mindestens fünf Jahre, um die Kultur und die fundamentalen Einstellungen eines fremden Landes, dort geborener Menschen - hinter den Lippenbekenntnissen - wirklich zu verstehen (selbst Kanadier nehmen diese Distanz wahr). Dass Trump soviele Fans hat, ist außerhalb Russlands oder Saudi-Arabiens in der Welt kaum vorstellbar.



    Die USA kommen mir gleichzeitig sehr weiträumig und sehr eng vor; mit Kanada, Australien (und uns) gehören sie zu den absoluten Klimakillern, und das zählt heute. Aber schon vor 100 Jahren, zu den Zeiten eines Alexander Berkmans, klagten die Linken über die Abwesenheit politischen und Klassenbewusstseins.



    Dies kann man ohne deutsche Arroganz so feststellen, und gleichzeitig die ungeheure Vielfalt, Offenheit und Originalität bewundern.



    Amerikaner, die den entgegengesetzten Weg gegangen sind und in Europa blieben, sagen mir: Dort hängt alles davon ab, wie gut du dich verkäufst. Du musst immer Werbung in eigener Sache machen. Kein Land auf der Erde sei so wenig auf der konkreten Erde zuhause wie die Amis, sie erheben sich nach der Ermordung der Ureinwohner über die Lebensgrundlagen, zerstören sie. Aber die digitale Revolution kam nicht aus Europa, von Konrad Zuse mal abgesehen.

  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Da ist mit jedes westeuropäischen Land x-mal näher und lieber als das aufgesetzte Kulissenland der super heros.

    • @80576 (Profil gelöscht):

      Dann bleiben Sie halt wohlbehalten in Good Old Europe. Aber was bringt es Ihnen wirklich, so abschätzig darüber zu urteilen, wie andere Menschen mit dem Leben umgehen (bzw. der fatalen Erkenntnis, dass es kein Zuckerschlecken ist)? Wo ist darin der Mehrwert?

  • Lieber Herr Diez,

    Ich lebe nun mit Familie seit über 12 Jahren in Texas.

    Ihrer Beobachtung stimme ich zu: "Menschen, die so viel wacher, lebendiger, zugewandter sind". Das ist auch meine Erfahrung. Vielen Dank für dieses "trotz allem".

    Und im Lauf der Jahre sind dann doch viele persönlichen Erfahrungen hinzugekommen: über ein politisches System mit eingebauter Korruption, ein katastrophales öffentliches Schulsystem, rasant steigende Lebenshaltungskosten, einer unbezahlbaren und nutzlosen Krankenversicherung, ein ungerechtes und gnadenloses Justizsystem (Texas), einer grenzenlosen Ignoranz gegenüber natürlichen Resourcen und Energieverbrauch. Um nur einige zu nennen. Mit genug Geld kann sich jeder freikaufen.



    Wir planen, wenn auch schweren Herzens, unsere Rückkehr ....

  • Lieber Georg Díez !



    Machen Sie sich bitte nichts vor.



    Der amerikanische Traum besteht doch schon lang nicht mehr ...

  • 'Amerika' ist eine Phantasie des Autors. Amerika besteht nämlich aus 2 Kontinenten, wobei die USA nur einen Teil von Nordamerika ausmacht. Anyway - der Autor scheint m.E. nicht das Leben der Mehrzahl der USA-Bevölkerung zu kennen, die vollauf damit beschäftigt ist, ihre Rechnungen bezahlen zu können; übrig bleibt vom Lohn meistens gar nichts. Im Übrigen habe ich dort nicht diese viel gepriesene Offenheit kennen gelernt. Eher eine oberflächliche und unverbindliche Freundlichkeit. Es würde mich interessieren, auf welche Kreise sich der Autor bezieht.

  • Lieber Autor,



    „Modell für Demokratie“ , na wenn Sie das für sich so sehen möchten. Es erstaunt mich, gelinde gesagt, denn ich sehe dort kaum Ansätze für Demokratie (früher wenig - heute noch weniger). Was mich freut, dass Sie hier wie da, daran arbeiten möchten. Ich habe es auch über Jahrzehnte versucht (allerdings hier). Aber den Untergang des Neoliberalismus, der den Erdball überzieht und dort ja seine reinste „Kultur“ zeigt, werde ich nicht mehr erleben. Die USA wäre für mich immer das letzte Ziel meiner Wünsche (wenn ich nicht sowieso das Fliegen lassen würde). Und viele Amerikaner möchten eigentlich auch nur noch weg.

  • :)

  • Die USA stehen nicht nur für eine irgendwie zufällige Perversion des Liberalismus, da ist nicht nur ein bisschen was schiefgelaufen. Die Substanz stimmt einfach nicht. Es zählt nur noch der Erfolg, der Erfolg wird nur finanziell gemessen und es gibt nahezu keine Vorstellung mehr von einem kollektiven, langfristigen, kulturellen Erfolg. Die Freiheit ist zur Verantwortungslosigkeit verkommen, das gibt es auch hier, in den USA ist es aber das Motto. Und es fehlt eine Gegenidee, es gibt nichts anderes Verbindendes als Freiheit und Erfolg. Wie man aus dieser fundamentalen Einseitigkeit und Unfertigkeit wieder herausfinden will ist völlig unklar. Der Staatsbegriff der USA ist nahezu keiner, Staat ist nur die Garantie des Minimal- Staates, der feuchte Traum der Liberalen natürlich, nur völlig unbrauchbar für die Zukunft.