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Moralisches KonsumierenEin fragiles Gebilde

Ich kaufe wegen eines verstorbenen rumänischen Erntehelfers dieses Jahr keinen Spargel. Ist das absurd?

Weil wir es so wollen: Spargelstecher bei der Arbeit Foto: dpa

V or einigen Tagen las ich in der Zeit einen Artikel über einen an Covid-19 verstorbenen rumänischen Erntehelfer. Ich hatte schon vorher davon gehört und hatte auch die Bilder der auf dem Flughafen dicht gedrängt wartenden Menschen gesehen. Nun ist es vielleicht nicht so unvorhersehbar gewesen, dass auch ein rumänischer Erntehelfer erkrankt, das Virus macht vor keiner Nationalität halt. Die Bedingungen, unter denen die Erntehelfer hier leben und arbeiten, das wurde bereits vielfach besprochen, sind in dieser Hinsicht nicht besonders günstig. Die Bedingungen sind aber auch in anderer Hinsicht nicht schön.

All das ist nicht neu. All das ist schon immer so. Ich habe einige Freunde und Bekannte, die jetzt keinen Spargel mehr kaufen wollen, und auch ich habe in diesem Jahr noch keinen gekauft. Ich weiß nicht, ob es mit dem Bericht über den verstorbenen Erntehelfer zusammenhängt. Ich fühle ein schlechtes Gewissen.

Da ich selbst eine ganze Saison Spargel gestochen habe, weiß ich, was für eine schwere Arbeit das ist. Es geht auf den Rücken. Aber die Arbeit auf dem Feld ist immer schwer und geht auch fast immer auf den Rücken. „Und was ist mit Erdbeeren?“, fragt meine Tochter. Tja, was ist mit Erdbeeren? Werden die auch von Saisonarbeitern geerntet? Was ist mit der Ernte an sich, Getreide zum Beispiel? Ich habe in der DDR ein Jahr in der Landwirtschaft gearbeitet, und da hatten wir in der Ernte immer Erntehelfer aus Polen.

Ohne Erntehelfer ging es nicht, noch nie. Meine Urgroßeltern väterlicherseits waren Schnitter. Sie zogen übers Land und gaben meine Großmutter mit elf Jahren in die Hände eines Bauern, als eine Art Leibeigene. So war das damals. Und wie ist es heute? In der Landwirtschaft ist die Arbeit nun mal nicht gleichmäßig über das Jahr verteilt und die Bauern sind auf die Erntehelfer angewiesen. Wer sind diese Erntehelfer? Warum kommen sie? Wie gehen wir mit ihnen um? Und was bedeutet das alles für mich? Soll ich keinen Spargel mehr essen, keine Erdbeeren, kein Getreide, keinen Wein mehr trinken?

Wer sind diese Erntehelfer? Warum kommen sie? Wie gehen wir mit ihnen um?

Katrin Seddig ist Schrift-stellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Das Dorf“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.

Als das Problem mit den fehlenden Erntehelfern gerade akut war, fragte ich meine Schwester, die bei einem großen Bio-Label arbeitet, wie die Umstände dort sind. „Unsere Bauern warten sehr auf die Arbeiter“, sagte sie, „sie arbeiten immer mit denselben, sie kennen sie gut, seit vielen Jahren“. Das habe ich auch selbst damals auf der LPG erfahren. Man kannte sich gut. Es kamen meist dieselben. Die Gewohnheit ist was Schönes.

Aber die Fragen bleiben. „Was kriegen die?“, fragte ich meine Schwester. Sie konnte es mir nicht sagen. Bekommen die Erntehelfer, die meinen Bio-Spargel ernten genauso wenig Geld wie die, die bei konventionellen Bauern arbeiten? Und was sind das für Menschen? Es ist offensichtlich, es arbeiten eigentlich kaum Dänen oder Engländerinnen auf unseren Feldern, es sind eher Rumänen oder Polinnen. Gäbe es Dänen, die für unseren Mindestlohn, von denen ihnen noch etwas für Unterkunft und Kost abgezogen wird, auf unseren Feldern Spargel stechen würden?

Die Schnitter waren Wanderarbeiter, zu Fuß zogen sie dorthin, wo sie gebraucht wurden, sie wurden auch als „Vagabunden“ angesehen, „fahrendes Volk“. Ihr Ruf war nicht gut. Über ihre Bezahlung ist mir nichts bekannt. Heute werden die Erntehelfer mit dem Flugzeug eingeflogen. Aber sind sie uns mehr wert? In meiner Kindheit gab es Spargel einmal im Jahr, wenn wir zu meiner Oma fuhren, die stach ihn in ihrem Garten. Gekauften konnten sich unsere Eltern nicht leisten. In den letzten Jahren aß ich Spargel in der Saison wenigstens einmal pro Woche.

Ich weiß, die Erntehelfer wollen zu diesen Bedingungen ernten, weil es für sie einfach keine anderen gibt, die Bauern wollen wettbewerbsfähig bleiben, weil es sie sonst nicht mehr gibt, und wir wollen Spargel essen, weil wir es halt wollen. Dieses ganze Gebilde aus Arbeit und Markt ist so fragil, und ein moralisches Handeln so kompliziert, da ist es vielleicht absurd, dass ich wegen des verstorbenen rumänischen Arbeiters dieses Jahr keinen Spargel kaufe.

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Schriftstellerin
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16 Kommentare

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  • Ist in einem grundsätzlich amoralsichen Prduktionssystem moralischer Konsum überhaupt möglich?

  • Klar, man kann nicht alles Boykottieren, aber Spargel kaufe ich sei Jahren nicht mehr. Seit der Diskussion damals, die faulen Hartz 4-Bezieher sollen doch den Spargel stechen. Teures Oberschichtgemüse geerntet unter prekären Verhältnissen. Macht auch keinen Spaß während der Spargelzeit durch die Landschaft zu fahren. Auf den Äckern Plasikplanen soweit das Auge reicht.

  • "Ich weiß, die Erntehelfer wollen zu diesen Bedingungen ernten, weil es für sie einfach keine anderen gibt"

    Diese Formulierung ist wohl etwas entglitten. Die Erntehelfer müssen jede noch so widrige Bedingung akzeptieren, weil sie sonst verhungern.

    "die Bauern wollen wettbewerbsfähig bleiben, weil es sie sonst nicht mehr gibt"

    Kleines Kapital schlägt großes Kapital. Den Bauern ist schon wichtig, dass Produktionsmittel, Arbeitskraft und Arbeitsprodukt - inklusive Mehrwert - in ihrem Besitz bleiben. Nun fallen die meisten dieser treuen CDU-Wähler der Zentralisation zum Opfer und finden sich bald selbst in der Klasse der Lohnabhängigen wieder. Welch Überraschung!

    "Dieses ganze Gebilde aus Arbeit und Markt ist so fragil"

    Nö, dem Kapitalismus geht's gerade richtig gut. Jede Menge Staatsschulden, kaum Sorge um den Arbeitsschutz, die Reservearmee wird so extrem wie lange nicht ausgehungert (die ALG-II-Sätze wurden heute nicht erhöht). Läuft. Und vor moralischem Konsum fürchtet er sich auch nicht, der Mehrwert bleibt ja bestehen.

    • RS
      Ria Sauter
      @Ivande Ramos:

      Mehr gibt es dazu nicht zu sagen, danke!

    • @Ivande Ramos:

      Korrektur: das große Kapital schlägt natürlich das kleine.

  • Puh, sehr vielschichtige Frage.



    Es berührt die Freiwilligkeit der Erntehelfer (wirtschaftlicher Druck), Konsumverhalten bzgl Luxusgüter (der Spargel ja vor einiger Zeit noch war) und die jeweilige Entscheidung lässt sich dann halt auf andere Entscheidungen im Leben runterbrechen, welche noch weit weniger eindeutig sind. Es scheint ja so zu sein, dass es kaum einheimische Menschen gibt die diese Arbeit auf Dauer verrichten wollen. Und das nicht nur wegen der wahrscheinlich geringen Entlohnung. Und es braucht auch eine gewisse Erfahrung, welche regelmäßig hier arbeitende rumänische etc Erntehelfer inzwischen haben. Wenn man mal die momentanen Bedingungen in Corona-Zeiten außer acht läßt (Unterbringung in Mehrbettzimmern und dadurch erhöhte Ansteckungsgefahr) ist es eine grundsätzliche Entscheidung. Ich (und ich spreche nur für mich) kaufe nur in Bio-Betrieben, kaufe auch keine Bioprodukte in konventionellen Supermärkten, und gehe davon aus, dass Menschen die in diesem Produktbereich arbeiten adäquat entlohnt und behandelt werden. Damit gebe ich natürlich einen Teil der Verantwortung ab, aber ich kann nicht zu jedem Lebensmittel eine eigene Recherche betreiben. Und dann gibt es natürlich ein zusätzliches Korrektiv, indem ich mir bei Preis und Menge des konsumierten (in diesem Falle) Spargels Grenzen setze.

    Noch schwieriger finde ich fast die Entscheidung in Branchen in denen prekär Beschäftigte miteinander konkurrieren und bezüglich der Entlohnung gegeneinander ausgespielt werden.



    Aber ich denke irgendwo fängt dann der Selbstschutz an und sollte über der Moral stehen. Natürlich ganz weit oben...

    • @imSchmerzgeboren:

      Also, ich mache schon lange feine Unterschiede zwischen "Ökologisch", "Bio" (Bio-Obst frisch eingeflogen aus Südamerika mag biologisch angebaut worden sein, ökologisch ist es aber sicher nicht) und der Frage, ob die Wertschöpfungskette fair funktioniert (was auch bei konventionell angebauten Lebensmitteln der Fall sein kann).

      Das sind immer Abwägungen, bei denen man nur sehr selten eine perfekte Lösung findet. Und vielleicht auch gar nicht immer muss, denn besser ist immer schon besser als schlechter.

      Ich kannte auch mal jemanden aus einer Familie mit so einem Betrieb. Ja, da haben Saisonarbeiter hart gearbeitet und sehr bescheiden gelebt, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass die sich ausgebeutet gefühlt haben. Sie waren wohlgelitten, man kannte und mochte sich und hat in der Saison täglich produktiv zusammen gearbeitet. Für die Arbeiter war das zuhause dann immer noch sehr gutes Geld und sie sind gerne wieder gekommen. Und der Betrieb hat sich auch Mühe gegeben, da vernünftige Bedingungen zu schaffen, denn das waren ja schließlich Menschen, mit denen man dann jeden Tag zusammengearbeitet hat, das lief auf dieser menschlichen Ebene in einem recht kleinen Betrieb ganz selbstverständlich. Und das war ja auch nie auf Dauer, sondern eben nur Saisonarbeit, wobei es natürlich für alle Beteiligten gut war, wenn die im nächsten Jahr wiederkamen. Viele von denen hatten zuhause ihr eigenes Haus und waren sicher nicht die Ärmsten, hätten dort in dieser Zeit aber viel weniger verdient.

      Ich glaube, wenn man da nicht immer Maximalforderungen stellt, sondern sich einfach jeder bei mehreren Angeboten einfach möglichst für das vernünftigere entscheiden würde, wäre schon viel gewonnen. Man kann nicht immer alles perfekt richtig machen, aber möglichst wenig falsch machen ist dann doch gar nicht so schwer.

      • @Mustardman:

        Hallo Mustardman,



        danke für den differenzierten Beitrag. Sehr wohltuend.



        Ich denke ich mache ähnliche Unterscheidungen wie Sie, wobei konventionell bei mir meistens durch das Raster fällt, weil die meisten konventionellen Landwirte (wider mein besseres Wissen :-)) den Einsatz von einer moderaten Menge Antibiotika, Fungiziden, Dünger für vertretbar halten. Bezüglich des Umgangs mit Mitarbeitern ist das natürlich ein anderes Thema und wird dort sicher auch manchmal "würdig" gelöst.



        Ihr Resumee "möglichst wenig falsch zu machen", ist sicher der beste Ansatz, es gilt halt den eigenen Weg zwischen Bequemlichkeit, bzw Wünschen und Anspruch zu finden. Wobei viele Entscheidungen doch alternativlos (sorry) sind...



        Aber ich (nicht weitersagen) esse gerne Mangos und auch Kiwis, auch wenn ich vom Geschmacksergebnis öfters enttäuscht werde. Leider scheint es die nicht beim regionalen AnBauern zu geben. Und der Urlaub in Australien wiederum...

  • Die Frage ist halt mehrfach falsch. Sie lautet dieses Jahr Ja oder Nein. Relevant ist aber immer und wie. Die Situation ist ja immer die gleiche, nur fällt es heute halt mal besonders auf. Gleiches gilt für die Bedingungen. Also muss die Antwort heißen: Ich kaufe ab sofort und immer Spargel der unter mindestens akzeptablen Bedingungen für die Arbeiter:innen produziert wurde. Kann sein dass das aktuell nicht möglich ist. SoLaWi und Produktionsgenossenschaften wären Lösungsmöglichkeiten. Ja, man muss dann die Komfortzone verlassen.

    • @LeSti:

      Es gibt auch in diesem Jahr Spargel von regionalen Bauern der unter akzeptablen Bedingungen geerntet wird.

      Ansonsten kann die Antowrt nur sein, wenn man die Bedingungen an jede Branche anlegt, würde der Konsum nicht ausufern. Stichworte sind Fleisch, Gemüse aus Südspanien etc, Kleidung, elektonische Geräte. Kaum eines dieser Produkte wird von Dänen, Engländern oder Deutschen hergestellt oder geerntet.

    • @LeSti:

      und wer sticht bei SoLaWi und den Produktionsgenossenschaften den Spargel?

      • RS
        Ria Sauter
        @Bernhard Hellweg:

        hallo Her Hellwig,



        Sie kennen sich leider nicht aus.



        Bei der SoLaWi ernsten diejenigen, die den Bauer unterstützen die Ernte ab.



        So läuft das in diesen Betrieben und es funktioniert sehr gut.



        Unsere Welt wäre eine bessere, wenn es mehrere dieser Betriebe gäbe.



        Ich kann die Mitgliedschaft bei der solidarischen Landwirtschaft nur empfehlen, frische Luft gibt es gratis dazu und eine schöne Gemeinschaft.

        • @Ria Sauter:

          Hallo Frau Flieder,



          ich stimme Ihnen natürlich bei Ihrer Beurteilung von SoLaWis zu, allerdings glaube ich, dass die meisten SoLaWis doch einen Anteil an angestellten Erntern (?) haben (müssen), um die rechtzeitige Ernte zu gewährleisten. Mitarbeit der Genossen ist erwünscht, aber oft durch deren Berufstätigkeit nicht regelmäßig möglich. Zumindest kenne ich das so.



          Und kennen Sie eine SoLaWi die Spargel anbaut? Was aber durchaus sein mag.

          • RS
            Ria Sauter
            @imSchmerzgeboren:

            Ja, bei unserem Stadtbauernhof, eine SoLaWi, funktioniert das hauptsächlich mit Ehrenamtlichen, angestellt sind 2 Helfer.



            Spargel gibt es auch, allerdings nur den in grün.



            Schmeckt eh besser.:÷)))

  • "...da ist es vielleicht absurd, dass ich wegen des verstorbenen rumänischen Arbeiters dieses Jahr keinen Spargel kaufe"

    Ich kann die Zweifel nachvollziehen. Und dennoch. Nicht wegdrücken. Es ist die einzige Chance, die wir zur Veränderung haben.

    Ich denke mal: Bio ist schon mal einen Ansatz. Ich kaufe nicht Bio weil's "irgendwie sauber" ist. Sondern weil es das Signal sendet "hey, ich bin bereit, für Lebensmittel etwas draufzulegen". Wenn's ein Comté AOP ist (was verlangt, dass die Kühe auf der Weide sind) ist's mir genauso viel wert.

    Aber es ist natürlich nicht alles...

  • Abgesehen von den lebensnotwendigen Dingen ist vermutlich alles absurd. Machen Sie sich darüber also keinen Kopf und boykottieren Sie ruhig, wenn sich das besser anfühlt:D