Arbeitsbedingungen in Schlachthöfen: Ein Gesetz, das krank macht
In der deutschen Fleischindustrie schuften osteuropäische Beschäftigte mit Werkverträgen – wie es die CSU wollte.
S age und schreibe über 200 Arbeiter des Coesfelder Schlachthofs haben sich mit dem Coronavirus infiziert. Die Landesregierung von NRW will jetzt alle 20.000 Zerleger von Schweinen und Rindern im Land testen lassen; dass dabei noch mehr Fälle herauskommen, steht zu befürchten.
Schlimm, diese Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie, heißt es jetzt aus der Politik. Viel Interessanter als Empörungsroutinen ist die Frage nach den Ursachen. Die aus Osteuropa stammenden Schlachthofarbeiter sind in Deutschland meist per Werkvertrag beschäftigt, also formal selbstständig. Damit haben sie keine Rechte eines normalen Arbeitnehmers, aber dummerweise auch nicht die Freiheiten eines Selbstständigen. Für die Schlachthöfe ist das eine prima Win-Situation, für die Beschäftigten bedeutet es das Gegenteil. In den Knebelverträgen ist meist auch die Unterkunft festgelegt – Massenbehausungen, für deren oft überhöhte Kosten die Arbeiter aufkommen müssen.
Werkverträge sind in der Theorie eine praktische Sache. Wenn zum Beispiel eine Bäckerei ihr IT-System aufmöbeln will, schließt sie einen Werkvertrag mit einer IT-Spezialistin, weil die Bäckerei es selbst nicht leisten kann. Seit Jahren aber werden Werkverträge nicht nur in der Fleischindustrie massenhaft missbraucht, um Personalkosten zu drücken. Möglich ist dies durch eine Gesetzeslücke, die auch bei einer Reform von 2017 nicht geschlossen wurde. Die damalige SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles wollte darin dem Missbrauch über Scheinselbständigkeit ein Ende setzen. Sie knickte vor dem massiven Widerstand der CSU zu schnell ein; auch, weil sie vom damaligen SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel keine Unterstützung bekam.
Das konnte geschehen vor dem Hintergrund, dass sich die breite Öffentlichkeit für die Lebens- und Arbeitsbedingungen in den unteren Etagen der Arbeitswelt nur wenig interessiert. Seit Coesfeld wissen hoffentlich die Letzten: Menschenwürdige Arbeitsbedingungen schützen vor Krankheit und am Ende sogar vor Tod.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video