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Streit über CoronabondsTausend Ökonomen gegen Merkel

Ökonomen aus ganz Europa fordern Coronabonds. Sie sehen Gesundheit und Leben von Millionen Bürgern „existenziell bedroht“.

Alles wegen Corona: leere Straßen in der südspanischen Stadt Ronda Foto: Jon Nazca/reuters

Berlin taz | Der Druck auf die Bundesregierung steigt, dass sie Coronabonds zustimmt. Denn sie hat kaum Verbündete in der Wissenschaft. Die meisten Ökonomen sind eindeutig dafür, gemeinsame europäische Staatsanleihen aufzulegen, um die Kosten der Epidemie zu bewältigen. Dabei bilden sich ganz neue Allianzen: Schon mehrfach haben neoliberale Ökonomen und Keynesianer gemeinsame Papiere verfasst, um Coronabonds zu fordern.

Nun wird ein neues Instrument ausprobiert: Seit dem Wochenende kursiert unter den Ökonomen ein offener Brief, den bereits mehr als 1.000 Experten aus ganz Europa unterschrieben haben. In ihrem Text werben sie für „European Renaissance Bonds“, wie sie die Coronabonds nennen. Denn die Ökonomen fürchten, dass es demnächst zu einer neuen Eurokrise kommen könnte, die aber „unvergleichlich schlimmer“ wäre als die Verwerfungen der Jahre 2010 bis 2012.

Aus Sicht der Ökonomen kann es nicht funktionieren, dass jedes Land seine Corona-Kosten allein stemmt, indem es separate Kredite aufnimmt und dafür eigene Staatsanleihen ausgibt. Denn die Corona-Kosten sind so immens, dass die öffentlichen Haushalte in allen Ländern in extreme Defizite rutschen werden – auch in Deutschland. „Die Bundesrepublik ist als Exportnation sogar besonders gefährdet“, warnt Finanzökonomin Doris Neuberger, die den offenen Brief unterzeichnet hat.

Die Ökonomen fürchten, dass es zu einem Teufelskreis kommt: Wenn die Staatssschulden explodieren, steigen auch die Zinsen, weil die Investoren „Risikoaufschläge“ verlangen. Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland könnte also schlicht das Geld ausgehen, um die Epidemie und ihre Folgekosten zu bekämpfen. Diese Not kann den europäischen Nachbarn jedoch nicht egal sein, denn auch sie wären gefährdet, wenn das Virus weiter grassiert und ganze Länder im Elend versinken. Die Ökonomen warnen: „Gesundheit und Leben von Millionen Bürgern sind existenziell bedroht.“

Bundesregierung setzt auf ESM

Kanzlerin Merkel und SPD-Finanzminister Scholz hingegen setzen lieber auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), um Ländern wie Italien oder Spanien beizustehen. Der ESM ist ein Rettungsschirm, der 2012 in der Eurokrise aufgespannt wurde und der bis zu 410 Milliarden Euro an Krediten vergeben könnte.

Doch die Ökonomen warnen davor, ESM-Gelder anzuzapfen. „Länder wie Italien oder Spanien würden stigmatisiert“, fürchtet Finanzökonomin Neuberger. „Wer bei einem Rettungsschirm anklopfen muss, wird automatisch als offizieller Pleitekandidat gebrandmarkt. Die Risikoaufschläge würden erst recht steigen.“ Coronabonds hingegen hätten den Charme, die Spekulation auf den Finanzmärkten auszuhebeln: „Die Investoren könnten nicht mehr einzelne Euroländer gegeneinander ausspielen, weil es ja nur noch ein Papier gäbe.“

Neuberger ist „verhalten optimistisch“, dass es tatsächlich zu Coronabonds kommen könnte: „Es ist bemerkenswert, dass sich selbst konservative Ökonomen dafür einsetzen.“

Inzwischen bröckeln die Fronten auch in der Union. CDU-Vorstandsmitglied Elmar Brok sagte der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „dass wir uns angesichts der Opferzahlen im Süden nicht vorstellen können, was in italienischen, spanischen, französischen Seelen los ist.“ Brok hält „klar definierte und begrenzte“ Coronabonds für „unvermeidbar“. Ähnlich sehen es CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter sowie der Vizepräsident des Europaparlaments, Rainer Wieland.

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27 Kommentare

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  • Danke - mal wieder - für diese hervorragende Zusammenfassung und Analyse.

    Dass die überwiegende Mehrzahl der Kommentatoren sich darin nicht hineindenken können verwundert, gelinde gesprochen.

    Dass aber unsere Bundeskanzlerin und ihr Kabinett, in Kollaboration mit Mark Rutte, Sebastian Kurz und unverständlicherweise auch der neuen finnischen Premierministerin Sanna Marin sich diesen einfachen Zusammenhängen verweigern, ist mir nicht nur völlig unverständlich, es ist schlichtweg skandalös.

    Wie so manches, was deutsche Bundes- und Landesregierungen nicht erst seit Corona uns als Politik verkaufen - siehe Flüchtlingskinder aus Griechenland (mit Familie!). Jetzt werden 50 (fünfzig!!!) Kinder aufgenommen und das ist eine Tagesschau-Schlagzeile wert.

    Humanismus, Solidarität? Für selbsternannte "Christen" und "soziale" Demokraten anscheinend unbekannte Werte.

    Hoffen wir, dass sie sich umstimmen lassen.

  • "Tausende Ökonomen ...."



    Da ist es wieder dieses fragwürdige Argument mit der Quantität wissenschaftlicher Meinungen. Haben tausende Recht, weil es tausende sind?Immer häufiger wird argumentiert" "Die Wissenschaft sagt, dass ..." oder "Die Mehrheit der XY Wissenschaftler sagt, dass ..." Das ist eine ziemlich autoritäre Angelegenheit, denn eigentlich sollten Regierungen Entscheidungen fällen. Natürlich auf der Basis anerkannten Sachverstandes.

    Hier, bei den Eurobonds, geht es AUCH um Solidarität. Da muss man nicht Ökonom sein. Das ist in erster Linie eine Frage der Moral und des Charakters.



    Und da hat die BR im Falle Griechenland gezeigt, dass Moral und Solidarität innerhalb der EU nicht ihr Ding ist.

    • @Rolf B.:

      es gibt einen Unterschied zw. es gibt soundsoviele veröffentliche Fachbeiträge die einem Peer Review Verfahren stand gehalten haben und ein paar "Wissenschaftler" haben die letzten 2-3 Tage sich gegenüber der Presse geäußert.

      Das erste nennt man wissenschaftliche Erkenntnis und ist Fakt bis es widerlegt wird, das zweite ist einfach nur Meinung

  • Sobald der Exportweltmeister ein Absatzproblem bekommt, weil der Süden nichts mehr bei ihm kauft, wird auf wundersame Weise plötzlich Alles möglich sein.



    Man stelle sich einfach nur vor, Spanier, Italiener und Griechen, wären nur ein Jahr so streng wie es Deutschland fordert und würden nur ihre Schulden verringern. Keine Autos, keine Agrarprodukte, keine Maschinen, keine Militärtechnik, nur brav Schulden tilgen, sich konsolidieren und die schwäbische Hausfrau geben. Das Wehklagen aus Berlin wäre bis Brüssel zu hören.

  • Wozu Bonds und Zinsen zahlen?! Ab an die "Gratis-Druckerpresse", aber prontamente!

  • Wenn die Alternative ist, eine zwingend unvermeidliche Verschuldung i einer bestimmten Höhe entweder durch Corona/Euro-Bonds oder durch getrennte Schulden aufzunehmen, kann ich ersteren schon etwas abgewinnen.



    Realisitsicher geht es aber darum, auf dieser Weise einen höheren Schuldenstand zu erreichen.

  • Nur einmal für einen Moment angenommen die Südländer hätten die wirtschaftliche Kraft die Schulden je zurück zu zahlen... Worin liegt bei der Eurobonds Lösung der Anreiz es je zu tun?

  • EU-Bonds werden nie kommen, zu tief sitzen im Michel die Versailler Verträge. Deutschland alimentiert seine Nachbarn nicht! Dass es durch den Exportüberschuss derzeit andersherum ist, wird nicht wahrgenommen. Nimmt Deutschland Kredite auf, zahlt es weniger Zinsen als Italien. Bei Eurobonds wären die Zinsen jedoch gleich, Italien zahlte weniger, Deutschland mehr. Warum das nach Corona anders sein sollte, ist nicht einsichtig. Das kommt einem Transfer gleich. Transfers ohne gemeinsame, legitimierte Politik gehen aber nicht, weil die EU-Apparatschiks nicht durch Wahlen legitimiert sind, den Staatschefs Vorschriften zu machen. Sie wären wie ein Länderfinanzausgleich ohne Bundesregierung. Regeln ("Reformen") hatte man daher ins Vertragwerk des ESM gegossen - für den Aufschwung nach Corona allerdings die falschen! Eurobonds sind wohl auch der Versuch, den Bedeutungsverlust der EU in der Coronakrise institutionell zu stärken.

  • Politiker werden nicht von ein paar Wissenschaftlern gewählt, sondern von Bürgern. Und die Bürger sind nunmahl häufig auch Steuerzahler.

    Ein Eurobond mag in dr aktuellen politischen Krise seinen Charm haben, nur as passiert dann? Weshalb sollte ein einzelnes Land je wieder seinen eigenen Zinssatz bezahlen, wenn es der Gemeinschaft nur androhen muss, seinen Verpflichtungen nicht nachzukommen? Passiert nicht? Ist doch schon genau so in Griechenland erfolgt.

  • Warum nennen wir die Corona Bonds nicht gleich Salvini Bonds? Ist ernsthaft anzunehmen, dass der rechte Spinner nächstes Jahr "verschwunden" ist? Sollte Salvini mit seiner Lega jemals wieder an die Macht kommen (was gar nicht so unwahrscheinlich ist), kann sich Rest-Europa darauf einstellen, dass er alle 3 bis 4 Tage mit dem Platzen der Bonds droht... auf Kosten der anderen, gutgläubigen Europäer.

    So machen Populisten das... America first, l'italia prima di tutto.

  • RS
    Ria Sauter

    Warum kommt keine Sonderabgabe für die Reichen in der EU.



    Warum werden dem spanischen Königshaus immer noch Millionen zugestanden?



    Warum spricht keiner darüber?

  • Der Punkt ist doch Solidarität und gegenseitige Hilfe - die Bonds sind nicht zeitgemäß und lenken in der Diskussion nur ab. Auch Italien hat sich nun dazu repositioniert!



    Auch sollte durchaus mal gesagt werden, dass die Mehrheit der der Mitgliedstaaten dagegen waren...

    • @alterego:

      Es ist unter den bestehenden Regeln und anderen Verhältnissen dumm, dass jedes Euro-Land faktisch einen eigenen Euro hat.

      Blöd ist gleichfalls, auf Italien und anderen angeblichen "Wackelkandidaten" oder Schuldenstaaten, und dazu noch wie ein BWLer, herein zu reden.

      Ich bin gegen Bonds, aber aus anderen Gründen, u.a. da für mich Wirtschaften und Geld so selbstverständlich sind, dass sie in demokratische Hände gehören.

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Für mich ist es völlig schnuppe, von wem Vorschläge kommen. Einzig und allein zählt, ob sie Gehalt haben, diese Krise zu meistern.

    Im Zweifel bin ich - wie hier - auch auf der Seite von mitdenkenden und -fühlenden Unionspolitikern.

    Da habe ich - Covid19 zum Trotz - keine Berührungsängste. An den Süden denken und solidarisch mit ihm sein. Mit Taten, nicht nur mit Worten.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      Ich gebe Ihnen recht, allerdings sollte das unter der Bedingung erfolgen dass in den betreffenden südlichen Ländern erst einmal ein funktionierendes Steuersystem implementiert wird. Solange die individuelle Vermögensquote in Italien oder Griechenland höher ist als in Deutschland, wird es schwierig hier um Solidarität zu werben. Sobald sich die Vermögenden in den betreffenden Südländern an den Corona Kosten beteiligen, ist auch nichts gegen Corona Bonds einzuwenden.

      • @Ritschie:

        Hier in DE beteiligen sich die Reichen und Superreichen doch auch nicht an der Bewältigung der riesigen Kosten. Fangen wir doch bei uns an und erheben eine Solidaritätssteuer von 20% ab einem Vermögen von x Euro.

        • @Rolf B.:

          Warum sollte Deutschland dies veranlassen? Ist es fair, dass sich die Länder, die jetzt nach Euro Bonds rufen, Systeme leisten von denen Deutschland nur träumen kann? Gerade der kleine französische Wicht, sorry Präsident soll sich mal fragen, warum er einerseits keine Reformen im eigenen Land zuwege bringt und dann von anderen Ländern Geld für seine Misswirtschaft verlangt...

        • @Rolf B.:

          zumal das Geld, das jetzt während Corona in Restaurants, Hotels, Theatern nicht ausgegeben wurde, ja da ist. Es ist nur bisher nicht bei denen angekommen, die brauchen und sonst auch bekommen hätten. Und je reicher jemand ist, umso mehr davon ist da. Unabhängig davon sind die Themen Vermögens- und Erbschaftssteuer sowieso seit langem überfällig.

        • @Rolf B.:

          Richtig. Nicht mit zweierlei Maß messen!

          • @cazzimma:

            Rolf, Sie wollen also in Deutschland eine Vermögensteuer o.ä. einführen, und mit Hilfe dieser Einnahmen Länder alimentieren die eine höhere Vermögensquote haben, und ihre Reichen finanziell nicht antasten wollen.



            Ein solcher Altruismus ginge dann vielen Deutschen dann doch zu weit. Warum nicht in Deutschland eine Vermögensabgabe, z.B. begrenzt auf 5 Jahre, einführen, allerdings Hilfen an die sogenannten „armen“ Südländer nur unter der Bedingung zu gewähren, dass die ebenfalls die großen Vermögen abschöpfen. Es müssten allerdings harte und überprüfbare Bedingungen sein. So wie ich diese Länder einschätze wird das sonst an Grenzen stoßen. Die Griechen wussten damals schon weshalb sie in ihrer existenziellen Krise keine Hilfe von der deutschen Finanzverwaltung in Sachen Steuererhebung annahmen. Die Vermögen ihrer Reichen werden immer noch nicht groß besteuert.

  • Wichtig ist bei den Eurobonds die klare zeitliche Begrenzung und Vorgaben für die Haushaltspolitik bzw. Konsolidierung.



    Alle Hacken zwar bei dem Thema auf Deutschland rum, aber Länder wie Österreich, Niederlande usw. sind viel härtere Nüsse! Hier müssen ganze Bevölkerungen überzeugt werden und zwar ohne Moralisieren!

    • @Andi S:

      Italienische Staatsanleihen waren auch schon vor Corona Ladenhüter, die Italiener wollen die ja noch nicht einmal selber kaufen, der Seidenstraßendeal mit den Chinesen spricht auch Bände. Die Stigmatisierungsnummer hat man da schon in Eigenregie vollbracht. Man sollte erstmal die Zinsentwicklung für die Problemländer abwarten, außerdem wird die EZB massiv Staatsanleihen kaufen, vergemeinschaftet wird also schon teilweise. Coronabonds werden den Nordländern außerdem einen starken und unübersichtlichen Knüppel gegenüber den Südländern geben. Wenn alle in einem Boot sitzen geben die Gleichen den Takt vor wie jetzt. Ja, Eurobonds sind wie eine Einkaufsgemeinschaft, mehr Marktmacht, niedrigere Preise etc. So etwas funktioniert aber nur über klare Regeln und da denke ich nicht, dass die Italiener und Franzosen Lust darauf haben, dass andere Länder andere Vorstellungen davon haben, welche Staatsausgaben man mit geliehenem Geld finanziert und welche nicht. Scholz 3 Säulenstrategie überzeugt da mehr. Ein Teil wird zeitbegrenzt vergemeinschaftet, denn es ist ja auch ein gemeinschaftliches Problem, Eigenverantwortung der Staaten bleibt aber weiterhin zentral, diese ist ja auch meistens der Grund für deren finanzielle Situation. Italiens gewählte Regierungen sind doch schon Jahrzehnten entweder ein Kabinett des Grauens oder werden, wenn sie Reformen zur Abstimmung bringen, vom Volk versenkt.

      • @FancyBeard:

        "...Stigmatisierungsnummer ... Eigenregie..."



        "...Problemländer..."



        "...klare Regeln..."



        "...Eigenverantwortung..."



        "...Kabinett des Grauens..."

        Selber schuld, wenn's denen schlecht geht?

        Wissen Sie was? Bonds hin oder her: wir sitzen *jetzt* schon in einem Boot. Die gute alte Demark-Zeit ist längst passé, und "wir" haben mit am meisten davon profitiert, zuweilen auf Kosten anderer.

        Wird Zeit, dass die Finanzkonstruktionen dem gerecht werden. Sie sind nicht Selbstzweck, sondern nur Instrumente.

         

        Kommentar gekürzt. Bitte beachten Sie die Netiquette.

        Die Moderation

    • @Andi S:

      Ja. Auch dort sägt man gern am Ast auf dem man sitzt...

  • Warum verlangen die den Umweg über Bonds ? Glaubt irgendwer das Italien oder Spanien ihre Schulden je zurückzahlen ? Die Ökonomen aus dem Ausland hätten genau so gut einen Schuldenschnitt verlangen können ( für die hätten sie sicher auch die Unterschriften zusammengebracht ), weil der irgendwann eh nicht zu verhindern ist.

    • @Günter Witte:

      Die Alternative wäre die Auflösung des Euro.

      • @ben99:

        Eben.